Das Problem der Unbestimmtheit von Übersetzung rückte Mitte des 20. Jahrhunderts in das Interesse der Sprachphilosophen. Besonders Willard van Orman Quine und Donald Davidson, die darauf aus waren, eine annehmbare Bedeutungstheorie aufzustellen bzw. die Schwierigkeit eines solchen Vorhabens hervorzuheben, trugen zu der Debatte um dieses Phänomen bei.
Beide bedienen sich dem Beispiel der sogenannten radikalen Übersetzung bzw. Interpretation, die herangezogen wird, da sie die Form einer Übersetzung ist, in der die Probleme, die die linguistische Kommunikation mit sich zieht, am deutlichsten hervortreten.
In der vorliegenden Arbeit werde ich mich mit eben diesem Phänomen von Übersetzung beschäftigen und herausstellen, was es sich nach Quine und Davidson mit der Unbestimmtheit von Übersetzung auf sich hat.
Inhaltsverzeichnis
1. Vorwort
2. Übersetzung und Bedeutung
3. Die Unbestimmtheit von Übersetzung nach Quine
3.1. Reiz und Reizbedeutung
3.2. Radikale Übersetzung
4. Radikale Interpretation nach Davidson
5. Zusammenfassung
6. Bibliographie
1. Vorwort
Das Problem der Unbestimmtheit von Übersetzung rückte Mitte des 20. Jahrhunderts in das Interesse der Sprachphilosophen. Besonders Willard van Orman Quine und Donald Davidson, die darauf aus waren, eine annehmbare Bedeutungstheorie aufzustellen bzw. die Schwierigkeit eines solchen Vorhabens hervorzuheben, trugen zu der Debatte um dieses Phänomen bei.
Beide bedienen sich dem Beispiel der sogenannten radikalen Übersetzung bzw. Interpretation, die herangezogen wird, da sie die Form einer Übersetzung ist, in der die Probleme, die die linguistische Kommunikation mit sich zieht, am deutlichsten hervortreten.
In der vorliegenden Arbeit werde ich mich mit eben diesem Phänomen von Übersetzung beschäftigen und herausstellen, was es sich nach Quine und Davidson mit der Unbestimmtheit von Übersetzung auf sich hat. Dazu werde ich zunächst die eigentliche Problemstellung erläutern und einen allgemeinen Überblick über die Ideen Quines und Davidsons geben. Ein Teil der Arbeit wird sich auf den Ansatz Quines stützen, den er im 2. Kapitel seines Buches „Word and Object“ darlegt. Um einen Vergleich heranzuziehen werde ich desweiteren auf Davidsons Aufsatz über die radikale Interpretation eingehen (zu finden in dem Werk „Wahrheit und Interpretation“ bzw. „Inquiries into truth and interpretation“) und erklären, wie eine Bedeutungstheorie seiner Meinung nach auszusehen hat. Schliesslich werde ich diesen Ansatz mit den Ergebnissen Quines auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede untersuchen.
2. Übersetzung und Bedeutung
Nach Quines These der Unbestimmtheit von Übersetzung ist zu beobachten, dass in einer nur sehr willkürlichen Anzahl an Übersetzungshandbüchern fremdsprachige Sätze die gleiche Bedeutung haben wie in unserer eigenen Sprache, und dies auch nur in sehr beschränkter Weise. Wie noch genauer herauszustellen sein wird, gibt es keine konkreten Verhaltensbeweise, die bestimmen können, was die Worte einer Person bedeuten. Es ist immer möglich, eine alternative Übersetzung zu konstruieren. Dieses Übersetzungsproblem muss sich allerdings nicht zwangsweise zwischen zwei Sprachen offenbaren. Auch die Kommunikation zwischen Sprechern der gleichen Sprache rechtfertigt nicht anzunehmen, dass die Worte auch in gleicher Weise verstanden werden:
Sprecher derselben Sprache können von der Voraussetzung ausgehen, daß für sie dieselben Ausdrücke in derselben Weise zu interpretieren sind, doch damit ist kein Hinweis darauf gegeben, was die Voraussetzung rechtfertigt.[1]
Wir setzen z.B. voraus, dass wir in Übereinstimmung über die grundlegenden Bedeutungen von Äußerungen gelangen (z.B. ob ein bestimmtes Tier ein Kaninchen oder ein Hund ist). Ohne diese Übereinstimmung auf grundlegender Ebene könnten wir gar nicht in der Diskussion fortfahren. Eine Schwierigkeit, die sich daraus ergibt, ist die, dass wir als Hörer während des Prozesses, zum Verstehen einer Äußerung zu gelangen, dem Sprecher unweigerlich einen komplexen Bereich an Intentionen und Überzeugungen zuschreiben. Äussert jemand beispielsweise die Worte „It is raining“,[2]so wissen wir unter den richtigen Umständen, dass es regnet, denn als Hörer schreiben wir dem Sprecher die Überzeugung zu, dass es regnet, sowie die Intention, dies anderen mitzuteilen. Bedeutungen zu erkennen hängt demnach untrennbar damit zusammen. Im Grunde verläßt man sich als Hörer also lediglich auf seineigenesVerstehen einer Äußerung. Allerdings kann man nicht seine eigenen Annahmen über die mentalen Zustände anderer Personen als Begründung dafür nehmen, was wir unter einer Äußerung zu verstehen haben. Auf was kann man sich also verlassen, um zu einem Verstehen einer Äußerung (bzw. zu einer Übereinstimmung über sie) zu gelangen?
