Im vorliegenden Buch werden die Auswirkungen der Erwerbslosigkeit auf die verschiedenen Beziehungsmuster innerhalb der Familie näher beleuchtet. Die Teilbeziehungen zwischen Erwerbslosen und seinem/-r Partner/-in, seinen Kindern, Eltern und Geschwister sind dabei unterschiedlichen, meistens belastenden Veränderungen unterworfen, die durch die Erwerbslosigkeit verursacht wurden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Psychische Folgen von Erwerbslosigkeit und grundsätzliche Familienstrukturen
3 Interne Beziehungen
3.1 Beziehung zwischen den Ehepartner
3.1.1 Bisherige Untersuchungsergebnisse
3.1.2. Aktuelle Beurteilung
3.2 Erwerbslosigkeit der Eltern
3.3 Erwerbslosigkeit der Kinder
3.4 Erwerbslosigkeit der Geschwister
4 Schlussfolgerungen
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Bei der vorliegenden Arbeit sollen die Auswirkungen von Erwerbslosigkeit auf das interne Familienleben aufgezeigt werden, gestreift wird dabei auch das Verhalten der Familie als Einheit nach außen. Herangezogen wurde hierbei verschiedenste Forschungsliteratur, auf eigene empirische Untersuchungen wurde verzichtet. Gegenstand ist in den meisten verwendeten Untersuchungen die Erwerbslosigkeit des Mannes, gerade in Hinblick die Beziehung zwischen den Eheleuten oder Partnern und das Erleben der minderjährigen Kinder. Darüber hinaus wird auch das Verhältnis der Herkunftsfamilie zu erwerbslosen Kindern betrachtet und das Verhalten der Geschwister und anderer Familienangehörigen.
In der vorliegenden Arbeit wird anstatt des geläufigeren Begriffes Arbeitslosigkeit analog zu Mohr (1995) der Begriff Erwerbslosigkeit verwendet, da „der Begriff „Erwerbslosigkeit“ (…) im Kontext arbeitswissenschaftlicher Forschung und Praxis daher präziser als der Begriff „Arbeitslosigkeit““ ( Mohr, 1995, S.35) ist. Ein Erwerbsloser muss nicht arbeitslos sein in diesem Sinne, da unter den Begriff Arbeit auch nicht entlohnte Arbeit fällt, auch wenn im Umgangssprachlichen Arbeit oft mit entlohnter Arbeit gleich gesetzt wird.
2 Psychische Folgen von Erwerbslosigkeit und grundsätzliche Familienstrukturen
Die meisten Veröffentlichungen und Untersuchungen, die eine durch die Erwerbslosigkeit veränderte Beziehung zwischen den Ehepartner zum Thema haben, haben als Untersuchungsgegenstand eine typische, traditionelle Mann-/Fraurollenverteilung, in der der Mann einer Erwerbsarbeit nachgeht und die Ehefrau für den Haushalt und die Kindererziehung zuständig ist oder vielleicht noch einer Nebenerwerbstätigkeit als „Zubrot“ nachgeht. Diese Orientierung am Modell des „principal wage earners“ stellte auch Mohr (1995) fest. Eine solche Rollenverteilung innerhalb der Familie stellt nicht nur eine gewisse neutrale Arbeitsteilung dar, sondern ist natürlich auch verantwortlich für die Machtstruktur innerhalb der Familie, da die finanzielle Grundlage für die Lebensgestaltung der gesamten Familie der Kontrolle des Mannes unterliegt.
Die Erwerbslosigkeit hat oft psychische Schwierigkeiten und Erkrankungen zur Folge, die sich dann natürlich auf die Beziehungen zu den einzelnen Familienmitgliedern auswirken, gerade wenn der Mann der Familienernährer ist. Nach Jackson (1990) zeigen erwerbslose Männer einen umso schlechteren psychischen Gesundheitszustand, je mehr Familienangehörige von ihnen finanziell abhängig sind. „Besonders hervorzuheben sind hier die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf verheiratete Männer mit jüngeren Kindern: Diese werden am schwerwiegendsten durch Arbeitslosigkeit beeinträchtigt, wie detaillierte Vergleiche mit Männern, die in anderen familiären Arrangements leben, zeigen“ (Jackson, 1990, S.29).
