Wahlen sind das „zentrale Legitimierungsinstrument“, in dem sich „politische Präferenzen, Forderungen und Erfahrungen des Wählers artikulieren“ (Bethschneider 1987: 18). Am Wahltag entscheidet der Bürger mit seiner Stimme über die Verteilung der Macht. Die Wahl ist das zivilisierte Verfahren, mit dem der ständige Wettstreit der Parteien um die Ausgestaltung des Staates und der Kampf nach politischer Macht kanalisiert und entschieden wird. Der Wähler drückt am Wahltag durch die Stimmabgabe seine Zustimmung für die Politik einer Partei aus.
Mit dieser Definition von Wahl, als Kampf der Parteien um Wählerstimmen zur Legitimierung der politischen Macht, ist ihr der Wahlkampf quasi immanent. Der Wettbewerb der Parteien um Wählerstimmen und damit um Macht ist das zentrale Merkmal des Wahlkampfes (Radunski 1980: 11). In ihm stellen die Parteien ihre Lösungen für aktuelle politische Probleme und ihr Personal den Wählern vor. Der Wahlkampf ist der Wahl vorgelagert und damit ein wesentlicher Beitrag zur Meinungs- und Willensbildung der Wähler und stellt so ein zentrales Element des massendemokratischen Parteienwettbewerbs dar (Wiesendahl 1998: 442). Ihm kommt eine konstitutive Funktion zu, wonach er idealerweise den „Bürger über politische Themen und entsprechende Lösungsansätze der Parteien informiert, (…) Identifikationsmöglichkeiten mit Partei und Kandidat bietet und die Wähler für die Stimmabgabe mobilisiert“ (Schicha 2002: 30). Der Wahlkampf soll hier als kampagnenartige, wettbewerbsorientierte Art der Politikvermittlung durch die Parteien verstanden werden, die versucht, Aufmerksamkeit bei der Wählerschaft zu erzeugen, um sie für Botschaften aufnahmefähig zu machen, mit denen ihre Stimmabgabe beeinflusst werden soll. Diese Definition geht auf die Unterscheidung von Politik in Herstellung und Darstellung zurück, die durch Ulrich Sarcinelli eingeführt wurde (vgl. Sarcinelli 1987). Politikherstellung umfasst dabei den gesamten Bereich der politischen Sachentscheidungen und führt in der Regel zu materiellen Ergebnissen in Form von Gesetzen, Vorschriften und so weiter. Die Politikdarstellung, die gleichbedeutend mit dem Begriff der Politikvermittlung zu verstehen ist, bezieht sich dagegen auf die öffentliche kommunikative Darstellung dieser Ergebnisse und ihres Entstehungsprozesses.
Inhaltsverzeichnis
X ABBILDUNGS- UND TABELLENVERZEICHNIS
1 EINLEITUNG
2 MODERNER WAHLKAMPF
2.1 ÜBERLEGUNGEN ZUM BEGRIFF „MODERNITÄT“
2.2 AMERIKANISIERUNG ODER MODERNISIERUNG VON WAHLKÄMPFEN?
2.2.1 Öffentlichkeit - Mediendominierte Kommunikationsstruktur für Kampagnen
2.2.2 Modernisierung - Veränderung der Kommunikationsstruktur
2.2.3 Modernität - Professionalität der Kampagnen
2.3 DIE RADIOWAHLWERBEKAMPAGNE IN MODERNEN WAHLKÄMPFEN
2.3.1 Aufgabe und Ziel der Wahlkampagne im Allgemeinen
2.3.2 Aufgabe und Ziel der Radiowahlwerbekampagne im Besonderen
2.3.2.1 Targeting - Konzentration auf die Wechselwähler
2.3.2.2 Opposition Research - Beobachtung von Stärken und Schwächen
3 ANALYSE DER KOMMUNIKATIONSSTRUKTUR FÜR RADIOWAHLWERBEKAMPAGNEN IN BADEN-WÜRTTEMBERG HINSICHTLICH DER ERST- UND JUNGWÄHLER
3.1 AUSGANGSSITUATION: LANDTAGSWAHLKAMPF IN BADEN-WÜRTTEMBERG 2001
3.1.1 Landtagswahlen - im Schatten der Öffentlichkeit
3.1.2 Parteiensystem und Politische Kultur
3.1.3 Stimmungslage und Bewertung der Parteien sowie der Kandidaten
3.2 ERST- UND JUNGWÄHLER UND DER LANDTAGSWAHLKAMPF
3.2.1 Einstellung der Erst- und Jungwähler zur Politik und den Parteien
3.2.2 Wahlbeteiligung der Erst- und Jungwähler bei Landtagswahlen seit 1975
3.2.3 Erst- und Jungwähler beeinflussbar durch die Wahlkampagnen der Parteien? .
3.2.4 Wie treffen die Erst- und Jungwähler ihre Wahlentscheidung
3.2.5 Radiowahlwerbespots und die Erst- und Jungwähler im Landtagswahlkampf ...
4 MODERNE KOMMUNIKATIONSSTRATEGIEN DER RADIOWAHLWERBESPRACHE
4.1 RADIOWAHLWERBESPOTS - PERSUASION DURCH SPRACHE
4.1.1 Radiowahlwerbesprache ist symbolische Sprache
4.1.2 Radiowahlwerbesprache besetzt Begriffe
4.1.3 Radiowahlwerbesprache betreibt Agenda-Setting durch „Begriffe-Besetzen“ ...
4.2 MOBILISIERUNG ERZEUGEN DURCH EINE POSITIVE WAHRNEHMUNGSATMOSPHÄRE
4.3 BEDEUTUNG SCHAFFEN DURCH APPELLIERENDE MEINUNGSSPRACHE
4.4 BETROFFENHEIT ERZEUGEN DURCH IDENTIFIKATION MIT WORTSYMBOLEN
4.5 KOMPETENZ HERAUSSTREICHEN DURCH POLARISIERUNG MIT BEGRIFFEN
4.6 GLAUBWÜRDIGKEIT DURCH DEMONSTRATIVE EINHEIT UND PERSONALISIERUNG
4.7 TRANSPARENZ ERZEUGEN DURCH REDUZIERUNG AUF SCHLAGWÖRTER
4.8 WIEDERHOLUNG/PENETRANZ DURCH SLOGANS
5 ANALYSE DER RADIOWAHLWERBESPOTS VON CDU UND SPD AUS DEM LANDTAGSWAHLKAMPF IN BADEN-WÜRTTEMBERG 2001
5.1 ANALYSE DES RADIOWAHLWERBESPOTS DER CDU
5.1.1 Deskription des Radiowahlwerbespots der CDU
5.1.2 Analyse des Radiowahlwerbespots der CDU
5.2 ANALYSE DES RADIOWAHLWERBESPOT DER SPD
5.2.1 Deskription des Radiowahlwerbespots der SPD
5.2.2 Analyse des Radiowahlwerbespot der SPD
6 FAZIT UND AUSBLICK
7 LITERATURVERZEICHNIS
8 ANHANG
8.1 TRANSKRIPTION DES RADIOWAHLWERBESPOTS DER CDU 2001
8.1.1 Wortlaut des Radiowahlwerbespots der CDU 2001
8.1.2 Visualisierung des Radiowahlwerbespots der CDU 2001
8.2 TRANSKRIPTION DES RADIOWAHLWERBESPOTS DER SPD 2001
8.2.1 Wortlaut des Radiowahlwerbespots der SPD 2001
8.2.2 Visualisierung des Radiowahlwerbespots der SPD 2001
8.3 TRANSKRIPTION DER RADIOWAHLWERBESPOTS DER CDU 2006
8.3.1 Wortlaut der Radiowahlwerbespots der CDU 2006
8.3.1.1 Fußball-Spot
8.3.1.2 Kinder-Spot Lang
8.3.1.3 Kinder-Spot Kurz
8.3.1.4 Ute Vogt-Personenspot
8.4 TRANSKRIPTION DER RADIOWAHLWERBESPOTS DER SPD 2006
8.4.1 Wortlaut der Radiowahlwerbespots der SPD 2006
8.4.1.1 Märchen-Hauptspot
8.4.1.2 Atomausstieg-Themenspot
8.4.1.3 Ausbildung-Themenspot
8.4.1.4 Kinderbetreuung-Themenspot
8.4.1.5 Unterrichtsausfall-Themenspot
8.4.1.6 Oettinger-Personenspot
X Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1: Politikvermittlungsprozess im Wahlkampf
Abbildung 2: Strukturelle Trends in Mediendemokratien
Abbildung 3: Wählertypen
Abbildung 4: Problemlösungskompetenzen in einzelnen Politikbereichen
Abbildung 5: Die wichtigsten Probleme in Baden-Württemberg
Abbildung 6: Mitgliederentwicklung der Jusos und der JU von 1975-1999
Abbildung 7: Wahlbeteiligung der Erst- und Jungwähler bei Landtagswahlen seit 1975
Tabelle 1: Eigenschaften der Wechselwähler und Erst- und Jungwähler im Vergleich
Tabelle 2: Erreichbarkeit der Erst- und Jungwähler durch die Wahlkampagnen
Tabelle 3: Unbestimmtheit der Begriffe in der politischen Sprache
Tabelle 4: Zeichentheoretische Aspekte eines politischen Begriffes
Tabelle 5: Linguistisch unterscheidbare Operationen des Begriffe-Besetzens
Tabelle 6: Ziele der Radiowahlwerbung
1 Einleitung
Wahlen sind das „zentrale Legitimierungsinstrument“, in dem sich „politische Präferenzen, Forderungen und Erfahrungen des Wählers artikulieren“ (Bethschneider 1987: 18). Am Wahl- tag entscheidet der Bürger mit seiner Stimme über die Verteilung der Macht. Die Wahl ist das zivilisierte Verfahren, mit dem der ständige Wettstreit der Parteien um die Ausgestaltung des Staates und der Kampf nach politischer Macht kanalisiert und entschieden wird. Der Wähler drückt am Wahltag durch die Stimmabgabe seine Zustimmung für die Politik einer Partei aus.
