Die Entwicklung von Städten, Stadtteilen oder Quartieren sowie ihrer Bevölkerung ist seit längerem im Diskurs des politischen Geschehens in Deutschland. Mit dem sich beschleunigenden Strukturwandel moderner Gesellschaften im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts haben sich die Rahmenbedingungen in den Städten und Gemeinden nachhaltig verändert. Die aktuell ökonomischen, demographischen und sozialen Veränderungen gehen mit Konsequenzen für nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche einher. Dieser wirtschaftliche und
gesellschaftliche Umbruch macht sich besonders in einer neuen Art der Verteilung der Bevölkerung innerhalb des Stadtgefüges bemerkbar und zieht eine soziale Ungleichheit nach sich, die gegenüber den bisher bekannten Formen eine neue Dimension erreicht hat. Das Stadtbild ist gekennzeichnet durch eine stärkere Trennung reicher und armer Wohngebiete und einer damit einhergehenden Spaltung, d.h. dass die soziale Ungleichheit zunehmend räumlich differenziert in Erscheinung tritt und sich Gebiete herauskristallisieren, die aufgrund ihrer Problemsituation von der gesamtgesellschaftlichen und gesamtstädtischen Entwicklung weitgehend abgekoppelt sind. Diese als Segregation bezeichnete soziale Ausgrenzung benachteiligter Bevölkerungsgruppen hat bei weitem noch nicht die Ausmaße erreicht, wie sie in den französischen Vororten oder den Ghettos amerikanischer Städte vorzufinden sind.
Ziel dieser Arbeit ist es am Beispiel des Quartiersmanagements-
Oberschöneweide herauszuarbeiten, wie die Bewohner eines problembeladenen Stadtteils in die positive Entwicklung einbezogen werden können und müssen und anhand dessen eine Bewertung zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Programms vorzunehmen. Dafür ist es notwendig, den Entstehungsprozess von Problemgebieten darzustellen, um den Hintergrund, den Anlass und die Zielsetzung des Quartiersmanagement-Programms nachzuvollziehen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung
1.3 Methodisches Vorgehen und Aufbau der Arbeit
2 Konflikte und Problemlagen in der Stadt
2.1 Einführung
2.2 Soziale Ausgrenzung und Segregation
2.2.1 Soziale Ausgrenzung
2.2.2 Segregation
2.3 Benachteiligte Stadtteile
2.3.1 Ursachen
2.3.2 Herausbildung und Folgen
3 Bund-Länder-Programm Die Soziale Stadt
3.1 Gebiete mit besonderem Entwicklungsbedarf
3.2 Programminhalte und -strukturen
3.3 Der Schwerpunkt: Aktivierung und Beteiligung
3.3.1 Aktivierung
3.3.2 Beteiligung
3.4 Das Berliner Quartiersmanagement
3.4.1 Die Quartiersmanagement-Gebiete
3.4.2 Funktionsweise
3.4.3 Finanzierungsgrundlage
3.4.4 Ziele und Aufgaben
4 Das Gebiet Köpenick-Oberschöneweide
4.1 Beschreibung des Gebietes
4.1.1 Stadträumliche Lage
4.1.2 Historischer Überblick
4.1.3 Entwicklung des Gebietes
4.1.4 Defizite und Probleme im Gebiet
4.2 Das Gebiet wird zum Sanierungsgebiet
4.2.1 Sanierungsziele und bisherige Maßnahmen
4.2.2 Wirksamkeitsgrenzen
5 Das Quartiersmanagement Oberschöneweide
5.1 Initiierung des Quartiersmanagements Oberschöneweide
5.2 Gebietsspezifische Ziel- und Aufgabenstellung
5.2.1 Wohnen und Wohnumfeld
5.2.2 Bildung und Erziehung
5.2.3 Arbeit und Gewerbe
5.2.4 Integration und Zusammenleben
5.2.5 Bewohnerbeteiligung
5.3 Der Schwerpunkt der Bewohnerbeteiligung und -aktivierung
5.3.1 Vorbemerkungen
5.3.2 Umsetzung im Quartiersmanagement Oberschöneweide
