Wie reagieren die unterschiedlichen nationalen Regierungen auf die neuen Herausforderungen, die durch den Prozess der europäischen Integration und der Globalisierung von Wirtschaftsbeziehungen hervorgerufen werden?
Während die Verwirklichung eines gemeinsamen Binnenmarktes bis heute das Hauptziel des Integrationsprozesses ist, „labour market institutions and social security arrangements in Europe still have a high national content“. Somit hängt die Ausgestaltung der sozialen Absicherung der Bevölkerung im Nationalstaat maßgeblich von der Ideologie der jeweiligen Regierungspartei(en) ab. Besonders interessant wird dieser Sachverhalt bei Untersuchung der „linken“ Parteien, die traditionell das Ziel des Beschäftigungswachstums mit der Sozialpolitik verknüpfen.3 Lange Zeit standen linke Parteien der europäischen Integration eher skeptisch gegenüber. Erst die Überzeugung, dass die Zukunft in einem handlungsfähigen Europa liegt, das mit Hilfe protektionistischer Maßnahmen seine Arbeitsplätze besser gegen den internationalen Wettbewerb verteidigen kann, veranlasste die linken Parteien zu einem Wechsel von einer anti- zu einer pro-europäischen Strategie. Zudem wurde in Artikel 126 (2) des EU-Gründungsvertrags der Wille zur gemeinsamen Förderung der Beschäftigung festgeschrieben. Diese Position spiegelt sich in den Programmen der sog. „New Labour“ Parteien wieder, die sich in vielen europäischen Ländern entwickelt haben. In dieser Arbeit soll ein positiver Zusammenhang zwischen ökonomischer Integration in den europäischen Binnenmarkt und der Höhe von staatlichen Sozialleistungen in den einzelnen Mitgliedstaaten nachgewiesen werden. Die Frage, ob es gerade linke Regierungen sind, die sich für die Erhöhung der staatlichen Ausgaben für den Sozialstaat einsetzen, lässt sich aufgrund mangelnder Verfügbarkeit von Datenmaterial nicht statistisch belegen. Entsprechende Fakten werden aber dargestellt und analysiert. Auch ohne statistischen Beweis lässt sich ein eindeutiger Trend feststellen, dass „the connection between globalization and welfare spending is greater in countries with strong labour parties and weaker right-wing parties“.
INHALTSVERZEICHNIS
I. EINLEITUNG
II. HAUPTTEIL
1. Theoretische Verankerung: Der Europäische Integrationsprozess
1.1. Die Effizienz- und Kompensationshypothese
1.2. Linke Regierungen und „New Labour“
2. Vorgehensweise der empirischen Untersuchung
3. Ergebnisse der empirischen Untersuchung
3.1. Effizienzhypothese
3.2. Kompensationshypothese
3.3. Ideologische Einfluss der Regierungspartei(en)
4. Bewertung der Ergebnisse
Anhang
Literaturverzeichnis
I. EINLEITUNG
Die ökonomische Integration der nationalen Märkte in den europäischen Binnenmarkt wird angestrebt aus der Überzeugung heraus, dass „free trade is good for national economies, making for efficiency gains that benefit customers“. Aber die Integration bringt auch Veränderungen in den Nationalstaaten mit sich, „shaping new patterns of economic winners and loosers“1.
