Eine Laientheatergruppe erhält einen neuen Regisseur. Dieser Spielleiter steuert zu stark, d. h. von ihm propagierte Verhaltensmuster sollen wie nachgeahmt übernommen werden, ohne die verschiedenen Voraussetzungen der Theaterspieler und ihren Lebenskontext adäquat zu berücksichtigen. Auf diese Weise wird kein kreatives Spiel gefördert, die Theaterstunden wirken statisch, Spielfreude fehlt. Aufgezeigt wird, wie wichtig gerade in der Anfangsphase des Schauspieltrainings die Ermöglichungsdidaktik ist, zunächst Hemmungen oder Blockaden bei den Schauspielern abzubauen und eine von Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung geprägte Atmosphäre zu schaffen, bevor dann bei der Einstudierung eines Theaterstücks auf die durchaus notwendige "Schiene" der Erzeugungsdidaktik umgeschwenkt wird.
Einleitung
Meiner Hausarbeit liegt folgende Ausgangslage zu Grunde: Eine über Jahre gewachsene Laien-Theatergruppe von Erwachsenen bekommt einen neuen Regisseur. Dieser Regisseur hat vorher schon in einigen Gruppen Regie geführt und durchweg „gute Noten“ von der Presse, dem Publikum, aber auch von den Schauspielern erhalten. In der neuen Spielgruppe ist der Regisseur aber nicht gut gelitten, obwohl er durchaus originelle Ideen hat. Der Regisseur „steuert“ zu stark, d. h. von ihm propagierte Verhaltensmuster sollen eins-zu-eins umgesetzt werden. So bleibt für die Schauspieler kein Raum für Handlungsalternativen. Der Regisseur ignoriert Vorschläge der Schauspieler oder äußert sich abfällig über sie und fördert kein kreatives Spiel. Die Schauspieler fühlen sich wie willenlose Marionetten, der Willkür des Regisseurs überlassen.
Die hier geschilderte Situation lässt sich im Sinne einer Erzeugungsdidaktik (siehe weiter unten) interpretieren. Das Lernen in der Gruppe ist statisch, Spielfreude kommt nicht auf, Konflikte umso mehr.
Ausgehend von den Deutungsmustern, die der Regisseur und die Darsteller im Laufe ihres Lebens, insbesondere aus ihren Erfahrungen in Theatergruppen, entwickeln, möchte ich den Bogen zur Teilnehmerorientierung spannen und aufzeigen, wie die Teilnehmerorientierung von den Deutungsmustern abhängt. Aus der Teilnehmerorientierung lassen sich wiederum gerade in einer Theatergruppe kreative Bedürfnisse ableiten, die nur durch ein lebendiges Lernen verwirklicht werden können. Wegweisend in diesem Zusammenhang ist der Begriff der Ermöglichungsdidaktik, mit dem ein Verständnis des Lehr-Lern-Prozesses einhergeht, „das um die Konstruktivität und Eigendynamik sowie die begrenzte „Machbarkeit“ von Lernergebnissen weiß“ (Schüßler/Arnold, 2001, S. 6). Ihr geht es darum, ein Klima zu schaffen, in dem eine Vielfalt von Lernwegen ermöglicht, aber kein Lernergebnis erzwungen wird. Die Ermöglichungsdidaktik zielt nicht primär auf reine Wissensvermittlung, sondern auf eine ganzheitliche Kompetenzentwicklung der Lernenden ab. Damit steht der Begriff im Gegensatz zur Erzeugungsdidaktik, in der sich ein Lernen linear, hauptsächlich nach dem Ursache-Wirkungsprinzip vollzieht und den Lehrenden in den Mittelpunkt stellt, von dem aller Lernerfolg abzuhängen scheint.
Deutungsmuster und Teilnehmerorientierung
Unter Deutungsmustern (gelegentlich auch Interpretationsmuster genannt), werden in der Wissenssoziologie im individuellen Wissensvorrat abgelegte Sinnschemata verstanden, die als Sinnzusammenhänge die Wahrnehmung vorprägen und somit die wahrgenommene Umwelt eines Individuums so reduzieren und strukturieren, dass Orientierung, Identität und Handeln möglich wird (vgl. Meuser/Sackmann 1992).
Hinsichtlich der Funktion von Deutungsmustern lassen sich diese als „Mittel zur Bewältigung von Handlungsproblemen“ (ebd., S. 16) oder als Werkzeug zur Krisenbewältigung auffassen. Sie sind […] „krisenbewältigende Routinen, die sich in langer Bewährung eingeschliffen haben und wie implizite Theorien verselbständigt operieren, ohne das jeweils ihre Geltung neu bedacht werden muß. Als solche Muster müssen sie […] auf eine große Bandbreite konkret verschiedener Handlungssituationen einen hohen Grad von Kohäsion und innerer Konsistenz aufweisen“ (Oevermann 2001, S. 38), womit sie sich von alltäglichen Erfahrungen unterscheiden.
