In Fritz Langs Metropolis spielt die gefilmte Stadt nicht nur eine nachrangige, dekorative Rolle, sondern greift immer wieder aktiv in den Filmdiskurs ein und wird zum Thema desselben. Die bewusste Inszenierung der Stadt geht über eine bloße Repräsentation der Stadt im Film hinaus und erweist sich somit als „filmische Stadt“, die zusätzlich zur dramatischen Funktion durch eine spezifische ästhetische Konstruktion gekennzeichnet ist. Aus diesem Grund wurde die filmische Stadt in Metropolis auch immer wieder auf ihren architektonischen Aufbau und Stil hin ausgeleuchtet und in Bezug zur Narration gesetzt. Die Architektur der Oberstadt sowie die technisierte und funktionalisierte Lebensweise der Bewohner von Metropolis galten als deutliche Indizien für die Thematisierung einer potenziellen modernen Lebensform im Film. Trotz aller futuristisch anmutenden Anzeichen trägt der Film nicht nur in ideologiekritischer Hinsicht antimoderne Züge. Der Schock der Moderne wird in Metropolis nicht nur ideologisch durch die messianische Figur des Mittlers abgemildert, sondern auch durch die ästhetische Konstruktion der Stadt. Vordergründig stellt die vertikale Strukturierung und Hierarchisierung der Stadt die Bedingung für die Visualisierung der negativen Phänomene der Moderne dar. Auf den zweiten Blick jedoch präsentiert sich der Aufbau der Stadt als organischer Körper mit interferierenden Teilen, die gemeinsam eine abgeschlossene Totalität bilden. Die ästhetische Konstruktion bedingt eine Strukturierung der Stadt, innerhalb derer die vormoderne Konzeption des Organischen ihren Ausdruck findet. Somit relativieren sich die futuristischen Ansätze in Metropolis zugunsten einer architektonisch strukturierten Rückbesinnung auf das Organische. Die filmische Stadt wird somit einerseits zur Bedingung des Schreckens der Moderne und gleichzeitig mit dem Ende des Films durch eine kleine Modifikation zur scheinbaren Aufhebung des Schreckens, obwohl die Möglichkeit dieser Abmilderung schon von Anfang an in der Struktur der Stadt angelegt ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Metropolis – progressiv oder retrospektiv?
2. Konstruktionen des Organischen
3. Die Perfektion des Organismus
4. Bibliographie
Quelle:
Forschungsliteratur:
1.Metropolis – progressiv oder retrospektiv?
In Fritz Langs Metropolis spielt die gefilmte Stadt nicht nur eine nachrangige, dekorative Rolle, sondern greift immer wieder aktiv in den Filmdiskurs ein und wird zum Thema desselben. Die bewusste Inszenierung der Stadt geht über eine bloße Repräsentation der Stadt im Film hinaus und erweist sich somit als „filmische Stadt“, die zusätzlich zur dramatischen Funktion durch eine spezifische ästhetische Konstruktion gekennzeichnet ist.[1] Aus diesem Grund wurde die filmische Stadt in Metropolis auch immer wieder auf ihren architektonischen Aufbau und Stil hin ausgeleuchtet und in Bezug zur Narration gesetzt.[2] Die Architektur der Oberstadt sowie die technisierte und funktionalisierte Lebensweise der Bewohner von Metropolis, die privilegierten Kinder der Machthaber einmal ausgeschlossen, galten als deutliche Indizien für die Thematisierung einer potenziellen modernen Lebensform im Film. Trotz aller futuristisch anmutenden Anzeichen trägt der Film nicht nur in ideologiekritischer Hinsicht[3] antimoderne Züge. Der Schock der Moderne, der sich durch eine zunehmende Ausdifferenzierung der Lebensbereiche, Entfremdung von der Arbeit, Vermassung und Urbanisierung sowie Mediatisierung der Gesellschaft einstellt, wird in Metropolis nicht nur ideologisch durch die messianische Figur des Mittlers[4] abgemildert, sondern auch durch die ästhetische Konstruktion der Stadt. Vordergründig stellt die vertikale Strukturierung und Hierarchisierung der Stadt die Bedingung für die Visualisierung der negativen Phänomene der Moderne dar. Auf den zweiten Blick jedoch präsentiert sich der Aufbau der Stadt als organischer Körper mit interferierenden Teilen, die gemeinsam eine abgeschlossene Totalität bilden. Dass die Gesamtheit der filmischen Stadt durchaus anthropomorphe Züge tragen kann, schuldet sich nicht nur der Tatsache, dass die Stadt „à la fois un contenant et un contenu, un lieu et un moteur de l’action“[5] darstellt. Erst die ästhetische Konstruktion bedingt eine Strukturierung der Stadt, innerhalb derer die vormoderne Konzeption des Organischen[6] ihren Ausdruck findet. Somit relativieren sich die futuristischen Ansätze in Metropolis zugunsten einer architektonisch strukturierten Rückbesinnung auf das Organische:
Auf den Schrecken eines mechanistischen Weltbildes, der zweckhaften Entäußerung des Menschen, auf die zerstörerische Kraft des Teilens und Trennens, die Gefahr der Zerstückelung des Körperganzen und des Seelenhaushaltes antwortet die Konstruktion eines sich selbst als Zeck setzenden Organismus im Kunstwerk und im Kunstwerk menschlichen Zusammenlebens, dem Staat.[7]
Die filmische Stadt wird somit einerseits zur Bedingung des Schreckens der Moderne und gleichzeitig mit dem Ende des Films durch eine kleine Modifikation zur scheinbaren Aufhebung des Schreckens, obwohl die Möglichkeit dieser Abmilderung schon von Anfang an in der Struktur der Stadt angelegt ist.
