Ziel dieser Arbeit ist die Ergründung der Frage, was neu an der „neuen“ Eugenik ist. Im Mittelpunkt stehen zwei Verfahren der neuen Reproduktionstechnologien: die Pränataldiagnostik (PND) und die Präimplantationsdiagnostik (PID). Untersucht wird dabei, ob die angewandten Methoden der Medizin als eugenisch bestimmbar sind.
Die PND beinhaltet alle Vorgänge der vorgeburtlichen Untersuchungen, die der Erkennung von Krankheiten und Behinderungen des Fötus im Mutterleib dienen. Welche Erwartungen die InanspruchnehmerInnen pränataldiagnostischer Maßnahmen verfolgen, wird u. a. durch die kritische Beleuchtung eines Schwangerschaftsratgebers dokumentiert, der die Untersuchungen offensichtlich als Beruhigungsmaßnahme deklariert. Dies entspricht dem Ansinnen vieler NutzerInnen und ist im Kontext der Untersuchungen jedoch nicht leistbar.
Differenzierter Betrachtung bedarf desgleichen die PID. Ein rigoros verallgemeinertes „Ja“ oder „Nein“ ist unerreichbar. Zur Verdeutlichung dieser Komplexität wird das Konzept einer liberalen Eugenik vorgestellt. Diese Konzeption bezeugt, dass es bei den gegenwärtigen Debatten nicht mehr um einen unmoralischen eugenischen Charakter der angebotenen Methoden geht, sondern darum, wie die Leistungen gerecht einsetzbar sind. Da die PID mit einer Auswahl von „guten“ und „schlechten“ Embryonen verbunden ist, ist ein eugenischer Charakter ist für sie de facto verpflichtend.
Deutlich wird, dass den Methoden der PND und der PID eine innere eugenische Logik unterliegt, auf deren Gefahren stets verwiesen und über deren sich ständig erweiternden Aussichten immer wieder neu verhandelt werden sollte. Die Vermutung einer Doppelmoral, da Leben im Mutterleib vernichtet werden kann, die Auswahl in der Petrischale in Deutschland jedoch derzeit noch unzulässig ist, müssen geltend gemacht werden. Argumentationsführend wird eine Einschätzung zum Konformitätsdruck zu einer Inanspruchnahme vorgeburtlicher Untersuchungen absolviert. Daraus wird ein Bogen gespannt, der kennzeichnet, dass zwar die Zugangsvoraussetzungen im Gegensatz zur „alten“ Eugenik verändert sind (Freiwilligkeit/Selbstbestimmung im Gegensatz zu Zwang), deren Wahrheitswert durch die erbrachten Ausführungen jedoch fraglich wird. Anhand der Erläuterungen wird ersichtlich, dass die „neue“ Eugenik im Vergleich zur „alten“ andere, verlagerte Gefahren birgt, die stets der Diskussion bedürfen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