Wie reagieren die unterschiedlichen nationalen Regierungen auf die neuen Herausforderungen, die durch den Prozess der europäischen Integration und der Globalisierung von Wirtschaftsbeziehungen hervorgerufen werden? Während die Verwirklichung eines gemeinsamen Binnenmarktes bis heute das Hauptziel des Integrationsprozesses ist, „labour market institutions and social security arrangements in Europe still have a high national content“2. Somit hängt die Ausgestaltung der sozialen Absicherung der Bevölkerung im Nationalstaat maßgeblich von der Ideologie der jeweiligen Regierungspartei(en) ab. Besonders interessant wird dieser Sachverhalt bei Untersuchung der „linken“ Parteien, die traditionell das Ziel des Beschäftigungswachstums mit der Sozialpolitik verknüpfen.3 Lange Zeit standen linke Parteien der europäischen Integration eher skeptisch gegenüber. Erst die Überzeugung, dass die Zukunft in einem handlungsfähigen Europa liegt, das mit Hilfe protektionistischer Maßnahmen seine Arbeitsplätze besser gegen den internationalen Wettbewerb verteidigen kann, veranlasste die linken Parteien zu einem Wechsel von einer anti- zu einer pro-europäischen Strategie.4 Zudem wurde in Artikel 126 (2) des EU-Gründungsvertrags der Wille zur gemeinsamen Förderung der Beschäftigung festgeschrieben. Diese Position spiegelt sich in den Programmen der sog. „New Labour“ Parteien wieder, die sich in vielen europäischen Ländern entwickelt haben.5
In dieser Arbeit soll ein positiver Zusammenhang zwischen ökonomischer Integration in den europäischen Binnenmarkt und der Höhe von staatlichen Sozialleistungen in den einzelnen Mitgliedstaaten nachgewiesen werden. Die Frage, ob es gerade linke Regierungen sind, die sich für die Erhöhung der staatlichen Ausgaben für den Sozialstaat einsetzen, lässt sich aufgrund mangelnder Verfügbarkeit von Datenmaterial
nicht statistisch belegen. Entsprechende Fakten werden aber dargestellt und analysiert. Auch ohne statistischen Beweis lässt sich ein eindeutiger Trend feststellen, dass „the connection between globalization and welfare spending is greater in countries with strong labour parties and weaker right-wing parties“6.
II. HAUPTTEIL
1. THEORETISCHE VERANKERUNG: DER EUROPÄISCHE INTEGRATIONS- PROZESS
1.1. Die Effizienz- und Kompensationshypothese
Unter Verwirklichung des europäischen Binnenmarkts ist das Zusammenwachsen nationaler Märkte für Waren, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren, vor allem Arbeit, Kapital und Technologie zu verstehen.7 Dabei wird meistens angenommen, dass der Produktionsfaktor Kapital vollkommen mobil, während der Faktor Arbeit immobil ist. Diese Immobilität wird auf unterschiedliche Sprachen und Kulturen innerhalb der EU zurückgeführt, obwohl die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Art. 39 des Gründungsvertrags der EU festgeschrieben wurde.8 Dagegen strebt Kapital als mobiler Faktor nach der höchsten Nettorendite innerhalb der europäischen Länder.
Die Effizienzhypothese besagt nun, dass der Wettbewerb zwischen Staaten um mobile Faktoren dazu führt, dass staatliche Instrumente zugunsten der mobilen Faktoren besonders förderlich eingesetzt werden, wie bspw. in der Bereitstellung von Vorleistungen (Infrastrukturmaßnahmen).9
Der Steuerwettbewerb zwischen den konkurrierenden Nationalstaaten hat zur Folge, dass sich zunehmend mobile Steuerbasen der Besteuerung entziehen und sich somit Einnahmen aus Einkommens- und Körperschaftssteuern verringern, die dem Staat traditionell den größten Teil zur Finanzierung des Sozialstaates eingebracht haben.
Die Industrieländer regieren darauf in zweierlei Weise.10 Zum einen verschieben sie die Steuerlast vom mobilen Faktor Kapital auf den immobilen Faktor Arbeit. Dieser Sachverhalt kann empirisch überprüft werden. Eine Erhöhung des Effektivsteuersatzes auf Arbeit müsste demnach erkennbar sein, während der entsprechende Effektivsteuersatz auf Kapital sinken müsste.