Von Ekesparre (2000) setzt sich mit den in der psychotherapeutischen Praxis erlebten Folgen und psychischen Erkrankungen durch die Erwerbslosigkeit auseinander. Sie geht davon aus, dass Erwerbslosigkeit und Erwerbslose für eine massive und oft auch destruktive Familiendynamik sorgen und ein hoher Anteil von Patienten keine psychiatrische / psychotherapeutische Hilfe suchten, wenn sie Arbeit hätten. „Bei Arbeitslosen treten im Vergleich zu Beschäftigten drastische Unterschiede in der psychischen Gesundheit auf: depressive Verstimmungen, Ängstlichkeit, Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, geringes Selbstwertgefühl, Resignation bis hin zur Apathie, soziale Isolation und Einsamkeit“ (von Ekesparre, 2000, S. 64).
Paul und Moser (2001) sind in einer wissenschaftlichen Metaanalyse verschiedener Forschungsarbeiten (vgl. Eisenberg & Lazarsfeld, 1938; Frese & Mohr, 1978; Dooley & Catalano 1980; Winefield, 1995; Murpy & Athanasou, 1999 ) der Frage nachgegangen, inwiefern der heutzutage in der Erwerbslosenforschung kaum mehr ernsthaft in Frage gestellte Zusammenhang zwischen Erwerbslosigkeit und psychischer Belastung dadurch zustande kommt, dass die psychischen Symptome direkt auf die Erwerbslosigkeit zurück zu führen sind, oder ob sie sich auf andere Ursachen zurückführen lassen, wie z.B. der These, dass psychisch gestörte Personen leichter erwerbslos werden. „Es gelang in dieser Arbeit, mit metaanalytischen Methoden zu belegen, dass Arbeitslosigkeit psychische Symptome verursacht, und dass dies der wichtigste kausale Faktor bei der Erklärung des Zusammenhangs zwischen Arbeitslosigkeit und psychischer Belastung ist.“ ( Paul & Moser, 2001, S.107) Daneben stellten Paul und Moser jedoch auch fest, dass psychisch belastete Menschen leichter erwerbslos werden als unbelastete Menschen.
Die aus der Erwerbslosigkeit resultierenden seelischen Belastungen und Krankheiten des Erwerbslosen haben neben anderen Folgen der Erwerbslosigkeit wie z.B. begrenzte finanzielle Mittel, Statusverlust unzweifelhaft eine Auswirkung auf die familiären Beziehungen. Erwerbslosigkeit stellt die Familienstrukturen unter eine Belastungsprobe.
3 Beziehungen in der Familie
3.1 Beziehung zwischen den Ehepartner
3.1.1.Bisherige Untersuchungsergebnisse
Wie bereits bei Punkt 2 angeführt, bauen auch die meisten Untersuchungen, die die durch die Erwerbslosigkeit bedingten Veränderungen zwischen den Ehepartnern betrachten, auf Stichproben oder Interviewpartner auf, die in Familien leben, in der eine klassische Rollen- und Arbeitsverteilung von Mann und Frau vorherrscht. Insofern wird hier meistens untersucht, inwiefern die Erwerbslosigkeit des Mannes die Partnerschaft und das Leben der Ehefrau beeinflusst.
