In dieser Arbeit wird der Realo-Fundi-Konflikt näher untersucht. Welche Ursachen hat dieser Richtungsstreit und wie hat dieser sich auf die Entwicklung der Partei ausgewirkt? Wie hat sich der Konflikt gewandelt? Existieren die Strömungen heute noch und welche Rolle spielen sie?
Diese Fragen sollen im Folgenden beantwortet werden. Da die Entwicklung der Partei eng mit der Strömungskontroverse verknüpft ist, bieten sich für die Untersuchung dieses Konflikts die verschiedenen Entwicklungsphasen der Grünen an. Poguntke unterteilt insgesamt vier verschiedene Phasen: die Gründungsphase, die Parlamentarisierungsphase, die Phase der Regierungsvorbereitungen und die Regierungsphase. Mittlerweile muss hier eine fünfte Phase angeschlossen werden, nämlich die der Opposition. Entlang dieser Entwicklungsstufen sollen die wichtigsten Ereignisse und Auswirkungen des Strömungskonflikts näher beleuchtet werden.
Zunächst gilt es aber einige grundlegende Wesensmerkmale von Strömungen und die Besonderheiten der Parteiströmungen bei den Grünen herauszuarbeiten und zu charakterisieren. Dabei ist zu beachten, dass es bei den Grünen viele verschiedene innerparteiliche Gruppierungen gab, die sich inhaltlich wie auch ideologisch teilweise stark von einander unterschieden. Um die zentralen Konfliktthemen der Grünen bildeten sich aber bald zwei Hauptströmungen, die der Fundis und Realos, heraus, in denen sich die heterogenen Gruppierungen zusammenschlossen und auf die sich diese Arbeit weitestgehend konzentriert.
INHALTSVERZEICHNIS
1 Einleitung
2 Gründungsphase
2.1 erste Auseinandersetzungen
2.2 Besonderheiten der Organisationsstruktur
3 Parlamentarisierungsphase
3.1 Ausbruch des Realo-Fundi-Konflikts
3.2 Etablierung des Strömungskonflikts
3.3 Polarisierung
4 Phase der Regierungsvorbereitungen
4.1 Burgfrieden
5 Regierungsphase
5.1 Benzinpreisbeschluss
5.2 Kosovo-Konflikt
5.3 Strukturreform
5.4 Grundsatzprogramm
6 Oppositionsphase und Ausblick
7 Zusammenfassung
8 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
„[…] Bei der Gründung der Grünen war die Vorstellung des <ganz Anderen> prägend. Ohne dies hätten wir den erfolgreichen Einbruch grüner Ideen in das politische System sicherlich nicht erreicht. Nach über zwanzig Jahren aber sind wir nicht mehr die „Anti-Parteien-Partei“, sondern die Alternative im Parteiensystem. Die entscheidende Veränderung war, daß wir uns zu einer Reformpartei entwickeln wollten und mussten, um erfolgreich zu bleiben […].“ (Entwurf der Grundsatzkommission, zitiert nach Klein/Falter 2003: 71-72)
Dieser Auszug verdeutlicht den grundlegenden und rasanten Wandel, den die Grünen seit ihrem relativ kurzen Bestehen vollzogen haben. Hier, wie in dem gesamten Grundsatzprogramm von 2002 „[…] arbeiten die Grünen […] ihre wechselhafte Geschichte sowie die […] vielfältigen Häutungen, Veränderungen und Kurskorrekturen auf, die die Partei in den letzten beiden Jahrzehnten durchlebt hat.“ (Klein/Falter 2003: 71). Diese Entwicklung von der systemkritischen bis -oppositionellen Anti-Parteien-Partei hin zur staatstragenden Reformpartei war ein langwieriger und schwerer Prozess, der sich über die gesamte Geschichte der Grünen vollzog und nicht nur die Parteiorganisation und ihre Programme, sondern auch den Wesenskern der Grünen, also ihr Selbstverständnis als Partei und ihre Wertvorstellungen betraf (vgl. Klein/Falter 2003: 72). Dieser Veränderungsprozess wurde von Anbeginn mit heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen ausgetragen, die die Grünen mehrfach an den Rand der Spaltung führten. Denn weder die Notwendigkeit einer Veränderung noch deren Richtung war klar. Während in der 1980 gegründeten Partei zwar Einigkeit darüber bestand, was man sein wollte – eine „Partei neuen Typs“, also ein Gegenmodell zu den etablierten Parteien und das „parlamentarische Spielbein“ der Protestbewegungen - war von Anfang an unklar „[…] ob und inwieweit man sich auf die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie […] einlassen solle.“ (Klein/Falter 2003: 52). Über diese zentrale Frage entfachte ein erbitterter innerparteilicher Streit, der die vielen heterogenen Parteiströmungen in zwei konträre Lager spaltete: die Fundamentaloppositionellen (Fundis), die die "Überwindung" der "bürgerlichen" Demokratie forderten und eine Eingliederung in das bestehende System durch jegliche Kompromisse mit anderen Parteien ablehnten und die Realpolitiker (Realos), die für eine eher realistisch-pragmatische Politik eintraten, für deren Umsetzbarkeit sie auch zu Kompromissen und Koalitionen (mit der SPD) bereit waren und die die repräsentative Demokratie und das bestehende System weitestgehend bejahten (vgl. Bpb Heft 207). Dieser Strömungskonflikt hat die Grünen zutiefst geprägt und ihre Entwicklung maßgeblich bestimmt und erklärt - laut Raschke - bis heute einen Grossteil ihrer Schwächen und Entscheidungen (vgl. Raschke 2001: 335).
