Wie schon im allgemeinen Sprachgebrauch feststellbar, ist der Begriff des Paradigma relativ vertraut und wird oft verwendet, ob von Wissenschaftlern oder von Laien. An sich wäre diese Tatsache nicht weiter von Bedeutung, wenn man nicht wüsste, dass er vor gerade einmal 50 Jahren aus der Linguistik entlehnt wurde und durch das Werk eines einzelnen Wissenschaftlers den Stellenwert bekam, den er bis heute besitzt. Dieses Werk jedoch ist wiederum den wenigsten bekannt. Selbst innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft ist es sehr wahrscheinlich nur den Vertretern weniger Disziplinen besser vertraut, von Laien ganz zu schweigen. Was man aus dieser einfachen Beobachtung ablesen kann, scheint für die ganze Theorie symptomatisch zu sein, die diesem Werk zu Grunde liegt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Das Paradigma
2.1 Die Verortung des Begriffs in der SSR
2.2 Was ist ein Paradigma?
3 Der Paradigmenwechsel
4 Resümee
5 Quellen
1 Einleitung
Wie schon im allgemeinen Sprachgebrauch feststellbar, ist der Begriff des Paradigma relativ vertraut und wird oft verwendet, ob von Wissenschaftlern oder von Laien. An sich wäre diese Tatsache nicht weiter von Bedeutung, wenn man nicht wüsste, dass er vor gerade einmal 50 Jahren aus der Linguistik entlehnt wurde und durch das Werk eines einzelnen Wissenschaftlers den Stellenwert bekam, den er bis heute besitzt. Dieses Werk jedoch ist wiederum den wenigsten bekannt. Selbst innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft ist es sehr wahrscheinlich nur den Vertretern weniger Disziplinen besser vertraut, von Laien ganz zu schweigen. Was man aus dieser einfachen Beobachtung ablesen kann, scheint für die ganze Theorie symptomatisch zu sein, die diesem Werk zu Grunde liegt. So kann man feststellen, dass der so im allgemeinen Sprachgebrauch verwendete Paradigmenbegriff einen sehr breiten und unbestimmten Bereich umfasst, welcher bei genauerem Nachfragen wohl kaum in wenigen Sätzen definiert werden kann. Dass dieses aber nicht nur ein Problem für Laien darstellt, ist an der zum Paradigmenbegriff erschienenen wissenschaftlichen Literatur festzumachen; am beeindruckendsten wohl auch an der Tatsache, dass Thomas Kuhn selbst nach dem Erscheinen seiner „Structure of Scientific Revolutions“ (im weiteren Verlauf mit SSR abgekürzt) im Jahre 1962 nur noch wissenschaftliche Arbeiten dazu verfasste, wie sein Hauptwerk zu rechtfertigen und zu verstehen ist. Der Paradigmenbegriff ist demnach zwar in aller Munde, jedoch wird er in den seltensten Fällen im Sinne des Erfinders verwendet.
Wie konnte es aber dazu kommen, dass trotzdem und über diesen langen Zeitraum hinweg, so oft auf Kuhn zurückgegriffen wurde und seine Theorie bis heute so kontrovers diskutiert wird? Dies wäre kaum vorstellbar - unabhängig davon, ob man seinen Ansatz vertritt oder nicht - wenn seine Theorie keinen oder kaum einen Erkenntnisfortschritt bedeutet hätte. Der Großteil seiner Kritiker mag zwar ins Feld führen, dass dies ein zweifelhafter Ruhm sei, der auf Missverständnissen und Fehlinterpretationen beruht, jedoch trifft der selbe Vorwurf, so Kuhn (1988: 389), gleichzeitig auf eben diese und ihre Kritik zu. Wie man es auch halten mag, Fehlinterpretationen und Missverständnisse scheinen vor allem für die wichtigsten Teile seiner Theorie charakteristisch zu sein, was sich zum Einen durch den sprachlichen Stil seiner Arbeit erklären lässt (Grimen 2003: 56, Rose 2004), aber auch durch die Arbeit an sich, wie später noch näher analysiert werden soll. Ein wichtiger Aspekt der zu Fehlinterpretationen und Missverständnissen führte, wenn auch nicht der wichtigste, ist der des Paradigma und des Paradigmenwechsels, welcher das Untersuchungsobjekt dieser Arbeit darstellen soll.
