Am 17. Dezember 2004 hat der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs nach intensiven Gesprächen beschlossen, mit der Türkei Verhandlungen über einen EU-Beitritt aufzunehmen. Diese Verhandlungen wurden planungsgemäß am 03. Oktober 2005 eröffnet, gerieten jedoch relativ schnell wegen des Zypernkonflikts wieder ins Stocken, da die Türkei das Zusatzprotokoll zum Ankara-Abkommen bisher noch nicht umsetzte. Die EU-Mitgliedstaaten folgten daher auf ihrem Gipfel im Dezember 2006 einer Empfehlung der Kommission, acht der 35 Verhandlungskapitel vorläufig auszusetzen.
Ein Beitritt der Türkei ist zwar vor 2014 nicht vorgesehen und auch die Verhandlungen werden erstmals in der Geschichte der EU als „ein Prozess mit offenem Ende“1 geführt (d.h. der Ausgang der Verhandlungen lässt sich nicht garantieren); dennoch spielt die zum Teil äußerst kontrovers und emotional geführte Diskussion darüber, ob und unter welchen Bedingungen die Türkei der EU beitreten soll in der europäischen Öffentlichkeit eine große Rolle.
Beitrittskritiker werfen dabei u.a. folgende Fragen auf:
Wird das Projekt Europa nicht ökonomisch und institutionell durch den Beitritt eines relativ armen und bevölkerungsreichen Landes wie der Türkei zu sehr strapaziert? Kann ein Staat mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung überhaupt in ein Europa mit christlichen Wurzeln integriert werden? Stellt die Türkei mit ihren Konfliktstaaten als Nachbarn nicht ein zu hohes sicherheitspolitisches Risiko dar?
Befürworter sehen in einem Beitritt hingegen eher Chancen für die EU und auch für die Türkei:
Könnte nicht durch den Brückenschlag zwischen Islam und europäischem Christentum dem islamischen Fundamentalismus der Nährboden entzogen werden und eine Befriedung des nahen Ostens gelingen? Könnte der fortschreitende Demokratisierungsprozess in der Türkei nicht als Vorbild für andere islamisch geprägte Staaten dienen? Könnte ein Beitritt der Türkei nicht auch ein Anreiz zu längst überfälligen Reformen innerhalb der EU sein?
1 Zitat Weidenfeld, Werner/Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Europa von A bis Z, Bonn 2006, S. 127
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Kopenhagener Kriterien
3. Die Vor- und Nachteile einer türkischen EU-Mitgliedschaft
3.1. Wo endet Europa?
3.2. Die geostrategische Lage der Türkei – Chance oder zu hohes Risiko?
3.3. Die wirtschaftliche Situation der Türkei
3.4. Das Migrations- und Integrationsproblem
3.5. Demokratie und Menschenrechte in der Türkei
3.5.1. Demokratiedefizit
3.5.2. Menschenrechte
3.5.3. Die Kurdenfrage
3.6. Dauerstreit mit Griechenland
3.7. Sonstige Argumente
4. Der Zypernkonflikt
4.1. Historischer Hintergrund
4.2. Zypern als Beitrittskandidat für die EU
4.3. Ein Lösungsansatz: Der Annan-Plan
4.3. Der Zypernkonflikt im Hinblick auf einen türkischen EU-Beitritt
5. Fazit
6. Quellenverzeichnis
7.Bildernachweis
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Am 17. Dezember 2004 hat der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs nach intensiven Gesprächen beschlossen, mit der Türkei Verhandlungen über einen EU-Beitritt aufzunehmen. Diese Verhandlungen wurden planungsgemäß am 03. Oktober 2005 eröffnet, gerieten jedoch relativ schnell wegen des Zypernkonflikts wieder ins Stocken, da die Türkei das Zusatzprotokoll zum Ankara-Abkommen bisher noch nicht umsetzte. Die EU-Mitgliedstaaten folgten daher auf ihrem Gipfel im Dezember 2006 einer Empfehlung der Kommission, acht der 35 Verhandlungskapitel vorläufig auszusetzen.