In dieser Arbeit wird daher der Realo-Fundi-Konflikt näher untersucht. Welche Ursachen hat dieser Richtungsstreit und wie hat dieser sich auf die Entwicklung der Partei ausgewirkt? Wie hat sich der Konflikt gewandelt? Existieren die Strömungen heute noch und welche Rolle spielen sie?
Diese Fragen sollen im Folgenden beantwortet werden. Da die Entwicklung der Partei eng mit der Strömungskontroverse verknüpft ist, bieten sich für die Untersuchung dieses Konflikts die verschiedenen Entwicklungsphasen der Grünen an. Poguntke unterteilt insgesamt vier verschiedene Phasen: die Gründungsphase, die Parlamentarisierungsphase, die Phase der Regierungsvorbereitungen und die Regierungsphase (vgl. Poguntke 2003). Mittlerweile muss hier eine fünfte Phase angeschlossen werden, nämlich die der Opposition. Entlang dieser Entwicklungsstufen sollen die wichtigsten Ereignisse und Auswirkungen des Strömungskonflikts näher beleuchtet werden.
Zunächst gilt es aber einige grundlegende Wesensmerkmale von Strömungen und die Besonderheiten der Parteiströmungen bei den Grünen herauszuarbeiten und zu charakterisieren. Dabei ist zu beachten, dass es bei den Grünen viele verschiedene innerparteiliche Gruppierungen gab, die sich inhaltlich wie auch ideologisch teilweise stark von einander unterschieden. Um die zentralen Konfliktthemen der Grünen bildeten sich aber bald zwei Hauptströmungen, die der Fundis und Realos, heraus, in denen sich die heterogenen Gruppierungen zusammenschlossen und auf die sich diese Arbeit weitestgehend konzentriert.
Die Strömungen der Grünen sind nach van Hüllen:
[…] fraktionsähnliche Zusammenschlüsse, zumeist ohne formale Mitgliedschaften, die im Gegensatz zur Praxis in den etablierten Parteien keineswegs soziale, berufsständische oder ökonomische Interessen bündeln, sondern rein ideologisch motivierte Gesinnungsgemeinschaften sind.“ (van Hüllen 1990: 284, zitiert nach Japs 2003: 42)
Prinzipiell lässt sich sagen, dass Parteiströmungen oder auch -flügel produktiv und destruktiv zugleich sein können. So können sie zu einer verstärkten innerparteilichen Diskussion beitragen, die die Auseinandersetzung mit der Partei fördert und der Konfliktbewältigung dient. Hierfür ist allerdings eine zentrale Strömung von Nöten:
Man braucht Ränder, linke Ränder und liberale Ränder. Ohne einen Mittelblock, der den Laden zusammenhält mit einer gemeinsamen Marschrichtung, kann daraus aber nichts werden. (zitiert nach Raschke 2001: 8)
Bei den Grünen sind die Strömungen allerdings bipolarer Art. Es fehlt eine zentristische Kraft, die für strömungsübergreifende Koalitionen nötig wäre und den innerparteilichen Dialog und Kompromisse fördern würde. Durch diese Bipolarität aber, haben die Strömungen häufig die innerparteilichen Konflikte verstärkt, die Partei mitunter regelrecht blockiert und gar an den Rand der Spaltung getrieben (vgl. Raschke 2003: 336). Für Raschke überwiegt bei den Strömungen der Grünen ebenfalls die destruktive Komponente: „Strömungen sind Orientierungsgemeinschaften, Machtagenturen und Personalrekrutierungspools. Sie sind nicht: Iddeenagenturen, Diskursgemeinschaften, Thinktanks für Problemlösungen.“ (Raschke 2001: 6).
Durch den fehlenden Zentrismus gelingt es nicht sinnvolle Aspekte der partikularen Positionen zu integrieren. Da sich die Strömungen gegenseitig die Legitimität absprechen, wird so ein produktiver Dialog verhindert.