Kapitel I – Historischer Teil – Die „alte“ Eugenik und die „neue“ Eugenik
2. Was ist Eugenik?
2.1 Einleitung
2.2 Galtons eugenisches Konzept
2.3 Darwins Evolutionstheorie und der Sozialdarwinismus
2.4 Die These von der Degeneration der Menschheit
2.5 Die Anfänge einer eugenischen Bewegung
2.6 Die Rassenhygiene in Deutschland und die eugenischen Verbrechen im Dritten Reich
2.6.1 Die Sterilisierung Minderwertiger
2.6.2 Die Massenmorde im Namen der Euthanasie
2.7 Zusammenfassung
3. Von der „alten“ Eugenik zur „neuen“ Eugenik
3.1 Einleitung
3.2 Entwicklung von der Eugenik zur Humangenetik
3.2.1 Das eugenische Gedankengut nach 1945
3.2.2 Das CIBA-Symposium als Beispiel unveränderten Gedankenguts nach 1945
3.3 Höhepunkte der humangenetischen Wissenschaft
3.4 Das Konzept einer liberalen Eugenik – „Genetics & Justice“ von Buchanan et al.
3.4.1 Einleitung in das Konzept
3.4.2 Leitgedanken
3.4.3 Wer entscheidet, was perfekt ist?
3.4.3.1 Genetische Beratung
3.4.3.2 Was ist „wrongful life“ oder „wrongful disability”?
3.4.3.3 Was bedeutet Selbstbestimmung im Kontext reproduktiver Freiheit?
3.5 Zusammenfassung
Kapitel II – Vorstellung zweier Verfahren der neuen Reproduktionstechnologien – die Pränataldiagnostik (PND) und die Präimplantationsdiagnostik (PID)
4. Pränatale Diagnostik – eugenische Methoden im HUMANgenetischen Gewand?
4.1 Einleitung
4.2 Geschichte der Pränatalen Diagnostik
4.2.2 Der Tenor der „neuen“ Eugenik
4.2.2.1 Die deutschen Humangenetiker Wendt und Vogel
4.2.2.2 Das Postulat der Selbstbestimmung
4.3 Ziele und Möglichkeiten der Pränataldiagnostik
4.3.1 Der Triple-Test
4.3.2 Die Amniozentese
4.3.3 Die Chorionzottenbiopsie
4.3.4 Diskurs zu einigen Schwangerschaftsratgeber-Dokumenten
4.4 Zielstellungen für die Pränatale Diagnostik nach den Richtlinien der Bundesärztekammer
4.4.1 Erkennung von Störungen der embryonalen und fetalen Entwicklung
4.4.2 Durch Früherkennung von Fehlentwicklungen eine optimale Behandlung der Schwangeren und des (ungeborenen) Kindes zu ermöglichen
4.4.3 Befürchtungen der Schwangeren objektivieren (abbauen)
4.4.4 Schwangeren Hilfe bei der Entscheidung über die Fortsetzung oder den Abbruch der Schwangerschaft zu geben
4.5 Zum Problem statistischer Wahrscheinlichkeiten über komplexes menschliches Leben
4.5.1 Einleitende Gedanken zur Wahrscheinlichkeit
4.5.2 Statistische Wahrscheinlichkeiten innerhalb der Pränatalen Diagnostik
4.6 Die genetische Beratung
4.7 Wissenschaftliche Errungenschaften und die Ausweitung der Pränatalen Diagnostik
4.7.1 Der Paragraph 218a
4.7.2 Das Kind als Schaden
4.8 Fazit
5. Präimplantationsdiagnostik – Vorgelagerte Pränataldiagnostik oder optimierte Variante der medizinischen Schwangerschaftsvorsorge?
5.1 Einleitende Gedanken zur Präimplantationsdiagnostik
5.2 Das Verfahren der Präimplantationsdiagnostik
5.3 Die Rechtslage in Deutschland
5.3.1 Der moralische Status des Embryos
5.3.2 Des Kindes Rechte
5.4 Fazit
KAPITEL III – Was ist neu an der „neuen“ Eugenik? –
6. PND und PID – Methoden einer „neuen“ Eugenik?
6.1 Kritische Analyse der Zielstellungen innerhalb der Pränatalen Diagnostik hinsichtlich der eugenischen Bestimmung
6.1.1 Selektion durch Schwangerschaftsabbruch
6.1.2 Die verschiedenen Varianten der Eugenik
6.1.3 Konformitätsdruck
6.1.4 Fazit
6.2 Kritische Analyse der Präimplantationsdiagnostik hinsichtlich der eugenischen Bestimmung
6.2.1 Das Recht auf ein gesundes Kind
6.2.2 Problemskizze
6.3 Die Eugenik, die uns heute „droht“
7. Schlussbetrachtungen
Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Ziel dieser Arbeit ist die Ergründung der Frage, was neu an der „neuen“ Eugenik ist. Im Mittelpunkt stehen zwei Verfahren der neuen Reproduktionstechnologien: die Pränataldiagnostik (PND) und die Präimplantationsdiagnostik (PID). Sie bieten den Ansatzpunkt der Analyse, wobei untersucht wird, ob die angewandten Methoden der Medizin als eugenisch bestimmbar sind.