2. Konstruktionen des Organischen
Das Bedürfnis nach einem organischen Zusammenhalt innerhalb einer als modern gezeigten Welt drückt sich im Aufbau der Stadt aus. Das holistische Konzept des Organischen, das in der Moderne auseinander fällt[8], aktualisiert sich in der vertikalen Schichtung, den historischen Implikationen der einzelnen Schichten als auch in der filmischen Inszenierung der Stadt. Dabei ist es nicht unerheblich, dass die organische Organisation ein autoritär geprägtes Machtdispositiv nach sich zieht, welches sich deutlich in der vertikalen Hierarchie von Metropolis manifestiert. Die unterste Ebene, die gleichzeitig das Fundament der Stadt bildet, bleibt jedoch von diesem Machtdispositiv größtenteils ausgeklammert. Aus diesem Grund dienen die Katakomben tief unter der Erde den Arbeitern als geistig-spiritueller Zufluchtsort, an dem die weltliche Herrschaft von Joh Fredersen durch die spirituelle Macht der christlichen Maria abgelöst wird. Der Aufstand der Arbeiter formiert sich in den labyrinthisch verzweigten Gängen aus unbehauenem Stein, in denen die gottesdienstähnlichen Versammlungen stattfinden. Diese einzige soziale Interaktion der Arbeiter wird jedoch in dem Moment korrumpiert, in dem sich die weltliche Macht von Fredersen auch auf das Fundament der Stadt ausdehnt. Der Wissenschaftler Rotwang, in dessen anachronistisch gebauten Haus[9] sich ein direkter Zugang zu den Katakomben befindet, führt ihn anhand der konspirativen Pläne der Arbeiter zu einer Arbeiterversammlung. Fredersens Kenntnis der Räume und der Versammlungen führt gleichsam zur machtpolitischen Übernahme des Raumes durch die Installation der falschen Maria und damit zur Integration des Anderen in das homogene Machtdispositiv von Metropolis. Der organische Stadtkörper verleibt sich somit auch den letzten Raum, die unterste Schicht von Metropolis ein, die zuvor dem gesamten Überbau fremdartig gegenüberstand.