5.3.2.1 Handlungsfeld Wohnen und Wohnumfeld
5.3.2.2 Handlungsfelder Bildung und Erziehung, Arbeit und Gewerbe
5.3.2.3 Handlungsfeld Integration und Zusammenleben
5.3.2.4 Handlungsfeld Bewohnerbeteiligung
5.3.2.5 Öffentlichkeitsarbeit
5.3.3 Grenzen der Bewohneraktivierung
5.3.4 Bewertung
6 Fazit
6.1 Ansatzpunkte für das Quartiersmanagement Oberschöneweide
6.1.1 Bessere Vernetzung von Schulen und Kindertagesstätten
6.1.2 Quartierszentrum
6.1.3 Bürgermoderator
6.1.4 Weitere Empfehlungen
6.2 Zusammenfassung und Ausblick
Quellenverzeichnis
Anhang
Abbildungen
Übersicht über Projekte
Umfragen
1 Einleitung
1.1 Problemstellung
Die Entwicklung von Städten, Stadtteilen oder Quartieren sowie ihrer Bevölke- rung ist seit längerem im Diskurs des politischen Geschehens in Deutschland. Mit dem sich beschleunigenden Strukturwandel moderner Gesellschaften im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts haben sich die Rahmenbedingungen in den Städten und Gemeinden nachhaltig verändert.1 Die aktuell ökonomischen, demographischen und sozialen Veränderungen gehen mit Konsequenzen für nahezu alle gesellschaftlichen Bereiche einher. Dieser wirtschaftliche und gesellschaftliche Umbruch macht sich besonders in einer neuen Art der Vertei- lung der Bevölkerung innerhalb des Stadtgefüges bemerkbar und zieht eine soziale Ungleichheit nach sich, die gegenüber den bisher bekannten Formen eine neue Dimension erreicht hat. Das Stadtbild ist gekennzeichnet durch eine stärkere Trennung reicher und armer Wohngebiete und einer damit einherge- henden Spaltung, d. h. dass die soziale Ungleichheit zunehmend räumlich dif- ferenziert in Erscheinung tritt und sich Gebiete herauskristallisieren, die auf- grund ihrer Problemsituation von der gesamtgesellschaftlichen und gesamtstäd- tischen Entwicklung weitgehend abgekoppelt sind.2 Diese als Segregation bezeichnete soziale Ausgrenzung benachteiligter Bevölkerungsgruppen hat bei weitem noch nicht die Ausmaße erreicht, wie sie in den französischen Vororten oder den Ghettos amerikanischer Städte vorzufinden sind.3 Dennoch ist der Handlungsbedarf offensichtlich, will man der Abwärtsentwicklung in Stadttei- len mit hoher Problemkonzentration wirksam entgegenwirken. In den letzten dreißig Jahren geschah dies mit einer Abfolge politischer Städtebauförde- rungsprogramme, die mit ihrem primär baulich-orientierten Ansatz die Bausub- stanz erneuerten, den sozialen Abstieg der Quartiersbevölkerung jedoch nicht aufhalten konnten.4 Man kam zu der Einsicht, dass sich die Abwertungsprozes- se in den betroffenen Gebieten ohne eine koordinierte Anstrengung von Politik, Verwaltung und Wirtschaft sowie der Bewohnerschaft und anderen lokal enga- gierten Akteuren weiter verstärken würde. Mit dieser Erkenntnis wurde 1999 das Bund-Länder-Programm Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die Soziale Stad, ( kurz Soziale Stadt) eingerichtet.5 Mit dem Ziel der Abwärts- entwicklung in den problembeladenen Quartieren vor allem durch die Integra- tion und Partizipation der dort lebenden Bevölkerung zu begegnen, wurde eine neuer, sozialorientierter Ansatz in der Stadtentwicklungspolitik geschaffen.6 In diesem Rahmen ist auch die Entwicklung und Einrichtung des Quartiersma- nagement-Programms 1999 in Berlin einzuordnen. In mittlerweile 23 verschie- denen Gebieten, unter anderem in Oberschöneweide wurde das Quartiersmana- gement-Verfahren installiert mit dem Anspruch die Wohn- und Lebensqualität zu verbessern und zu stabilisieren. Man ist sich bewusst, dass nur bei ausrei- chend breiter Akzeptanz, Mithilfe und Eigeninitiative eine Stabilisierung und Aufwertung dieser besonders benachteiligten Quartiere gelingen kann. Aus diesem Grund liegt der Schwerpunkt auf der möglichst breiten Beteiligung und Aktivierung der Bewohner7, was zugleich als Voraussetzung für den Erfolg des Programms gesehen wird.8