Diese „Interpretationsraster“ sind zwar nicht starr, sondern unterliegen im Lauf eines Lebens fortwährender Wandlung. Sie sind also prinzipiell entwicklungsoffen, aber in gewisser Weise doch stereotyp, d. h. gerade die Deutungsmuster, die man biographisch früh erworben hat, sind zeitstabil und hartnäckig gegenüber Veränderungen. Die Biographie und damit die individuellen Erfahrungen, die wir Menschen gesammelt haben, bestimmen demnach unser alltägliches Denken und Handeln. Man sagt zwar, der erste Eindruck sei der beste oder entscheidende, aber wir Menschen können so genannten „Eindrucksverzerrungen“, wie es in der Psychologie heißt, unterliegen, weshalb es mitunter erforderlich ist, sich selbst von tief verwurzelten Deutungsmustern zu lösen und sich nicht von vorschnellen Bewertungen in der Deutungsmustererschließung „lähmen“ zu lassen. Einige dieser tief verwurzelten Deutungsmuster der Erwachsenen sind aber latent, d. h. sie sind ihnen oft nur sehr eingeschränkt bewusst, also unterbewusst, weshalb es zu Widersprüchen zwischen den geäußerten und den gedanklichen Deutungen kommen kann (vgl. Arnold 1985, S. 143). Diese Widersprüchlichkeiten lassen sich, wenn überhaupt, durch eine spätere „Eigenreflexion“ der Erwachsenen (wenn sie merken, dass sie Widersprüchen „aufsitzen“) ausräumen oder korrigieren. Eine gänzliche Verhinderung dieser Widersprüchlichkeiten ist natürlich nicht möglich, da ja das Unterbewusstsein, so banal dies klingen mag, unterbewusst arbeitet.
Wie hat nun der Erwachsenenbildner in Erwachsenenbildungsveranstaltungen mit Teilnehmer-Deutungsmustern umzugehen? – Er geht sensibel und in subjektiv angemessener Weise mit ihnen um und verschafft sich durch einfühlendes, pädagogisches Verstehen Zugang zum Teilnehmer.
Um überhaupt ein Gespür für dieses pädagogische Verstehen zu entwickeln, ist es notwendig, dass sich der Pädagoge zunächst der lebensgeschichtlichen und lebensweltlichen Verankerungen seiner eigenen Deutungsmuster bewusst ist (vgl. Arnold 1985, S. 141).
Vogt (2001) führt aus, dass wir Deutungsmuster brauchen, „um uns selbst zu verstehen, und – wichtiger noch – um uns selbst einen Ort innerhalb der Welt zuweisen zu können. Für ein rationales Verständnis dieses Deutungsprozesses, und um Handlungsanweisungen zu erhalten, ist das Theater ein geeigneter Ort, vielleicht sogar einer der geeignetsten“. Theater sei zwar nicht fähig, solche Deutungsmuster a priori zu vermitteln, vielmehr müsse das Verstehen gelernt werden.
Dies ist wichtig, da der Erwachsenenbildner zunächst einen „Ausgangspunkt“ braucht, von dem er eine Veranstaltung der Erwachsenenbildung in Gang setzen kann. Da aber nicht alle Erwachsenen über die gleiche Biographie und über gleiche Bildungsvoraussetzungen verfügen, muss sich der Pädagoge zunächst von seinen eigenen Deutungsmustern distanzieren und alsbald in die Lebenswelt und Lebenssituation der Teilnehmer „eintauchen“, um gemeinsam auf einen „Nenner“ zu kommen, um sein pädagogisches „Handeln subjektadäquat und lebensweltbezogen »anbinden« und als Erwachsenenbildner identitätssichernd und identitätsbildend »intervenieren« zu können“ (Arnold 1985, S. 141).
Erwachsenenbildung kann einen Beitrag dazu leisten, individuelle Perspektiven bzw. perspektivische Deutungsmuster zu differenzieren. Das Vertrauen der Individuen in die Kraft ihrer eigenen Deutungsmuster und ihrer eigenen Differenzierungsfähigkeit darf sie nicht missbrauchen, sondern sie kann nur dialogisch, d. h. über die Unterbreitung von Strukturierungshilfen und alternativen Deutungsangeboten, gemeinsam mit den Teilnehmern neue und funktional äquivalente Deutungsmuster aushandeln (vgl. ebd., S. 143).
Nahtlos an den Deutungsmusterbegriff lässt sich die Teilnehmerorientierung, als Leitprinzip didaktischen Handelns, anbinden. Ohne sich um eine adäquate Deutungsmustererschließung der Teilnehmer in Erwachsenenbildungs- veranstaltungen zu bemühen, ist eine Teilnehmerorientierung nicht vorstellbar. Teilnehmerorientiert ist eine Erwachsenenbildungsmaßnahme, der es gelingt, an den vorhandenen Sichtweisen (= Deutungsmustern) der Teilnehmer anzuknüpfen, diese aufzugreifen und fortzuentwickeln. Somit sind die Deutungsmuster der Teilnehmer als wesentlicher Bestandteil der Teilnehmerorientierung anzusehen.
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- Quote paper
- Roland Kops (Author), 2006, Erzeugungsdidaktik in einer Theatergruppe Erwachsenener, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/75065
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