Nach Quine können dies Sinnesreize sein. So wird man geschult, Reizungen mit Wörtern zu verbinden, so dass daraus so etwas wie die Rede von Dingen entsteht, die nicht mehr erkennbar von der Wahrheit über die Welt zu unterscheiden ist. Davidson nähert sich dem Problem mit dem Vorschlag, dass Bedeutung am ehesten durch Konzepte der Wahrheit zu verstehen ist bzw. dass die grundlegende Struktur für eine Bedeutungstheorie anhand einer Wahrheitstheorie angezeigt werden kann. In den folgenden Abschnitten wird dies von mir genauer erläutert werden.
3. Die Unbestimmtheit von Übersetzung nach Quine
3.1. Reiz und Reizbedeutung
Wie eben angedeutet, ist es also möglich, Sinnesreize als Beweise heranzuziehen, auf die der Übersetzer seine Übersetzung stützen kann. So kann man einige Wörter durch direktes Hinweisen auf Gegenstände (als Einwortsätze) erfassen bzw. erlernen. Wörter haben dann insofern eine Bedeutung,
[...] als ihr Gebrauch in Sätzen auf sinnlich wahrnehmbare - verbale und sonstige - Reize konditioniert ist. Jede Theorie über Belege ist untrennbar verbunden mit der Psychologie von Reiz und Reaktion, auf Sätze angewandt.[3]
Quine nimmt zunächst an, dass einer Äußerung stets ein Sinnesreiz vorausgeht. Bei der Äußerung „Au“ ist dies ein schmerzhafter Reiz. Diese Äußerung wird von der Gesellschaft „belohnt“ (als richtig empfunden), wenn der Sprecher tatsächlich verletzt ist. Ist er unverletzt oder bleibt seine Miene dabei gelassen, so bestrafen wir seine Äußerung (wir erachten sie als falsch). Das gleiche gilt für einen Einwortsatz wie „Rot“. Zwar verhält es sich hier etwas anders als im vorigen Beispiel, da wir wohl eher einen komplexeren Satz wie „Die Farbe ist rot“ äussern würden, doch geht man davon aus, dass in diesem Fall zusätzlich ein verbaler Reiz in Form einer Frage[4]vorliegt, so kommen wir ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Satz belohnt wird, wenn man sichtlich auf etwas Rotes blickt, aber bestraft wird, wenn man auf etwas anderes blickt.