Mit dieser Definition von Wahl, als Kampf der Parteien um Wählerstimmen zur Legitimie- rung der politischen Macht, ist ihr der Wahlkampf quasi immanent. Der Wettbewerb der Par- teien um Wählerstimmen und damit um Macht ist das zentrale Merkmal des Wahlkampfes (Radunski 1980: 11). In ihm stellen die Parteien ihre Lösungen für aktuelle politische Proble- me und ihr Personal den Wählern vor. Der Wahlkampf ist der Wahl vorgelagert und damit ein wesentlicher Beitrag zur Meinungs- und Willensbildung der Wähler und stellt so ein zentrales Element des massendemokratischen Parteienwettbewerbs dar (Wiesendahl 1998: 442). Ihm kommt eine konstitutive Funktion zu, wonach er idealerweise den „Bürger über politische Themen und entsprechende Lösungsansätze der Parteien informiert, (…) Identifikationsmög- lichkeiten mit Partei und Kandidat bietet und die Wähler für die Stimmabgabe mobilisiert“ (Schicha 2002: 30).
Der Wahlkampf soll hier als kampagnenartige, wettbewerbsorientierte Art der Politikvermitt- lung durch die Parteien verstanden werden, die versucht, Aufmerksamkeit bei der Wähler- schaft zu erzeugen, um sie für Botschaften aufnahmefähig zu machen, mit denen ihre Stimm- abgabe beeinflusst werden soll. Diese Definition geht auf die Unterscheidung von Politik in Herstellung und Darstellung zurück, die durch Ulrich Sarcinelli eingeführt wurde (vgl. Sarci- nelli 1987). Politikherstellung umfasst dabei den gesamten Bereich der politischen Sachent- scheidungen und führt in der Regel zu materiellen Ergebnissen in Form von Gesetzen, Vor- schriften und so weiter. Die Politikdarstellung, die gleichbedeutend mit dem Begriff der Poli- tikvermittlung zu verstehen ist, bezieht sich dagegen auf die öffentliche kommunikative Dar- stellung dieser Ergebnisse und ihres Entstehungsprozesses. Diese Unterscheidung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Entscheidungen über Sachfragen zwar schon aus legitimatori- schen Gründen kontinuierlich an den Wähler vermittelt werden müssen, der Prozess der Poli- tikvermittlung aber losgelöst von diesen Entscheidungen, aus analytischer Sicht, als eigen- ständiger Politikbereich zu sehen ist (Sarcinelli 1994: 41). Es geht bei der Politikvermittlung „nicht um die Durchsetzung politischer Gestaltungsabsichten in Entscheidungsarenen mittels formal institutionalisierter Prozeduren“ (Schmitt-Beck/Pfetsch 1994: 107). Politikvermittlung soll vielmehr als Prozess verstanden werden, in dem politische Realität in politische Vorstel- lungen transformiert wird. Sie ist damit zwangsläufig auch ein Prozess der Komplexitätsre- duktion (Bethschneider 1987: 10). Diesbezüglich ist sie als Untertyp der Politischen Kommu- nikation1zu verstehen, bei dem der Betrachtungsschwerpunkt auf den Aktivitäten der politi- schen Akteure, den Parteien liegt (Sarcinelli 1987: 20ff.; Bentele 1998: 134). Es geht in dem Politikvermittlungsprozess also um Inszenierungen und Realitätsdeutungen“ von Seiten der Parteien (Schmitt-Beck/Pfetsch 1994: 107).2
Der Wahlkampf kann demnach eindeutig dem Bereich der Politikvermittlung zugeordnet werden, da sich die Inhalte der Politikvermittlung dabei auf der ganzen Bandbreite zwischen nahezu vollständiger Übereinstimmung mit den tatsächlichen Entscheidungen und einem kommunikativen Surrogat, der so genannten „symbolischen Politk“ (vgl. Edelman 1976; Sarcinelli 1987), ohne signifikanten Bezug auf die materielle Politik bewegen. Da dem Wahlkampf in der Regel aber keine aktuell zu regelnde, konkrete Sachfrage zu Grunde liegt, sondern vielmehr generalisierte, auf die Zukunft gerichtete Grundlinien der Politik im Mittelpunkt stehen und in ihm die Parteien versuchen Realität zu inszenieren und zu deuten, liegt er tendenziös dem Zweiten, also dem kommunikativen Pol näher.
Da die Parteien auch in vermeintlich wahlfreien Zeiten den kommunikativen Kontakt zum Wähler pflegen und im Kampf um die Macht immer mehr unter Stress geraten (Schmitt-Beck 2002a: 111), müssen die Parteien ihre Lösungsvorschläge ständig öffentlich darstellen, be- gründen und rechtfertigen, um Legitimation zu erhalten (Sarcinelli 1994: 31; 2000: 26). In der politikwissenschaftlichen Literatur wird dieses Phänomen als „permanent campaigning“ be- zeichnet (vgl. Norris 1997b). Durch die, neben den Bundestagswahlen, in Deutschland statt- findenden Landtags- und Kommunalwahlen sowie die Europawahlen, wird der Eindruck des „permanent campaigning“ durch den föderalen Aufbau noch verstärkt, da praktisch jedes Jahr mindestens eine Wahl stattfindet. Es kann also von einer ständig erhöhten Wettbewerbssitua- tion der Parteien ausgegangen werden, über den jeweiligen Wahlkampf hinaus.
Der Wahlkampf weist deshalb außer dem Kriterium Wettbewerb um Wählerstimmen noch andere Merkmale auf, die eine genauere Abgrenzung zum ständigen kommunikativen Partei- enwettbewerb erlauben. Mehrere Aspekte können hier für eine weitere Verengung herangezo- gen werden: Zum einen bezieht sich der Wahlkampf auf einen bestimmten Zeitabschnitt vor einer Wahl (Chronologie) (Hirsch-Weber/Schütz 1957: 9; Palmer 1993: 62), zum anderen hebt er sich organisatorisch und inhaltlich vom normalen Parteienwettbewerb ab (Intensivität) (Timm 1999: 9). Die Parteien beginnen demnach zu einem bestimmten Zeitpunkt damit, den Wettbewerb um die Realitätswahrnehmung des Bürgers mit zusätzlichen kommunikativen Anstrengungen zu verstärken, die zusammengenommen als Wahlkampagne bezeichnet wer- den. In der Regel liegt dieser Punkt etwa 15-18 Monate vor einer Wahl. Ab diesem Moment kann von dem Wahlkampf gesprochen werden.
Der Verlauf der kampagnenartigen Politikvermittlung während des Wahlkampfes kann gut anhand der Lasswell-Formel (Who says what, in which channel to whom with what effect) dargestellt werden, wobei die mit einem dunkelgrauen Kasten hinterlegten Abschnitte die Teilbereiche der Kommunikationsstruktur darstellen, auf die in dieser Arbeit der Fokus gelegt werden soll:
Abbildung 1: Politikvermittlungsprozess im Wahlkampf
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: eigene Darstellung nach Lasswell 1948: 40)
Fokus Nr.1: (Who) Hinsichtlich der verwendeten Kommunikationsstrategien der Parteien steht der Landtagswahlkampf der beiden Volksparteien CDU und SPD in Baden-Württemberg aus dem Jahre 2001 im Mittelpunkt der Betrachtung. Im Allgemeinen: Landtagswahlkampf, da sie häufig Frühsignale für Entwicklungen aussenden, die später so möglicherweise auch in den Bundestagswahlkämpfen beobachtet werden können. Landtagswahlen gelten gemeinhin als Testwahlen bzw. Experimentierfelder für neue politische Strategien und Kommunikati- onskonzepte (Schmid/Griese 2001: 7). Im Besonderen: der Landtagswahlkampf in Baden- Württemberg 2001, weil in ihm die CDU, in einem ihr ureigensten Stammland, mächtig unter Druck geraten war. Dahinter stand eine Organisation und Strategie der SPD und ihrer Spit- zenkandidatin Ute Vogt, die vielfach als „Wahlkampf amerikanischen Typs“ bezeichnet wur- de (Gerster 2001: 31). Dadurch ging die Debatte über die These von der „Amerikanisierung“ deutscher Wahlkämpfe, welche seit dem erfolgreichen Bundestagswahlkampf der SPD 1998 geführt wurde, in eine neue Runde (ebd.). Der baden-württembergische Landtagswahlkampf 2001 verspricht deshalb ein ideales Anschauungsobjekt für moderne Kommunikationsstrate- gien auf Länderebene zu sein.