1.2 Zielsetzung
Ziel dieser Arbeit ist es am Beispiel des Quartiersmanagements- Oberschöneweide herauszuarbeiten, wie die Bewohner eines problembeladenen Stadtteils in die positive Entwicklung einbezogen werden können und müssen und anhand dessen eine Bewertung zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Programms vorzunehmen. Dafür ist es notwendig, den Entstehungsprozess von Problemgebieten darzustellen, um den Hintergrund, den Anlass und die Ziel- setzung des Quartiersmanagement-Programms nachzuvollziehen.
1.3 Methodisches Vorgehen und Aufbau der Arbeit
Es erfolgt zunächst eine Literaturanalyse, um sich einen Überblick über die Problemlagen in der Stadt und den sich daraus ergebenden Handlungsbedarf für die Stadtpolitik zu verschaffen. Anschließend wird das Bund-Länder- Programm Die Soziale Stadt und das Quartiersmanagement-Programm in Berlin vorgestellt. In einem weiteren Schritt wird dann ausgehend von einer kurzen Vorstellung des zu untersuchenden Gebietes konkret am Quartiersmanagement Oberschöneweide untersucht, inwieweit die dort lebende Bevölkerung in den Prozess der Stadtteilentwicklung integriert wird.
Die wissenschaftliche Herangehensweise an diese Arbeit ist demnach zum einen durch die theoretische Analyse gekennzeichnet. Es werden möglichst unterschiedliche Literaturquellen (Lehrbücher, Studien, Fachtagungsberichte, Fachzeitschriften, Tageszeitungen), mündliche Auskünfte sowie Internetquel- len herangezogen und ausgewertet. Dadurch sollen Zusammenhänge und Systematisierungen zu den Themen herausgearbeitet sowie Schlussfolgerungen für die Initiierung des Quartiersmanagement-Verfahrens gezogen werden. Zum anderen wird die praktische Umsetzung in dem zu untersuchenden Gebiet anhand ausgewählter Projekte und einer Bürgerbefragung aufgezeigt.
Das erste Kapitel, stellt die Problematik der zunehmenden sozialräumlichen Polarisierung innerhalb der Städte kurz dar und skizziert die sich daraus ergebenen Veränderungen. Das methodische Vorgehen und der Aufbau der Arbeit sind ebenfalls Inhalte des ersten Kapitels.
Im Kapitel zwei wird detaillierter auf die sozialräumliche Polarisierung und wie sich das Phänomen der Segregation und der sozialen Ausgrenzung erklären lässt eingegangen. Es werden Ursachen und Auswirkungen beschrieben, um zu einem umfassenden Bild der Prozesse zu kommen und den Handlungsbedarf innerhalb der Stadtentwicklung zu verdeutlichen.
Das Bund-Länder-Programm Die Soziale Stadt, sowie das im Zuge dessen parallel dazu initiierte Verfahren des Berliner Quartiersmanagement sind Ge- genstand des dritten Kapitels. Nach einer kurzen Darlegung der Programmin- halte und Strukturen, wird auf den Schwerpunkt der Bewohneraktivierung und -beteiligung innerhalb des Programms der Sozialen Stadt eingegangen. In einem weiteren Schritt wird das Berliner Quartiersmanagement anhand seiner Funktionsweise, der Ziele und Aufgaben dargelegt.
