Als Maggie Thatcher 1979 an die Regierung kommt befindet sich der britische Wohlfahrtsstaat, der sich auf einen fast drei Jahrzehnte bestehenden Konsens stützen konnte, in einer schweren Krise.
Wie andere Industrieländer auch, hatte es Großbritannien in dieser Zeit mit schweren ökonomischen Problemen zu tun.
Auch der soziale Sektor blieb davor nicht verschont, denn wie sich in den meisten europäischen Staaten zu dieser Zeit beobachten ließ, stiegen die Kosten des britischen Wohlfahrtsstaates stetig an.
Der allgemein akzeptierte Konsens über die Vollbeschäftigung, entwickelte sich nun zu einem großen Nachteil. Die Gewerkschaften kämpften erbittert gegen jede Form von Rationalisierung, weil sie nicht den sich daraus ergebenden Marktvorteil sahen, sondern nur den zeitweiligen Verlust an Arbeitsplätzen. Die katastrophale Situation in der sich die britische Ökonomie zu diesem Zeitpunkt befand, ließ eines der Hauptprobleme unübersehbar werden: Die mächtige Stellung, die sich die Gewerkschaften über die Jahrzehnte hinweg erworben hatten. Denn die britischen Trade Unions vertraten einen ihrer Standpunkte vehement.
Auch in den Sozialsystemen sollte die „Englische Krankheit“ wirksam bekämpft werden. Dass man damit den in der Gesellschaft herrschenden Konsens eines wohlfahrtsstaatlichen Großbritannien in Frage stellte, spielte nur eine untergeordnete Rolle. Ähnlich wie auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik, sollten durch einen radikalen politischen Kurswechsel die Probleme die innerhalb des modernen Wohlfahrtsstaates entstanden waren, gelöst werden. Eines dieser Probleme war beispielsweise die enorme Kostenexplosion in den gesamten Bereichen des Sozialsystems, unter der auch andere europäische Sozialsysteme zu leiden hatten.
Wie nun speziell die Regierung Margaret Thatchers versuchte die gewaltigen Probleme zu lösen, die sich ihr innerhalb der Sozialpolitik stellten und welche Auswirkungen die sozialpolitischen Reformen hatten, soll anhand zweier ausgesuchter Bereiche der britischen Sozialpolitik untersucht werden.
Gliederung
1. Der „Welfare consensus“ und die Entstehung des britischen Wohlfahrtsstaates
2. Die ökonomische Krise der siebziger Jahre und ihre Auswirkungen
3. Der Aufstieg Margaret Thatchers
4. Der Charakter des Thatcherismus
5. Auswirkungen des Thatcherismus auf die britische Sozialpolitik
5.1. Der National Health Service (NHS)
5.1.1. Fazit
5.2. Wohnungspolitik
5.2.1. Fazit
6. Eine kurze Bilanz
7. Literaturverzeichnis
1. Der „Welfare consensus“ und die Entstehung des britischen Wohlfahrtsstaates
1945 - die Labour-Party zog völlig überraschend mit einer überwältigenden Mehrheit von über 150 Sitzen in das britische Unterhaus ein. Die Wahl von 1945 beendete damit nicht nur die Epoche des erfolgreichen und beliebten „Kriegspremiers“ Winston Churchill, sie läutete damit gleichzeitig auch die Geburt des britischen Wohlfahrtsstaates ein.
Die Anfänge der modernen britischen Wohlfahrtspolitik gehen zurück auf den so genannten „Beveridge-Report“, den William H. Beveridge, Vorsitzender einer Regierungskommission, 1942 dem damaligen Premier Churchill vorlegte.
Der Bericht „Social Insurance and Allied Services“ sollte Wege zur Bekämpfung von Bedürftigkeit, Unbildung, Krankheit, Verwahrlosung und Arbeitslosigkeit aufzeigen und erfreute sich größter Popularität in der britischen Bevölkerung.
Kernpunkt des Berichts war die Einführung einer allgemeinen Zwangsversicherung, die eine finanzielle Lebenssicherung garantieren sollte. Darüber hinaus wurde das von Beveridge entworfene soziale System durch die Zahlung von Kindergeld, die Errichtung eines allgemeinen, nationalen Gesundheitsdienstes und die Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung komplimentiert.