Das I. Kapitel, der Historische Teil – Die „alte“ Eugenik und die „neue“ Eugenik, leistet den geschichtlichen Einstieg in die Thematik. Der Begriff Eugenik wird nach einleitenden Worten (2.1) innerhalb des eugenischen Konzeptes ihres englischen Namensgebers Francis Galton (1822-1911) vergegenständlicht (2.2). Eugenik kennzeichnet die Verbesserung des Menschen durch die Lenkung seiner Fortpflanzung (vgl. Weingart/Kroll/Bayertz, 1988, S. 27). Galton beeinflusste die Eugenik in vielseitiger Hinsicht: Sei es die Anwendung der Bevölkerungsstatistik in Vererbungsfragen (vgl. Kühl, 1997, S. 18) oder der Gedanke einer Züchtung des Menschen durch eine definierte Auswahl von „guten“ und „schlechten“ Eigenschaften (vgl. Galton, 1910, S. 378). Anhand dieser Parameter sollten die Menschen aus Vernunftgründen eugenische Entscheidungen für oder gegen Nachwuchs treffen. „Galton ... wanted to secure voluntary acquiescence with eugenics guidelines by making eugenics a civil religion” (Buchanan et al., 2001, S. 42).
Charles Darwin (1809-1882), ein Vetter von Francis Galton, prägte das 19. Jahrhundert mit seiner Evolutionstheorie, die sich gegen den Schöpfungsglauben stellte und das letzte Loch im Säkularisierungsprozess schloss (vgl. Kappeler, 2000, S. 61). Damit wurde die Möglichkeit einer Verwissenschaftlichung des Menschen geschaffen (2.3). In der Verzahnung verschiedenster Geisteshaltungen mit vorangeschrittenem naturwissenschaftlichen Denken wurde die eugenische Bewegung erst erdenklich. Die Idee der biologischen Verbesserung des Menschen war die logische Konsequenz einer Gesellschaft, die alle sozialen Übel im Biologischen fand und den Menschen nicht mehr als von Gott geschaffen ansah und an Regelmäßigkeiten in der Vererbung von Merkmalen und Krankheiten glaubte (vgl. [u.a.] Kevles, 1995, S. 19).
In Punkt 2.4 wird die Degenerationsangst bzw. die Degenerationsthese vorgestellt, die mit der Theorie Darwins eng verknüpft ist. Sie zeigt, dass ein pessimistisches Klima in der Bevölkerung bzw. der herrschenden Klasse überwog, weil der Glauben vorherrschte, die von Darwin beschriebenen natürlichen Auslesmechanismen seien aufgrund der Zivilisation nicht mehr wirksam und die Entartung der menschlichen Rasse droht. Diese Grundstrukturen sind als ein Vorbote bzw. Nährboden der Eugenik anzusehen[1]. Die Darstellung des Zeitgeistes um 1900 in Form der Degenerationsthese ist wichtig, um nachvollziehen zu können, welche Gegebenheiten existierten, die das Klima eugenischer Bestrebungen förderten.
In Punkt 2.5 erfolgt die Hinwendung zum Beginn der Entwicklung eugenischer Bewegungen, wobei das Hauptaugenmerk in der deutschen Geschichte verwurzelt bleibt. Die Rassenhygiene, das deutsche Wort für Eugenik, und deren Verbrechen werden in 2.6 erläutert. Konkret wird in den Unterpunkten auf die Sterilisierung Minderwertiger (2.6.1) und die Massenmorde im Namen der Euthanasie (2.6.2) eingegangen. Diese Vergehen an der Menschheit führten zur Diskreditierung[2] der Eugenik.
Der 3. Punkt, Von der „alten“ Eugenik zur „neuen“ Eugenik, beschreibt im Kern die Geschichte der humangenetischen Wende. Unter dem Vorsatz der Menschlichkeit und der individuellen Selbstbestimmung sollte eine „neue“ Eugenik eingeleitet werden und größte Hoffnungen wurden in die Humangenetik und ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse gesetzt.
Nach einer Einleitung (3.1) wird die Eingliederung der Eugenik in die Humangenetik erläutert (3.2), wobei das eugenische Gedankengut nach 1945 (3.2.1) dargestellt wird. Zur Veranschaulichung werden einige führende Stimmen auf dem CIBA-Symposium „Man and his Future“ von 1962 beispielhaft für die Inhalte nach 1945 (3.2.2) herangezogen. Dienlich ist dies der Untermauerung der grundlegenden These in diesem Abschnitt, dass keine wirkliche Wende im Denken eingetreten war und sich die Besinnung auf menschliche Grundrechte aus der Diskreditierung der Eugenik ableitet. Die Diskreditierung stellt jedoch nicht den Wendepunkt von einer „alten“ Eugenik zu einer „neuen“ dar, da die Vorstellungen von einer humanen freiwilligen Eugenik bereits im Gedankengut mancher alter Eugeniker wie z.B. Galton anzutreffen sind.