Bei diesem Untersuchungsgegenstand ist die Arbeit von Jahoda u.a. (1933) der Arbeitslosen von Marienthal nicht nur als historisch bedeutend sondern auch bedeutend in dem Punkt zu sehen, da hier die Beziehung zwischen den Ehepartnern und deren Veränderung durch die Erwerbslosigkeit untersucht wird. Die Situation der arbeitslosen Ehefrauen von Marienthal entsprach vor der Erwerbslosigkeit jedoch oft nicht dem Familiensystem „Mann in der Rolle arbeitender Erwerbsverdiener/ Frau in der Rolle der Hausfrau“, sondern die Frauen waren durch die Schließung der Fabriken selbst durch die Erwerbslosigkeit betroffen, da sie früher oft als Lohnarbeiterinnen tätig waren. So waren meistens beide Ehepartner von der Erwerbslosigkeit betroffen, bei der Handhabung der Erwerbslosigkeit wurden jedoch dann die traditionellen geschlechtsspezifischen Rollenverteilungen nur sehr selten aufgeweicht. Die Frauen waren weiterhin mit der Führung des Haushalts beauftragt, was durch die Erwerbslosigkeit sehr viel Mehrarbeit mit sich brachte, da aufgrund des Geldmangels Reparaturen und Lebensmittelherstellung wieder selbst gemacht werden mussten und die Haushaltsführung sich sehr viel komplexer und schwieriger gestaltete. “So ist der Tag für die Frauen von Arbeit erfüllt: Sie kochen und scheuern, sie flicken und versorgen die Kinder, sie rechnen und überlegen und haben nur wenig Muße neben ihrer Hausarbeit, die in dieser Zeit eingeschränkter Haushaltsmittel doppelt schwierig ist.(…)Sie haben den Haushalt zu führen, der ihren Tag ausfüllt. Ihre Arbeit ist in einem festen Sinnzusammenhang, mit vielen Orientierungspunkten, Funktionen und Verpflichtungen zur Regelmäßigkeit.“ (Jahoda u.a.,1975, S.89f) Die Ehemänner beteiligen sich dagegen nur selten am Haushalt, erledigen jedoch handwerkliche Aufgaben, wie Schuhe flicken, die jedoch nur wenig Zeit in Anspruch nehmen. So stellte Jahoda fest, dass die Zeit für Frauen und Männer doppelt verläuft, für beide Geschlechter ganz anders. „Die bei den Männern am häufigsten auftretende Form der Zeitverwendung ist das Nichtstun; (…)Es ist immer dasselbe: nur an wenige „Ereignisse“ erinnert sich der Marienthaler Arbeitslose (…). Denn was zwischen den drei Orientierungspunkten Aufstehen – Essen – Schlafengehen liegt, die Pausen, das Nichtstun ist selbst für den Beobachter, sicher für den Arbeitslosen schwer beschreibbar.“ (Jahoda u.a. 1975 S.85, S.87) Diese Divergenz in der Zeitstruktur der Eheleute führt in einigen Fällen zu Konflikten, die Jahoda u.a. in Interviews anführt:
„“Mein Mann schimpft immer, weil ich nicht fertig werde, er sagt, andere Frauen sieht man auf der Straße draußen tratschen und ich werd den ganzen Tag nicht fertig. Er versteht eben nicht, was es heißt, für die Kinder immer die Kleider herzurichten, dass sie sich nicht schämen brauchen.“ Eine andere Frau erzählt: „Wir haben jetzt regelmäßig Krach beim Mittagessen, weil mein Mann nie pünktlich da sein kann, obwohl er doch früher die Uhr selbst war.““ (Jahoda u.a., 1975, S.91)
Was aus heutiger Sicht auffällt, ist, dass Jahoda u.a. keinerlei Konflikte zwischen den Ehepartner erwähnen, die aus dieser ungleichmäßigen Arbeitsverteilung resultieren; die Frauen fühlen sich anscheinend nicht durch diese geschlechterspezifische Arbeitsverteilung ungerecht behandelt, sondern beide Ehepartner nehmen dies als gegeben hin und hinterfragen es nicht. Dies kann nur durch den damaligen kulturellen, gesellschaftlichen und historischen Kontext erklärt werden.