Im Rahmen des besuchten Seminars über Methoden und Empirie in den Sozialwissenschaften, wurde Kuhns wissenschaftstheoretischer Ansatz vorgestellt, um seinen Wert für das Verstehen von Wissenschaft zu ergründen, in diesem Falle auch spezifisch für die Soziologie. In erster Linie versteht sich Kuhn, wie er sagt, als Wissenschaftshistoriker, in zweiter Linie aber sicherlich als naturwissenschaftlicher Wissenschaftsphilosoph (Kuhn 1970: 236). An seinem Werk selbst erkennt man deswegen eine starke Akzentuierung seiner Wissenschaftstheorie auf die Naturwissenschaften, was die Anwendung für den Geisteswissenschaftler, beziehungsweise den Sozialwissenschaftler, besonders schwierig macht. Dies betrifft vor allem die Aspekte seiner Theorie, welche sich mit dem Erkenntnisfortschritt der Entwicklung der Wissenschaft beschäftigen und dezidiert an Phänomenen und Entdeckungen der Naturwissenschaften belegt werden sollen. Wenn man fachfremd und unbefangen beginnt, sich mit diesem Sachverhalt auseinander zusetzen, fällt es einem deshalb im ersten Moment schwierig einen unmittelbaren soziologischen Zugang zu finden. Nach einem vertiefterem Studium wird jedoch deutlich, dass vor allem der Paradigmenbegriff einen beachtlichen, soziologischen Gehalt besitzt (Chalmers 2001: 90), wenn man den Teil seiner Theorie in den Vordergrund stellt, der sich mit dem Wesen der Wissenschaft befasst. Hierbei geht es darum, die Wissenschaft und den Fortschritt nicht so zu betrachten, als sei der Wissenschaftler ein gewissenloser Arbeiter, dem sich die Geheimnisse der Natur früher oder später allein durch Fleiß erschließen.
Kuhn lehnt die Vorstellung ab, dass Wissen und Erkenntnis sich kumulativ steigern. Vielmehr sei es so, dass ein Paradigma nur eine Sichtweise auf die Natur ist, maßgeblich geprägt durch das Umfeld, in dem sich der Wissenschaftler befindet. Dies macht seine Theorie zwangsläufig auch für die Psychologie und vor allem die Soziologie interessant und soll deswegen und bezüglich dieser Aspekte in dieser Arbeit untersucht werden.
Die Grundüberlegung, die in dieser Arbeit verfolgt werden soll, ist also, inwiefern das Paradigma und der Paradigmenwechsel in den Sozialwissenschaften von Bedeutung sind. Es geht nicht darum, Kuhns Schema vom Prozess wissenschaftlicher Entwicklung exakt auf die Sozial- und Geisteswissenschaften anwenden zu können, sondern darum, Kuhns soziologische Sichtweise zu analysieren, welche im Paradigmenbegriff enthalten ist und das Wesen der Wissenschaft zu beschreiben vermag.
Im Verlauf dieser Arbeit werde ich mich deshalb zunächst damit beschäftigen, welchen Platz das Paradigma in Kuhns Theorie einnimmt. Hierbei geht es um die Darstellung der Prozesse von Wissenschaftsentwicklung, wie sie an praktischen Beispielen in der SSR erklärt wurde. Dies ist nötig, um den inneren Wert des Paradigmenbegriffs zu verstehen. Daran anschließend erfolgt die Analyse des Paradigmenbegriffs an sich, zum Einen durch den Versuch der Definition und zum Anderen durch die Auseinandersetzung mit dem Prozess des Paradigmenwechsels. Im abschließenden Resumée sollte es dann möglich sein, erneut zu der Grundannahme dieser Arbeit Stellung zu nehmen.
2 Das Paradigma
2.1 Die Verortung des Begriffs in der SSR
Die komplette Wissenschaftstheorie Kuhns arbeitet mit festgelegten Begriffen, welche zum Einen das Wesen der Wissenschaft erklären sollen und zum Anderen die Prozesse, in denen Wissen entwickelt wird. Ganz bewusst muss schon hier betont werden, dass es sich im Sinne Kuhns bei diesen Prozessen nicht um die Akkumulation von Wissen handelt. Die Vorstellung, dass ein Fortschritt insofern stattfindet, dass alte Theorien durch Falsifikation widerlegt werden und neue Erkenntnisse das alte Wissen um bestimmte Aspekte ergänzen, trifft hier nicht zu. Da dieser Teil der Theorie aber nicht die Grundlage dieser Arbeit darstellt und selbst ein Exkurs dazu den Rahmen sprengen würde, sei hiermit nur kurz darauf verwiesen.