Um einen Einblick in die wissenschaftlichen Errungenschaften zu erhalten, erfolgt im Punkt 3.3 die Vorstellung der Höhepunkte in der humangenetischen Wissenschaft, zu deren wichtigsten die Entdeckung der Funktionsweise der Desoxyribonukleinsäure (DNS) im Jahre 1953 durch James Watson und Francis Crick zählt, womit der Anfang einer gezielteren Überprüfung des menschlichen Erbgutes möglich wurde.
Adäquat zum vorgestellten Zeitgeist der „alten“ Eugenik im 2. Punkt erfolgt in 3.4 die Vorstellung eines Konzeptes liberaler Eugenik von Buchanan et al., welches den aktuellsten Überlegungen über Eugenik zuzuordnen ist. Die Autoren setzen sich mit dem technisch neu Möglichen oder zukünftig Möglichen auseinander und halten einen Ansatzpunkt im Umgang mit den Optionen der Wissenschaft bereit. Nach einer Einleitung in das Konzept (3.4.1) werden die Leitgedanken betrachtet (3.4.2). Auf „die Frage der genetischen Verteilungsgerechtigkeit, die im Mittelpunkt der liberalen Eugenik steht“ (Reyer, 2003, S. 172) wird dabei eingegangen. Des Weiteren wird expliziert, wer entscheiden darf, was perfekt ist (3.4.4) und was die Verfasser als „wrongful life“ oder “wrongful disability“ kennzeichnen (3.4.4.3). Die genetische Beratung wird erläutert (3.4.4.1) und zugehörig ersichtlich, was Selbstbestimmung im Kontext reproduktiver Freiheit bedeutet (3.4.4.2). Diese Ausführungen dienen als Einstieg für das Verständnis der Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik.
Die Verfahren der Pränataldiagnostik (PND) und die Präimplantationsdiagnostik (PID) werden im Kapitel II in den Blick genommen. Dabei ist ein enormes Fingerspitzengefühl vonnöten, will man sich vor vorschnellen Urteilen schützen.
Im 4. Punkt, Pränatale Diagnostik – eugenische Methoden im HUMANgenetischen Gewand?, findet die PND Darstellung. Die PND beinhaltet alle Vorgänge der vorgeburtlichen Untersuchungen, die der Erkennung von Krankheiten und Behinderungen des Fötus im Mutterleib dienen.
Nach einer Einführung in die Thematik (4.1) wird in Abschnitt 4.2 die Geschichte der PND nachgezeichnet. Die Vorstellung der Kerngedanken der PND, Selbstbestimmung und Freiwilligkeit, und ihre dazugehörigen historischen Vorläufer stehen im Vordergrund. Jeder Mensch soll frei entscheiden, welche Maßnahmen er in Anspruch nimmt. Im III. Kapitel wird in diesem Zusammenhang darüber gesprochen werden müssen, inwieweit es eine wahre Freiwilligkeit geben kann, wenn man die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen betrachtet.
Um den Tenor der „neuen“ Eugenik erfassen zu können (4.2.2), stelle ich die beiden deutschen Humangenetiker Vogel und Wendt (4.2.2.1) mit ihren zugrunde liegenden Gedanken vor. Ersichtlich wird, wie bereits bei der Vorstellung der Beiträge auf dem CIBA-Symposium (2.2.2), dass die Betonung zwar auf der Freiwilligkeit lag, der Wunsch und die Hoffnung jedoch verstärkt war, der Einzelne möge aus Vernunftgründen auf kranken Nachwuchs verzichten. Um die Strukturen zu verdeutlichen, wird eingehend das Postulat der Selbstbestimmung (4.2.2.2) betrachtet, wobei der Frage nachgegangen wird, ob eine selbst bestimmte Entscheidung in diesem Bereich möglich ist. Zahlreiche Faktoren, wie das soziale Umfeld bzw. der gesellschaftliche Druck oder die Unsicherheiten hinsichtlich der leistbaren Diagnosen unterliegen dieser Wahl, so dass es fraglich ist, von Selbstbestimmung zu sprechen. Um diese These zu untermauern, wird demonstriert, welche Möglichkeiten die Medizin im Rahmen vorgeburtlicher Untersuchungen liefert (4.3). Zu den wichtigsten Verfahren gehören der Triple-Test (4.3.1), die Amniozentese, auch genannt Fruchtwasseruntersuchung (4.3.2) und die Chorionzottenbiopsie (4.3.3).