Ein Beitritt der Türkei ist zwar vor 2014 nicht vorgesehen und auch die Verhandlungen werden erstmals in der Geschichte der EU als „ein Prozess mit offenem Ende“[1] geführt (d.h. der Ausgang der Verhandlungen lässt sich nicht garantieren); dennoch spielt die zum Teil äußerst kontrovers und emotional geführte Diskussion darüber, ob und unter welchen Bedingungen die Türkei der EU beitreten soll in der europäischen Öffentlichkeit eine große Rolle.
Beitrittskritiker werfen dabei u.a. folgende Fragen auf:
Wird das Projekt Europa nicht ökonomisch und institutionell durch den Beitritt eines relativ armen und bevölkerungsreichen Landes wie der Türkei zu sehr strapaziert? Kann ein Staat mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung überhaupt in ein Europa mit christlichen Wurzeln integriert werden? Stellt die Türkei mit ihren Konfliktstaaten als Nachbarn nicht ein zu hohes sicherheitspolitisches Risiko dar?
Befürworter sehen in einem Beitritt hingegen eher Chancen für die EU und auch für die Türkei:
Könnte nicht durch den Brückenschlag zwischen Islam und europäischem Christentum dem islamischen Fundamentalismus der Nährboden entzogen werden und eine Befriedung des nahen Ostens gelingen? Könnte der fortschreitende Demokratisierungsprozess in der Türkei nicht als Vorbild für andere islamisch geprägte Staaten dienen? Könnte ein Beitritt der Türkei nicht auch ein Anreiz zu längst überfälligen Reformen innerhalb der EU sein?
In der vorliegenden Arbeit werden die unterschiedlichen Argumente und Kritikpunkte dargestellt und gegeneinander abgewogen. Bevor ich mit dem eigentlichen Thema beginne, werde ich in Kapitel 2 kurz die Kriterien erläutern, die ein potentieller Beitrittskandidat zu erfüllen hat und die vom Europäischen Rat 1993 festgelegt worden sind. Im Anschluss daran werde ich die Vor- und Nachteile eines türkischen EU-Beitritts darstellen. Dabei sollen vor allem die Argumente bezüglich der europäischen Identität (Kap. 3.1.), ökonomische und sicherheitspolitische Überlegungen (Kap. 3.2. und 3.3.), Migrations- und Integrationsschwierigkeiten (Kap. 3.4.), sowie die Menschenrechtslage (Kap. 3.5.) in der Türkei zur Sprache kommen.
Ausführlicher wird in Kapitel 4 der Zypernkonflikt behandelt, der schon seit Jahren die internationalen Organisationen beschäftigt und immer wieder als einer der Hauptgründe gegen einen Beitritt der Türkei genannt wird. Hier wird zunächst in kurzer und kompakter Form die Geschichte und die Entwicklung des Konflikts auf der Mittelmeerinsel umrissen. Des weiteren folgt eine Darstellung des Beitrittsprozesses der Republik Zypern, sowie eine Erläuterung zur Problemlage im Hinblick auf einen EU-Beitritt der Türkei.
Im Anschluss an meine Arbeit werde ich ein kurzes Fazit ziehen, in dem ich vor allem die Frage beantworten möchte, ob sich anhand der vielfältigen Pro- und Contraargumente bezüglich eines möglichen Beitritts tatsächlich eine Tendenz erkennen lässt, ob eine Aufnahme der Türkei in die Union eher Vor- oder eher Nachteile mit sich bringen würde. Außerdem werde ich versuchen die Frage zu beantworten, ob sich der Zypernkonflikt tatsächlich zum Stolperstein für die Türkei auf dem Weg in die EU entwickeln kann bzw. wird.
2. Die Kopenhagener Kriterien
Im Juni 1993 formulierte der Europäische Rat auf dem Gipfeltreffen in Kopenhagen drei Kriterien, welche die Beitrittsländer erfüllen müssen, bevor sie der EU beitreten können.
Zum einen muss ein politisches Kriterium erfüllt werden: Das Beitrittsland muss über stabile Institutionen verfügen, um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gewährleisten zu können. Der Schutz und die Achtung von Menschenrechten und Minderheiten muss ebenfalls garantiert werden können.