Im Kapitel vier wird das Gebiet Köpenick-Oberschöneweide vorgestellt und seine besondere Situation erläutert. Zunächst werden die Entwicklung des Gebietes und die sich daraus ergebenden Defizite und Probleme näher beleuch- tet, die zur Festlegung eines Teils des Quartiers zum Sanierungsgebiet führten. Nachfolgend sind die Maßnahmen innerhalb der Sanierung, sowie die Wirk- samkeitsgrenzen dieser, die schließlich zur Initiierung des Quartiersmanage- ments Oberschöneweide geführt haben, Gegenstand des Kapitels.
Im 5. Kapitel liegt das Augenmerk auf dem Schwerpunkt der Bewohnerbeteili- gung und -aktivierung im Rahmen des Quartiersmanagements Oberschönewei- de. Nach einem Überblick über die gebietsspezifischen Ziel- und Aufgabenstel- lungen und deren Umsetzung soll herausgearbeitet werden, welche Beteili- gungs- und Aktivierungsformen in Oberschöneweide genutzt werden. Es soll auf einzelne Projekte detaillierter eingegangen werden, um herauszustellen, wie der Aspekt der Einbeziehung der Bewohner in die Stadtteilentwicklung zum Tragen kommt bzw. umgesetzt wird. Ferner soll auf mögliche Grenzen und Barrieren der Bewohnermobilisierung eingegangen werden, bevor an- schließend eine Bewertung der Umsetzung des Schwerpunktes der Bewohner- beteiligung und -aktivierung in dem zu untersuchenden Gebiet erfolgt.
In die Bewertung fließen die Ergebnisse einer Umfrage ein, die im Sommer 2005 unter Teilen der Bevölkerung in Oberschöneweide durchgeführt wurde. Des Weiteren finden auch die Auswertungen einer Online-Befragung bei Initia- tiven, Vereinen, Einrichtungen und Unternehmen in Oberschöneweide Berück- sichtigung.
Die Arbeit schließt mit einer Zusammenfassung der wesentlichen Aspekte und Ergebnisse in Kapitel sechs ab und gibt zudem mögliche Empfehlungen zur Optimierung und weiteren Programmumsetzung.
2 Konflikte und Problemlagen in der Stadt
2.1 Einführung
Unmittelbare Voraussetzung für das Verständnis eines Handlungsbedarfs innerhalb des Stadtgefüges ist das Verständnis für den gesamtgesellschaftli- chen und ökonomischen Strukturwandel, der die Rahmenbedingungen für die Stadtentwicklung verändert. Seit etwa einem Jahrzehnt werden in den USA und Europa neue Strukturen sozialer Ungleichheit beobachtet und beschrieben, die gegenüber den bisher bekannten Formen von Benachteiligung und Diskriminie- rung eine neue Qualität darstellen. Um die Entstehungsgeschichte des Pro- gramms der Sozialen Stadt9 , und damit auch die Initiierung des Quartiersmana- gement-Oberschöneweide, besser verstehen und nachvollziehen zu können, muss man sich über die städtischen Konflikte und Problemlagen, die sich nicht mehr nur durch den schlechten Zustand von Häusern und Wohnungen erklären lassen, ein Bild machen.
So soll in den folgenden Abschnitten näher auf Begriffe wie soziale Ausgren zung und Segregation, sowie deren Ursachen und Folgen eingegangen werden, die spätestens seit den neunziger Jahren zu den zentralen Themen der stadtsoziologischen Forschung gehören.10
2.2 Soziale Ausgrenzung und Segregation
Mit den Begriffen Ausgrenzung und Segregation werden Prozesse bezeichnet, die unter anderem für die Krise der sozialen Stadt verantwortlich sind. Somit gilt es zunächst zu klären, was unter Ausgrenzung, bzw. sozialer Ausgrenzung und Segregation zu verstehen ist.