Die britische Arbeiterpartei unterstützte den Beveridge-Plan, was ihr große Sympathien bei den Bürgern einbrachte. Die konservative Partei hingegen, allen voran der Premierminister Winston Churchill, hielt die Vorschläge, die von der Regierungskommission gemacht worden waren, für nicht in reale Politik übertragbare Illusionen. Obwohl im Laufe des Jahres 1944 Absichtserklärungen von der Regierung verabschiedet wurden, die weitgehend mit den sozialen Plänen Beveridges übereinstimmten, gingen sie der Arbeiterpartei und der britischen Bevölkerung nicht weit genug. Gleichzeitig wuchsen die Konflikte in der Kriegskoalition zwischen den Konservativen und der Labour-Party. Am 20. Mai 1945 schließlich, verließ die Arbeiterpartei die Koalitionsregierung und Winston Churchill musste Neuwahlen ausschreiben. Entgegen allgemeinen Erwartungen, ging die Labour-Party mit einer überwältigenden Mehrheit aus dieser Wahl hervor und im Juli 1945 wurde eine Labour-Regierung unter dem Vorsitzenden Clement Attlee gebildet. Die britische Arbeiterpartei hatte sich im Wahlkampf die Umsetzung des Beveridge-Reports auf ihre Fahnen geschrieben und begann nun damit, die entsprechenden Gesetze zu verabschieden. Den National Health Service Act 1945, mit dem ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem geschaffen wurde und der den Mittelpunkt der wohlfahrtsstaatlichen Vision Beveridges darstellte. Oder den Housing Act von 1946, der einen sozialen Wohnungsbau ermöglichte . Dazu kamen noch weitere Bestimmungen, wie zum Beispiel die family allowances, ein Kindergeld, welches direkt an die Mütter ausgezahlt wurde oder die Einführung eines Systems der sozialen Sicherung, für die Fälle, in denen es dem Empfänger wegen Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder aus Altersgründen nicht möglich war, am Arbeitsmarkt teilzunehmen. Dieses System wurde unter dem Namen National Insurance bekannt. Das so genannte National Assistance, sollte die Restabsicherung der Menschen übernehmen. Mit all diesen Maßnahmen legte die Labour-Regierung den Grundstein für den britischen Wohlfahrtsstaat. Aus dem Solidaritätsgefühl des warfare state, war ein welfare state geworden, dessen allgemeingültiger Konsens in der Bevölkerung, die nächsten drei Jahrzehnte lang halten sollte.[1]
2. Die ökonomische Krise der siebziger Jahre und ihre Auswirkungen
Der britische Wohlfahrtsstaat, der sich auf einen fast drei Jahrzehnte bestehenden Konsens stützen konnte, geriet in den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts in eine schwere Krise.
Wie andere Industrieländer auch, hatte es Großbritannien in dieser Zeit mit schweren ökonomischen Problemen zu tun. Allen voran mit dem wirtschaftlichen Phänomen der Stagflation hatte die britische Ökonomie außerordentlich hart zu kämpfen. Es bedeutet nämlich, dass die Arbeitslosenquote eines Landes sich auf einem hohen Niveau befindet und trotzdem noch schnell und stetig weiter ansteigt. Für Großbritannien hieß das beispielsweise, dass die Zahl der Arbeitslosen Anfang der achtziger Jahre zwischen 13% und 20% betrug. Zusätzlich herrscht eine hohe Inflation, was für die britische Wirtschaft eine Inflationsrate von 10%-20% in diesen Jahren der Krise bedeutete. Und obwohl dieses Phänomen ein weit verbreitetes unter den Nationen war, hatte das Vereinigte Königreich unter den stärksten Auswirkungen zu leiden. Dazu kamen allerdings noch weitere gravierende wirtschaftliche Probleme.
Die britische Wirtschaft litt unter einem Defizit an Produktivität und Investitionen, was bedeutete, dass sie zu wenig produzierte und exportierte, weil sie im internationalen Vergleich zu teuer war. Stattdessen allerdings importierte sie zuviel und hatte ein starkes Übergewicht der Staatsausgaben in allen Sektoren aufzuweisen. Auch der soziale Sektor blieb davor nicht verschont, denn wie sich in den meisten europäischen Staaten zu dieser Zeit beobachten ließ, stiegen die Kosten des britischen Wohlfahrtsstaates stetig an.