Das zweite Kriterium, welches erfüllt werden muss, betrifft die Wirtschaft des Beitrittslandes: Es muss eine funktionierende Marktwirtschaft haben und dem Wettbewerbsdruck innerhalb der EU standhalten können.
Des weiteren gibt es das sog. Acquis -Kriterium, welches verlangt, dass das gesamte Regelwerk der EU (das sog. Acquis communautaire) vollständig übernommen werden muss und die Ziele der EU unterstützt werden müssen.[2]
Neben den genannten Kriterien stellt „die Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten“ ebenfalls einen „sowohl für die Union als auch für die Beitrittskandidaten wichtigen Gesichtspunkt dar.“[3] Im Dezember 1997 legte der Europäische Rat nachträglich fest, dass zumindest die Erfüllung der politischen Kriterien bereits Voraussetzung für die Aufnahme von Verhandlungen sind, während die wirtschaftlichen Kriterien sowie die Fähigkeit zur Übernahme des Acquis „aus einer zukunftsorientierten, dynamischen Sicht heraus“ zu beurteilen sind.[4]
3. Die Vor- und Nachteile einer türkischen EU-Mitgliedschaft
3.1. Wo endet Europa?
Wenn es darum geht, die Grenzen Europas und somit auch der Europäischen Union zu bestimmen, spielen in der Debatte um eine türkische EU-Mitgliedschaft vor allem Geografie (wird in Kap. 3.2. näher behandelt), Kultur, Religion und die Geschichte eine große Rolle.
Im Dezember 1999 und im Dezember 2002 haben die Staats- und Regierungschefs die Türkei offiziell zum Beitrittskandidaten erklärt und damit festgelegt, dass die Türkei ein europäischer Staat ist.[5] Allein diese Feststellung sorgt bei Kritikern für Kopfschütteln. Kann ein Staat, dessen Territorium zu 97 Prozent auf dem asiatischen Kontinent liegt[6] überhaupt europäisch sein? Ist es möglich, ein Land mit islamischer Prägung in ein Europa mit seinen demokratischen Grundwerten und seiner säkularen Lebensweise, dessen kulturelle „Hauptwurzel [...] in der christlichen Überlieferung liegt“[7], zu integrieren?
Gegner eines Beitritts, wie die Historiker Heinrich August Winkler und Hans-Ulrich Wehler, behaupten, die Türkei sei nie Bestandteil des historischen Europas gewesen, und könnte daher auch nicht dazu gehören. Ereignisse und Epochen wie die Antike, die Aufklärung und die Reformation und vor allem die Trennung von geistlicher und weltlicher Gewalt, die zur „Urform der Gewaltenteilung und des modernen Pluralismus geworden ist“[8], haben sich lediglich im römisch, nicht aber im byzantinisch geprägten Teil Europas vollzogen.[9]
Das von Prantl (zugegebenermaßen äußerst schwache) herangezogene Argument, die Türkei bzw. die Sultane Mehmed II. und Suleiman der Prächtige würden zu den Gründervätern Europas gehören, weil sie West- und Südosteuropa gezwungen hätten, sich gemeinsam zu verteidigen, wird von Winkler ebenso ironisch wie einleuchtend widerlegt. Er sagt, dass man dies in Folge dessen ebenso von der Sowjetunion behaupten könne und dass somit der erste Aachener Karlspreis an Josef Stalin hätte gehen müssen. Ohne die gemeinsame Angst vor der Sowjetunion hätte es wohl keine Gemeinschaft gegeben.[10]
