Sobald man beginnt, sich mit qualitativer Forschung zu beschäftigen, kommt man nicht daran vorbei, sich zunächst zumindest gedanklich auch mit quantitativer Forschung auseinander zu setzen. Qualitative Forschung wird selten als für sich allein stehende Forschung gehandhabt, sondern ihre Berechtigung wird immer in Hinblick auf die quantitative Forschung gewertet, verglichen, und dann als berechtigtes Mittel der Datenerhebung angenommen oder verworfen.
Meines Erachtens ist dies ein natürlicher Gedankengang während des Einstiegs in die Auseinandersetzung mit qualitativer Forschung, da quantitative Forschung als Forschungsmittel wesentlich präsenter ist und sie in der allgemeinen Wissenschaft eher akzeptiert und praktiziert wird. Auf dem Gebiet der empirischen Sozialforschung mussten sich interpretative Verfahren den Status weitgehender Akzeptanz in hartem Kampf erobern.
Zunehmend ist in den Selbstbeschreibungen von Wissenschaftsbetreibenden ein Interesse für beide Möglichkeiten zu finden. Es fällt auf, dass die Zusammenschau der Ansätze vordergründig meist zum Nachteil der qualitativen Forschung ausfällt. Insbesondere gilt dies für den Bereich der Sicherstellung von Qualität. Mittels universeller Gütekriterien versuchen quantifizierende Verfahren ihre Standards festzulegen. Nun, wo die grundsätzliche Unterlegenheit der interpretativen Verfahren kaum mehr behauptet wird, gilt es, ihnen den letzten Anschein von Beliebigkeit zu nehmen. Qualitätssicherung ist für die qualitative Forschung - der ja oft vorgeworfen wird, ihre Ergebnisse nicht wissenschaftlich ausweisen zu können – von großer Bedeutung.
Trotz unzähligem Material und Ideen zur Güte qualitativer Forschungsstrategien, herrscht noch immer wenig Einigkeit über einen allgemeingültigen Kriterienkatalog zur Beurteilung qualitativer Arbeiten. Eine Schwierigkeit bei der Formulierung von Standards und Kriterien für die qualitative Forschung ist die Festlegung von präzisen Grenzwerten. Wann ist eine Interpretation ausreichend argumentativ begründet? Wann ist eine Methode ausreichend nah an der natürlichen Umwelt des beforschten Gegenstandes und wann ist der Forschungsprozess intersubjektiv genug um ihn nachvollziehbar zu machen?
Um einer Mythenbildung über den Zustand qualitativer Forschung in der Praxis entschieden entgegenzutreten werde ich in der folgenden Arbeit eine aktuelle durchgeführte qualitative Forschungsarbeit genauerer Betrachtung unterziehen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Allgemeines
1.1 Charakteristika der Qualitativen Forschung
1.2 Vorgehensweise
2. Qualitätsdimensionen
3. Gütekriterien
3.1 Objektivität
3.2 Argumentative Interpretationsabsicherung
3.3 Gegenstandsangemessenheit
3.4 Triangulation
3.5 Formen der Triangulation:
3.6 Kommunikative Validierung
4. Qualitätsanalyse
Leitfragen der Qualitätssicherung:
5. Kriterien, die die Realität qualitativer Forschung bestimmen
5.1 Wirtschaftliche Verwertbarkeit:
5.2 Wissenschaftliche Einflussbreite
5.3 Massenmediale Eignung am Beispiel Psychologie
6. Schlussbetrachtungen und Fazit
Literaturangabe
Einleitung
Wenn man beginnt, sich mit qualitativer Forschung zu beschäftigen, kommt man nicht daran vorbei, sich zunächst zumindest gedanklich mit quantitativer Forschung auseinander zu setzen. Qualitative Forschung wird selten als für sich allein stehende Forschung gehandhabt, sondern ihre Berechtigung wird immer in Hinblick auf die quantitative Forschung gewertet, verglichen, und dann als berechtigtes Mittel der Datenerhebung angenommen oder verworfen. Meines Erachtens ist dies ein natürlicher Gedankengang während des Einstiegs in die Auseinandersetzung mit qualitativer Forschung, da quantitative Forschung als Forschungsmittel wesentlich präsenter ist und sie in der allgemeinen Wissenschaft eher akzeptiert und praktiziert wird. Überdies bin ich der Meinung, dass es oft hilfreich ist, eine Methode von anderen abzugrenzen, um sie näher kennen zu lernen. Es gab Zeiten, da war es eine Art Glaubensfrage sich einem Forschungsparadigma zuzuordnen. Quantitative und qualitative Methoden standen sich samt ihren Verfechterinnen und Verfechtern gegenüber und übten sich in gegenseitiger Herabwürdigung. Auf dem Gebiet der empirischen Sozialforschung mussten interpretative Verfahren sich den Status weitgehender Akzeptanz in hartem Kampf erobern. Zunehmend ist in den Selbstbeschreibungen