Im Großbritannien des 19. Jahrhunderts breitete sich eine zunehmende Verunsicherung über den Zustand der Welt aus. Die bisher geltenden christlichen Vorstellungen über das Wesen des Seins und die Stellung des Menschen im Kosmos, wurden in Frage gestellt, ohne jedoch auf Dauer überzeugende Gegenentwürfe bereit zu halten.
Ausgelöst wurde diese Entwicklung durch die Zunahme an wissenschaftlichen Erkenntnissen, die besonders der biblischen Schöpfungsgeschichte widersprachen. Schon Kopernikus begann Zweifel an der traditionellen kirchlichen Weltsicht zu äußern, nach der die Erde Mittelpunkt der Welt sei, indem er u.a. in seinem 1542 veröffentlichten Werk De revolutionibus die Sonne und nicht die Erde als Zentrum unseres Planetensystems bezeichnete (Brockhaus 1997). Im 19. Jahrhundert stellte Charles Lyell 1830 die Hypothese vom Aktualismus auf, wonach sich alle geologischen Vorgänge der Gegenwart zu jeder Zeit auch in der Vergangenheit abgespielt haben und somit nicht von einem einmaligen Schöpfungsakt gesprochen werden kann, sondern vielmehr von einem ständigen Prozess (Brockhaus 1997). Was Lyell für die Geologie herausfand, entdeckte Darwin für die Biologie. Seine Evolutionstheorie ging ebenfalls von ständig wirksamen Prozessen aus und widerlegte damit den einmaligen biblischen Schöpfungsakt. Durch Erkenntnisse dieser Art wurde auf der einen Seite die christliche Lehre zum Märchen herabgewürdigt auf der anderen wurde eine verfeinerte wissenschaftliche Methodik zur allein heilsbringenden Ideologie verklärt.
Viele Vertreter dieses neuen „Wissenschaftsglaubens“ (Dale, S. 7) konnten sich jedoch nicht völlig ihrer kulturell bedingten religiösen Gefühle entledigen, was schließlich zu einer wissenschaftlichen Suche nach dem göttlichen führte. Als Ansatzpunkt galten hier u.a. die Erfahrungen, die im Zusammenhang mit dem Spiritismus gemacht wurden. Hierbei wurde die Möglichkeit zur Kommunikation mit Verstorbenen mittels Klopfzeichen, Buchstabenscheibe, rätselhafter Bewegungen von Einrichtungsgegenständen oder auch sprachliche Äußerungen eines Mediums in Trance zunächst für bare Münze gehalten, was die Existenz einer wie auch immer gearteten göttlichen Parallelwelt zu bestätigen schien. In dieser Arbeit nun soll versucht werden, beispielhaft, anhand einiger Vertreter aus der damaligen Welt der Wissenschaft, darzustellen, worin dieses Spannungsverhältnis genau bestand.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Geschichte des modernen Spiritismus
- Der Spiritismus in Großbritannien
- Victorian Scientific Naturalism
- Henry Sidgwick
- Auf der Suche nach einer unsterblichen Seele
- Frederic W. H. Myers
- A. R. Wallace
- Die Society for Psychical Research
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht das Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Religion im spätviktorianischen Großbritannien anhand der Gründung der Society for Psychical Research und der damaligen Begeisterung für den Spiritismus. Sie beleuchtet, wie wissenschaftliche Erkenntnisse die traditionellen christlichen Weltbilder in Frage stellten und wie dieser Wandel zu einer Suche nach neuen, wissenschaftlich fundierten Erklärungen für das Göttliche führte.
- Der Einfluss wissenschaftlicher Erkenntnisse auf religiöse Überzeugungen im 19. Jahrhundert
- Die Entstehung und Verbreitung des Spiritismus in Großbritannien
- Die Rolle der Society for Psychical Research im Kontext des Spannungsverhältnisses zwischen Wissenschaft und Religion
- Die Suche nach einer wissenschaftlichen Erklärung für spirituelle Phänomene
- Die Biografien wichtiger Persönlichkeiten, die an der Schnittstelle von Wissenschaft und Spiritismus standen
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung: Die Einleitung beschreibt die zunehmende Verunsicherung über den Zustand der Welt im 19. Jahrhundert in Großbritannien, ausgelöst durch wissenschaftliche Erkenntnisse, die im Widerspruch zu traditionellen christlichen Weltbildern standen. Die Arbeit von Kopernikus, Lyell und Darwin werden als Beispiele angeführt, die Zweifel an der biblischen Schöpfungsgeschichte aufwarfen. Die daraus resultierende Krise des Glaubens und die Entstehung eines „Wissenschaftsglaubens“ werden diskutiert, wobei die Suche nach dem Göttlichen im Kontext des Spiritismus als wichtiger Aspekt hervorgehoben wird.