Mit den knapp genannten historischen Bedenken gehen auch kulturell-religiöse Bedenken gegenüber eines türkischen Beitritts einher, die ebenfalls mit der Geschichte verbunden sind. Wehler redet von „Grenzen zwischen zwei Kulturkreisen“, die auch „seit der Gründung der laizistischen Republik vor 80 Jahren keineswegs überwunden worden sind.“[11] Diese Grenzen seien durch den türkischen Islamismus sogar wieder vertieft worden. An dieser Stelle bekommt jedoch auch Wehlers Argumentation erste Lücken. Zunächst einmal darf nicht übersehen werden, dass die Türkei vor allem unter Kemal Atatürk einiges dafür getan hat, die sogenannten Grenzen zwischen den Kulturen abzubauen. Nachdem die ersten Reformen zur Anpassung an den Westen bereits im 19. Jahrhundert (in der sog. Tanzimat-Zeit) eingeleitet wurden, fuhr die Türkei seit der Staatsgründung 1923 unter Atatürk einen strikten Verwestlichungskurs, unter dem sie das westliche Gesellschaftssystem übernahm. Vor allem mit der Ausrufung der Republik und der Trennung von Staat und Religion hatte Atatürk den Grundstein für eine moderne Staatsform und die Westintegration der Türkei gelegt.[12]
Des weiteren bleibt festzuhalten, dass der unter den türkischen Muslimen rapide vordringende Islamismus, den Wehler sieht[13], in dieser extremen Form gar nicht existiert. Im Gegenteil: Wirft man einen Blick auf die letzten Parlamentswahlen in der Türkei, so ist festzustellen, dass die islamistische Partei von Necmettin Erbakan seit ihrem Höhepunkt 1995 rapide an Stimmen verloren hat. Bei der Parlamentswahl 1999 kam sie noch auf 15,41 Prozent der Stimmen, während sie nach der Wahl 2002 mit nur 2,49 Prozent überhaupt keine Rolle mehr spielte. Selbst bei ihrem Triumph 1995 erreichten die Islamisten lediglich 21,38 Prozent der Stimmen.[14]
[...]
[1] Zitat Weidenfeld, Werner/Wessels, Wolfgang (Hrsg.): Europa von A bis Z, Bonn 2006, S. 127
[2] Vgl. Veser, Reinhard: Die Neuen in der EU, Wien 2004, S.225 und Homepage des Auswärtigen Amtes:
http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Europa/Erweiterung/KopenhagenerKriterien.html
[3] Zitat aus den Kopenhagener Kriterien, abrufbar auf der Homepage des Auswärtigen Amtes (s.o.)
[4] Ebd.
[5] Vgl. Hänsch, Klaus: Europäische Skepsis und europäische Erwartungen, in: Fuchs, Anke u.a. (Hrsg.):
Türkei und Europa (Neue Gesellschaft Frankfurter Hefte, Heft 12/2004), Bonn/Berlin 2004, S. 11
[6] Vgl. Steinbach, Udo: Landeskundliche Gegebenheiten, in: Bundeszentrale für politische Bildung
(Hrsg.): Informationen zur politischen Bildung: Türkei (Heft 277, 4/2002), Bonn 2002, S. 3
[7] Zitat Theisen, Heinz: Die Grenzen des Westens – Der Zusammenprall der Kulturen zwingt zur
Besinnung und Begrenzung, in: Fuchs, Anke u.a., S. 25
[8] Zitat Winkler, Heinrich August: Wir erweitern uns zu Tode, in: Ullrich, Volker/Rudloff, Felix (Hrsg.):
EU-Erweiterung (Die Zeit & Der Fischer Weltalmanach), Frankfurt/Main 2004, S. 113
[9] Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Die türkische Frage – Europas Bürger müssen entscheiden, in: Leggewie,
Claus: Die Türkei und Europa – Die Positionen, Frankfurt/Main 2004, S. 61 f.
[10] Vgl. Winkler, Heinrich August : Ehehindernisse. Gegen einen EU-Beitritt der Türkei, in: Leggewie, S.
[11] Zitat Wehler: Die türkische Frage, in: Leggewie, S.62
[12] Vgl. Aslan, Yusuf: Die Türkei: Von der West-Integration zur Ost-Wendung?, Frankfurt/Main 1998, S.
64 und 76 ff.
[13] Vgl. Wehler, Hans-Ulrich: Das Problem Türkei, in: Ullrich/Rudloff, S. 106
[14] Vgl. Leggwie, S. 332
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