Fokus Nr.2: (to whom) Trotz ihres sinkenden Anteils an der Gesamtbevölkerung, sollen die Erst- und Jungwähler, die sich vor allem aus der gesellschaftlichen Gruppe der Jugendlichen rekrutieren im Vordergrund stehen. Diese werden gemeinhin unter Sozialwissenschaftlern als „Seismographen der Gesellschaft“ verstanden (Albert/ Linssen/Hurrelmann 2003: 3). Jugend- liche müssen zwar in viele Jugendtypen, -kulturen bzw. -szenen unterschieden werden (vgl. Vogelsang 1994). Für sie alle bedeutet diese Lebensphase aber eine Phase der emotionalen Labilität im Übergang zwischen Kindheit und Erwachsensein. Bei Jugendlichen hat man es deshalb mit instabilen und „variablen Einstellungsstrukturen und Verhaltensmustern zu tun“ (Bonfadelli 1998: 369). Man kann davon ausgehen, dass bei den meisten Jugendlichen in die- ser Lebensphase eine Parteiidentifikation noch nicht sehr ausgeprägt ist. Dadurch fehlt ihnen sozusagen der politische Kompass, sich in der politischen Welt zurecht zu finden. Diese Gruppe rückt deshalb in den Fokus dieser Untersuchung, da die niedrige Parteiidentifikation, die wie eine Art „Markentreue“ die Entscheidung eines Wählers bei jedem Urnengang erneut auf diejenige Partei festlegt, mit der er sich identifiziert (Schmitt-Beck 2003: 201), Jugendli- che für die Parteien zu einer wichtigen Zielgruppe ihrer Kommunikationsanstrengungen macht. Es kann davon ausgegangen werden, dass ihre Informationsaufnahme und - verarbeitung von politischen Informationen wenig konditioniert ist, was sie für die Botschaf- ten der Parteien grundsätzlich sehr empfänglich macht.
Fokus Nr.3: (in which channel) Der dritte Fokus richtet sich auf die Radiowahlwerbespots der Christ- und Sozialdemokraten. Zwar konzentrieren sich moderne Wahlkämpfe in Deutsch- land insbesondere auf das Fernsehen, da es mit seinen bewegten Bildern persönliche Auf- einandertreffen des Spitzenpolitikers mit dem Wähler ersetzt (Johnston/Kaid 2001: 14). Des Weiteren können durch sie aus anderen Zusammenhängen bekannte Emotionen hervorgeru- fen werden (Jung/von Matt 2002: 70). Diese wirken auf den Rezipienten aktivierend, was zu einer effizienten Verarbeitung der Werbebotschaft führt (Kroeber-Riel/Esch 2004: 99). Im Gegensatz zu Wahlkämpfen in den USA oder dem Bundestagswahlkampf 1998 spielt das Fernsehen bei einem Landtagswahlkampf wie dem in Baden-Württemberg, gerade hin- sichtlich der Erst- und Jungwähler, jedoch keine allzu große Rolle (Gerster 2001: 35). Das Dritte Programm ist hier der einzige Sender (SWR) der flächendeckend sendet und allge- mein eine hohe Akzeptanz und Reichweite besitzt. Die Fernsehlandschaft ist nur notdürftig fragmentiert. In Baden-Württemberg haben wir es mit einer im Aufbau befindlichen regio- nalen privaten Fernsehlandschaft zu tun, die in Sachen Reichweite und Akzeptanz noch in den Kinderschuhen steckt (www.lfk.de). Deshalb ist es auf Länderebene hinsichtlich der Erst- und Jungwähler am effektivsten, wenn die Parteien versuchen, diese Wählergruppe über Radiospots zu erreichen. Zum einen, da das Radio dem Fernsehen im Bundesschnitt bei dieser Zielgruppe mit 97 Prozent Haushaltsabdeckung quasi ebenbürtig ist und hinsicht- lich der Akzeptanz (gerade bei den regionalen Sendern) ihm sogar überlegen ist (Gerhards/Klingler 2003: 117).
Zielsetzung dieser Arbeit ist es deshalb in ihrem ersten Teil die Frage zu beantworten, welche Voraussetzungen durch die Kommunikationsstruktur vorliegen müssen, damit die Parteien dazu veranlasst werden, einen modernen Wahlkampf zu führen? Der zweite Teil der Arbeit wird sich dann damit beschäftigen, Analysekriterien zu erarbeiten, anhand derer ein moderner Wahlkampf identifiziert werden kann, wobei sich die Arbeit, wie in der Fokussierung schon thematisiert wurde, dabei auf die inhaltliche Analyse der Radiowahlwerbespots von CDU und SPD, konkret auf deren Kommunikationsstrategien bzw. Sprachstrategien hinsichtlich ihrer Zielrichtung auf die Erst- und Jungwähler im Landtagswahlkampf 2001 in Baden- Württemberg konzentrieren wird.
Dies ist von wissenschaftlicher und praktischer Bedeutung, da die Frage, inwieweit sich ein moderner Wahlkampf auf Landesebene über Radiowahlwerbespots, gerichtet an die Erst- und Jungwähler, führen lässt, wissenschaftlich bislang weder beantwortet noch überhaupt gestellt worden ist. Wahlkämpfe wurden bisher vorwiegend auf Bundesebene und mit besonderer Fo- kussierung auf das Medium Fernsehen untersucht. Des Weiteren wurden die Auswirkungen der Modernisierung von Wahlkämpfen auf die Parteienorganisation (Farell 2002; Less- Marshment 2001), auf die Finanzierung der Wahlkämpfe (Sickinger 2004), auf die politische Kultur oder auch auf den Parteienwettbewerb (Dörner 2001; Holtz-Bacha/Lessinger/Hettesheimer 1998; Plasser 2000), sehr gut erforscht. Dabei griff man seit den 80er Jahren wissenschaftlich verstärkt auf die „Amerikanisierungsthese“ zurück, wobei Landtagswahlkämpfe dabei höchstens am Rande berücksichtigt wurden. Ausgehend von der Kernaussage der Angleichung bundesdeutscher Wahlkämpfe an die amerikanische Form des „Campaigning“ über den zunächst geäußerten Vorwurf eines zu „amorphen Begriffs“ (Donges 2000: 27) wurde die „Amerikanisierungsthese“ zunehmend ausdifferenziert, konkretisiert und ergänzt. Damit stellt sie heute einen der schlüssigsten theoretischen Rahmen für die Erklärung moderner Formen von Wahlkämpfen dar.
Die Arbeit wird sich deshalb im Kapitel 2 mit dem Konzept der „Amerikanisierung des Wahl- kampfes“ beschäftigen. Dabei wird in der hier verfassten Untersuchung jedoch zuvor klar zwischen dem Entwicklungsprozess und den heute gültigen Gesetzmäßigkeiten des Wahlkampfes unterschieden. In der deutschen Wahlkampfforschung werden beide Aspekte unter dem Begriff der „Amerikanisierung“ abgehandelt und häufig auch nicht klar voneinan- der abgegrenzt. Für die hier verfasste Untersuchung ist eine entsprechende Unterscheidung insofern relevant, da sie bei ihrer Analyse die Fragen des Entwicklungsprozesses außen vor lässt und sich explizit auf die heutige Form eines modernen Wahlkampfes bezieht.
Im Kapitel 3 soll dann überprüft werden, ob bei einer Fokussierung des Untersuchungsgegens- tandes auf die Erst- und Jungwähler und des Mediums der Radiowahlwerbespots die erarbei- teten Bedingungen eines modernen Wahlkampfes ebenfalls gegeben sind. Im Kapitel 4 wer- den dann anhand der Anforderungen, die sich aus der Kommunikationsstruktur, die in Kapitel
3 beschrieben wird, ergeben, Ziele abgeleitet, welche durch die Strategien innerhalb der Radiowahlwerbespots verfolgt werden müssen. Da es sich dabei vor allem um Sprachstrategien handelt, die in dieser Arbeit behandelt werden sollen, wird am Anfang des Kapitels näher auf die Radiowahlwerbesprache in ihrer Aufgabe und Funktion eingegangen. Auch die anderen Gestaltungselemente der Spots, wie Musik und Geräusche, werden dabei, wenn auch weniger gewichtet, aber dennoch bei der Erstellung der Analysekriterien beachtet. Kapitel 5 behandelt dann die eigentliche Analyse anhand der zuvor erstellten Kriterien.
Die Themenstellung dieser Arbeit erfordert die Nutzung qualitativer Methodenelemente. Dazu gehören im Wesentlichen das Studium der Sekundärliteratur sowie die Inhaltsanalyse der ein- zelnen Radiowahlwerbespots (jeweils 1 Spot pro Partei), die im Vorfeld der Wahl von 2001 in Baden-Württemberg ausgestrahlt wurden und dem Landesmedienarchiv entliehen wurden. Für die Literaturstudien konnte zu dem Thema auf die kommunikationswissenschaftlichen Stu- dien Rüdiger Schmitt-Becks (Schmitt-Beck 2000, 2002a/b), die Shell-Jugendstudie (Shell 2004) sowie auf Veröffentlichungen von praxisorientierten Wahlkampfberatern über Wahl- kampf- und Kommunikationsstrategien zurückgegriffen werden (Althaus 2002a/b, 2003; Ra- dunski 1980, 1996; Berg 2002). Bei der Erarbeitung der Analysekriterien konnte verstärkt auf die Arbeiten über politische Werbung von Kießling und Zolleis verwiesen werden (Kießling 2004; Kießling/Zolleis 2005). Da diese Arbeiten eher allgemeinen Input aus der Werbefor- schung in die Kriterien mit einbrachten, wobei sie dabei hin und wieder auf das Medium Fernsehen Bezug nahmen, musste, um dem sprachlichen Schwerpunkt dieser Arbeit gerecht zu werden, zusätzlich auf die Studien Josef Kleins über die politolinguistische Strategie des „Begriffe-Besetzens“ zurückgegriffen werden (Klein 1989, 1996, 1998). Da m. E. keiner der genannten Autoren politik- und kommunikationswissenschaftliche Erkenntnisse der Wahlkampfforschung mit Erkenntnissen aus der Werbeforschung und der Politolinguistik bisher verbunden hat und sie dann noch zielgruppengerecht, medienspezifisch und auf ein konkretes Umfeld eines deutschen Bundeslandes wie Baden-Württemberg angewandt hat, soll versucht werden, diese Lücke, durch die vorliegende Arbeit zu schließen.
