Hört man den Namen Alfred Döblin, denkt man sofort an sein bekanntestes Werk „Berlin Alexanderplatz“, welches der Schriftsteller und Arzt 1929 verfasst hat. Weitaus weniger bekannt ist hingegen sein erster Roman, den er 1934 im französischen Exil schrieb: „Pardon wird nicht gegeben“. Er ist sein zweiter Berlin-Roman, in dem Döblin das Leben von Karl und seiner Familie aufzeigt, wie sie nach dem Tod des Vaters in die Großstadt ziehen. Dort lernen sie die Armut kennen, und nach einem gescheiterten Selbstmordversuch der Mutter muss Karl für die Familie sorgen. Der bald darauf erwachende Ehrgeiz der Mutter treibt Karl in die Fabrik des Onkels, wo er bald Karriere macht und durch eine arrangierte Hochzeit in die besseren Kreise aufsteigt.
„Berlin Alexanderplatz“ wird von vielen Literaturkritikern als Entwicklungsroman eingestuft. Auch in „Pardon wird nicht gegeben“ gibt es viele Anhaltspunkte, um auf einen Entwicklungsroman zu schließen. Ob dies also zutrifft, werde ich in der folgenden Arbeit untersuchen.
In dem ersten Schritt geht es um die Geschichte des Entwicklungsroman-Begriffs. Ich werde klären, wie er entstanden ist, wer ihn geprägt hat und in wieweit er sich von dem Bildungsroman-Begriffs unterscheidet.
Danach werde ich anhand des „Strukturmodells des Entwicklungsromans“, welches Herbert Tiefenbacher 1982 verfasst hat, „Pardon“ auf Parallelen und Unterschiede zum Entwicklungsroman hin untersuchen.
Abschließend geht es um die Ergebnisse, die dieser Vergleich mit dem Strukturmodell und den Definitionen erbracht hat. Ich werde versuchen zu klären, in wieweit Döblins Werk ein Entwicklungsroman ist, ob es überhaupt einer ist oder ob ein anderer Begriff passender wäre.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Begriffe Bildung- und Entwicklungsroman
2.1. Entstehung und Definition des Bildungsromans
2.2. Entstehung und Definition des Entwicklungsromans
3. Pardon wird nicht gegeben – ein Entwicklungsroman?
3.1. Strukturmodell des Entwicklungsromans
3.1.1. Der Ausgangszustand
3.1.2. Austritt aus der Harmonie
3.1.3. Erste Makrosequenz
3.1.4. Identitätskrise
3.1.5. Neubeginn
3.1.6. Zweite Makrosequenz
3.1.7. Endzustand
4. Abschließende Bewertung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Hört man den Namen Alfred Döblin, denkt man sofort an sein bekanntestes Werk „Berlin Alexanderplatz“, welches der Schriftsteller und Arzt 1929 verfasst hat. Weitaus weniger bekannt ist hingegen sein erster Roman, den er 1934 im französischen Exil schrieb: „Pardon wird nicht gegeben“. Er ist sein zweiter Berlin-Roman, in dem Döblin das Leben von Karl und seiner Familie aufzeigt, wie sie nach dem Tod des Vaters in die Großstadt ziehen. Dort lernen sie die Armut kennen, und nach einem gescheiterten Selbstmordversuch der Mutter muss Karl für die Familie sorgen. Der bald darauf erwachende Ehrgeiz der Mutter treibt Karl in die Fabrik des Onkels, wo er bald Karriere macht und durch eine arrangierte Hochzeit in die besseren Kreise aufsteigt.
„Berlin Alexanderplatz“ wird von vielen Literaturkritikern als Entwicklungsroman eingestuft. Auch in „Pardon wird nicht gegeben“ gibt es viele Anhaltspunkte, um auf einen Entwicklungsroman zu schließen. Ob dies also zutrifft, werde ich in der folgenden Arbeit untersuchen.
In dem ersten Schritt geht es um die Geschichte des Entwicklungsroman- Begriffs. Ich werde klären, wie er entstanden ist, wer ihn geprägt hat und in wieweit er sich von dem Bildungsroman- Begriffs unterscheidet.
Danach werde ich anhand des „Strukturmodells des Entwicklungsromans“, welches Herbert Tiefenbacher 1982 verfasst hat[1], „Pardon“ auf Parallelen und Unterschiede zum Entwicklungsroman hin untersuchen.
Abschließend geht es um die Ergebnisse, die dieser Vergleich mit dem Strukturmodell und den Definitionen erbracht hat. Ich werde versuchen zu klären, in wieweit Döblins Werk ein Entwicklungsroman ist, ob es überhaupt einer ist oder ob ein anderer Begriff passender wäre.