Welche Erwartungen die Inanspruchnehmer(innen) pränataldiagnostischer Maßnahmen verfolgen, wird durch die kritische Beleuchtung eines Schwangerschaftsratgebers dokumentiert (4.3.4), der die Untersuchungen offensichtlich als Beruhigungsmaßnahme deklariert. Dies entspricht dem Ansinnen vieler Nutzer(innen) und ist im Kontext der Untersuchungen jedoch nicht leistbar, da diese der Erkennung von Krankheiten und Behinderungen dienen. Um differenziert vorgehen zu können, erfolgt ebenfalls die Vorstellung eines Ratgebers, der auf die Konsequenzen und Schwierigkeiten pränataldiagnostischer Untersuchungen verweist.
Desgleichen werfen die Zielstellungen der Bundesärztekammer (4.4) für die PND Fragen auf, die kritischer Auswertung bedürfen. Dazu gehören:
„- Störungen der embryonalen und fetalen Entwicklung zu erkennen [4.4.1], • Durch Früherkennung von Fehlentwicklungen eine optimale Behandlung
der Schwangeren und des (ungeborenen) Kindes zu ermöglichen [4.4.2], • Befürchtungen und Sorgen der Schwangeren zu objektivieren und abzubauen [4.4.3] und
- Schwangeren Hilfe bei der Entscheidung über die Fortsetzung oder den Abbruch der Schwangerschaft zu geben [4.4.4].“ (Bundesärztekammer, 2003).
Eine grundlegende Problematik ist die Unsicherheit der Diagnosen, die durch einen Exkurs über die Schwierigkeiten statistischer Wahrscheinlichkeiten in Bezug auf komplexes menschliches Leben nachgezeichnet wird (4.5). Einleitende Gedanken über Wahrscheinlichkeiten fördern zuerst das Verständnis (4.5.1), welches dann im Spannungsfeld der Aussagekraft statistischer Wahrscheinlichkeiten innerhalb der PND konkretisiert wird (4.5.2). Erläutert wird, worauf sich Risikoermittlungen, wie sie bei den meisten Testmethoden oder bei der genetischen Beratung erzielbar sind, beziehen und inwieweit daran Rückschlüsse auf das Individuum vorgenommen werden können.
Anhand der daran ersichtlich gewordenen Diskrepanzen wird dann erörtert, wie sinnvoll genetische Beratung (4.6) sein kann und welche Prämissen für ein Beratungsgespräch aufgrund dieser Schwierigkeiten erforderlich sind. Es muss gewährleistet sein, dass die Beratung non-direktiv ist, d.h. der Berater darf den Ratsuchenden in keine Richtung lenken, worin sich wiederum die Postulate Selbstbestimmung und Freiwilligkeit widerspiegeln. Die These in diesem Abschnitt ist, dass Selbstbestimmung und Freiwilligkeit zu unanfechtbaren Gütern werden, obwohl ihre Wirklichkeit nicht gewährleistet werden kann.
