Die Vorstellung, dass menschliche Handlungen und natürliche Prozesse aus einem Ziel oder einem Zweck heraus bestimmt sind, hat in der Philosophie eine lange Geschichte. Sie beginnt in einfachsten Formen in der Antike, genauer mit der Literatur HOMERs, in der aus der Darstellung einer polytheistischen Götterwelt menschliche Organisationsformen wie z.B. die Familie abgeleitet werden. Sophisten sehen den Menschen dann als ein Wesen, das sich gegenüber Tieren nur behaupten kann, weil es von den Göttern bestimmte Fähigkeiten geschenkt bekommen hat. Dieser Gedanke wird von SOKRATES (470-399 v. Chr.) aufgegriffen, wobei er den Göttern eine Sorge um den Menschen zuspricht, die ihm hilft, sich zu perfektionieren. Zur klassischen Teleologie schließlich kann ARISTOTELES (384-322 v. Chr.) gezählt werden. Seine Schriften prägten die philosophischen Wissenschaften über Jahrtausende hinweg und werden auch heute noch rezipiert. Dessen ungeachtet, gab erst Christian WOLFF (1679-1754) der Lehre von der Zielgerichtetheit menschlichen Handelns den Namen »Teleologie«. Noch in demselben Jahrhundert kamen kritische Stimmen auf, die dieses Gedankengut vehement abwehrten. Zu den bedeutendsten dieser Philosophen zählt Jean-Jacques ROUSSEAU (1712-1778), der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Anthropologie entwarf, die im Gegensatz zu der ARISTOTELES´ und WOLFFs steht. Welche Argumente und Begriffe der ROUSSEAU´schen Lehre darauf aufmerksam machen, soll in der vorliegenden Hausarbeit geklärt werden, die im Rahmen eines Seminars über die Anthropologie und Staatstheorie Jean-Jacques ROUSSEAUs entstand. Dieses Ziel macht zunächst eine Betrachtung teleologischer Weltbilder in der politischen Ideengeschichte notwendig. ARISTOTELES und WOLFF, die dem zielgerichteten Handeln im individuellen wie politischen Bereich eine wichtige Rolle zuweisen, sollen dabei klassische Vertreter dieses Denkens darstellen. Der Fokus der Arbeit liegt darüber hinaus auf der stark modifizierten Lehre ROUSSEAUs im Zeichen der Aufklärung und deren Konsequenzen für Mensch und Staat.
Inhaltsverzeichnis
1 Teleologische Weltbilder – eine Einleitung
2 Teleologische Lehren in der Philosophie
2.1. ARISTOTELES´ klassische Teleologie
2.2. Das Streben nach »Vollkommenheit« als Naturrecht – Christian WOLFF
2.2. Das Streben nach »Vollkommenheit« als Naturrecht – Christian WOLFF
3 Die Abkehr von teleologischen Weltbildern – ROUSSEAUs neuzeitliches Denken
3.1. Der Begriff »Perfektibilität« und dessen Herleitung aus dem Naturzustand
3.2. Von individueller zu politischer Freiheit – Legitimation von Staatlichkeit
4 Konträre Rezeptionen der Teleologie in der Neuzeit – abschließende Betrachtung
5 Literaturverzeichnis
1 Teleologische Weltbilder – eine Einleitung
Die Vorstellung, dass menschliche Handlungen und natürliche Prozesse aus einem Ziel oder einem Zweck heraus bestimmt sind, hat in der Philosophie eine lange Geschichte. Sie beginnt in einfachsten Formen in der Antike, genauer mit der Literatur HOMERs, in der aus der Darstellung einer polytheistischen Götterwelt menschliche Organisationsformen wie z.B. die Familie abgeleitet werden.[1] Sophisten sehen den Menschen dann als ein Wesen, das sich gegenüber Tieren nur behaupten kann, weil es von den Göttern bestimmte Fähigkeiten geschenkt bekommen hat. Dieser Gedanke wird von SOKRATES (470-399 v. Chr.) aufgegriffen, wobei er den Göttern eine Sorge um den Menschen zuspricht, die ihm hilft, sich zu perfektionieren.[2] Zur klassischen Teleologie schließlich kann ARISTOTELES (384-322 v. Chr.) gezählt werden. Seine Schriften prägten die philosophischen Wissenschaften über Jahrtausende hinweg und werden auch heute noch rezipiert. Dessen ungeachtet, gab erst Christian WOLFF (1679-1754) der Lehre von der Zielgerichtetheit menschlichen Handelns den Namen »Teleologie«. Noch in demselben Jahrhundert kamen kritische Stimmen auf, die dieses Gedankengut vehement abwehrten. Zu den bedeutendsten dieser Philosophen zählt Jean-Jacques ROUSSEAU (1712-1778), der in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Anthropologie entwarf, die im Gegensatz zu der ARISTOTELES´ und WOLFFs steht. Welche Argumente und Begriffe der ROUSSEAU´schen Lehre darauf aufmerksam machen, soll in der vorliegenden Hausarbeit geklärt werden, die im Rahmen eines Seminars über die Anthropologie und Staatstheorie Jean-Jacques ROUSSEAUs entstand. Dieses Ziel macht zunächst eine Betrachtung teleologischer Weltbilder in der politischen Ideengeschichte notwendig. ARISTOTELES und WOLFF, die dem zielgerichteten Handeln im individuellen wie politischen Bereich eine wichtige Rolle zuweisen, sollen dabei klassische Vertreter dieses Denkens darstellen. Der Fokus der Arbeit liegt darüber hinaus auf der stark modifizierten Lehre ROUSSEAUs im Zeichen der Aufklärung und deren Konsequenzen für Mensch und Staat.