von Wissenschaftsbetreibenden ein Interesse für beide Möglichkeiten zu finden. Es fällt auf, dass die Zusammenschau der Ansätze vordergründig meist zum Nachteil der qualitativen Forschung ausfällt. Insbesondere gilt dies für den Bereich der Sicherstellung von Qualität. Mittels universeller Gütekriterien versuchen quantifizierende Verfahren ihre Standards festzulegen. Nun, wo die grundsätzliche Unterlegenheit der interpretativen Verfahren kaum mehr behauptet wird, gilt es, ihnen den letzten Anschein von Beliebigkeit zu nehmen. Qualitätssicherung ist für die qualitative Forschung - der ja oft vorgeworfen wird, ihre Ergebnisse nicht wissenschaftlich ausweisen zu können – von großer Bedeutung. Trotz unzähligem Material und Ideen zur Güte qualitativer Forschungsstrategien, herrscht noch immer wenig Einigkeit über einen allgemeingültigen Kriterienkatalog zur Beurteilung qualitativer Arbeiten. Eine Schwierigkeit bei der Formulierung von Standards und Kriterien für die qualitative Forschung ist die Festlegung von präzisen Grenzwerten. Wann ist eine Interpretation ausreichend argumentativ begründet? Wann ist eine Methode ausreichend nah an der natürlichen Umwelt des beforschten Gegenstandes und wann ist der Forschungsprozess intersubjektiv genug um ihn nachvollziehbar zu machen?
Um einer Mythenbildung über den Zustand qualitativer Forschung in der Praxis entschieden entgegenzutreten werde ich in der folgenden Arbeit eine aktuelle durchgeführte qualitative Forschungsarbeit genauerer Betrachtung unterziehen.
1 Allgemeines
1.1 Charakteristika der Qualitativen Forschung
Unter dem Dach der qualitativen Sozialforschung hat sich im Laufe der Zeit ein breites Spektrum von Methodologien und Forschungspraktiken versammelt. Auf die Heterogenität der Forschungsperspektiven und der theoretischen Hintergründe der verschiedenen Ansätze innerhalb der qualitativen Sozialforschung weist u.a. Steinke (1999, S. 18 f.) hin. Aber es gibt einige Prinzipien, die die meisten der Vertreter für sich als gültig betrachten. In Anlehnung an Steinke (1999, S. 17-40) und Lamnek (2005) können folgende übergreifende Kennzeichen qualitativer Forschung formuliert werden. Die Theoriebildung erfolgt in der Regel induktiv oder mittels einer abduktiven Logik (vgl. auch Kluge & Kelle, 1999, S. 14-24), d.h. auch kreative und intuitive Prozesse werden mit einbezogen. Ausgehend von einer Analyse von Einzelfällen gelangt man zu Verallgemeinerungen und schließlich zu einer Theorie oder zumindest zu einer dichten Beschreibung des Phänomens. Ein weiteres Prinzip ist die Kontextualität von Handlungen und Äußerungen. Deren Sinn und Bedeutung werden immer in einem bestimmten gesellschaftlichen, kulturellen, sozialen, situativen und historischen Kontext hergestellt. Qualitative Forschung hat den Anspruch möglichst nahe an die Lebenswirklichkeit der untersuchten Personen heranzukommen. Sie orientiert sich am Alltagsgeschehen und dem Alltagswissen der Handelnden im Forschungsfeld. Das Prinzip der Offenheit greift auf verschiedenen Ebenen: Zum einen wird die theoretische Strukturierung des Untersuchungsgegenstands in den Hintergrund gestellt und die Relevanzsetzungen der Untersuchten werden in den Mittelpunkt gerückt. Zum anderen wird den Befragten im Forschungsprozess möglichst viel Raum gegeben, ihre Deutungsmuster zu entfalten (Helfferich, 2004, S. 100). In qualitativen Arbeiten werden nicht repräsentative Stichproben untersucht, sondern Einzelfälle oder geringe Fallzahlen von Untersuchungspartnern sind Basis der Forschung. Dass die Methode sich dem Gegenstand anpassen sollte, ergibt sich konsequenterweise aus der Forderung nach Orientierung am Alltagsgeschehen und Alltagswissen der Untersuchten und dem Prinzip der Offenheit. Die Forscherin steht den Untersuchten als Fremde gegenüber und muss deshalb flexibel sein und gegebenenfalls ihre Methoden an die Erfordernisse der Situation anpassen. Die Zirkularität des Forschungsprozesses ist deshalb gegeben, weil keine vorab definierte Abfolge von Forschungsschritten durchlaufen wird, sondern beispielsweise die Phasen der Datenerhebung und -auswertung sich abwechseln. Aber auch im Sinne des hermeneutischen Zirkels wird angestrebt immer wieder zwischen der Betrachtung von Einzelaspekten und dem großen Ganzen zu pendeln und auch die Person der Forscherin in die Reflexion mit einzubeziehen.
