Innerhalb kürzester Zeit erfreute sich der in Augsburg erschienene Fortunatus internationaler Beliebtheit und gehörte für mindestens zwei Jahrhunderte zu den Favoriten des Lesepublikums. Die der Textstruktur zugrunde liegende heterogene Kompilation einer Vielzahl von Motiven vollbrachte es, nicht nur einen großen Rezipientenkreis langfristig zu binden, sondern auch die literaturwissenschaftliche Betrachtung in widersprüchliche Interpretationsversuche zu verstricken.
Durch die kontextuelle Eingliederung der ästhetisierten Darstellungen in die soziale und kulturelle Lebenswirklichkeit der beginnenden Neuzeit zeichnet sich im Fortunatus eine subtile Wirklichkeitsskizze ab. Aufbauend auf den Ergebnissen der sozialgeschichtlich orientierten Literaturwissenschaft wird der Fortunatus-Text im Rahmen dieser Arbeit als literarisch gestalteter Ausdruck spezifischer Wirklichkeitswahrnehmung gekennzeichnet werden, welcher der reflektierten Bewusstheit seines Verfassers Rechnung trägt. Es ist dabei von besonderer Bedeutung, den Text nicht als die Schilderung faktischer Ereignisse und Vorgänge zu begreifen, sondern ihn als eine reflexive Reaktion auf die in Bewegung geratenen, gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien zu kennzeichnen, welchen der Anonymus mit der literarischen Konstruktion gegenständlicher Handlungsorientierungen antwortet. Zum Nachvollzug der lehrhaft motivierten Darstellung sozialer Integration ist es notwendig, den Fokus auf die Fortunatusfigur zu richten und zu analysieren, wie sich ihr Aktionismus der literarisch gestalteten Wirklichkeit anpasst und über die Einsicht in soziale Prinzipien zu einem Verhalten findet, welches es ihr ermöglicht, im gesellschaftlichen Spannungsfeld als erfolgreicher Vermittler der eigenen Interessen aufzutreten. Es ist zu diesem Zwecke dienlich, dem Handlungsverlauf zu folgen und die qualitativen Veränderungen im Bewusstsein und im Handeln des Helden nachzuzeichnen, um sie abschließend als beispielhafte Lernschritte kennzeichnen zu können, deren appellativer Charakter sich explizit an die zeitgenössischen Rezipienten richtet.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der persönlich motivierte Aktionismus
- Die Einsicht in die Notwendigkeit selbständigen Handelns
- Im Konflikt mit konstitutiven Prinzipien
- Fortunatus der vom Glück Begünstigte
- Der überlegte Aktionismus
- Die Einsicht in die Notwendigkeit der ausgleichenden Vermittlung
- Die Herstellung einer repressiven Integration
- Schlussbemerkungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit zielt darauf ab, den Fortunatus-Text als literarischen Ausdruck spezifischer Wirklichkeitswahrnehmung zu analysieren. Der Autor zeigt die reflektierte Bewusstheit seiner Zeit auf, indem er die in Bewegung geratenen gesellschaftlichen Ordnungsprinzipien reflektiert und mit literarischen Handlungsorientierungen beantwortet. Der Fokus liegt auf der erfolgreichen Integration einer Existenzform, deren Aktionismus sich den gesellschaftlichen Bedingungen und Möglichkeiten anpasst. Durch die Nachzeichnung der qualitativen Veränderungen im Bewusstsein und Handeln des Helden werden die appellativen Charaktere des Textes für die zeitgenössischen Rezipienten offengelegt.
- Die Bedeutung des selbständigen Handelns für die soziale Integration
- Die Rolle von familiären und gesellschaftlichen Faktoren im Lebensweg von Fortunatus
- Die Entwicklung des Protagonisten von persönlich motiviertem Aktionismus zu überlegtem Verhalten
- Die Vermittlung zwischen individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Normen
- Die literarische Konstruktion von Handlungsorientierungen als Reaktion auf gesellschaftliche Veränderungen
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel führt in die Thematik ein und skizziert die Bedeutung des Fortunatus-Textes als frühe und herausragende Stimme der beginnenden Neuzeit. Der Autor untersucht die Entstehung des Textes im Kontext der zeitgenössischen gesellschaftlichen Spannungsfelder und beleuchtet die Aktualität des verarbeiteten Stoffes für das Publikum seiner Zeit. Im zweiten Kapitel wird der persönlich motivierte Aktionismus von Fortunatus analysiert. Dabei steht die Einsicht in die Notwendigkeit des selbständigen Handelns im Vordergrund, die durch den extravaganten Lebenswandel des Vaters und sein selbstverschuldetes Scheitern geprägt ist. Der Fokus liegt auf der Entwicklung von Theodorus, dem Protagonisten des Textes.
Das dritte Kapitel befasst sich mit Fortunatus als Figur des Glücklichen, während das vierte Kapitel den überlegten Aktionismus des Protagonisten beleuchtet. Hierbei steht die Einsicht in die Notwendigkeit der ausgleichenden Vermittlung und die Herstellung einer repressiven Integration im Mittelpunkt. Der Autor untersucht, wie Fortunatus sein Verhalten an die literarisch gestaltete Wirklichkeit anpasst und über die Einsicht in soziale Prinzipien zu einem Verhalten findet, welches es ihm ermöglicht, als erfolgreicher Vermittler der eigenen Interessen im gesellschaftlichen Spannungsfeld aufzutreten.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit dem Frühneuhochdeutschen Prosaroman "Fortunatus" und analysiert ihn vor dem Hintergrund der sozialen und kulturellen Lebenswirklichkeit der beginnenden Neuzeit. Die Schlüsselwörter umfassen Themen wie Aktionismus, soziale Integration, Wirklichkeitswahrnehmung, literarische Gestaltung, gesellschaftliche Ordnungsprinzipien, zeitgenössische Rezeption, Handlungsorientierungen, individuelle Bedürfnisse, gesellschaftliche Normen, und die Entwicklung des Protagonisten Fortunatus.
- Quote paper
- Reinhard Keßler (Author), 2005, Fortunatus - literarischer Ausdruck spezifischer Wirklichkeitswahrnehmung in handlungsanleitender Absicht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75371