2. Die Begriffe Bildungs- und Entwicklungsroman
2.1. Entstehung und Definition des Bildungsromans
Der vermutlich älteste Versuch, den Begriff Bildungsroman zu bestimmen, stammt von dem Dorpater Professor Karl Morgenstern. In seinen 1810, 1819 und 1820 gehaltenen Universitätsreden definiert er wie folgt: „Bildungsroman wird er heißen dürfen, erstens und vorzüglich wegen seines Stoffes, weil er des Helden Bildung in ihrem Anfang und Fortgang bis zu einer gewissen Stufe der Vollendung darstellt; zweytens aber auch, weil er gerade durch diese Darstellung des Lesers Bildung, in weiterm Umfange als jede andere Art des Romans, fördert.“[2]
Doch diese erste Definition hat sich nicht etablieren können, erst durch Fritz Martini wurde sie 1961 neu vorgestellt.[3] Was heutzutage unter dem Begriff Bildungsroman verstanden wird, geht viel mehr zurück auf Wilhelm Dilthey, auf den sich denn auch alle Späteren berufen. Erstmals äußert er sich 1870 dazu: „Ich möchte die Romane, welche die Schule des Wilhelm Meister ausmachen [...], Bildungsromane nennen. Göthes Werk zeigt menschliche Ausbildung in verschiedenen Stufen, Gestalten, Lebensepochen.“[4]
Zu einem weitaus größeren Bekanntheitsgrad gelangte allerdings eine Äußerung Diltheys, die er in seinem Werk „Das Erlebnis und die Dichtung“ von 1906 machte. Hier heißt es: „Von dem Wilhelm Meister und dem Hesperus ab stellen sie alle den Jüngling jener Tage dar, wie er in glücklicher Dämmerung in das Leben eintritt, nach verwandten Seelen sucht, der Freundschaft begegnet und der Liebe, wie er nun aber mit den harten Realitäten der Welt in Kampf gerät und so unter mannigfacher Lebenserfahrungen heranreift, sich selber findet und seiner Aufgabe in der Welt gewiss wird.“[5]
Dilthey versteht unter dem Bildungsroman-Begriff die Großform des deutschen Romans im klassisch-romantischen Zeitalter, die sich unter Rousseaus Einfluss entwickelt hat. Der Genfer Philosoph ging in seiner Gesellschaftstheorie von der natürlichen Freiheit und Gleichheit aller Menschen aus, die zur Gründung des Staates einen Gesellschaftsvertrag schließen, in dem jeder verspricht, seine Rolle in der Gemeinschaft zu spielen und sich dem Kollektivwillen zu unterwerfen.
Dieser Gedanke eines Gesellschaftsideals wird besonders deutlich in dem Werk, welches seit Dilthey als der Bildungsroman schlechthin bezeichnet wird, Goethes „Wilhelm Meister“. Auch Werke wie Novalis´ “Ofterdingen“ oder Hölderlins „Hyperion“ zählen zu den klassischen Bildungsromanen.
Zwei charakteristische Eigenschaften bestimmen nach Diltheys Definition das Wesen des Bildungsromans: Die Entwicklung in bestimmten Gesetzmäßigkeiten, in festgelegten Stufen der Entfaltung, und die Richtung auf ein klar umrissenes Ziel, das als Idealzustand des vollendeten Menschen dargestellt wurde. Dieser Idealzustand war in der Goethe-Zeit stark geprägt von dem Bildungsgedanken der Humanität. Gebildet war eine nach allen Richtungen harmonisch entfaltete Persönlichkeit, die ihrer Stellung in der Gesellschaft gewiss war.
Nach der Etablierung des Bildungsroman -Begriffs erweiterte sich allerdings der Umfang der Werke, die man zu dieser Romangattung zählt, sowohl nach rückwärts mit Werken von Grimmelshausen, Wieland und von Eschenbach, als auch nach vorwärts mit Romanen von Keller, Hesse und Thomas Mann. Man erkannte, daß nahezu alle großen deutschen Weltanschauungsromane diesem Gattungsbegriff angehören. Heutzutage gilt der Bildungsroman als die deutsche Großform des Romans überhaupt, da er in keiner anderen europäischen Literatur in so starkem Maße vertreten ist. Diese Erweiterung des Blickfeldes musste notwendig dazu führen, daß Diltheys Begriffsbestimmung als zu eng erschien. Denn Dilthey setzt die Kultur des 18. Jahrhunderts zur Darstellung der Persönlichkeitsentwicklung voraus. Doch jedes Zeitalter ist geprägt von unterschiedlichen Fragestellungen und seiner epochalen Weltschau, so daß auch das jeweilige Persönlichkeitsideal stark schwankt. Daher wurde der allgemeinere Begriff Entwicklungsroman eingeführt.
[...]
[1] Herbert Tiefenbacher: „Textstrukturen des Entwicklungs- und Bildungsromans. Zur Handlungs- und Erzählstruktur ausgewählter Werke zwischen Naturalismus und Erstem Weltkrieg.“ Königstein 1982
[2] Fritz Martini: Der Bildungsroman. Zur Geschichte des Wortes und der Theorie. In: DVjs 35 (1961), S. 44-63.
[3] Martini ; siehe oben.
[4] Wilhelm Dilthey: Leben Schleiermachers. Band 1, Berlin 1870, S.282.
[5] Wilhelm Dilthey: Das Erlebnis und die Dichtung.. Lessing. Goethe. Novalis. Hölderlin. 13. Aufl. Stuttgart/Göttingen 1957. Abschnitt zum Hyperion: S. 248-262.
- Arbeit zitieren
- Julia Brückmann (Autor:in), 2001, Ist Alfred Döblins Roman "Pardon wird nicht gegeben" ein Entwicklungsroman?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72553
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