2.2.1 Soziale Ausgrenzung
Ausgrenzung oder Ausgrenzung (lat. exclusio) im Allgemeinen bezeichnet „den nachhaltigen Ausschluss einzelner sozialer Akteure oder ganzer Gruppie- rungen aus den sozialen Kreisen, die sich als die ‚eigentliche‘ Gesellschaft verstehen.“11 Der Unterschied des Ausgrenzungsbegriffs gegenüber der Armut ist, dass nicht das Einkommen oder die objektive Lebenslage die Ausgrenzung bestimmt, sondern die subjektiv erlebte Distanz zur Gesellschaft.12 Der Begriff der Ausgrenzung stellt weniger den Zustand, sondern mehr den Prozess dar, bei „[…] dem [sich] Individuen oder Haushalte […] von den durchschnittlichen gesellschaftlichen Standards der Lebensführung entfernen bzw. entfernt wer- den.“13 Häußermann unterscheidet dabei vier zentrale Dimensionen, in denen es zu einer Ausgrenzung kommen kann:
Die ökonomische Dimension durch den Ausschluss vom Arbeitsmarkt, wenn die Rückkehr oder der Eintritt in die reguläre Erwerbsarbeit dauerhaft versperrt ist;
die institutionelle Ausgrenzung, zum einen durch den Rückzug öffentlicher und privater Dienstleistungen auf bestimmten Gebieten der Stadt bzw. der einge- schränkten Fähigkeit staatlicher Institutionen, die Bewohner dieses Gebietes zu unterstützen und zum anderen, durch unüberwindbarer Schranken zwischen den Betroffenen und den politischen bzw. sozialstaatlichen Institutionen;
die kulturelle Dimension, wenn Stigmatisierung und Diskriminierung zum Ver- lust des Selbstwertgefühls und zum Verlust der moralischen Qualifikation füh- ren, die Voraussetzung für ein integriertes Leben sind, d. h. wenn die Menschen von den Möglichkeiten ausgeschlossen sind, entsprechend den gesellschaftlich anerkannten Verhaltensmustern und Werten zu leben;
die soziale Ausgrenzung, wenn der Kontakt zum Rest der Gesellschaft durch soziale Isolation und des Lebens in einem geschlossenen Milieu dauerhaft unter- brochen wird.14
Die gesellschaftliche Ausgrenzung von Teilen der Bevölkerung, insbesondere von Armen und Arbeitslosen, begleitet die Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaften seit jeher. Neu an der Situation ist, dass die zunehmende Spal- tung in Arm und Reich inmitten eines gesellschaftlichen Wohlstands und den damit insgesamt verbesserten Lebensbedingungen stattfindet. In diesem Zusammenhang werden die Abstände zwischen oben und unten im Hinblick auf Einkommen und den damit verknüpften Lebensbedingungen und Lebenschan- cen auf einem insgesamt höheren Niveau größer. Neu an der Situation ist auch, dass sich die Formen der Ausgrenzung verändert haben. Die neue Form der gesellschaftlichen Spaltung ist dadurch gekennzeichnet, dass für einen wach- senden Teil der Bevölkerung der dauerhafte Ausschluss aus dem Beschäfti- gungssystem die gesellschaftliche Isolation bedeutet, d. h., dass die Betroffe- nen von der allgemeinen Wohlstandsentwicklung abgekoppelt werden. In diesem Fall spricht man von sozialer Ausgrenzung (soziale Ausgrenzung).15