Die wissenschaftlichen Errungenschaften mit den dazugehörigen rechtlichen Grundlagen liefern Gründe für die Ausweitung der Inanspruchnahme der PND (4.7). Der Paragraph 218a des Strafgesetzbuches (StGB) (4.7.1) regelt die straffreie Abtreibung bei einer „medizinischen Indikation“. Den Abbruch rechtfertigt nicht allein der Befund einer schweren Behinderung, sondern das Leben der Schwangeren muss in sozialer/psychischer und/oder physischer Hinsicht gefährdet sein (vgl. Tröndle/Fischer, 2004, S. 1401). Ausdehnung bewirkten ebenfalls eine Reihe von Gerichtsurteilen, genannt „Das Kind als Schaden“ (4.7.2), die gehäuft in den 1980er Jahren gefällt wurden. In diesem Kontext verklagten Eltern eines behinderten Kindes den Arzt, da er nicht ausreichend auf die Gefahr einer Behinderung hingewiesen habe und nicht konkret zu pränataldiagnostischen Untersuchungen motivierte, um das Risiko eines behinderten Kindes auszuschließen. Die Gerichte verlangten Schadensersatz in Form von Unterhaltszahlungen (vgl. Degener, 1992, S. 188).
Die Präimplantationsdiagnostik (PID) findet im Punkt 5 Betrachtung. Innerhalb der PID erfolgt eine Auswahl der geschädigten, kranken Embryonen außerhalb des Mutterleibes und es werden nur die Embryonen verpflanzt, die keine Normabweichungen aufweisen. Von ihren Befürwortern wird sie als präzisierte oder sicherere Methode der Pränataldiagnostik gefeiert, da den Betroffenen dadurch die leidvolle Erfahrung des Schwangerschaftsabbruches erspart bleiben kann. Darum wird ihre Legalisierung für Hochrisikoklientel gefordert (vgl. Graumann, 2001, S. 108). Inwieweit dieses Argument geltend gemacht werden kann, soll neben anderen Aspekten erörtert werden. Dazu werfe ich allgemeine Fragen im Kontext der PID auf (5.1), die sich dann in der Erläuterung des Verfahrens der PID (5.2) und deren Berechtigung als vorgezogene PND konkretisieren. Des Weiteren verweise ich auf die Rechtslage in Deutschland (5.3), im Rahmen derer die Vorstellung der Sichtweisen über den moralischen Status des Embryos (5.3.1) und die Aushandlung über die Rechte des Kindes (5.3.2) verpflichtend sind. In Deutschland ist die PID derzeit (noch) verboten, warum die Ausführungen im Gegensatz zur PND kürzer gehalten sind. In Punkt 5.4 werden abschließend die Probleme der PID skizziert und zusammenfassend dargestellt.
Kapitel III bietet dann die Aufbereitung, Auswertung und Zusammenfassung der vorangegangenen Kapitel, d.h. die konkrete Analyse, was neu an der „neuen“ Eugenik am Beispiel der PND und der PID ist. Im inne liegenden 6. Punkt, PND und PID – Methoden einer „neuen“ Eugenik?, erfolgt die Analyse über den eugenischen Charakter der im Kapitel II vorgestellten Verfahren und Problembereiche in Anlehnung an die Begriffsbestimmung im Kapitel I.
Anhand der vorgestellten Komplikationen, die sich im Bereich der PND ansiedeln, wird der eugenische Charakter eruiert (6.1). Bestimmt wird dieser anhand der Selektionen durch den Schwangerschaftsabbruch bei einem auffälligen Befund (6.1.1). Um eine eugenische Wirkung systematisch zu untersuchen, werden im Punkt 6.1.2 die verschiedenen Varianten der Eugenik nachgezeichnet. Argumentationsführend wird in 6.1.3 eine Einschätzung zum Konformitätsdruck zu einer Inanspruchnahme vorgeburtlicher Untersuchungen absolviert. Daraus wird ein Bogen gespannt, der kennzeichnet, dass zwar die Zugangsvoraussetzungen verändert sind (Freiwilligkeit/Selbstbestimmung im Gegensatz zu Zwang), deren Wahrheitswert durch die erbrachten Ausführungen jedoch fraglich wird.
In 6.2 wird die PID mit ihrer dahinterstehenden eugenischen Logik präzisiert. Es wird erörtert, ob es ein Recht auf ein gesundes Kind geben kann (6.2.1) und anschließend werden die Problematiken der PID skizziert (6.2.2). Grundlegend ist dabei die Frage, ob eine genetische Intervention im Gegensatz zu umfeldbedingten Sozialisationsmomenten abzulehnen ist.