Kennt man nun erst einmal eine Reihe an Wörtern und weiss, wie diese sich auf einzelne Dinge beziehen, so kann man andere Wörter auch als Bestandteile längerer Sätze lernen. Die meisten Sätze werden nicht als bloße Verknüpfung von Wörtern, sondern als ganze gelernt. Man setzt sie aus bereits erlernten Bestandteilen in Analogie zu ihrem früher beobachteten Auftreten in anderen Sätzen zusammen. Beispielsweise untersucht ein Chemiker eine Substanz und sagt „Da war Kupfer drin.“[5]Er bezieht sich hiermit auf einen Reiz (er könnte auch sagen „Die Substanz ist grün geworden“) und sein Wissen (bzw. frühere Beobachtung), dass Kupferoxyd grün ist. Die Schritte zwischen der Äußerung, dass die Substanz Kupfer enthält, und einem zeitlosen Satz („eternal sentence“) wie „Kupferoxyd ist grün“, den der Chemiker vielleicht nur einmal in seiner Jugend geäussert hat, werden einfach übersprungen. Einen Satz wie „Da war Kupfer drin“ bezeichnet Quine als Gelegenheitssatz („occasion sentence“). Dieser kann im Gegensatz zum zeitlosen Satz (auch „bleibender Satz“ genannt) immer wieder ausgelöst werden. Es kommt natürlich vor, dass das erste Urteil über einen Gegenstand, der durch einen nichtverbalen Reiz eingeleitet wurde, nach genauerer Überprüfung wieder verworfen wird. Quine bringt das Beispiel, dass vom fahrenden Auto aus ein Gegenstand gesehen werden kann, von dem man nicht weiss ob er ein Stein oder ein Stück zerknülltes Papier ist. In diesem Fall hat man zuvor eine Vorhersage getroffen (dies ist üblicherweise so), die aber nicht eingetroffen ist:
Stellt sich eine Vorhersage als falsch heraus, dann haben wir es mit einer abweichenden und störenden Sinnesreizung zu tun, die die einmal als ausgemacht geltende Sache tendenziell hemmt und dadurch die Konditionierungen von einem Satz zum anderen, die zu der Vorhersage geführt haben, löscht. So kommt es, daß Theorien dahinsterben, wenn ihre Vorhersagen versagen.[6]
Unsere Beobachtung dient also zunächst im Grunde nur dazu, Hypothesen zu testen, wobei die Einfachheit bestimmt, welche man letztlich annimmt. Beobachtet man den betreffenden Gegenstand (um das Beispiel von oben zu nehmen: den Stein oder das Papier) z.B. von einem fahrenden Zug aus, so würde man sich der Einfachheit wegen für den Stein entscheiden, wenn man durch unbewohntes Gebiet fährt oder in der Gegend viele Steine sind. Die Bedeutung eines Gegenstandes hängt in diesem Stadium (d.h. wenn man etwas nicht genauerer Überprüfung unterziehen kann) von Korrelationen mit nichtverbalen Reizen ab. Man spricht auch von der Reizbedeutung („stimulus meaning“) eines Wortes (die Reizbedeutung von „Da ist ein Stein“ ist, dass es sich bei dem betreffenden Gegenstand offensichtlich um einen Stein handelt), da ein Reiz derselbe bleiben kann, selbst wenn der Gegenstand durch eine Attrappe ersetzt wird. Dieser zentrale Begriff der Reizbedeutung resultiert aus der Konstellation von Sprachdisposition und Reiz.
Wir sehen also, wie in etwa durch Reizungen vermittels der Sprache unsere Kenntnis der Welt erzeugt wird. Quine fragt sich, wie gross das Teilstück ist, das durch seine Reize erklärt werden kann und wieviel Spielraum dabei dieser Variation übrig gelassen wird, die nicht durch wahrnehmbare Reize begründet werden kann. Eine erste These dazu lautet, dass je fester die unmittelbaren Verbindungen zwischen einem Satz und einem nichtverbalen Reiz sind, dieser Satz um so weniger bei einer derartigen Abbildung von seinem Gegenstück abweichen kann. Anders ausgedrückt: Ist ein Satz deutlich mit einem optischen Reiz zu verbinden, divergiert dieser Satz in seiner Bedeutung in der Übersetzung um so weniger von dem Satz in der Ausgangsprache. Entscheidend ist also nach Quine, was aufgrund von Reizbedeutung von einer in die andere Sprache übersetzt werden kann und was nicht. Unbestimmtheit setzt dann ein, wenn die Reizbedeutung als empirischer Beweis nicht „scharf“ oder genau genug ist und der Übersetzer auf seine eigene Erfindungskraft angewiesen ist. Zwei Übersetzer ein und derselben Sprache können infolgedessen zwei verschiedene Übersetzungshandbücher bilden, die die widersprechende Eigenschaft erfüllen, dass a) beide zwar mit dem totalen Sprachverhalten der zu übersetzenden Sprache übereinstimmen, aber b) bei der Wiedergabe der fremden Sprache voneinander so radikal differieren, dass sie am Ende einen unterschiedlichen Wahrheitsgehalt haben:
Handbücher der Übersetzung von einer Sprache in die andere können auf voneinander verschiedene Weise eingerichtet sein, so daß sie alle mit der Gesamtheit der Rededispositionen in Einklang stehen und doch miteinander unverträglich sind. Sie divergieren dann an zahllosen Stellen, indem sie als jeweilige Übersetzung eines Satzes der einen Sprache Sätze der anderen angeben, die in keiner einleuchtenden Äquivalenzbeziehung zueinander stehen, wie unscharf man den Begriff der Äquivalenz dabei auch fassen mag.[7]
Quine erklärt diesen Punkt anhand der radikalen Übersetzung.