Das Wirtschaftswachstum Großbritanniens war zu gering und seine Zahlungsbilanz war chronisch defizitär. Außerdem herrschte eine Kapitalflucht der wohlhabenden Bevölkerungsschichten, denn die Steuersätze lagen bei bis zu 80% der Einkommen und bis zu 98% auf Gewinne aus Investitionen. Die Staatsquote lag bei knapp über 50%, höher als bei jedem anderen europäischen Land. Unwirtschaftlich arbeitende Staatsunternehmen, wurden aus dem Staatshaushalt unterstützt. Immer mehr Geld der britischen Steuerzahler wurde für die Sanierung maroder Staatsbetriebe ausgegeben, anstatt für Neuinvestitionen verwendet zu werden.
Der allgemein akzeptierte Konsens über die Vollbeschäftigung, entwickelte sich nun zu einem großen Nachteil. Die Gewerkschaften kämpften erbittert gegen jede Form von Rationalisierung, weil sie nicht den sich daraus ergebenden Marktvorteil sahen, sondern nur den zeitweiligen Verlust an Arbeitsplätzen. Die katastrophale Situation in der sich die britische Ökonomie zu diesem Zeitpunkt befand, ließ eines der Hauptprobleme unübersehbar werden: Die mächtige Stellung, die sich die Gewerkschaften über die Jahrzehnte hinweg erworben hatten. Denn die britischen Trade Unions vertraten einen ihrer Standpunkte vehement. Steigende Preise verlangten ihrer Meinung nach, auch nach steigenden Löhnen. Und so setzten sie durch, dass die Löhne in den Jahren von 1975-1980 um 100% anstiegen. Allerdings führte dieses Verhalten zu einer sich stetig schneller drehenden Preisspirale. Denn durch die gesteigerte Kaufkraft, zogen die Preise immer weiter an, so dass sich die Löhne zum größten Preistreiber entwickelten.
Die Trade Unions konnten nicht, wie zum Beispiel in Deutschland, durch das Arbeitsrecht diszipliniert werden. Die Arbeitsbeziehungen hatten vielmehr einen privatrechtlichen Charakter, was auch bereits verhandelte Tarifabschlüsse in einem viel geringeren Maße bindend für die Tarifparteien machte. Außerdem mussten die Gewerkschaften ihre Streiks nicht durch eine Urabstimmung von der Belegschaft legitimieren lassen, was dazu führte, dass in den 1960ern fast 95% aller Streiks, so genannte „Wilde Streiks“ waren. Zusätzlich gab es in der Gewerkschaftsbewegung noch flying pickets. Dies waren wandernde Streikposten, die von Betrieb zu Betrieb zogen, um dort die Arbeitsniederlegung zu organisieren. Doch der wichtigste Grund für die mächtige Stellung der Gewerkschaften war das Prinzip des closed shop. Es bedeutete nämlich, dass die Mitgliedschaft in der entsprechenden Gewerkschaft, die Voraussetzung für die Beschäftigung des einzelnen Arbeiters darstellte. Generell stand die Gewerkschaft im Mittelpunkt, der Einzelne zählte nichts und hatte auch keine Rechte. Die Auseinandersetzungen zwischen dem britischen Staat und den Gewerkschaften, wurden im Laufe der siebziger Jahre immer radikaler und brutaler geführt und kosteten die einzelnen Regierungen viele Sympathien.