Jahoda u.a. führen jedoch auch Ehen an, bei denen sich die Beziehung zwischen den Ehepartnern durch die Erwerbslosigkeit verbessert hat: „In manchen Fällen haben sich die Beziehungen der Ehegatten zueinander durch die Arbeitslosigkeit verbessert. Das ist z.B. in den bereits zitierten Familien der Fall, wo der Mann sich unter dem Einfluss der Not sich das Trinken abgewöhnt hat.“ (Jahoda, 1975, S.98) Weiterhin berichten Jahoda u.a. dass sich in Ehen in denen sich die Ehefrau vor der Erwerbslosigkeit vom Ehemann vernachlässigt gefühlt hat, sich die eheliche Beziehung durch den Zustand der Erwerbslosigkeit verbessert hat.
Als grundlegende Schlussfolgerungen Ihrer Untersuchung kommen Jahoda u.a. im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Mann und Frau zu der These, dass Konflikte, die bereits vor dem Arbeitsplatzverlust latent vorhanden waren, sich durch die veränderte Situation der Arbeitslosigkeit noch verstärken.
„Soweit uns also unser Material Einblick in die Beziehungen zwischen Mann und Frau gibt, dürfen wir vermuten, dass ihr Verhältnis zueinander sich in der Not der Arbeitslosigkeit nur in ganz wenigen Fällen gebessert hat. Im allgemeinen werden in friedlichen Ehen kleine Unstimmigkeiten häufiger als früher vorkommen, während in schon früher getrübten Beziehungen die Schwierigkeiten sich in erhöhtem Maß sich auswirken. Die Tendenzen, die jeweils in der Ehe selbst liegen, werden also durch die äußeren Umstände verschärft.“ (Jahoda u.a., 1975, S.100f)
Nach Schreyer (1991, S.29) wird diese These von auch von anderen wissenschaftlichen Autoren in späteren Studien in etwa vertreten. (vgl. Komarovsky, 1971, S.54; Lüders, 1985, S.10f; Zenke/Ludwig, 1985, S.273).
In zeitlicher Hinsicht der Studie von Jahoda u.a. folgend war die Untersuchung von Komarovsky Anfang der 1930er Jahre in Amerika an Familien von langzeiterwerbslosen „blue-collar-workers“, bei der sich Komarovsky mit dem Autoritätsverlust der männlichen Familienernährers beschäftigte.
Jackson (1990) hat sich mit der familiären Unterstützung in Zeiten der Erwerbslosigkeit auseinandergesetzt. Hierbei ist natürlich die Frage interessant, inwiefern diese Unterstützung vom Ehepartner geleistet wurde. Die von Jackson betrachte Untersuchung bestätigte die Erwartung, „dass die Familie für den einzelnen Arbeitslosen eine unmittelbare und zugängliche Quelle sozialer Unterstützung darstellt.“ (Jackson, 1990, S.26) Hierbei wird die Hilfe von unmittelbaren Familienangehörigen, also in erster Linie auch der Ehepartner im Gegensatz zu der Hilfe von entfernteren Angehörigen und Freunden vor allem bei längerer Arbeitslosigkeit als wichtigste Unterstützung gesehen, was aber auch negative Auswirkungen auf die Familienangehörigen haben kann. „So lassen die Ergebnisse von Wethington und Kessler (1986) vermuten, dass die familiären Ressourcen für eine soziale Unterstützung vollständig verbraucht werden und die Mitglieder des aktiven Netzwerks „ausbrennen“ können, bis sie schließlich nicht mehr willens oder in der Lage sind, Unterstützung zu gewähren.“ (Jackson, 1990, S.28)