2 Teleologische Lehren in der Philosophie
Politische Ideengeschichte findet ihren wissenschaftlichen Ursprung häufig in der griechischen Antike. In diesem Punkt bildet die vorliegende Arbeit keine Ausnahme, denn gesicherte Quellen über theoretische Reflexionen zur Teleologie gehen auf ARISTOTELES zurück. Auch wenn der Philosoph den Begriff selber in seinen Schriften nicht expliziert hat, spielt die Theorie darin eine entscheidende Rolle. Das Kapitel 2.1. soll daher einen Einblick in die teleologische Lehre des Griechen geben. Dass diese die Wissenschaft über Jahrtausende hinweg maßgeblich geformt hat, wird im Kapitel 2.2. deutlich, in dem Christian WOLFFs Begriff der »Vollkommenheit« ein Beispiel für die Rezeption der aristotelischen Teleologie geben soll.
2.1. ARISTOTELES´ klassische Teleologie
Der teleologische Gedanke des antiken Philosophien spielt in verschiedenen Bereichen seiner Betrachtungen eine Rolle, wobei die Biologie den wichtigsten darstellt. Der für diese Hausarbeit interessante Gegenstand stellt das Gebiet des Anorganischen[3] dar – speziell die politische Anthropologie. Trotz ARISTOTELS´ strikter Trennung zwischen verschiedenen Wissenschaften, verwendet der Grieche Ergebnisse seiner naturwissenschaftlichen Studien für seine ethische Lehre. Dadurch kommt er zur Aufstellung der vielzitierten These, dass »der Mensch von Natur aus ein staatliches Wesen«[4] sei. Diese leitet er von Beobachtungen ab, die in seiner Schrift Historia Animalium nachvollzogen werden können: Tierarten leben allein oder in Herden. Letztere erhalten eine besondere Stellung, da aus ihnen eine weitere Untergruppe der politischen Tierarten hervorgeht. Darunter zählt er zum Beispiel Menschen, Bienen oder Ameisen. Das jedoch macht den Menschen noch nicht zu einer besonderen Gattungsform, sodass der Ausdruck »von Natur aus« allein auf biologische Ursachen zurückzuführen ist. Er erhält eine ethische Komponente in dem Sinne, dass ARISTOTELES in Politik auf rein typisch menschliche Eigenschaften aufmerksam macht: allein der Mensch besitzt Sprache und Vernunft. Damit kommt der Vergemeinschaftung des Menschen ein höherer Zweck zu als anderen politischen Lebewesen, denn »die Natur macht (...) nichts vergeblich«[5]. Während der Zweck von Bienen- oder Ameisenstaaten darin liegt, gemeinsame Tätigkeiten zu haben, findet sich der Zweck einer menschlichen Gemeinschaft in der Möglichkeit, ein gutes Leben zu führen.[6]
In der Schrift Nikomachische Ethik widmet sich ARISTOTELES ausführlich seinem Verständnis eines »guten Lebens«. Seiner Ansicht nach ist das Glück das Ziel jedes Menschen.[7] Er unterscheidet verschiedene Qualitätsstufen und behauptet, dass das höchste Glück in einer »theoretischen Lebensform« zu finden sei. Diese impliziert einen menschlichen Prozessverlauf, dessen Ziel in einer geistigen Tätigkeit liegt. Somit kann der Begriff »theoretisch« auch durch »betrachtend« ersetzt werden: Der Mensch erfährt höchstes Glück, wenn er sich der Kontemplation hingibt – der theoretischen Betrachtung von Phänomenen in der Welt. Dieses höchste Gut des Menschen kann nur erreicht werden, wenn sich der Einzelne bestimmter ethischer Tugenden befähigt.
Der komplementäre Ausdruck zur »theoretischen Lebensform« ist die »politische Lebensform«. Welcher Stufe des Glückes kann der Mensch durch eine politische Lebensform erlangen, wenn ihr höchster Grad mittels der theoretischen Form erreicht werden kann? Bei dieser Lebensform geht es um die praktische Ausführung ethischer Tugenden, die innerhalb einer sozialen Gemeinschaft gelebt werden und nur dort einen gemeinsamen Nutzen fördern können. Eindeutig weist ARISTOTELES dieser Lebensform den Rang der zweitbesten zu. Wie dies zu verstehen ist, ist in der Forschung nicht eindeutig analysiert. Wolfgang KULLMANN, Professor für klassische Philologie an der Universität Freiburg, geht davon aus, dass die politische Lebensform zur Erreichung der theoretischen beiträgt. Zudem schließe die eine Form die andere nicht aus, sodass beide phasenweise koexistieren können. Dieses Argument erscheint einleuchtend, denn das theoretisch-philosophische Leben ist nach ARISTOTELES für den Einzelnen nicht von Dauer, wenn er es einmal erreicht hat. Er kann es nur zeitweise ausleben.