1.2 Vorgehensweise
So wie der Titel dieser Arbeit durch seine Interpunktion in zwei Einheiten geteilt ist, so wird auch die inhaltliche Schwerpunktsetzung zweigeteilt sein. Ein zunächst theoretisch gehaltenes Fundament bietet die Grundfläche einer auf diesem aufbauenden empirischen Analyse. Zu Beginn wird auf einer theoretischen Ebene erarbeitet werden, welche Merkmale die qualitative Forschung und insbesondere die Qualität qualitativer Sozialforschung ausmachen und welche Kriterien zu derer Beurteilung heranzuziehen sind. Danach wird an Hand ausgewählter primärer Kriterien eine soziologische Forschungsarbeit auf ihre Qualität hin untersucht und gleichzeitig die Anwendbarkeit und Handhabung der Gütekriterien beurteilt. Den Untersuchungsgegenstand der Analyse bildet das ausgewählte soziologische Forschungsprojekt „Macht und Unterordnung in Beschäftigungsverhältnissen Angestellter. Beitrag zu einer Sozialphänomenologie der Aggression“, welches in Form eines Forschungsberichtes vorliegt. Anschließend an diese Analyse werden Praxisprobleme der Sozialforschung, insbesondere der qualitativen Forschung verdeutlichen, dass die Formulierung und Anwendung von Gütestandards nicht der einzige Bereich ist, an dem intensiv gearbeitet werden muss um eine Entwicklung und Durchsetzung der qualitativen Forschungsmethoden sowohl in den Wissenschaften selbst als auch in der politischen Arena zu erreichen. Den Abschluss dieser Arbeit bildet neben einer Zusammenfassung der Ergebnisse der durchgeführten Analyse auch ein Ausblick in die Zukunft qualitativer Sozialforschung und Ideen der Qualitätsprüfung und - förderung die eine Möglichkeit darstellen eine Gleichstellung mit den quantitativen Methoden in Bezug auf die Aussagekraft und Wissenschaftlichkeit zu erreichen.
Was ist jedoch das Ziel dieser Analyse und welche Möglichkeiten bietet die Vorgehensweise? Die Zielsetzung ist keine einseitige und soll in zwei Punkten erläutert werden.
1. Zunächst einmal soll der Nebel gelichtet werden, der die Frage nach Qualität in qualitativen Forschungsprojekten umgibt. Es soll aufgezeigt werden, wo die in der scientific-community existierenden Regeln beachtet werden und an welchen Stellen nicht. Werden also die methodischen Standards beachtet und erfüllt, oder ist der Umgang mit ihnen eher leger? Gerade den Nichtquantifizierenden Methoden wurde in der Vergangenheit häufiger vorgeworfen, sie würden bisweilen eine methodische Willkür walten lassen. Wie steht es aktuell mit diesem Vorwurf, ist heute eine stärkere Regelgeleitetheit bzw. Standardisierung erreicht?