2 Moderner Wahlkampf
2.1 Überlegungen zum Begriff „Modernität“
Um von einem modernen Wahlkampf in dieser Arbeit reden zu können, ist es zunächst wich- tig, sich mit dem Begriff der „Modernität“ genauer auseinander zu setzen. Beim ersten Nach- schlagen stößt man dabei unweigerlich auf den der „Modernität“ verwandten Begriff der „Moderne“, dem sie häufig untergeordnet wird. Eine konsensfähige Bestimmung des Begrif- fes Moderne gibt es nicht, weshalb sich auch der Begriff „Modernität“ nur schwer definieren lässt. Er kann dabei als eine Art Eigenname, nicht als eine analytische Kategorie verstanden werden. Vor allem ist Moderne aber gegen ein verbreitetes Vorurteil, im strengen Sinne, kein rein historischer Begriff (Brecht 2001: 1407). Jede Eingrenzung des Begriffsinhalts fällt des- halb dezisionistisch aus. Moderne ist demnach zunächst ein Schlagwort, das es gilt mit Inhal- ten zu füllen und das in beliebigen Kontexten verwendet werden kann.
In der vorliegenden Arbeit soll „Modernität“ die Grenze zwischen dem als modern Bezeichne- tem und dem Vormodernen ziehen. Die Analyse muss sich außerdem darauf beschränken, Aussagen über den Status quo des modernen Wahlkampfes zu treffen. Inwieweit sich die zu untersuchenden Kommunikationsstrategien in den Radiowahlwerbespots von CDU und SPD von den früheren Kommunikationsstrategien auf Landesebene unterscheiden, kann an dieser Stelle spekulativ angenommen werden. Eine derartige Langzeitstudie wäre jedoch wichtig, um verbindliche Antworten geben zu können. So lange jedoch diese Studien nicht im ausreichen- den Maße vorliegen (vgl. Geisler/Tenscher 2002), muss auf Ersatzindikatoren zurückgegriffen werden, die dabei helfen, den Grad der Radiowahlwerbespots anhand einzelner inhaltlichen formeller Merkmale zu beschreiben.
Um sich diesen Indikatoren zu nähern, wird auf die Forschungsergebnisse der Wahlkampffor- schung zurückgegriffen werden, die sich seit den 80er Jahren verstärkt um die These der Ame- rikanisierung bzw. Modernisierung von Wahlkämpfen kümmern. Natürlich darf dabei nicht ignoriert werden, dass der Begriff der Modernisierung mit dem der Modernität in einem Span- nungsverhältnis steht. Modernisierung bedient sich, um Veränderungen auf historische Prozesse zurückzuführen, eines skalierten Zeitindex und gegenstandsbezogener Parameter (vgl. Plasser: 2003). „Nichts kann so modern sein, als dass es nicht von einem noch Moderne- ren überholt werden könnte“ (vgl. Brecht 2001). Eine Modernitäts-Konstruktion, wie sie in dieser Arbeit konstruiert werden soll, lässt solche Beziehungen dagegen nicht zu. In ihr sind die, als modern bezeichneten Indikatoren eines modernen Wahlkampfes als absolut zu verste- hen.
2.2 Amerikanisierung oder Modernisierung von Wahlkämpfen?
2.2.1 Öffentlichkeit - Mediendominierte Kommunikationsstruktur für Kampagnen
Die durch die Parteien über Kampagnen gesteuerten Inszenierungen und Realitätsdeutungen beziehen sich auf die Realität des Raumes der Öffentlichkeit3. Dieser ist vergleichbar mit ei- nem Markt der politischen Deutungsangebote. Er versammelt eine Vielzahl von Vorstellungen und Sichtweisen über die Realität, die sich letztlich zu einer vorherrschenden bzw. öffentli- chen Meinung verdichten und somit zur Realität für den einzelnen werden. Die Öffentlichkeit stellt somit ein Referenzsystem für die Realitätswahrnehmung und die Urteilsbildung des ein- zelnen dar. Wobei der Wähler bei der Steuerung dieses offenen Marktes an Realitätsdeutun- gen eher die Rolle des Konsumenten einnimmt, als die eines gleichberechtigten Akteurs (Bethschneider 1987: 11). Ein Problem des öffentlichen Marktes an Deutungsangeboten stellt seine in unserer heutigen Zeit gewachsene Komplexität dar, also das Überangebot an zu ver- arbeitender Information sowie die Kompliziertheit der Entscheidungen, die in ihm getroffen werden. Die Massenmedien haben auf diesem Markt die Funktion des Vermittlers zwischen den Parteien und dem Wähler übernommen und sich durch diese Funktion quasi ein Informa- tionsmonopol erarbeitet. Daher kommt es, dass das, was wir über die Welt, in der wir leben, wissen, wir durch die Massenmedien wissen (Luhmann 1996: 9). Somit beruhen auch die Vorstellungen und Meinungen der Wähler auf den Darstellungen der Massenmedien. Die Massenmedien unterstützen die Parteien bei der Komplexitätsreduktion durch Selektion der wichtigsten Ereignisse, Themen und Probleme, um so das Informations- und Deutungsangebot auf ein konsumierbares Maß zu reduzieren. Sie bestimmen so aber auch die Problemprioritä- ten im Raum der Öffentlichkeit mit (Luhmann 1970: 10). Sie besitzen damit die Möglichkeit nicht nur Realität zu vermitteln, sondern zugleich eine eigene Realität aus den Aspekten, der von ihnen aufgegriffenen Realität, zu schaffen. Den Massenmedien kommt somit eine Thema- tisierungs- und Strukturierungsfunktion im öffentlichen Raum zu (Mathes 1989: 457). Den Parteien ist es in einer modernen ausdifferenzierten Gesellschaft also fast nur über die Mas- senmedien möglich, Realitätsdeutungen im Raum der Öffentlichkeit durchzusetzen. Welche Deutungen sich dabei durchsetzen und somit zunächst durch die Massenmedien zur „veröf- fentlichten Meinung“ werden, um später vielleicht „öffentliche Meinung“ zu werden (Noelle- Neumann 1998: 357), hängt also auch von der Aufmerksamkeit ab, die der Politikvermittlung der Parteien durch die Medien zuteil wird. Viele Autoren gehen deshalb sogar schon von einer Abhängigkeit der Politik von den Medien aus. Dies wird auch gerne mit dem Begriff der „Mediatisierung der Politik“ (Kepplinger 1998: 145ff.) beschrieben und besagt, dass die Mas- senmedien die Inhalte der Politik bestimmen (Jäckel 1999: 48) und dass sich zunehmend die Politik an der Logik der Massenmedien orientiere. Sie stellen die Massenmedien als eigen- ständigen Akteur in den Vordergrund, der heute sogar auf die parteiinternen Abläufe, wie die Spitzenkandidatenwahl, Einfluss nehmen würde. Diese würde sich immer mehr, neben der politischen Kompetenz des Kandidaten auch an dessen Medienkompetenz orientieren. An- dere Autoren allerdings unterstellen wiederum der Politik einen großen Einfluss auf die Me- dien und bemängeln deren Instrumentalisierung durch die Politik (Schatz 1982: 6ff.). Die Rea- lität, die in den Massenmedien dargestellt wird, wäre somit schon durch die Parteien vorbe- stimmt. Die Massenmedien wären demnach „abhängig von der sich unentwegt erneuernden Zufuhr neuer Informationen. In der Welt der Politik haben sie stets eine sich immer erneuern- de Quelle, treffen aber auf eine Realität, die durch die mediale Informationsstruktur als solche zunehmend immer schon vorab inszeniert wird“ (Mayer/Ontrup 1998: 529). Beide Positionen stellen zwei extreme Pole dar, die in der politischen Kommunikationswissenschaft vertreten werden. Es ist wohl eher davon auszugehen, dass Medien und Politik in einem symbiotischen gegenseitigen Wechselverhältnis zueinander stehen (Sarcinelli 1987: 213f.), denn einerseits brauchen die Medien die Politik und andererseits ist die Politik auf die Medien angewiesen, um ihre Interessen in der Öffentlichkeit vertreten zu können.