Das höchste individuelle Glück der theoretischen Lebensform steht scheinbar in Kontrast zu ARISTOTELES´ Ziel seiner Reflexionen. Es geht ihm darum, Glück für eine gesamte Polis zu erreichen, nicht nur für den Einzelnen. Dieser Gegensatz hebt sich auf, wenn seine anthropologischen Argumente fokussiert werden. Beide Lebensformen basieren auf dem Gedanken, ein Gut zu erreichen, das ausschließlich dem Menschen zuteil werden kann. Aufgrund typisch menschlicher Fähigkeiten – Sprache und Vernunft – ist der Mensch von Natur aus ein Sozialwesen. Die Eigenschaften erfüllen ihren Zweck erst in einer sozialen Gemeinschaft, sodass der Staat noch »vor« dem Individuum kommen muss. Das gute Leben verwirklicht sich in der besonderen Form einer Gemeinschaft, die nur unter den Menschen entstehen kann: der Polis. Das Streben nach dem höchsten Glück ist erst in dieser möglich, da dort Rahmenbedingungen geschaffen werden, die dem Einzelnen die Erreichung des individuellen Ziels ermöglichen.
Der Staat entsteht demnach bei ARISTOTELES natürlich, da er seine Daseinsberechtigung aufgrund der Natur des Menschen erhält. Die Fähigkeit zu sprechen und rational zu denken ist im Menschen biologisch angelegt, sodass deren Zweck – kommunikativ und rational zu handeln – nur in einer Menschengemeinschaft realisiert werden kann. Das Telos eines jeden Individuums besteht folglich im Zusammenschluss mit anderen Menschen, deren Organisationsgrundlage die Polis ist.
Viele bedeutende Philosophen und politische Denker nach ARISTOTELES übernahmen diese Ansichten und führten sie weiter. Eine starke Anlehnung an dieses antike Weltbild, welches hier nur im Ansatz betrachtet werden konnte, trat Jahrhunderte später mit Christian WOLFF ein. Dieser stellte die Teleologie jedoch auf ein neuzeitliches Gedankenfundament, das im folgenden Kapitel dargestellt wird.
2.2. Das Streben nach »Vollkommenheit« als Naturrecht – Christian WOLFF
Mit dem Ausklang des Mittelalters traten im Bereich der politischen Lehre tiefgreifende Veränderungen hervor. Viele bis dahin verankerte Denkweisen wurden verworfen oder transformiert. »Neue« Lehren entstanden, die sich durch Säkularisierung und Rationalität auszeichneten und die theoretische wie praktische Politik nachhaltig beeinflussten. Radikale Veränderungen betrafen besonders die Betrachtung des Menschen, denn in den Augen vieler neuzeitlicher Philosophen ist dieser nicht dem göttlichen Wille unterworfen, sondern besitzt natürliche Rechte und handelt bewusst: das Naturrecht entstand. Auch staatliche Legitimationsargumente änderten sich von einem naturgegebenen Staatsverständnis hin zu einem künstlich entworfenen Ordnungssystem.[8]
[...]
[1] Vgl. Kullmann, Wolfgang (1991): Zum Gedanken der Teleologie in der Naturphilosophie des Aristoteles und seiner Beurteilung in der Neuzeit. In: Zum teleologischen Argument in der Philosophie. Aristoteles-Kant-Hegel. Hrsg.: Pleines, Jürgen-Eckardt. Würzburg: Königshausen und Neumann, S. 152.
[2] Vgl. ebd., S. 153.
[3] Vgl. ebd. S. 155.
[4] Aristoteles (1981): Politik. Hamburg: Felix Meiner, S. 4.
[5] Ebd., S. 4.
[6] Vgl. Jörke, Dirk (2005): Politische Anthropologie. Eine Einführung. Studienbücher Politische Theorie und Ideengeschichte, Brodocz, André (Hrsg.), 1. Aufl., Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 20f.
[7] Die folgenden Ausführungen bezüglich der politischen und theoretischen Lebensform beziehen sich auf den Aufsatz von Kullmann, Wolfgang (1995): Theoretische und politische Lebensform bei Aristoteles (X 6-9). In: Aristoteles. Die Nikomachische Ethik. Schriftenreihe Klassiker Auslegen, Bd. 2. Hrsg.: Höffe, Otfried. Berlin: Akad. Verl., S. 251-276.
[8] Vgl. DENZER, Horst (1985): Spätaristotelismus, Naturrecht und Reichsform. In: Pipers Handbuch der politischen Ideen. Band 3. Hrsg.: Fetscher, Iring (u.a.). München: R. Piper, S. 249.
- Arbeit zitieren
- Anne Waldow (Autor:in), 2007, Die Abkehr von teleologischen Weltbildern - Jean-Jacques Rousseaus modernes Denken, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72294
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