Abschließend wird kenntlich gemacht, welche Eugenik uns heute „droht“ (6.3) und inwieweit die postulierten Veränderungen innerhalb der Humangenetik einen selbst bestimmten und freiwilligen eugenischen Umgang gewährleisten können.
Mit einer Schlussbetrachtung, die mit einer persönlichen Einschätzung der komplexen Thematik verbunden ist, endet die Diplomarbeit.
Die Methode der Arbeit gestaltet sich auf Basis der interpretativen Textanalyse, da die Bearbeitung auf der Auswertung schriftlicher Quellen beruht. Bei der Beschreibung der „alten“ Eugenik im Kapitel I beispielsweise bediene ich mich dieses Instrumentes, da sich die Betrachtung auf historische Texte stützt, wobei im Mittelpunkt die Werke von Francis Galton Genie und Vererbung (1910) sowie von Charles Darwin Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl (1883) stehen. Dazu wird in großem Umfang Sekundarliteratur herangezogen. Des Weiteren werden schriftliche Quellen unterschiedlichster Couleur zur Verfassung der gesamten Diplomarbeit verwendet.
Am Anfang eines Punktes erfolgt bis auf Punkt 6 eine Einleitung und am Ende steht eine Zusammenfassung oder ein Fazit. Eine Zusammenfassung kennzeichnet die einfache verkürzte Wiedergabe des vorgestellten Stoffes, während ein Fazit darüber hinaus Fragen und kritische Anmerkungen aufwirft. Beim 6. Punkt leistet dies die Erörterung der Frage, welche Eugenik uns heute „droht“.
Um die formalen Feinheiten klarzustellen, muss erwähnt werden, dass m.E. wichtig hervorzuhebende Termini kursiv gedruckt sind. Eine kursive Schreibweise erfolgt auch bei den Titeln von Dokumenten im Text. Einfügungen von meiner Seite in Zitaten sind mittels eckiger Klammern gekennzeichnet. Geht es um die Lesbarkeit, ist nicht auf die Einfügung verwiesen, bei Anmerkungen oder Hervorhebungen ist dies innerhalb der eckigen Klammer durch [Anmerkung K.L] oder [Hervorhebung K.L.] verdeutlicht. Handelt es sich um fragwürdige Bestimmungen, wie „schlechte Erbanlagen“, kennzeichnen die Anführungsstriche, dass es sich um individuell aushandelbare und nicht konsensfähige Zuschreibungen handelt.
Kapitel I – Historischer Teil – Die „alte“ Eugenik und die „neue“ Eugenik
„Mit ihr [der biologischen Revolution, Anmerkung K.L.] wird sich unwiderruflich konkretisieren, was seit Beginn des 19. Jahrhunderts unaufhaltsam vorangetrieben wird: eine Bio-Macht, in der sich zum erstenmal in der Geschichte das Biologische im Politischen reflektiert.“
(Treusch-Dieter, 1990, S. 191)
2. Was ist Eugenik?
Die Geschichte der Eugenik reicht bis in die Antike zurück und ergibt ein facettenreiches Bild. Allen Facetten gemeinsam ist die Vorstellung von der Verbesserung der Menschheit anhand ihres genetischen Erbes, wobei „Die Kontrolle der menschlichen Sexualität und die Steuerung der Fortpflanzung … das durchgängige Thema.“ (Weingart/Kroll/Bayertz, 1988, S. 27) ist. Diese Lenkung der menschlichen Fortpflanzung soll anhand bestimmter erwünschter Eigenschaften eine gezielte Auswahl unter den Menschen treffen, die sich fortpflanzen dürfen (vgl. Kevles, 1995, S. 20).
[...]
[1] „In dieser Verankerung der Degenerationsangst sowohl in der Geistesgeschichte als auch im »Zeitgeist« kann eine entscheidende Voraussetzung für die Resonanz gesehen werden, die eugenische Gedanken fanden.“ (Weingart/Kroll/Bayertz, 1988, S. 67).
[2] Diskreditierung bedeutet „um den guten Ruf bringen, dem Ansehen schaden“ (Das große Fremdwörterbuch, 1999, S. 175).
- Arbeit zitieren
- Diplom-Pädagogin Katrin Lange (Autor:in), 2005, Die Eugenik bei der Pränataldiagnostik und der Präimplantationsdiagnostik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72284
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