Des Weiteren sind die Strömungen bei den Grünen extrem ideologisiert und stellen Raschke zufolge seit jeher den stärksten Einflussfaktor bei den Grünen dar (vgl. Raschke 2003: 335). Sie haben sich tief in das innerparteiliche Selbstverständnis eingegraben, wodurch die Wahrnehmung grundlegend vom Strömungsdenken geprägt wird und Themen und Personen zuallererst über die Strömungszugehörigkeit gesehen und definiert werden. So wird auch bei den geringsten Themenunterschieden ein funktionales Verständnis der Strömungen verhindert (vgl. Raschke 2001: 7) und minimale Unterschiede dadurch zur Strömungsfrage erklärt (vgl. Raschke 2001: 11). Zudem haben „Strömungs-Dissidenten“ oder Neulinge keine Chancen, da die einzelnen Strömungen die relevanten Akteure binden: „Wer etwas sagen und gehört werden will, der muss sich über Strömungen definieren.“ (Raschke 2001:8).
Außerdem sind die Strömungen zu den effektivsten Mehrheits- und Postenbeschaffern geworden: „Wer bei den Grünen etwas werden will, muss zu den Strömungen gehen. Er wird nie etwas allein durch die Strömung, aber ohne sie wird er auch nichts. (vgl. Raschke 2001: 6).
Wie deutlich wurde, spielen die Strömungen eine entscheidende Rolle innerhalb der Partei und üben einen enormen Einfluss aus. Entscheidend ist dabei, dass die zwei Hauptströmungen allerdings keineswegs über klare Mehrheiten verfügen. So blieb im Verhältnis zur Gesamtmitgliedschaft gesehen der Anteil derer, die sich in den Strömungen organisierten, relativ klein (vgl. Japs 2003: 42). Nur durch eine starke Mobilisierungsfähigkeit von Unabhängigen gelang es Mehrheiten zu bilden (vgl. Raschke 2003: 336).
Im Folgenden sollen nun die Ursachen für die Strömungsbildung innerhalb der Grünen herausgearbeitet werden und der Wandel des Strömungskonflikts skizziert werden.
2 Gründungsphase
Die Gründung der Bundespartei „Die Grünen“ im Jahre 1980 stellte einen Zusammenschluss einer Vielzahl von heterogenen Gruppierungen dar. Diese umfassten verschiedenste Gruppen aus den neuen sozialen Bewegungen – also aus der Ökologie-, der Anti-AKW-, der Frauen-, der Alternativ-, der Friedens- und der Dritte-Welt-Bewegung – aber auch linke und rechte Gruppierungen (vgl. Bpb Heft 207). Es kam also ein breites Spektrum verschiedenster Strömungen mit zum Teil kontroversen Zielen und Weltanschauungen zusammen (vgl. Klein/Falter 2003: 53). Durch diese enorme Heterogenität wurde die Bildung parteilicher Zielsetzungen sowie die Entwicklung einer gemeinsamen Identität erschwert und die Entstehung verschiedenster innerparteilicher Strömungen begünstigt.
2.1 erste Auseinandersetzungen
Bereits auf dem Gründungskongress in Karlsruhe kam es zu den ersten starken Auseinandersetzungen zwischen den bürgerlich-ökologischen und den links-alternativen Gruppen (vgl. Klein/Falter 2003: 54), wodurch der Gründungsakt fast zu scheitern drohte. Einer der Hauptstreitpunkte war der Versuch der bürgerlich-ökologischen Gruppe, die Linken aus der neu zu gründenden Partei auszuschließen. Durch machtpolitisches und taktisches Geschick gelang es der Linken allerdings sich durchzusetzen (vgl. Kleinert 1992: 31f). Auch bei dem Bundesprogramm, welches kurze Zeit später ausgearbeitet wurde, konnte die Linke ihre Positionen erfolgreich einbringen (vgl. Klein/Falter 2003: 54). Dieser „Siegeszug“ der Linken sollte sich weiter fortsetzen und 1981 zum Auszug des bürgerlich konservativen Flügels führen (vgl. Japs 2003: 31).
Noch vor der Parteigründung verdeutlichten sich also bereits die grundverschiedenen Interessen dieser unterschiedlichen Gruppierungen. Die Gegensätzlichkeit der Ziele dieser einzelnen Gruppen wird auch im Bundesprogramm von 1980 deutlich, welches zum Teil konträre Zielsetzungen beinhaltet (vgl. Japs 2003: 20) und die unterschiedlichen Wertanschauung unter vier sehr weitgefasste Grundsätze zusammenfest: „ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei“ (vgl. Japs 2003: 29).
Bei allen Gegensätzen hatten dennoch alle Strömungen eines gemein: die Unzufriedenheit mit den etablierten Parteien sowie den Wunsch nach grundlegenden politischen Änderungen und einer parlamentarischen Vertretung ihrer Interessen. Diese Gemeinsamkeit war es schließlich welche diese Strömungen überhaupt erst zu einander brachte und die sie später zusammenhalten sollte. Denn es war klar, dass man diese Ziele aufgrund der Sperrklausel nur gemeinsam erreichen konnte. Die Grünen können daher auch als „Artefakt der Fünf-Prozent-Klausel“ betrachtet werden (vgl. Klein/Falter 2003: 53).
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- Arbeit zitieren
- Julia Fiedler (Autor:in), 2007, Der Realo-Fundi-Konflikt in der Bundespartei Bündnis 90/ Die Grünen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72583
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