Erwerbslosigkeit und steigendes Verarmungsrisiko führen keineswegs immer in die gesellschaftliche Isolation und können demnach nicht mit sozialer Aus- grenzung gleichgesetzt werden. Der Ausschluss vom Arbeitsmarkt für einen wachsenden Teil der Bevölkerung ist im Allgemeinen Ausdruck einer verschärften sozialen Ungleichheit. Von sozialer Ausgrenzung kann erst ge- sprochen werden, wenn den Personen mit den Möglichkeiten der Erwerbsarbeit auch die Chancen auf gesellschaftliche Anerkennung genommen werden.16 Der Begriff der sozialen Ausgrenzung beschreibt demnach Prozesse der Marginali- sierung17 eines Teils der städtischen Bevölkerung, die eine neue soziale Quali- tät erreicht haben. Diese neue Qualität äußert sich z. B. darin, dass es für viele Betroffene weniger die existentielle Not ist, die als belastend empfunden wird, als vielmehr das Gefühl, inmitten einer sich immer noch durch Erwerbsarbeit definierten sozialen Umwelt nicht mehr gebraucht zu werden.18 Soziale Aus- grenzung ist die Folge der räumlichen Konzentration von Personen und Haus- halten in spezifischen Gebieten, die in ähnlicher Weise verarmt sind und diskriminiert und benachteiligt werden. Diese sozialräumliche Differenzierung der Bevölkerung wird auch mit dem Begriff der Segregation beschrieben.19
2.2.2 Segregation
Der Begriff Segregation kommt aus dem lateinischen (segregatio) und bedeutet allgemein soviel wie Trennung, Spaltung und Absonderung.20 Auf den Stadt- raum bezogen beinhaltet der Begriff das sozialräumliche Ordnungsprinzip der Stadt und wurde von den Vertretern der Chicagoer Schule geprägt und defi- niert.21
Die gesellschaftlichen Ungleichheiten ökonomischer, kultureller und sozialer Art schlagen sich nicht nur in den Kontaktkreisen und Teilhabechancen, son- dern auch in der Wahl der Wohnstandorte nieder. Es gehört zur Struktur einer jeden Stadt, dass sich in ihr unterschiedliche Bevölkerungsgruppen bzgl. bestimmter Merkmale auf verschiedene Gebiete verteilen. Bereits in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten Europas gab es die räumliche Trennung beispielsweise der Kaufleute und der Handwerker in jeweils eigenen Teilen der Stadt. Die Segregation entlang des Merkmals Beruf ist eine Form der ungleichen Verteilung der Bevölkerung über den städtischen Raum.22 Die Segregationsforschung unterscheidet vier verschiedene Dimensionen, nach denen sich einzelne Bevölkerungsgruppen in den jeweiligen Gebieten vonein- ander unterscheiden:
Segregation nach dem ökonomischen Status, d. h. bzgl. des Einkommens, des Eigentums und der Position auf dem Arbeitsmarkt;
Segregation nach den sozialen Status, d. h. unter anderem nach den Merkmalen bzgl. der Bildung und der sozialen Integration;
Segregation nach kulturellen Merkmalen, d. h. nach der ethnischen und religiö- sen Zugehörigkeit und normativen Orientierungen und
Segregation nach demographischen Merkmalen, d. h. nach der Stellung im Lebenszyklus.23
Es ist verständlich, dass nicht jede Form der Segregation ein soziales Problem darstellt. Dies wird deutlich, wenn man die exklusiven Wohngebiete der Rei- chen betrachtet, die ein hohes Maß an Segregation und homogenen Nachbar- schaften aufweisen. So unterscheidet man zwischen der freiwilligen (beabsich- tigten), der unintendierten und der erzwungenen Segregation, wobei man grundsätzlich davon ausgeht, dass sich jedes Individuum das Gebiet als Stand- ort sucht, das am ehesten seine Wohnstandortfaktoren erfüllt und seinen finan- ziellen Möglichkeiten entspricht.24 Die freiwillige Segregation ist oft die Folge direkter Distanzierungs- und Abgrenzungswünsche von anderen Sozialgruppen. Der Wohnstandort wird bewusst so gewählt, „dass die Ähnlichkeit des eigenen Lebensstils mit dem der Nachbarn maximiert wird“25, mit dem Bestreben, sich dadurch vom Rest der Stadt abzuschotten. Diese Form der Segregation basiert