Aber nicht zuletzt diese Konflikte, sollten zum Aufstieg einer Frau führen, die unter der Bezeichnung „Eiserne Lady“, auch und vor allem den Gewerkschaften gegenüber, in die Geschichte eingegangen ist.[2]
3. Der Aufstieg Margaret Thatchers
Margaret Hilda Thatcher wird 1925 in Grantham geboren und wächst in einem von victorianischen Werten geprägten Elternhaus auf. Sie studiert an der Universität Oxford Chemie und ist von 1947 bis 1951 in der Forschung tätig. Nach einem Jurastudium, lässt sie sich 1953 als Anwältin nieder. Nach ihrem Eintritt in die Konservative Partei Großbritanniens, wird sie 1959 ins Unterhaus gewählt. Unter Premierminister Macmillan ist sie von 1961 bis 1964 Staatssekretärin im Renten- und Versicherungsministerium. Als Edward Heath 1970 die Wahl gewinnt, macht er sie zur Ministerin für Erziehung und Wissenschaft. Mit der Abschaffung der kostenlosen Schulmilch, löst Maggie Thatcher Proteststürme in der Bevölkerung aus.
Heath schreibt sich die Reform der Arbeitsbeziehungen und der Wirtschaftspolitik ganz oben auf seine Agenda und unternimmt mit dem Industrial Relations Act, einen ersten Versuch die mächtige Stellung der Gewerkschaften zu brechen. Nach diesem Gesetz müssen alle Gewerkschaften interne demokratische Strukturen einführen und sich offiziell registrieren lassen. Allerdings scheitert dieser erste Schritt. Denn nur knapp 10% der Gewerkschaften lassen sich registrieren und somit wird das Gesetz einfach nicht vollzogen. 1974 erleidet die Konservative Partei eine Wahlniederlage, infolge dessen, Maggie Thatcher Edward Heath die Parteiführung streitig macht und schließlich im Februar 1975 nach einer Kampfabstimmung den Vorsitz der Konservativen Partei übernimmt. Vier Jahre lang führt sie nun ihre Partei in der Opposition. Die britische Arbeiterpartei trägt jetzt wieder die Regierungsverantwortung und der neue Premierminister Harold Wilson setzt, trotz des sichtbaren wirtschaftlichen Niedergangs, ganz auf die Wahrung des gesellschaftlichen Konsensus. Man beschließt den Social Contract, der bei den Gewerkschaften zu Lohnzurückhaltung und ein gewisses Maß an Berechenbarkeit führen soll, und nimmt dafür im Gegenzug den Industrial Relations Act zurück. 1976 wird James Callaghan der Nachfolger Wilsons im Amt des Premierministers und setzt erste Einsparungen im öffentlichen Budget durch. Außerdem versucht er erste Ansätze einer monetaristischen Wirtschaftspolitik zu betreiben. Dies wurde nötig, da Großbritannien auf Grund seiner desolaten wirtschaftlichen Situation einen Kredit des IWF benötigte und dieser als Bedingung, eine konsequente Sparpolitik und die Senkung aller öffentlichen Ausgaben forderte. Doch hat Callaghan größte Schwierigkeiten, gerade gegen die Widerstände in seiner eigenen Partei, den neuen wirtschaftspolitischen Kurs durchzusetzen. Am 28. März 1979 verliert die Labour-Partei eine Vertrauensabstimmung und muss Neuwahlen ausschreiben. Diese können die Konservativen gewinnen und Margaret Thatcher wird die erste Premierministerin Großbritanniens.[3]
[...]
[1] Vgl. Metz, Karl H.: Niedergang und Aufstieg der Zwei Nationen. Entwicklung und Krise des britischen Wohlfahrtsstaates im 20. Jahrhundert, in: Kocka, Jürgen/Puhle, Hans-Jürgen/Tenfelde, Klaus (Hrsg.): Von der Arbeiterbewegung zum modernen Sozialstaat. Festschrift für Gerhard A. Ritter zum 65. Geburtstag, München/New Providence/London/Paris 1994, S. 768ff; Mergel, Thomas: Großbritannien seit 1945, Göttingen 2005
[2] Vgl. Mergel, Thomas: Großbritannien seit 1945, Göttingen 2005; Lowe, Rodney: The Welfare State in Britain since 1945, London 1993, S. 300f
[3] Vgl. Riddell, Peter: The Thatcher Era. And its legacy, Cambridge/Oxford 1991, S. 1f; Mergel, Thomas: Großbritannien seit 1945
- Arbeit zitieren
- Jasmin Gally (Autor:in), 2005, Das Erbe des Thatcherismus und seine Auswirkungen auf die Sozialpolitik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72270
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