Denn das „Organische wirkt als regulative Macht: entweder zur erzwungenen Integration oder zum Ausschluss der unstimmigen Elemente“.[10] Fredersen wählt die erste Variante, da er unmöglich den Rückzugsraum der Arbeiter und damit das Fundament von Metropolis aus dem Stadtkörper ausschließen kann. Infolgedessen schafft er gleichzeitig die Bedingung der Möglichkeit einer vollständigen Integration der Arbeiter, die sich am Ende des Films realisiert. Bis dahin sind diese jedoch von der organischen Gesamtheit der Stadt ausgeschlossen. Sie fungieren als bloßer Teil des Ganzen, dessen Existenzfähigkeit sie durch ihre Arbeitskraft gewährleisten ohne allerdings an dem Ergebnis ihrer Arbeit partizipieren zu können. Die Position ihrer Wohnhäuser direkt über den Katakomben bezeichnet bereits ihr Dasein um der Funktionalität willen. Die kahlen, betonierten, streng geometrischen Formen ihrer dunklen Wohnhäuser[11] mit den von innen beleuchteten Fenstern, die den letzten Rest von Leben bezeugen, markieren die Totalität der Funktionalität. Diese aufs Schlafen reduzierte Stätte erinnert in zynischer Weise an den von Le Corbusiers in den 20er Jahren geprägten Begriff der „Wohnmaschine“[12]. In der Arbeiterstadt von Metropolis wird der metaphorische Begriff eigentlich, da selbst die Arbeiter niemals in ihrer Individualität sondern nur in der gesichtslosen Masse[13] repräsentiert werden und dadurch ihr funktionales Dasein unterstrichen wird. Ein Großteil der Aufsichten, die nach der Normalsicht die zweithäufigste Kameraperspektive bilden, sowie die überproportionale Verwendung der Totalen[14] dürften allein durch die Repräsentation der Arbeiter zustande gekommen sein. Die Reduktion der Arbeiter auf ihre Arbeitskraft spiegelt sich in der Reduktion ihrer räumlichen Ausdehnung. Nur der Weg in die Katakomben sowie zu den über ihren Wohnhäusern liegenden Maschinen bleibt für sie zugänglich, die Oberstadt betreten sie erst nach dem Zusammenbruch der Maschinen am Ende.[15] Die totale informelle sowie soziale Abschottung von einem Außen, die nur durch die Lüftungs- und Fahrstuhlschächte leicht relativiert wird, reduziert die Arbeiter auf ihre reine physische Masse[16] und degradiert sie zu willigen Befehlsempfängern. Einerseits sind sie maßgeblich an der hoch entwickelten Funktionsfähigkeit der Stadt beteiligt, andererseits jedoch schließt die Stadt sie durch die räumliche Strukturierung aus, in der sich das Machtdispositiv spiegelt. Dieser paradoxe Status befördert die auf Vermittlung und Ausgleich abzielende Ideologie der Narration, ohne jedoch das Machtdispositiv nur annähernd in Frage zu stellen. Die Arbeiter bilden in diesem Zustand zwar einen Teil des ganzen Organismus, sind allerdings von der Macht einseitig abhängig und nicht wie in einem organischen System „dynamically interrelated or interdependent“.[17] Denn selbst der Ausfall der Maschinen, der durch den Ausfall ihrer Arbeitskraft bewirkt wird, zeitigt keine sichtbaren Wirkungen auf die Oberstadt. Vielmehr verdeutlicht der Ausfall der Maschinen einerseits die gegenseitige Abhängigkeit zwischen den Maschinen und Arbeitern[18] und andererseits die einseitige Abhängigkeit von der Macht, da die über der Arbeiterstadt liegenden Maschinen eine Überschwemmung der darunter liegenden Arbeiterstadt und die Gefährdung der Arbeiterkinder auslösen.[19] Die räumliche Anordnung der Arbeiterstadt innerhalb von Metropolis legt die eindimensionale, autoritäre Form der Macht offen. Diese gehört zwar zur Bedingung eines organischen Systems, jedoch scheint in diesem Fall die Interdependenz[20] zwischen Arbeitern und Machthabern nicht gewährleistet zu sein, was ebenfalls ein konstitutives Merkmal eines solchen Systems bildet. Wie sich noch zeigen wird, wird dieses unstimmige Verhältnis überwunden werden.
[...]
[1] Vgl. Guntram Vogt: Die Stadt im Kino. Deutsche Spielfilme 1900-2000, Marburg 2001, S. 26.
[2] Vgl. Wolfgang Jacobsen, Werner Sudendorf: Metropolis. Jahrzehnte voraus - Jahrtausende zurück, in: Dies. (Hgg.): Metropolis. Ein filmisches Laboratorium der modernen Architektur, Stuttgart, London 2000, S. 8-39 oder Andreas Huyssen: The Vamp and the Machine: Technology and Sexuality in Fritz Lang’s Metropolis, in: New German Critique, Nr. 24/25, 1981/82, S, 221-237.
[3] R.L. Rutsky: The Mediation of Technology and Gender: Metropolis, Nazism, Modernism, in: New German Critique, Nr. 60, 1993, S. 3-32. Rutsky diskutiert die proto-faschistischen Anzeichen in Metropolis.
[4] Vgl. ebd. S. 6.
[5] Abdelkader Benali: La fourmilière imaginaire, Metropolis ou la ville à visage humain, in : Espace et sociétés No. 86. Ville et cinéma, Paris 1996, S. 48.