demnach in der Regel auf Sicherheitsbedürfnis, Prestigestreben und Vorurtei- len besser ausgebildeter und verdienender Schichten der Gesellschaft, wie es Marcuse am Beispiel von amerikanischen Großstädten, in denen sich die Klas- sentrennung räumlich sehr deutlich zeigt, beschreibt.26 So erklärt Marcuse, dass sich die oberen gesellschaftlichen Schichten vom Rest der Stadt dadurch abzuschotten versuchen, indem sie möglichst viele Dienstleistungen und Ein- richtungen in ihrem Gebiet aufnehmen. Dies ermöglicht es der dort lebenden Bevölkerung, in einer Welt zu leben, die wohlbehütet vor Kontakten mit Nicht- mitgliedern ihrer Klasse ist. Dies verdeutlicht, dass eine räumliche Segregation durchaus erwünscht ist, denn die Attraktivität und damit das Image des Stadt- teils sollen, so Marcuse, erhalten bleiben und nicht durch den Anblick von Menschen der Unterschicht getrübt werden.27 Auf der anderen Seite kann sich Segregation auch als Nebenfolge der Verwirklichung gleichgerichteter Wohn- standortpräferenzen einzelner Bevölkerungsgruppen ergeben, die durch den Wohnungsmarkt an bestimmten Standorten kanalisiert werden.28 In diesem Fall ist die Segregation ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt, also unintendiert. Von einer erzwungenen Segregation spricht man vor allem bei der einkommensär- meren Bevölkerungsgruppe, die aufgrund ihrer eingeschränkten Ressourcen oft keine Chance auf dem frei finanzierten Wohnungsmarkt hat und sich mit Wohnlagen begnügen muss, in denen preiswerter Wohnraum angeboten wird. Somit bilden sich mit der individuellen Wohnstandortentscheidung begünstig- ter Bevölkerungsgruppen auch Gebiete heraus, in denen hauptsächlich sozial Benachteiligte verbleiben. Hoyt brachte das Prinzip der freiwilligen und erzwungenen Segregation auf folgende Formel: „Die Reichen wohnen, wo sie wollen, die Armen, wo sie müssen.“29 Mit der Unterscheidung zwischen frei- williger und erzwungener Segregation wird deutlich, dass Segregation das Ergebnis des Wohnstandortwahlverhaltens ist, das klar unterscheidbare Nach- barschaften hoher interner Homogenität in der Stadt zur Folge haben kann, und dies wird auch mit dem speziellen Begriff der residentiellen Segregation beschrieben.
Wie bereits am Beispiel der exklusiven Wohngebiete in den amerikanischen Großstädten deutlich wurde, ist Segregation als solche nicht generell uner- wünscht. So stellt auch die räumliche Segregation von Zuwanderern nicht im- mer ein Problem dar. Man geht davon aus, dass Stadtteile mit einem höheren Anteil an gleichen ethnischen ausländischen Gruppen für Neuzuwanderer eine Art Auffangbecken und Schutzraum bilden können, in dem sie sich auf der Grundlage der Anerkennung ihrer mitgebrachten Identität mit der neuen Hei- mat auseinandersetzen können. So können Gebiete mit einer hohen Konzentra- tion von Bewohnern einer bestimmten Nationalität einen Übergangsort darstel- len, der die Kommunikationsbezüge und die Integration erleichtert und aus dem auch ein besonderes Maß an gegenseitiger Unterstützung und Selbsthilfe erwachsen kann. Das bezieht sich generell auf die räumliche Konzentration von Personen ähnlicher Soziallage.30 Nachdem nun die vermeintlichen Vorteile der Konzentration von sozialen Haushalten dargelegt wurden, ergibt sich die Frage, ab wann Segregation zum Problem wird, d. h. wo die Grenze einer tolerierbaren räumlichen Differenzierung liegt.