Schreyer (1991) setzt sich explizit mit der Unterstützungsleistung von Ehefrauen gegenüber erwerbslosen Arbeitern auseinander. Schreyer führte insgesamt 16 leitfadengestütze, qualitative Interviews durch, vorrangig mit Unterschichtfamilien, bei denen der Mann bereits seit längerer Zeit arbeitslos ist (mind. 9 Monate), daneben auch einige Interviews mit Frauen mit dauererwerbslosen Männern aus höheren sozialen Schichten. Schreyer stellte fest, dass die psychosoziale Arbeit von Frauen aus dem Arbeitermilieu erheblich belastender und schwieriger sei, da hier von vornherein weniger finanzielle Mittel und weniger Bewältigungsstrategien zur Verfügung ständen als in höheren sozialen Schichten. „Während die psychosoziale familiale Arbeit der Unterschichtfrauen durch die Arbeitslosigkeit ihrer Männer in starkem Maße intensiviert zu werden schien, konnte bzw. musste in den Interviewäußerungen dieser Frau (aus einer höheren sozialen Schicht; Anmerkung v. Verf.) nichts entsprechendes festgestellt werden.“ (Schreyer, 1991, S.43). Die von Schreyer interviewten Frauen befanden sich vor der Erwerbslosigkeit des Mannes fast ausnahmslos in einem Familiensystem, in dem eine klassische Arbeitsverteilung von Mann und Frau praktiziert wurde. Schreyer zitiert daher Beck-Gernsheim um den Arbeitsbegriff der Frau, der vorrangig auf Unterstützung und Ausgleich ausgerichtet ist, zu verdeutlichen:
„Weil Hausarbeit heute auch Isolation, Enge, Abhängigkeit bedeutet, sind im weiblichen Arbeitsvermögen ebenso Passivität, Ohnmacht, ja Borniertheit eingebunden. Bei der Arbeit in der Familie muss die Frau oft die eigenen Bedürfnisse zurückstellen, ihr Verhalten ist stets auf andere Personen bezogen, durch deren Bedürfnisse definiert. In diesem Kontext ist es sehr schwer, eine eigene Identität zu entwickeln, Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. Wenn Hausarbeit Selbstlosigkeit lehrt, dann ebenso auch Unselbstständigkeit und Abhängigkeit.“ (Beck-Gernsheim, 1983 b, S.41)
Diese oben beschriebene Unselbstständigkeit und Abhängigkeit der Frauen tragen zu einem bestimmten Machtverhältnis innerhalb der Familie bei. Bei Eintritt der Erwerbslosigkeit des Mannes gewinnt die Arbeit der Frau innerhalb der Familie mehr an Bedeutung, da Sie durch eine ausgeklügelte, sparsame Haushaltsführung und durch Eigenherstellung und Reproduktionsarbeiten wie Kleidung nähen mit den begrenzten Mitteln die Familie „über Wasser halten muss“. Auch Schreyer (1991) stellt hier fest, dass sich die Verschiebung der ökonomischen Relevanz der Arbeit von Mann und Frau in Bezug auf die Grundstruktur der Familie desorganisierend auf das Familienleben auswirken und zitiert dabei Kontos, die eine Untersuchung der Frauenpolitik in der Weimarer Republik verfasste: „Das (die Erwerbslosigkeit, Anmerkung v. Verf.) erschütterte die gesamten Familienbeziehungen, vor allem aber die Ehebeziehung. Selbstmord, Krankheit, Alkoholismus und selbstdestruktive Kriminalität der Männer waren u.a. die Folge davon, dass die Männer mit dieser Verkehrung familialer Machtstrukturen nicht fertig wurden.“ (Kontos, 1979, S.36, zitiert nach Schreyer, 1991, S.25) Wobei meiner Meinung nach die hier mit der Erwerbslosigkeit einhergehenden, beschriebenen psychischen Erkrankungen nicht kausal ausschließlich auf die Verschiebung der Machtstruktur in der Familie zurückgeführt werden können, sondern der Zusammenhangs zwischen psychischer Erkrankung und Erwerbslosigkeit ein weitaus komplexerer Untersuchungsgegenstand ist, der bereits in Punkt 2 angesprochen wurde. Schreyer möchte in Ihrer Arbeit vor allem die „aufbauende weibliche Beziehungsarbeit“ darstellen, die die „persönlichen Krisen männlicher Arbeitsloser, die ihre Identität noch primär aus dem Beruf beziehen (…)“ (Kittler, 1980, S.148, zitiert nach Schreyer, 1991, S.25) auffängt. Denn „erwerbslose Männer, so Kittler unter Bezug auf Aussagen Jansen-Jurreits und Regenhard, übernähmen auch in dieser Lebenssituation keineswegs häufiger Arbeiten, die in der Familie anfallen (vgl. Kittler, 1980, S.87)“ (Schreyer, 1991, S.25).