Ulrich Sarcinelli bezeichnet diese Entwicklung als Wandel von der Parteien- hin zur Medien- demokratie (vgl. Sarcinelli 1998). Unter Mediendemokratie versteht er eine demokratische Ordnung, „in der die Individualisierung der Wählerschaft weit fortgeschritten ist, die politi- sche Willensbildung immer weniger als Zwei-Stufen-Prozess über Parteien und politische Meinungsführer vermittelt ist, sondern über deregulierte elektronische Massenmedien erfolgt, sowie die durch Wettbewerb erzeugte Medienlogik zu einer Abhängigkeit von Politik und Medien geführt hat“ (Bürklin/Klein 1998: 183, zitiert nach Geisler/Sarcinelli 2002: 48). Da- mit gewinnen die Kampagnen, die über die Massenmedien geführt werden immer mehr an Bedeutung. Auch die Annahmen der Kommunikationswissenschaft weisen den Massenme- dien eine große Bedeutung zu, hinsichtlich ihrer Wirkung auf die Rezipienten, hier die Wäh- ler. Als wichtigster Ansatz, der die Bedeutung der Massenmedien für den Wahlkampf der Parteien belegt ist diesbezüglich der Agenda-Setting-Ansatz zu nennen, auf den später noch genauer eingegangen werden soll.
Festzustellen ist aber demnach, dass der Raum der Öffentlichkeit als die Kommunikationsstruktur verstanden werden muss, an der sich die Kampagnen der Parteien während des Wahlkampfes ausrichten müssen, um erfolgreich zu sein. Will man also Analysekriterien für einen modernen Wahlkampf erstellen, so muss man sich zunächst die Veränderung der Kommunikationsstruktur vergegenwärtigen.
2.2.2 Modernisierung - Veränderung der Kommunikationsstruktur
Aufgrund der zielgerichteten Ausrichtung der Wahlkampagnen auf die Akteure im Kommuni- kationsraum der Öffentlichkeit (Wählerschaft und Medien), sind diese abhängig von den Ver- änderungsprozessen innerhalb der gesellschaftlichen Subsysteme, denen diese Akteure ange- hören (Gesellschaftssystem und Mediensystem). Wahlkämpfe können demnach, laut Ra- dunski, weder verstanden noch konzipiert werden, wenn man nicht bewusst die Amerikanisie- rung der politischen Kommunikation bejaht (Radunski 1996: 33). Im Kern soll damit ausge- drückt werden, dass der Wahlkampf heute auch in Deutschland bestimmten Gesetzmäßigkei- ten folgt, die früher nur aus den USA bekannt waren. Die Veränderungen des Wahlkampfes und der in ihm geführten Kampagnen sind aber nicht plötzlich über die Bundesrepublik Deutschland hereingebrochen. Die Amerikanisierung begleitet die westeuropäischen Wahl- kämpfe in einem universellen Prozess schon seit den 70er Jahren, wobei allerdings „der Be- deutungsgehalt dieses Konzeptes höchst unterschiedlich definiert wird” (Plasser 2000: 49).
Der Ausdruck der Amerikanisierung hat insofern seine Berechtigung, als er sich auf Grund- merkmale des Wahlkampfes beruft, die zuerst in den USA aufgetreten sind. Diffusionstheore- tiker sehen darin einen gerichteten (einseitigen) Konvergenzprozess. Damit ist gemeint, dass sich zentrale Parameter der Handlungslogik politischer Kommunikationsakteure in Westeuro- pa der kommunikativen Prozesslogik in den USA annähern (ebd.: 50). Dies geschieht unab- hängig von institutionellen Restriktionen des politischen Wettbewerbs. Die „ausländischen Kommunikationsexperten übernehmen die zentralen Axiome und strategischen Parameter der amerikanischen Experten“ (Plasser 2003: 36). Damit wären die USA die eindeutige Quelle der Innovationen. In Form einer Imitation würden demnach die dort vorherrschenden Kommuni- kationspraktiken übernommen. Da diese Imitation meist nur die Planungen und Strategien der Wahlkampfführung betrifft, hat sie, nach dieser Auffassung, nur geringe Auswirkungen auf Institutionen des politischen Systems (Donges 2000: 35; Pfetsch 2001: 28ff.).
Kritiker des Begriffes Amerikanisierung, wie die Modernisierungstheoretiker, weisen deshalb den starken Bezug zur USA als irreführend zurück. Sie argumentieren, dass es in Deutschland schon aufgrund des anderen politischen Systems nicht zu einer völligen Angleichung der Wahlkampagnen kommen könne (Plasser 2003: 97ff.). Außerdem lenke die Bezeichnung den Blick fälschlicherweise auf die USA als Vorbild, obwohl der Prozess der Amerikanisierung im Kern nichts original Amerikanisches an sich habe. Er bezeichne lediglich den Ursprungsort der modernen Wahlkampagnen, nicht aber deren Ursprungsgrund. Die USA seien nur ein Vorreiter in einem umfassenden Prozess des Strukturwandels, der die Politik sowie die Me- dien- und Gesellschaftssysteme moderner Gesellschaften erfasst hat. Im Sinne des modernisie- rungstheoretischen Ansatzes ist die Amerikanisierung der Wahlkämpfe Konsequenz dieses Strukturwandels und die „damit verbundene Labilisierung, Individualisierung, Fragmentie- rung und Technologisierung traditioneller politischer Öffentlichkeit führt bei den Akteuren der politischen Kommunikation zu einer verstärkten Spezialisierung und Professionalisierung, die eben in der fortgeschrittensten medienzentrierten Demokratie, wie den USA, deutlich aus- geprägter ist als in Westeuropa“ (Plasser 2000: 51). Hinsichtlich der Annahme dieses unge- richteten Kommunikationsprozesses durch die Modernisierungstheoretiker, würden die cha- rakteristischen Komponenten der westeuropäischen politischen Kommunikation weitgehend erhalten bleiben (ebd.). Daraus resultiert die weitere Annahme, dass sich die hiesigen Wahl- kämpfe wahrscheinlich ohne die entsprechenden Anregungen aus den USA genauso verändert hätten, „weil sie sich notwendig aus den Veränderungen im Elektorat und durch die Kommer- zialisierung der Mediensysteme ergeben“ (Holtz-Bacha 2000: 47). Dieser angenommene Veränderungsprozess der Kommunikationsstruktur wird in der Abbildung 2 veranschaulicht:
Abbildung 2: Strukturelle Trends in Mediendemokratien
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Blumler und Kavanagh kategorisieren die Veränderungen, die oben schon kurz angesprochen wurden, in die dritte Phase ihres Modells der „Three Ages of Political Communikations“ ein (vgl. Blumler/Kavanagh 1999). Kurz zusammengefasst verstehen sie unter der dritten Phase, einen immer noch laufenden Prozess einer strukturellen gesellschaftlichen Veränderung, näm- lich der Individualisierung bzw. Fragmentierung der Gesellschaft und der Diversifizierung der Medien (ebd.: 213f.). Die Diversifizierung der Medien hat zur Folge, dass die Politikvermitt- lung der Parteien während des Wahlkampfes in einem Kommunikationsraum der Öffentlich- keit stattzufinden hat, der sich durch eine multimediale Kanalvielfalt auszeichnet (Plasser 2003: 241) und damit zu einem vollkommen reizüberfluteten Informations- und Meinungs- markt mutiert (Szyska 1996: 188). Auf diesem heiß umkämpften, gesättigten Informations- und Meinungsmarkt kommt es folglich unter den Massenmedien zu einer erhöhten Konkur- renzsituation, weshalb sie die Attraktivität ihres jeweiligen Medienangebotes zu steigern ver- suchen. Daraus folgt eine zunehmende Entertainisierung des Programmangebotes, also eine Zunahme unterhaltender Programmangebote einerseits sowie einer Vermischung von Unter- haltung und Information zum Infotainment andererseits, welche auch vor der politischen Be- richterstattung nicht halt macht (Geisler/Tenscher 2002: 59). Die Wähler nehmen diese Ange- botsvielfalt des Medienmarktes selektiv, entsprechend ihrer spezifischen-individuellen Inte- ressen wahr (vgl. Hasenbrink 1994). Das schließt auch die politischen Informations- und Per- suasionsangebote mit ein.
Aufgrund der beschriebenen Prozesse tendiert die herrschende Meinung in ihrer Bewertung der Auswirkungen hinsichtlich der Wahlkämpfe eher zum Ansatz der Modernisierung, um auf generelle Prozesse zu verweisen, die nicht einer eindeutigen Ursache zugeordnet sind und über das enge Feld der Politikvermittlung im Wahlkampf hinausgehend, die Gesellschaft insgesamt betreffen. Damit erweist sich der Begriff der Modernisierung auf der einen Seite als anschlussfähig an Veränderungen, die in der Literatur als Prozess von der Parteiendemokratie hin zur Mediendemokratie bezeichnet werden (vgl. Sarcinelli 1998) und er drückt auf der anderen Seite auch Zweifel und Kritik an der Generalisierbarkeit der amerikanischen Variante dieser Mediendemokratie aus. Dadurch kann man bei der Verwendung des Begriffes Modernisierung anstatt des, in der Publizistik häufig negativ konnotierten Begriffes Amerikanisierung auch nicht von einer reinen Begriffskosmetik sprechen.
Auch in dieser Arbeit soll, zwecks Überprüfung der Modernität des baden-württembergischen Landtagswahlkampfes aus dem Jahre 2001, auf den modernisierungstheoretischen Ansatz zu- rückgegriffen werden und die Modernisierung von Wahlkämpfen als Folge eines Anpassungs- prozesses der Parteien- bzw. Wahlkampfkommunikation an eine sich ständig veränderte Kom- munikationsstruktur verstanden werden. Swanson hat diesbezüglich treffend festgestellt: „simi- lar forces driving change across countries need not lead to precisely similar outcomes, and the future will be characterized by locally appropriate adoptions and national differences“ (Swanson 1999: 206).