Der Prozess ist als eine Art zirkulärer Vorgang zu verstehen, der sich an einem bestimmten Punkt jeweils verändert. Seinen Anfang nimmt diese Entwicklung in jeder wissenschaftlichen Disziplin mit einer vorwissenschaftlichen Phase, von Kuhn auch vorparadigmatische Phase genannt, worin der die einzelnen Wissenschaftler in gewissem Sinne chaotisch und unsystematisch an ähnlichen oder gleichen Phänomenen forschen. Da die Kommunikation zwischen den Wissenschaftlern nur mangelhaft stattfindet, weil der gemeinsame Nenner noch nicht gefunden wurde oder man sich nicht auf etwas einigen konnte, kann man nicht von einer einheitlichen wissenschaftlichen Disziplin sprechen. Nach einem gewissen Reifeprozess und dem Erscheinen eines bestimmten Werks, auf das sich der Großteil der Wissenschaftler einer sich noch im Entstehen befindlichen Disziplin einigen können, findet der Übergang zur Normalen Wissenschaft statt. Hier kommt das Paradigma ins Spiel, welches zunächst durch dieses eine Werk verkörpert wird, welches dazu in der Lage gewesen ist, die vorher sehr zahlreichen unterschiedlichen Ansätze mit seiner bessern Problemlösefähigkeit abzulösen.
Dabei entsteht ein Konsens, welcher das wissenschaftliche Arbeiten vereinheitlicht, eine gemeinsame Sprache kreiert und die Lehre in der neuen Disziplin ermöglicht. Möglich ist dies aber nur dann, wenn sich die Mehrheit der Wissenschaftsgemeinschaft darauf verständigen kann. In der Phase der Normalen Wissenschaft beruft sich die Wissenschaftsgemeinde außerdem darauf, dieses Paradigma zum Einen durch ständiges Forschen bestätigen sowie präzisieren zu können und es zum Anderen durch die Lehre auch für den wissenschaftlichen Nachwuchs vermittels Gesetzen und Regeln in Lehrbüchern zu tradieren beziehungsweise verbindlich zu machen. Diese Phase umschreibt Kuhn mit dem Sinnbild des Rätsellösens, was bedeuten soll, dass beim Problemlösen mit den Spielregeln des Paradigmas an sich nur Erwartbares herausgefunden werden soll.
Im Laufe dieser Routinearbeiten stoßen Wissenschaftler zu gewissen Zeitpunkten auf Dinge und Probleme, die sich mit dem gültigen Paradigma und den dazugehörigen Regeln nicht mehr erklären oder lösen lassen. Diese Anomalien, wie Kuhn sie nennt, können entweder bei Geringfügigkeit vernachlässigt oder zu einem späteren Zeitpunkt und bei verstärkter Nachforschung gelöst werden. Hält sich eine Anomalie jedoch hartnäckig, so beginnt die Phase der außerordentlichen Wissenschaft, auch Krise genannt. Innerhalb der Wissenschaftsgemeinschaft entsteht dann eine Unsicherheit und der Zweifel an dem alten Paradigma. Zeitgleich beginnen zumeist mehrere Wissenschaftler neue Theorien zu entwickeln, welche diese Anomalien zu erklären helfen. Wie schon in der vorparadigmatischen Phase konkurrieren diese miteinander, vor allem aber mit dem alten Paradigma. Ähnlich wie in der Politik kommt es dann zu einem Punkt, an dem sich die Wissenschaftsgemeinde zwischen dem neuen und dem alten Paradigma zu entscheiden hat und dazu auch Stellung nehmen muss. Ist dies geschehen, und eine neue Theorie wird zum neuen Paradigma erhoben, indem es das alte ablöst, ist die Phase der Revolution erreicht. Kuhn hebt dabei besonders hervor, dass es nur dann möglich ist mit einem alten Paradigma zu brechen, wenn es auch durch ein neues ersetzt werden kann.
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- Quote paper
- BA Christian Wenske (Author), 2007, Paradigma und Paradigmenwechsel bei Thomas S. Kuhn - Eine soziologische Analyse vom Wesen der Wissenschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75382
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