Geschichte des modernen Spiritismus: Dieses Kapitel beschreibt die Anfänge des modernen Spiritismus im Jahr 1847 in Hydesville, New York, mit den unerklärlichen Klopfgeräuschen im Haus der Familie Fox. Es wird detailliert geschildert, wie diese Geräusche als Botschaften aus der Geisterwelt interpretiert wurden und wie die Kommunikation mit dem Geist eines ermordeten Hausierers mittels eines einfachen Codes gelang. Die Rolle der Schwestern Fox, Catherine und Margaretta, als Medien und die zunehmende öffentliche Aufmerksamkeit für Spiritismusphänomene werden ebenfalls behandelt.
Schlüsselwörter
Spiritismus, Wissenschaft, Religion, Viktorianisches Großbritannien, Society for Psychical Research, Henry Sidgwick, Frederic W. H. Myers, A. R. Wallace, Wissenschaftsglaube, Evolutionstheorie, Geistesforschung, Parapsychologie.
Häufig gestellte Fragen zum Text: Wissenschaft, Religion und Spiritismus im viktorianischen Großbritannien
Was ist der Hauptgegenstand dieses Textes?
Der Text untersucht das Spannungsverhältnis zwischen Wissenschaft und Religion im spätviktorianischen Großbritannien, insbesondere im Kontext der aufkommenden Spiritismusbewegung und der Gründung der Society for Psychical Research (SPR). Er beleuchtet, wie wissenschaftliche Erkenntnisse traditionelle religiöse Weltbilder in Frage stellten und zu einer Suche nach neuen, wissenschaftlich fundierten Erklärungen für das Göttliche führten.
Welche Epochen und Personen werden behandelt?
Der Fokus liegt auf dem späten 19. Jahrhundert im Vereinigten Königreich. Wichtige Personen sind Henry Sidgwick, Frederic W. H. Myers, A. R. Wallace, sowie die Schwestern Fox, die als Begründerinnen des modernen Spiritismus gelten. Die Rolle der SPR als Institution, die sich mit parapsychologischen Phänomenen auseinandersetzte, wird ebenfalls ausführlich betrachtet.
Welche Schlüsselthemen werden im Text behandelt?
Schlüsselthemen sind der Einfluss wissenschaftlicher Erkenntnisse (z.B. Darwin, Lyell, Kopernikus) auf religiöse Überzeugungen, die Entstehung und Verbreitung des Spiritismus, die Rolle der SPR im Spannungsfeld von Wissenschaft und Religion, die Suche nach wissenschaftlichen Erklärungen für spirituelle Phänomene und die Biografien wichtiger Persönlichkeiten an der Schnittstelle von Wissenschaft und Spiritismus.
Welche Kapitel umfasst der Text und worum geht es darin?
Der Text beinhaltet eine Einleitung, die die gesellschaftliche Verunsicherung aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen beschreibt. Ein Kapitel widmet sich der Geschichte des modernen Spiritismus, beginnend mit den Fox-Schwestern. Ein weiteres Kapitel behandelt die Victorian Scientific Naturalism und die Rolle von Henry Sidgwick, Frederic W. H. Myers, und A. R. Wallace sowie der SPR. Der Text schließt mit einer Zusammenfassung.
Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse stellten traditionelle Weltbilder in Frage?
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Kopernikus, Lyell und Darwin, welche die biblische Schöpfungsgeschichte in Frage stellten, werden als zentrale Auslöser für eine Krise des Glaubens und die Suche nach neuen Erklärungen genannt. Dies führte zur Entstehung eines „Wissenschaftsglaubens“ und zur Hinwendung zum Spiritismus als mögliche Erklärung für das Göttliche.
Welche Rolle spielte die Society for Psychical Research (SPR)?
Die SPR spielte eine zentrale Rolle, indem sie sich wissenschaftlichen Methoden bedient, um spirituelle Phänomene zu untersuchen. Sie versuchte, eine Brücke zwischen Wissenschaft und Religion zu schlagen und wissenschaftlich fundierte Erklärungen für parapsychologische Phänomene zu finden.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren den Text?
Schlüsselwörter sind: Spiritismus, Wissenschaft, Religion, Viktorianisches Großbritannien, Society for Psychical Research, Henry Sidgwick, Frederic W. H. Myers, A. R. Wallace, Wissenschaftsglaube, Evolutionstheorie, Geistesforschung, Parapsychologie.
- Quote paper
- Tobias Voller (Author), 2003, Das Verhältnis von Wissenschaft und Religion in England um 1880. Zur Rolle des Spiritismus und der "Society for Psychical Research", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74870