Zum zweiten werden, wenn die weitere Erhöhung der Steuerlast auf den Faktor Arbeit politisch nicht mehr durchsetzbar ist, die staatlichen Ausgaben für die soziale Sicherheit reduziert. Aus diesem Sachverhalt prognostizieren Clark/ Hallerberg, dass der Steuerwettbewerb dazu führen wird, dass das europäische Modell des Wohlfahrtstaates im Laufe der Zeit durch das anglo-amerikanische Modell des liberalen Staates abgelöst werden wird.11
„Globalization leads to a more pressing need for revenues at the same time that it limits governments ability to collect those revenues.“12 Jedoch konnte Oates in seiner Studie empirisch nicht nachweisen, dass ein ausgeprägterer Steuerwettbewerb aufgrund zunehmender Integration der Märkte eine Verringerung der Bereitstellung öffentlicher Güter durch den Staat zur Folge hat.13 Rodrik folgerte daraus die Hypothese: „more open economies with more tax competition tend to correlate with more extensive social insurance programs because voters demand government insurance against the risks associated with an open economy.“14 Damit erkennt Rodrik die zunehmende Integration von Märkten an, zieht aber im Unterschied zu Clarke/ Hallerberg andere Konsequenzen daraus. Seiner Meinung nach bleibt dem Einzelstaat noch genügend Freiraum, um auftretenden Risiken im Zuge der Marktintegration durch Ausweitung kompensatorischer Maßnahmen entgegenzuwirken. Dies ist genau die Aussage der Kompensationshypothese, die besagt, dass der Staat durch seine Ausgaben Individuen gegen wirtschaftliches Risiko absichert.15 Empirisch müssten somit Staaten um so höhere kompensatorische Ausgaben tätigen, je integrierter ihre nationalen Märkte in den europäischen Binnenmarkt sind.
1.2. Linke Regierungen und „New Labour“
Kompensatorische Staatstätigkeit zur Herstellung von sozialer Gleichheit und Gerechtigkeit ist ein zentraler Punkt in den Programmen der „New Labour“-Parteien. Die Grundzüge der Ideologie von New Labour orientieren sich eng an der liberal theory of justice des amerikanischen Philosophen John Rawls: „Each person has an equal claim to a fully adequate scheme of equal basic rights and liberties, which scheme is compatible with the same scheme for all.“16 New Labour nimmt eine sozial-liberale Position ein, eine Verknüpfung von traditioneller sozialdemokratischer und neo- liberaler Orientierung.17 Die europäischen New Labour-Parteien begrüßen somit einerseits die europäische Marktintegration, unterstreichen aber andererseits ihr „commitment to redistributive justice“18. Daraus lässt sich für diese Fallstudie der Schluss ziehen, dass europäische Länder mit New Labour-Regierungen einerseits aufgrund ihrer neo-liberalen Orientierung in hohem Maße in den europäischen Binnenmarkt integriert sein müssten. Andererseits müssten sie gleichzeitig hohe Anstrengungen unternehmen, um mit Hilfe staatlicher Maßnahmen die Grundlage zur Sicherung der intranationalen „sozialen Gerechtigkeit“ sicherzustellen.
Es lässt sich also die Hypothese aufstellen: Je mehr nationale Märkt in den europäischen Binnenmarkt integriert sind, desto mehr werden linke Regierungen die staatlichen Ausgaben für den Sozialschutz erhöhen.
2. VORGEHENSWEISE DER EMPIRISCHEN UNTERSUCHUNG
Nach Cameron (1978) enthält die Kompensationshypothese einen positiven Zusammenhang zwischen Außenhandelsquote und Staatsquote. Für das Beispiel der EU sind somit zwei Maße, eins für die Globalisierung und Integration des nationalen in den supranationalen, europäischen Markt (unabhängige Variable) und eins für nationalstaatliches Handeln (abhängige Variable) zu definieren.
Da sich die Effekte der europäischen Binnenmarktintegration eindeutig auf die staatlichen Ausgaben für den Sozialstaat konzentrieren,19 beschränkt sich diese Untersuchung auf die Analyse der Sozialstaatsausgaben, die als abhängige Variable in die Regression eingeht. In verschiedenen Studien zu diesem Thema20 wurden unterschiedlichste Indikatoren verwendet, um diese zu messen.