3.2. Radikale Übersetzung
Es ist wichtig, sich hier der radikalen Übersetzung (die Übersetzung einer Sprache eines bisher unberührten Volkes[8]) zu bedienen, da die Übersetzung verwandter Sprachen uns zwar leichter fallen würde (Friesisch und Englisch ähneln sich z.B. in ihren Wortformen; Ungarisch und Englisch durch ihre gemeinsame zugrundeliegende Kultur), aber dies nicht zu einer Lösung der Fragestellung führen könnte.
Quine beschreibt folgende Situation: Ein Sprachforscher ist in einem fremden Land und will dort die Sprache erforschen (er ist ohne Dolmetscher und kann sich ausschliesslich nach dem Verhalten des Eingeborenen und nach Daten richten, die als Sinnesreize auf den Eingeborenen einwirken). Seine Aufgabe ist es, die unendliche Anzahl der synonymen Paare zwischen den Wörtern der eigenen und der fremden Sprache in Einklang zu bringen. Dazu muss er ein Wörterbuch der fremden in der eigenen Sprache aufstellen, das im Endeffekt als Übersetzungshandbuch Übersetzungsregeln angibt. Der Forscher beginnt, indem er Äußerungen des Eingeborenen notiert und eine Liste von Wörtern aufstellt, die er hypothetisch mit Wörtern seiner eigenen Sprache gleichsetzt. Dabei geht er so vor:
Ein Kaninchen huscht vorbei und der Eingeborene sagt „Gavagai“, worauf der Sprachforscher „Kaninchen“ als vorläufige Übersetzung notiert (siehe im vorherigen Abschnitt, wo Vorhersagen getroffen wurden bevor der Stein bzw. das Papier genauerer Überprüfung unterzogen werden konnte). Danach testet er „Gavagai“ im Hinblick auf Zustimmung und Ablehnung in verschiedenen Situationen (um beispielsweise „weiss“ oder „Tier“ zu eliminieren), denn die Basis für sein Unternehmen ist erst gesichert, wenn es ihm gelingt, Kriterien dafür zu finden. Wie aber kann der Forscher Zustimmung oder Ablehnung erkennen? Er muss Mutmaßungen anstellen und testen, wie gut sie sich erweisen. Hat er z.B. oft die Reaktion „Evet“ und „Yok“ ausgelöst, kann er annehmen, dass es sich hierbei um „Ja“ und „Nein“ handelt. Also kann er die Äußerung nachsprechen und herausfinden, dass wenn er dadurch oft „Evet“ und nicht „Yok“ auslöst, „Evet“ als „Ja“ aufzufassen ist. Quine gibt zu, dass man schon hier auf erhebliche Schwierigkeiten stößt, da die Beweiskraft dieser Methode nicht sehr ausgiebig ist (der Forscher ist auf Hintergrundwissen angewiesen). Immerhin ergibt sich aber auf diese Weise eine Arbeitshypothese. Sollten sich für den Sprachforscher Probleme ergeben, so kann er immer noch die eine Hypothese verwerfen und sich an einer neuen versuchen.
[...]
[1]Davidson, Donald:Wahrheit und Interpretation. Frankfurt am Main (1986). S. 183.
[2]Ebd.
[3]Quine, W.v.O.:Wort und Gegenstand (Word and Object).Stuttgart (1980). S.44.
[4]Eine Frage zu stellen ist der offenkundigste verbale Reiz („Welche Farbe hat das früher gehabt?“), da es durch eine bloße Verknüpfung mit nichtverbalen Reizen nie so etwas wie einen Bezug auf die Vergangenheit geben könnte.
[5]Vgl. Quine, S. 33.
[6]Quine, S. 46.
[7]Quine, S. 61.
[8]Die Übersetzung erfolgt ohne Hilfsmittel wie Wörterbücher und ohne das Wissen über die Kultur der Eingeborenen.
- Quote paper
- M.A. Anke Wartenberg (Author), 2002, Die Unbestimmtheit von Übersetzung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/74427
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