In den drei ausführlich aufgezeichneten, von Schreyer geführten Interviews mit Frauen von erwerbslosen Männern wird deutlich, „in welch hohem Maß die Erwerbslosigkeit der Männer sowohl die materielle, wie auch die psychosoziale Dimension der familialen Arbeit der Frau zu prägen scheint.“ (Schreyer, 1991, S. 142). Ausschnitte aus den sehr ausführlichen Interviews möchte ich hier darstellen und die entstehenden Konflikte zwischen den Eheleuten aufzuzeigen.
Bei der Betrachtung der materiellen Dimension der von den interviewten Frauen geleisteten Arbeit lässt sich bei zwei Frauen feststellen, dass die durch die Frauen geleistete Hausarbeit durch die begrenzten Mittel und die weniger zur Verfügung stehende Zeit (beide Frauen hatten eine Erwerbsarbeit mit unterschiedlichen Umfang angenommen) erheblich mehr wurde. Bei der dritten Frau, Frau Ludwig, verrichtete der Ehemann zwar relativ viel Hausarbeit, dies empfindet Frau Ludwig jedoch häufig als patriarchalisches Eindringen in Ihren Arbeitsbereich, sowie sie sich „von ihrem Mann in die demütigende Rolle einer Bittstellerin gedrängt“ sieht, „die über keinerlei Anrecht über Geld für sich und ihre Kinder verfügt.“ (Schreyer, 1991, S.124). So zitiert Schreyer Frau Ludwig wörtlich:
„ Jaa, des (schmutziges Geschirr, A.S.) kommt bei mir weg und des, was ich sag, des wird gemacht! Und des muß so sein! Und wehe, ich geb dann noch ein Widerwort, dann würd er ja ganz ausflippen. (…) Sperrt er mir an Schrank zu! (…) Ja da muss ich jedes Mal ihn fragen: gib mir etz an Zwanziger oder gib mir etz an Zehner, damit ich des und des holen kann. Etz, wo ich überhaupt so wenig hab, da wird mer des a no wegsperrt, also!“ (Schreyer, 1991, S.123f )
Hier verrichtet der Ehemann zwar ein erhebliches Mehr an Hausarbeit, dies aber in einer dominanten, bestimmenden und egozentrischen Weise und für die Ehefrau sehr reglementierend, so dass es für die Ehefrau keineswegs eine Entlastung darstellt, sondern sie sich sehr in die Enge getrieben fühlt und sich die Arbeitsteilung vor der Ehe wieder herbei sehnt. „Die unter anderem von Beck (1986, S.150) in Arbeitslosigkeit gesehene Chance, männliche und weibliche Rollenklischees aufzubrechen, scheint so nur sehr eingeschränkt genutzt zu werden.“ ( Schreyer, 1991, S.148) Die Mitarbeit von einem der drei Männer (Herr Thieme) viel sogar noch unter das Niveau seiner Mitarbeit vor der Arbeitslosigkeit. Dieser Mann wurde durch die Erwerbslosigkeit völlig apathisch, ein eher partnerschaftliches Verhältnis zwischen den Eheleuten verwandelte sich in ein Mutter/Kind-Verhältnis, bei der der Ehemann zu fast allen Tätigkeiten animiert werden musste. Die Lethargie des Erwerbslosen hatte hier sicherlich den Grad einer behandlungsbedürftigen Depression erreicht. Schreyer kommt am Schluss Ihrer Arbeit zu dem Ergebnis, dass die familiale Arbeit sich unter der Krisenbedingung Erwerbslosigkeit intensivere und zwar in erster Line im psychosozialen, auf den Mann und die Kinder bezogenen Bereich und daneben auch im materiellen Bereich weiblicher Reproduktionsarbeit. „Insofern steht dieses Ergebnis meiner Studie in einem gewissen Widerspruch zu der (…) These Zenke/Ludwigs, wonach – übersetzt in die Terminologie meiner Untersuchung – unter Bedingungen von Erwerbslosigkeit und einer drückenden finanziellen Enge familiale Arbeit sich fast ausschließlich auf die materielle Dimension reduziere, für psychosoziale Versorgungsleistungen demgegenüber kaum mehr Raum bliebe.