Da mit zunehmender Integration die Wichtigkeit staatlicher Sozialschutzausgaben zur Gewährleistung von sozialer Absicherung steigt,21 kommen daher als geeignetes Maß die Sozialschutzausgaben pro Kopf in den EU-Ländern in Betracht. Diese werden von EUROSTAT in „Kaufkraftstandards“ ausgedrückt, eine künstliche Währungseinheit, mit der aussagekräftige Vergleiche durchführbar sind, da Auswirkungen von Unterschieden im Preisniveau herausgerechnet werden.22
Rodrik definiert die unabhängige Variable, indem der die „Offenheit einer Volkswirtschaft“ am „trade divided by GDP“ misst.23 Der Handel innerhalb des europäischen Binnenmarktes zwischen den EU-Mitgliedstaaten stellt somit ein Maß für die Integration der nationalen Märkte dar.24 Je höher das intereuropäische Handelsvolumen (Exporte+Importe) eines Mitgliedstaates ist, desto höher ist auch der Grad der Integration seines nationalen Marktes in den europäischen Binnenmarkt.
Typischerweise geht zunehmende Handelsverflechtung mit Kapitalmarktintegration einher.25 Da zunehmende Kapitalmarktintegration die Verlagerung der Steuern vom mobilen Faktor Kapital zum immobilen Faktor Arbeit bewirkt, soll dieser Zusammenhang anhand der Effektivsteuersätze überprüft werden. Als Datengrundlage dienen einerseits die Statistiken von EUROSTAT über Importe und Exporte zwischen EU-Mitgliedstaaten26 und eine Berechnung von Sorensen über durchschnittliche Effektivsteuersätze auf Arbeit und Kapital in den Mitgliedstaaten.27
Die Positionierung aller europäischen Parteien in einem „Links-Rechts-Spektrum“ stellt sich als äußerst schwierig heraus, „because ideology ist a country-specific phenomenon“28. Zudem unterscheidet die Manifesto Research Group (MRG) 54 Dimensionen, nach denen Parteien beschrieben und positioniert werden können.29
[...]
1 Kapstein, 2000, S. 360.
2 Ebbinghaus/ Visser, 1997, S. 199.
3 Flynn, 1996, S. 801.
4 Vgl. Neumann/ Schaper, 1998, S. 297.
5 Vgl. Klausen, 1997, S. 149f.
6 Holton, 1998, S. 93.
7 Vgl. Schulze/ Ursprung, 1999, S. 44.
8 Vgl. Ludema/ Wooton, 2000, S. 339.
9 Vgl. Bretschger/ Hettich, 2000, S. 3.
10 Vgl. Avi-Yonah, 2000, S. 1576.
11 Vgl. Clark/ Hallerberg, 2000, S. 323.
12 Avi-Yonah, 2000, S. 1578.
13 Vgl. Oates, 1985.
14 Rodrik, 1997, S. 62.
15 Vgl. Bretschger/ Hettich, 2000, S. 3.
16 Rawls, 1993, S. 5.
17 Vgl. Buckler/ Dolowitz, 2000, S. 301.
18 Ebenda, 2000, S. 302.
19 Vgl. Schulze/ Ursprung, 1999, S. 76.
20 Zum Überblick vgl. Schulze/ Ursprung, 1999, S. 70ff.
21 Vgl. Avi-Yonah, 2000, S. 1576.
22 Vgl. Eurostat, 2000b, S. 2.
23 Vgl. Rodrik, 1997, S. 59ff.
24 Vgl. Ludema/ Wooton, 2000, S. 334.
25 Vgl. Schulze/ Ursprung, 1999, S. 42.
26 Vgl. EUROSTAT, 2000a.
27 Vgl. Sorensen, 2000, S. 8.
28 Gabel/ Huber, 2000, S. 97.
29 Vgl. ebenda, S. 96.
- Arbeit zitieren
- Dr. rer. pol. Michael Ruf (Autor:in), 2001, Untersuchung der Kompensationshypothese am Beispiel der Europäischen Union, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72922
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