2. Nicht zuletzt geht es auch darum, eine Momentaufnahme über die momentane Forschungspraxis zu gewinnen. Nicht nur, dass der Standort qualitativer Sozialforschung hinsichtlich der beschriebenen Charakteristika bestimmt werden kann, ferner lassen sich Schlüsse daraus ziehen, in welchem Verhältnis Theorie und Praxis von Forschung zueinander stehen. Sind Vorgabe und Anwendung kongruent, so entspräche es natürlich dem Idealfall; genau dann wäre es den Theoriegenerierenden gelungen, die jeweiligen Konzepte an die Praktizierenden heranzutragen, die Wichtigkeit ihrer Beachtung klar zu machen. Klafft aber eine Lücke zwischen Vorgabe und Anwendung, dann kann dies einerseits darauf beruhen, dass die Anwenderinnen und Anwender einen mangelnden Kenntnisstand aufweisen, weil sie beispielsweise nicht mit der aktuellen Literatur vertraut sind. Andererseits aber auch darauf, dass der Kenntnisstand zwar ausreichend wäre für eine adäquate Methodenanwendung, andere Gründe aber dagegen sprechen – zu nennen wären hier die Nichtdurchführbarkeit der Standards oder die Möglichkeit, innovativ zu verfahren. Nichtdurchführbarkeit wird beispielsweise dadurch hervorgerufen, dass qualitative Sozialforschung sich mitunter weitaus umfangreicher gestaltet als ihr quantitatives Pendant. Es ist dann mehr Personal und Zeit nötig – beides lässt häufig die ökonomische Ausstattung nicht zu. Ein Bedingungskreislauf beginnt: Mangelnde ökonomische Ausstattung führt zu mangelhaft eingehaltenen Standards, welche wiederum die Skepsis der Geldgeber gegenüber der Methodik erhöhen und weitere Forschungsanträge in einem kritischen Licht erscheinen ließen.
2. Qualitätsdimensionen
Bei der Vermittlung in einem Interview sind eine Reihe von Verzerrungen möglich. Nehmen wir ein biografisches Interview als Beispiel. Der Interviewte erinnert sich an eine frühere Begegnung aus seinem Leben, etwa einen Konflikt, eine Auseinandersetzung, von der er im Interview erzählt. Da gibt es zunächst einmal seine persönliche Interpretation der Situation, in die natürlich seine gesamte Subjektivität einfließt, wie er oder sie die Situation erlebt hat. Das Verständnis der gesamten Situation ist subjektiv geprägt – hier sind alle denkbaren Verzerrungen möglich. Das Ereignis liegt zudem in der Vergangenheit und wird durch die Wirksamkeit des Gedächtnisses in ganz bestimmter Weise in der Interviewsituation aufgrund dieser Erinnerung rekonstruiert, wobei die Verzerrungen des Gedächtnisses zu berücksichtigen sind. Das Interview stellt wiederum eine Interaktion dar, in diesem Fall zwischen dem Interviewten und dem Interviewer. Hier entsteht die biografische Erzählung, situationsabhängig von den Kommunikationspartnern konstruiert. Hier liegt die dritte Möglichkeit für Verzerrungen. Die erste Möglichkeit war die Interpretation der damaligen Situation durch den Interviewten, die zweite war die Verzerrung durch das Gedächtnis, die dritte Möglichkeit sind Verzerrungen in der Interviewsituation selber. Wenn Sie das Interview durchgeführt (und gegebenenfalls auf Kassette gespeichert und transkribiert) haben, kommt ein weiterer Schritt der Interpretation: Sie wollen Ihre Schlussfolgerungen aus dem Interview ziehen. Hier findet wiederum eine Rekonstruktion – die zweite Rekonstruktion – statt und wiederum sind Verzerrungen möglich bei der Interpretation. Das Beispiel der Verzerrungsmöglichkeiten bei biografischen Interviews macht deutlich, dass ein angemessenes Konzept zur Beurteilung der Qualität qualitativer Methoden sich nicht allein auf die Ergebnisse einer Untersuchung beschränken darf, sondern den gesamten Prozess von der Planung über die Datenerhebung bis zur Interpretation umfassen muss. Ein Ansatz zur Sicherstellung und Beurteilung der Qualität von Prozessen, der in letzter Zeit auch auf die Qualität von Diagnostik und Forschung übertragen wird, stammt aus der Industrie und Wirtschaft. Als Faktor des Wettbewerbsvorteils haben amerikanische und japanische Unternehmen entdeckt, dass es wichtig ist, systematisch die Qualität ihrer Produkte oder Dienstleistungen zu untersuchen. In den letzten Jahren wird in allen möglichen Bereichen die Forderung erhoben, Verfahren der Qualitätssicherung bzw. des Qualitätsmanagements und im Zusammenhang damit auch eine Qualitäts-Zertifizierung für Dienstleistungen einzuführen. Das gilt z.B. für unterschiedliche Dienstleistungen wie die Lehre an den Universitäten, die Pflegeleistungen in der Medizin und die Psychotherapie.
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- Lydia Rüger (Author), 2007, Die Qualität qualitativer Forschung. Analyse eines soziologischen Forschungsprojektes, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75531
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