2.2.3 Modernität - Professionalität der Kampagnen
Aufgrund der beschriebenen Veränderungen sehen sich die Parteien gezwungen, ihre Kampag- nen auf die veränderten Begebenheiten anzupassen. Deshalb kommt es hier auf Seiten der Par- teien zu einer Professionalisierung. Die Professionalisierung gilt in der Literatur deshalb aner- kannter Maßen als Hauptmerkmal der Modernisierung von Wahlkämpfen. Holtz-Bacha geht sogar so weit Modernisierung (bei ihr heißt es „Amerikanisierung“) mit einem „allgemeinen Trend zur Professionalisierung […]: an dessen Spitze die USA stehen“ gleichzusetzen (HoltzBacha 1996: 12). In Anlehnung an den Modernisierungsansatz soll „Professionalisierung“ hier allerdings eher als Motor dafür angesehen werden, dass die Parteien ihre Kampagnen im Wahlkampf einer modernen veränderten Kommunikationsstruktur anzupassen versuchen.
Um ihre Kampagnen der veränderten Kommunikationsstruktur anzupassen, übertragen die Parteien bestimmte Aufgaben an dafür ausgebildete, externe „Kommunikationsstrategen“ und lösen dazu erhebliche Teile der Kampagnenplanung aus ihren Organisationsstrukturen heraus (Schulz 1997: 186). Professionalisierung kann also auch als ein Trend zur Externalisierung der Kampagnenplanung beschrieben werden. Wobei mit Externalisierung „zunächst eine Kommer- zialisierung [gemeint ist, durch die]: Tätigkeiten, die vormals freiwillig erbracht wurden, [...] durch bezahlte Dienstleistungen“ mit Hilfe professioneller Dienstleister ersetzt werden (Donges 2000: 30).
Mit den, meist aus der Wirtschaft stammenden, externen Kommunikationsstrategen, ver- schiebt sich das strategische Selbstverständnis der Parteien in modernen Wahlkämpfen von der Produktorientierung hin zur Marketingorientierung, also zu einem Denken vom Markte her, dass die Bedürfnisse der Wähler ins Zentrum der Wahlkampfführung rückt (Bruhn 2002: 13). Deshalb werden die Parteien stärker zu den Instrumenten der Marktforschung greifen, die eine effizientere Strategieplanung und eine schnellere Reaktion auf die Stimmungslagen der Wählerschaft zulassen. Die Parteien werden also ihre verschiedenen Kommunikationsstrate- gien, aus denen ihre Kampagnen bestehen, der Heterogenität und der Dynamik vor allem des modernen „Wählermarktes“ anzupassen versuchen (Geisler/Tenscher 2002: 58).
2.3 Die Radiowahlwerbekampagne in modernen Wahlkämpfen
2.3.1 Aufgabe und Ziel der Wahlkampagne im Allgemeinen
Der Wahlkampf wurde bereits in der Einleitung als eine kampagnenartige, wettbewerbsorien- tierte Art der Politikvermittlung durch die Parteien definiert, deren Funktion es ist, die Bürger über politische Themen und entsprechende Lösungsansätze der Parteien zu informieren, Iden- tifikationsmöglichkeiten mit der jeweiligen Partei und dem Kandidaten zu bieten und die Wähler für die Stimmabgabe zu mobilisieren. Dabei bildet die Wahlkampagne den eigentli- chen „kommunikativen Feldzug“ (Althaus 2002a: 12). Sie umfasst alle, von den Parteien or- ganisierten und geplanten Kommunikationsaktivitäten, die das Ziel haben, „eine psychologi- sche Verbindung zwischen Kandidaten und Wähler zu schaffen und den Wähler zu einer Ent- scheidung und Handlung zu motivieren (Althaus 2002b: 115). An erster Stelle soll sie diesbe- züglich die Aufmerksamkeit der Wähler erregen, „eine einheitliche Botschaft in Wort und Bild in kurzer Zeit auf den Markt bringen, Kandidaten und Parteien klar von der Konkurrenz zu unterscheiden und als wichtigstes Ziel die Wiederholung ihrer Kontakte mit den von ihr bevorzugten Wählergruppen anstreben“ (ebd.).
Die Wirksamkeit von Wahlkampagnen wird mal hoch mal niedrig bewertet. Häufig wird ihnen abgesprochen, Wähler, sozusagen in letzter Minute, überzeugen zu können oder sie dazu zu bewegen zur Wahl zu gehen, wenn sie nicht wollen. Hier soll allerdings mit Rüdiger Schmitt-Beck angenommen werden, dass die Wahlkampagne bis zur letzten Sekunde vor der Stimmabgabe von Bedeutung ist. Aufgrund seiner Studien kann es als empirisch erwiesen angesehen werden, dass ein immer größer werdender Teil der modernen, individualisierten und fragmentierten Wählerschaft ihre Wahlentscheidung bis zum letzten Zeitpunkt vor dem Wahltag aufschiebt und somit durch die Wahlkampagnen von den Parteien erreicht und beeinflusst werden können (Schmitt-Beck 2002b: 42).
Der Kampagnenbegriff wird „sowohl in der Fachliteratur als auch in nichtwissenschaftlichen Zusammenhängen [...] ganz unterschiedlich gebraucht“ (Plank 2002: 65). Einmal wird in der Literatur der ganze Wahlkampf mit dem Begriff der Kampagne bezeichnet, ein andermal nur einzelne Teile daraus und wieder ein weiteres Mal werden alle kommunikativen Strategien der Parteien als Kampagnen charakterisiert. In dieser Arbeit bezieht sich der Kampagnenbegriff auf die Kommunikationsstrategien in der Radiowahlwerbekampagne, welche gegenüber der Wahlkampagne (Leitkampagne) der Parteien eine untergeordnete Teilkampagne darstellt und in diese eingeordnet werden muss, um am Ende ein optimales Ergebnis zu erhalten (ebd.).
2.3.2 Aufgabe und Ziel der Radiowahlwerbekampagne im Besonderen
Die Parteien vermitteln ihre Politik während des Wahlkampfes also über verschiedene Teil- kampagnen an die Wähler, die unter der Richtungsvorgabe einer groß angelegten umfassenden
Wahlkampagne unterschiedliche Teilziele verfolgen (Plank 2002: 66). Die Hauptkampagnen, die diesbezüglich nicht unerwähnt bleiben sollen, sind die „Kampagne in den Massenmedien“, die „Werbekampagne“ und die „Mobilisierungskampagne“ (Radunski 1980: 43ff.)
Die Radiowahlwerbekampagne ist wiederum eine Teilkampagne der Werbekampagne. Sie wird von den Parteien selbst finanziert, indem sie selbst Werbezeit oder -platz bei den Radiosendern oder entsprechenden Vertriebsgesellschaften einkaufen, um auf diesem Weg ihre eigenen Kommunikationsziele verfolgen zu können und sich dabei nicht auf Journalisten, als Kommunikatoren verlassen zu müssen. Die Radiowahlwerbung ist also eine Form der Politikvermittlung, die im Sinne der Parteien einen geplanten Einfluss auf das Ver- halten der Wähler nehmen soll. Vorwiegend ist ihr Ziel dabei die Information, Motivation, Überzeugung und die Manipulation eines definierten Kreises von Umworbenen zugunsten der Wahlchancen einer Partei, ihres Kandidaten und ihres Images (vgl. Schrader 2000). Diesbe- züglich soll sie das politische Angebot der jeweiligen Partei, also ihr Programm und ihren Spitzenkandidaten bekannt machen und mit einem möglichst positiven Vorstellungsbild (Image) im Kopf potentieller Wähler verknüpfen. Aufgrund der weiter oben schon angespro- chenen Komplexitätszunahme der Politik haben sich die politischen Angebote der Parteien im Laufe der Zeit inhaltlich angeglichen und sind in der Wahrnehmung der Wähler austauschbar geworden. Es kann von einer „psychischen Produktgleichheit“ gesprochen werden (vgl. Schneider 2004).
Wenn es also das wahlentscheidende „USP“ (= unique selling proposition) nicht geben sollte, muss die Radiowahlwerbekampagne also dazu beitragen, die Partei, ihr politisches Angebot und ihren Spitzenkandidaten für die Wähler merklich von der Konkurrenz abzugrenzen, und es mit einem ideellen Mehrwert, einem besonderen Image bzw. anstatt des USP mit einem „USE“ (= unique selling emotion) zu versehen (Strauss 2002: 220). Wenn die Radiowahlwer- bekampagne erfolgreich ist, erreicht sie für das politische Produkt eine besondere Bedeutung in der Wahrnehmung der Wähler, wodurch das Angebot der jeweiligen Partei einen Wettbe- werbsvorteil gegenüber den anderen Parteien erhält. Darüber hinaus soll die Radiowahlwerbe- kampagne nicht nur dabei behilflich sein das politische Angebot einer Partei erfolgreich in der Wahrnehmung der Wähler zu positionieren, sondern auch die Aktualität des Angebotes hoch zu halten (Dittmann 1994: 6ff.). Damit ist gemeint, dass in ihr das politische Angebot einer Partei so thematisiert werden soll, dass es als aktuelle „Alternative“ von den Wählern wahr- genommen wird. Dazu soll sie Stichworte als Entscheidungshilfe bereitstellen, damit sich der Wähler das eine oder andere Thema herausgreift und sich ihm intensiver widmen kann (Szyszka 1996: 194). Als übergeordnetes Ziel soll die Radiowahlwerbekampagne imagebil- dend sein und dem Wähler ein Wegweiser und Orientierungspunkt im Wahlkampf bieten (Stauss 2002: 216).