[6] Klaus R. Scherpe: Zur Faszination des Organischen. Eine Vorbemerkung, in: H. Eggert, E. Schütz, P. Sprengel (Hgg.): Faszination des Organischen. Konjunkturen einer Kategorie der Moderne, München 1995, S. 7-11.
[7] Ebd. S. 9.
[8] Vor allem in Deutschland verweigerte sich der geisteswissenschaftliche Diskurs dieser Tatsache noch in den 20er Jahren, um den Verlust an Ganzheit in der Moderne zu kompensieren. Vgl. ebd. S. 10.
[9] Frank Arnold : Von Metropolis nach Hollywood. Die Stadt im Science Fiction-Film – Ein Streifzug, in : Irmgard Schenk (Hg.) : Dschungel Großstadt. Kino und Modernisierung, Marburg 1999, S. 154: „Das Haus des Erfinders Rotwang mutet an wie ein Hexenhaus im Wald der Wolkenkratzer.“
[10] Klaus R. Scherpe: Zur Faszination des Organischen. Eine Vorbemerkung, a. a. O., S. 11.
[11] Das architektonische Gegenmodell zur dunklen Arbeiterstadt stellen der verschollene Ausschnitt der „Stadt der Söhne“ sowie das nach oben offene, lichtdurchflutete „Stadion der Söhne“ dar. Die Stadt der Arbeiter und das „Stadion der Söhne“ werden gleich zu Beginn des Films kontrastierend nebeneinander geschnitten. Vgl. Wolfgang Jacobsen, Werner Sudendorf: Metropolis. Jahrzehnte voraus - Jahrtausende zurück, a. a. O., S. 24.
[12] Vgl. Vrääth Öhner und Marc Ries: Bildbau, in: Helmut Weihsmann: Cinetecture. Film, Architektur, Moderne, Wien 1995, S. 16: „Das Problem des Hauses richtig stellen heißt für Le Corbusier, aus dem Traum der Einheit von Kunst und Architektur erwachen. Er fokussiert seine Aufmerksamkeit auf die Funktion, die eine Wohnung zu erfüllen hat. Sie soll keine Lebensform mehr repräsentieren, sondern den jeweiligen Einzelverrichtungen und Notwendigkeiten des täglichen Lebens unterstützend zuarbeiten.“
[13] Vgl. Ludmilla Jordanova: Science, Machines, and Gender, in: Michael Minden, Holger Bachmann (Hgg.): Fritz Lang’s ‚Metropolis’. Cinematic Visions of Technology and Fear, o. O. 2000, S. 191.
[14] Guntram Vogt: Die Stadt im Kino. Deutsche Spielfilme 1900-2000, a. a. O., S. 139: „Fast 50% sind Totale, 20 % Panorama, 11% Halbtotale, 16 % Halbnahe und nur 3 % Naheinstellung. Die Normalsicht der Kamera überwiegt mit 43% (Obersicht 36%, Untersicht 12%, Froschperspektive 3%, Vogelperspektive 6%).“
[15] In diesem Zusammenhang bleibt es deswegen schleierhaft, auf welchem Weg Maria zusammen mit den Arbeiterkindern den Garten der Oberstadt betreten konnte.
[16] Vgl. Ludmilla Jordanova: Science, Machines, and Gender, a. a. O., S. 191.
[17] Ebd. S. 190.
[18] Die mechanischen Maschinen in Metropolis zerstören sich selbst ohne menschliche Arbeitskraft und gleichzeitig sind sie die Bedingung für das unterirdische Leben in der Arbeiterstadt.
[19] Vgl. Thomas Koebner: Der Schock der Moderne. Die Stadt als Anti-Idylle im Kino der Weimarer Zeit, in: Irmgard Schenk (Hg.) : Dschungel Großstadt. Kino und Modernisierung, a. a. O., S. 78: „Die Krise der zukünftigen Gesellschaft schadet vor allem den Armen, den Ausgebeuteten. Und die schaden sich selber.“
[20] Eine mögliche Interdependenz wird bis zur Zerstörung der falschen Maria zugleich durch die Erfindung des Maschinen-Menschen untergraben, da dieser die menschliche Arbeitskraft überflüssig machen würde.
- Arbeit zitieren
- Frank Dersch (Autor:in), 2006, Fritz Langs Metropolis - Konstruktionen des Organischen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72506
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