“ (Schreyer, 1991, S.153). Hierbei ist natürlich von einer Interdependenz von materiellen und psychosozialen Versorgungsleistungen hinzuweisen. Die Männer der hier interviewten Frauen scheinen unter Ihrer Erwerbslosigkeit sehr zu leiden, die psychosoziale Arbeit der Ehefrau lässt sich in Bezug auf Ihre Männer in erster Linie so beschreiben, dass sie versuchen, diesen Leidenszustand zu reduzieren. Die Frauen „beobachten ihre Männer, fühlen sich in diese ein, versuchen zum Teil Probleme zu thematisieren und entwerfen mehr oder weniger ausgebaute und ein Stück weit immer auch implizit entschuldigende Modelle, um deren Verhaltensweisen zu erklären.“ (Schreyer, 1991, S. 148) Kommt es aufgrund der häufigen Anwesenheit des Mannes zuhause zu Konflikten zwischen dem Vater und den Kindern, nimmt die Ehefrau in den betrachteten Familien oft eine ausgleichende, harmonisierende Funktion ein. Diese empathischen und unterstützenden „Bearbeitungsversuche“ gegenüber den Männern der Frauen finden aber oft unter der Prämisse statt, die ursprüngliche Rollenverteilung vor der Erwerbslosigkeit unangetastet zu lassen. „Keine radikale Neuordnung der Ehebeziehung wird angestrebt, sondern – soweit unter veränderten Rahmenbedingungen noch möglich – der Erhalt von bzw. die Wiederannäherung an Modi des ehelichen Zusammenlebens, wie sie, den retrospektiven Schilderungen der Frauen zufolge, vor der Arbeitslosigkeit praktiziert wurden.“ ( Schreyer, 1991, S.149) Eine der interviewten Frauen, Frau Schmitt, antwortet auf eine Frage nach der einer möglichen Umverteilung der Arbeitsleistung: „“Er sagt: des mach i net. Kann i net. Kann kein Hausmann sein.““ (Schreyer, 1991, S.98) Auch die Ehefrau vertritt dieses Macht- und Rollenverhältnis:
„“Ich bleib dabei: ich bin die Hausfrau und mei Mann is eben der Haushaltsvorstand. Er hat sich ums Geld zu kümmern, so wie er früher gmacht hat, wo er gearbeitet hat. Meine Stellung is immer noch, na ja, am zweitrangigen Platz. Weil i, na hab i gsagt: du kümmerst dich um die Finanzen und ich kümmer mich ums Hauswesen.““ (Schreyer, 1991, S.101)
Die Ehefrau sagt dies zu einem Zeitpunkt, indem die Familie eine finanzielle Katastrophe erlebt. Eine Arbeitssuche der Ehefrau scheint undenkbar. Die intensiven Unterstützungsleistungen der Frauen laufen dabei oft in die Richtung, ihre Männer und das Verhalten Ihrer Männer so zu verändern, dass die Situation durch dieses veränderte Verhalten der Männer erträglicher wird.
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- Quote paper
- Kerstin Semmler (Author), 2006, Die Auswirkungen von Erwerbslosigkeit auf die Beziehungen der Familie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/73303
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