Um diese Aufgaben und Ziele zu erfüllen steht zuvor die Erarbeitung einer Strategie durch die Parteien an, die auf einer genauen Analyse der Ausgangssituation basiert, um die Kommunikationsmaßnahmen bzw. -operationen auszuwählen, die es unter den jeweils gegebenen Voraussetzungen möglich machen, die Ziele zu erreichen (Brunner 2002: 21).
Strategie heißt diesbezüglich nichts anderes als Disziplin (Althaus 2002b: 118). Eine Strategie erfordert die Fähigkeit, die eigenen Kräfte richtig einzuteilen und einzuplanen, um ein Opti- mum an Durchsetzungsfähigkeit für das bestmögliche Ergebnis zu erzielen (Plank 2002: 66). Unter Kommunikationsstrategie, wird hier ein „Handlungsprogramm [verstanden]: das die Erreichung geplanter Ziele ermöglichen soll“ (Karp/Zolleis 2004: 258) oder um es mit Rasch- ke zu sagen: „Ziel-Mittel-Umweltkalküle“ (Raschke 2002: 210), die auf einer genauen Wäh- lermarktanalyse basieren. Sie stellen damit einen Handlungsplan dar, der mit Blick auf das Ziel der Stimmenmaximierung aus einer verfügbaren Menge von Mitteln/Handlungen diejeni- gen auswählt und ausführt, deren Erfolg hinsichtlich des modernen Wählermarktes am wahr- scheinlichsten ist (Sauer 1998: 241f.). Ein festgesetzter Plan als zentrales Steuerungs- und Kontrollinstrument (Brunner 2002: 21) ist der Strategie dabei immanent, da jede Kampagne „eine Achterbahnfahrt im Kampf um öffentliche Meinung [durchlebt und] kritische Situatio- nen und Krisen [...]: euphorische Momente, dröhnenden Leerlauf und konturlosen Aktionis- mus“ durchmacht (Althaus 2002a: 14). Das oder die strategische(n) Ziel(e) der Radiowahl- werbekampagne muss bei gleichzeitiger operativer Flexibilität konsequent verfolgt werden.
Schwierig ist dabei die Verständigung auf eine allumfassende Botschaft. Ohne die Botschaft als Grundausrichtung kommt keine Kampagne aus, denn die Botschaft ist die zentrale Aussa- ge, durch „sie werden Politikerimages und ihre Themen fassbar, wird Akzeptanz und Über- zeugung beim Wähler geschaffen (Radunski 2003: 191) und sie muss den Menschen bzw. den Wählern „auf Anhieb verständlich, klar, kurz, packend, relevant, kontrastreich und glaubwür- dig sein“ (Althaus 2002: 15). Die Botschaft muss ein Problem ansprechen, das mit praktischen Lösungswegen und Maßnahmen verknüpft werden kann, sie darf weder die eigenen Wähler noch fremde Wählergruppen abschrecken und „sie darf kein Klischee sein, kein künstlicher, abgegriffener Allgemeinplatz“ (ebd.). Ohne die Botschaft als Überzeugungsmittel würde es den Politikern und den Parteien im hektischen Wahlkampfgeschehen an der Chance zur dau- erhaften Identifikation fehlen, weshalb auch moderner Wahlkampf zunächst nach einem „stay your message“ und bei erfolgreicher Kommunikation nach einen „you are the message“ ver- langt (Radunski 2003: 191f.).
Zur Vermittlung, der, auf die Strategie abgestimmten, Botschaft, können die Parteien in den Radiowahlwerbespots rein auf akustische Gestaltungselemente zurückgreifen. Zu den Gestal- tungselementen, die den Machern von Radiowahlwerbespots zur Verfügung stehen, zählen demnach die Sprache, die Musik und die Geräusche. Bei der späteren Analyse sollen im be- grenzten Maße auch die Gestaltungselemente „Musik“ und die „Geräusche“ mit berücksich- tigt werden. Ihnen soll in der Arbeit über ihre Funktion als „emotional manipulierender Sti- mulus“ eine eigenständig botschaftsbezogene Funktion zugestanden werden, wie z.B. die Zielgruppenansprache sicherzustellen, die Aufmerksamkeit auf den Spot zu lenken, die Lern- und Gedächtnisleistung zu fördern, Emotionen zu vermitteln, Vorstellungen von Ereignissen, Orten oder Zeiten auszulösen, die Akzeptanz des Spots zu erhöhen, eine positive Wahrneh- mungsatmosphäre zu schaffen, die Partei repräsentieren, zur Abstimmung der Kommunikati- on in unterschiedlichen Werbemitteln beizutragen, die Kontinuität der Werbung im Zeitablauf sicherzustellen (Dittmann 1994: 20).
Das zentrale Gestaltungselement der Radiowahlwerbespots, um die Botschaft zu vermitteln, ist allerdings die Sprache, genauer gesagt die gesprochene Sprache. Sie wird in den Radio- wahlwerbespots gezielt eingesetzt, um die Wähler von den Ideen, Positionen und Images der Parteien und ihrer Spitzenkandidaten zu überzeugen. Ist in dieser Arbeit also von Kommuni- kationsstrategien die Rede, über die die Botschaft der jeweiligen Partei vermittelt werden soll, so handelt es sich hier vornehmlich um Sprachstrategien, die in den Radiowahlwerbespots zur Anwendung kommen. Diese kulminieren dabei ganz besonders in wesentlichen Einheiten der Spots, nämlich dem Slogan und einzelnen sound-bites sowie Schlagwörtern4.
Eine passende Botschaft für eine Kampagne zu erfinden, bedarf intensiver Beschäftigung mit den aktuellen Stimmungen, Meinungen, Wahlabsichten und Themen, die in der Bevölkerung vorhanden sind. Dabei spielt die Demoskopie eine zentrale Rolle, da die Parteien mit ihrer Hilfe die Einstellungen zur eigenen Partei, zu Personen, Botschaften und Slogans ermitteln (Plank 2002: 69f.). Darüber hinaus müssen sich die Kampagnenplaner auch über ihre eigenen Stärken und Schwächen und die der Gegner bewusst werden, um deutliche Kontraste bei Themen und Persönlichkeiten setzen zu können (Althaus 2002a: 16). Dazu bedarf es einer gründlichen Analyse der Bedingungen, die sich aus der Kommunikationsstruktur ergeben, auf deren Veränderungen in den letzten Jahrzehnten weiter oben schon hingewiesen wurde. Auf- grund der ebenfalls schon beschriebenen Professionalisierung der Parteien in der Kampagnen- planung greifen die Parteien diesbezüglich auf folgende Methoden zurück.
2.3.2.1 Targeting - Konzentration auf die Wechselwähler
Eine Analyse der Kommunikationsstruktur basiert vor allem auf den beiden Methoden „targeting“ und „oposition research“. Nach einer solchen Analyse können Kriterien für die Kommunikationsstrategie und die Botschaft aufgestellt werden. Das targeting, als wichtiger Bestandteil bei der Analyse der Kommunikationsstruktur beschäftigt sich mit dem Erfassen der gewünschten und notwendigen Zielgruppen, die sowohl geographisch, als auch demographisch verortet werden (Althaus 2003: 151ff.). Je enger die Zielgruppe gefasst werden kann, desto genauer können dann die Kommunikationsstrategien in den Radiowahlwerbespots auf deren Informationsbedürfnisse abgestimmt werden (Althaus 2002a: 19ff.).
Der Vorteil des targeting liegt in erster Linie darin, dass die ohnehin knapp bemessenen Res- sourcen an finanzieller und personeller Ausstattung auch möglichst gewinnbringend einge- setzt werden können. Vorbei sind die Zeiten, „als die Kommunikationsstrategen aufs Publi- kum grob mit dem Schrotgewehr hielten, Motto: ‚Es wird schon die Richtigen treffen‘“ (ebd.). Das „targeting ist ein Verfahren Wähler auszuschließen, an denen man sich nicht ‚profitabel’ abarbeiten kann, so dass es genug Ressourcen gibt, um wichtigere Wählergruppen mit genü- gend hoher Intensität zu erreichen und zu gewinnen. Targeting ist der ultimative Hebel im Direktkontakt mit dem Wähler, es ermöglicht maximale Konzentration unserer Mittel auf ein minimales Universum“ (Reese zitiert in Althaus 2003: 153). Übersetzt heißt das: Nicht in jedem Garten Äpfel pflücken gehen, sondern nur in den Gärten, in denen die dicksten Äpfel hängen, sowie die Mittel für die strategische Zielumsetzung nicht aufwenden, die nicht leist- bar oder unnötig sind (Althaus 2002b: 127). Um das Targeting professionell zu gestalten, müsste langfristig eine Datenbank angelegt werden, in der alle wichtigen Informationen über die jeweilige Zielgruppe abrufbar abgespeichert werden (Althaus 2003: 152).
Da die Informationen, die durch die Anwendung der Targeting-Methode an die Kommunikationsexperten der Parteien geliefert werden können, diese dazu befähigen sollten, Kommunikationsmittel strategisch einzusetzen und jede Strategie ihre Kräfte konzentrieren sollte (Althaus 2002a: 19), muss die Wählerschaft selektiert werden, um die wichtigen Wählertypen, von den unwichtigen zu unterscheiden. Auf den wichtigsten Wählertyp muss sich die Strategie der Kampagne dann konzentrieren.
Dafür muss sich das Targeting auf das Wahlverhalten der Wählerschaft konzentrieren. Dabei muss beachtet werden, dass es unterschiedliche Wähler gibt, die unterschiedliche Willensbildungsprozesse aufweisen, die zu einem unterschiedlichen Wahlverhalten führen (Strohmeier 2004: 58). Gerd Strohmeier hat diesbezüglich, in Anlehnung an die Wählertypologie von Russel J. Dalton (1984) und den Bestimmungsgründen sozialen Handelns nach Max Weber (1964), eine Wählertypologie entwickelt (vgl. Strohmeier 2002):
Abbildung 3: Wählertypen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Quelle: Strohmeier 2004: 59)
Er unterscheidet dabei zwei Typen von Stammwählern und zwei Wechselwählertypen. Zum einen sind das der wertrationale und der traditionale Stammwählertyp und zum anderen der zweckrationale und der affektuelle Wechselwählertyp (vgl. Abbildung 3).
Wählertyp Nr. 1 (wertrationaler Stammwähler): Er weist eine hohe Parteibindung sowie eine hohe Rationalität auf. Er wählt immer die gleiche Partei, weil er sich mit deren Ideologie und wertorientierten Grundhaltung identifiziert (Strohmeier 2004: 59). Wertrational handelt der, „wer ohne Rücksicht auf die vorauszusehenden Folgen handelt, im Dienst seiner Überzeugung von dem, was Pflicht, Würde, Schönheit, religiöse Weisung, Pietät oder die Wichtigkeit einer Sache gleichviel welcher Art ihm zu gebieten erscheinen“ (Weber 1976: 18). Russel J. Dalton bezeichnet diesen Wählertyp als „cognitive partisan“, als parteitreuen Überzeugungswähler (Dalton 1984: 270). Die Indikatoren Parteibindung und Rationalität fast er zusammen und ersetzt er durch den der kognitiven Mobilisierung, worunter er ein Konglomerat versteht aus dem Zusammenhang zwischen der nachlassenden Parteibindung, dem steigenden Bildungs- grad, dem allgemein steigenden politischen Interesse und der höheren Mediennutzung. Der wertrationale Stammwähler bzw. cognitive partisan nutzt seinen Studien zur Folge intensiv die verschiedenen Massenmedien zur politischen Meinungsbildung und agiert als Meinungs- führer durch aktive interpersonale Kommunikation. Der wertrationale Stammwähler fällt in die Gruppe der Zeitungsbevorzuger oder auch der Allesnutzer, also einer, der verschiedene Medienarten rezipiert. (Brettschneider 1997: 270).
Wählertyp Nr. 2 (traditionaler Stammwähler): Er weist eine hohe Parteibindung sowie eine niedrige Rationalität auf. Er wählt immer die gleiche Partei ohne darüber nachzudenken (Strohmeier 2004: 59). Seine Wahlentscheidung basiert auf traditionalem Handeln „sehr oft nur ein dumpfes, in der Richtung der einmal gelebten Einstellung ablaufendes Reagieren auf gewohnte Reize“ (Weber 1976: 17). Nach Dalton ist er der parteitreue Gewohnheitswähler, der zwar über eine starke Parteibindung verfügt, jedoch nur niedrig kognitiv mobilisiert ist. Dieser Typ ist eher vollständiger Medienabstinenzler oder sucht sich durch das unterhaltende Programmangebot der Medien (Brettschneider 1997: 270, 273). Er verfügt über eine geringe formale Bildung und ist an Politik nur wenig interessiert.
Wählertyp Nr. 3 (zweckrationaler Wechselwähler): Er weist eine niedrige Parteibindung so- wie eine hohe Rationalität auf. Der zweckrationale Wechselwähler zieht einen Vergleich zwi- schen den für ihn relevanten programmatischen Angeboten der Parteien und wählt dann die Partei, welche ihm den größten Nutzen verspricht (Strohmeier 2004: 60). Er handelt zweckra- tional, da er „sein Handeln nach Zweck, Mitteln und Nebenfolgen orientiert und dabei sowohl die Mittel gegen die Zwecke, wie die Zwecke gegen die Nebenfolgen, wie endlich auch die verschiedenen möglichen Zwecke gegeneinander rational abwägt“ (Weber 1976: 18). Dalton nennt diesen Wählertyp die so genannten Unabhängigen. Dies sind nach Dalton Wähler mit hoher kognitiver Mobilisierung, aber geringer oder keiner Parteibindung. Dieser Wählertyp nutzt aktiv die Massenmedien, um sich seine politische Meinung zu bilden. Er ist ebenfalls der Gruppe Allesnutzer oder Zeitungsbevorzuger zuzurechnen und bildet sich auch über die seriöse Qualitätspresse wie die Tageszeitungen, entsprechende Angebote im Internet oder po- litische Magazine im Hörfunk oder Fernsehen. Ihre eigene politische Kompetenz schätzt diese Gruppe als hoch ein. Sein Wahlverhalten zeichnet sich durch wechselhafte Entscheidungen aus. In westlichen Demokratien nimmt diese Gruppe laut Dalton sehr stark zu, ist bis jetzt jedoch nicht die stärkste Wählergruppe (vgl. Brettschneider 1997: 270; Dalton 1984: 268f., 274; Schulz 1997: 197).
Wählertyp Nr. 4 (affektuelle Wechselwähler): Dies ist der am häufigsten vorkommende Wäh- lertyp. Er weist eine niedrige Parteibindung sowie eine niedrige Rationalität auf. Er wählt aus dem Bauch heraus und damit kurzfristig und unbedacht. Er lässt sich dabei häufig von dem Image der Spitzenkandidaten leiten. Dieser Wählertyp handelt affektuell aus einem „Bedürfnis nach aktueller Rache, aktuellem Genuss, aktueller Hingabe, aktueller kontemplativer Seligkeit oder nach Abreaktion aktueller Affekte (Weber 1976: 18). Nach Dalton handelt es sich hierbei um den eher unpolitischen Wählertyp. Er entspricht weitestgehend dem Qualitätsmedienabsti- nenzler bzw. dem Mediennutzer, der sich durch einen „Unterhaltungsslalom“ in seiner Nut- zung auszeichnet5. Er verfügt über eine geringe formale Bildung und ist wenig bis gar nicht politisch interessiert. Anstatt der Qualitäts- nutzt er die Boulevardmedien. Die Print- und die audiovisuellen Medien dienen ihm nicht zur politischen Bildung, sondern zur Unterhaltung. Seine kognitive Mobilisierung ist also eher als gering einzuschätzen, was sich deshalb auch auf die selbst gefühlte politische Kompetenz durchschlagen dürfte.
[...]
1Nach dem Verständnis dieser Arbeit wird unter politischer Kommunikation, „alle Kommunikationsformen politischer Akteure sowie die auf Politik bezogene Kommunikation von Akteuren, die nicht dem politischen System zugerechnet werden können“ verstanden (Bentele 1998: 130).
2 Der Möglichkeit, der analytischen Trennung von Politikherstellung und -vermittlung, wird an anderer Stelle widersprochen, mit der Begründung, dass Themen, die sich nicht vermitteln ließen, gar nicht erst in den politi- schen Entscheidungsprozess gelangen würden (Blumler/Kavanagh 1999: 214). Auch Radunski bindet mit der folgenden Aussage politisches Handeln unmittelbar an das Planen und Entwerfen von Kommunikation: „Politi- sche Strategien ohne Kommunikationsstrategien sind in der modernen Demokratie undenkbar. Wer eine Politik entwirft, muss auch ihre Kommunikation mit einbeziehen“ (Radunski 1980: 7). Bei diesem Ansatz wird der Beg- riff der „Politikvermittlung“ mit dem der „Politischen Kommunikation“ gleichgesetzt und als „zentraler Mecha- nismus bei der Formulierung, Aggregation, Herstellung und Durchsetzung kollektiv bindender Entscheidungen“ (Jarren/Donges 2002: 42) verstanden, der dadurch von der Herstellung von Politik nicht zu trennen sei.
3 „Die ,Öffentlichkeit‘ [bzw. der öffentliche Raum oder der Raum der Öffentlichkeit] ist als Relaisstation, als Netzwerk aller Systeme aufzufassen, [also auch des Wählers (Publikum) und des Mediensystems] in dem sich soziale, psychologische, politische und allgemeine kulturelle Wahrnehmungsweisen verbinden“ (vgl. Krempl 1996; vgl. Jakubowski 1998)
4 Werden näher erklärt in Kapitel 4.7
5 Das Mediennutzerverhalten kann mit einem Unterhaltungsslalom beschrieben werden, wenn der Nutzer Informationsprogramme meidet oder gar ganze Senderformate, die auf Information beruhen, da er die leichte Unterhaltung sucht (Hasebrink 1998: 351).
- Arbeit zitieren
- Matthias Mißler (Autor:in), 2006, Modernität des Landtagswahlkampfes 2001 in Baden-Württemberg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74923
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