Die Verräumlichung sozialer Ungleichheiten wird dann problematisch, wenn sie zur Ursache sozialer Ausgrenzung und gesellschaftlicher Benachteiligung einzelner Sozialgruppen oder Quartiere bzw. Stadtteile wird.31 Ab dem Punkt, ab dem Segregation eine Verstärkung der bestehenden sozialen Ungleichheiten bedeutet und die Konzentration von sozial schwächeren Bevölkerungsgruppen sich zusätzlich benachteiligend für diese auswirkt, wird Segregation zum Prob- lem der Stadt. Es entstehen hoch segregierte Gebiete, die mit stigmatisierten Begriffen wie Elendsquartiere, soziale Brennpunkte oder Ähnlichem belegt werden, auf die im Folgenden näher eingegangen werden soll.32
2.3 Benachteiligte Stadtteile
Es haben sich nicht nur bundesweit, sondern auch in europäischen Nachbar- staaten Stadtteile herausgebildet, in denen sich soziale, wirtschaftliche und städtebauliche Problemlagen in besonderer Weise überlagern und die dadurch von der gesamtgesellschaftlichen und gesamtstädtischen Entwicklung weitge- hend abgekoppelt sind.33 Selbst wenn die Situation in den europäischen Städten heute nicht mit jenen amerikanischen Ghettos zu vergleichen ist, gibt es doch immer stärker werdende Tendenzen zur sozialräumlichen Segregation. Wie kommt es zu dieser Form der Ausgrenzung, die spätestens seit den 80er Jahren die politischen und wirtschaftlichen Debatten in Deutschland prägt?
2.3.1 Ursachen
Seit jeher spiegelt sich soziale Ungleichheit in der Stadt in der ungleichen Ver- teilung der Bevölkerung auf Quartiere mit unterschiedlichen Wohn- und Lebensqualitäten wieder. Seit Mitte der 70er Jahre jedoch erhält die soziale und räumliche Differenzierung und Polarisierung innerhalb der Städte aufgrund eines umfassenden ökonomischen und sozialen Strukturwandels und den damit einhergehenden Prozessen ein neues Gewicht.
In den folgenden drei Abschnitten soll ausführlicher auf die drei Komponenten eingegangen werden, die Einfluss auf die wachsende soziale Ungleichheit der Bevölkerung und damit auf die sozialräumliche Struktur der Stadt haben.
Arbeitsmarktentwicklung
Die Städte befinden sich in einer Phase des Übergangs, der geprägt ist durch den Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Dieser Prozess wirkt sich vor allem auf die unqualifizierten Arbeiter aus, da der wachsende Dienstleistungsbereich nicht genug bzw. nicht die Arbeitskräfte auffängt, die im Zuge der Deindustrialisierung freigesetzt werden. Mit dem Abbau der Industriegesellschaft geht folglich ein Prozess einher, der immer mehr Menschen vom Arbeitsmarkt ausschließt. Das kommt z. B. in der seit Jahren anhaltenden Massenarbeitslosigkeit sowie der damit verbundenen kontinuierlichen Zunahme der Sozialhilfeempfänger zum Ausdruck.34
Zugleich verändert sich unser Beschäftigungssystem, das durch eine Polarisie- rung der Qualifikationsstruktur gekennzeichnet ist. Im wachsenden Dienstleis- tungsbereich nimmt einerseits die Zahl der hoch qualifizierten Tätigkeiten in den unternehmensorientierten Dienstleistungen wie EDV, Werbung und Marke- ting, Forschung und Entwicklung, Informations- und Kommunikationsdienste sowie in der Unterhaltungsindustrie zu. Andererseits steigt aber auch die Zahl der Tätigkeiten, für die nur niedrige Qualifikationen verlangt werden und die deshalb sehr niedrig bezahlt werden.35 Ein weiteres Merkmal des Arbeitsmark- tes des 21. Jahrhunderts ist die zunehmende Flexibilisierung und Deregulie- rung hinsichtlich der Arbeitszeiten, der Arbeitsplatzsicherheit und der sozialen Absicherung. Diese Umbrüche in der Erwerbsarbeit kommen in der stetig anwachsenden Zahl atypischer und prekärer Beschäftigungsformen zum Ausdruck, was sich darin zeigt, dass unter den Erwerbstätigen selbst die Einkommen immer weiter auseinanderklaffen.36
Der Arbeitsmarkt differenziert sich also im Unterschied zu früher nicht nur zwischen hoch und niedrig bewerteten Tätigkeiten, sondern zunehmend auch zwischen fest angestellten Arbeitnehmern, wenig abgesicherten Beschäftigten und Erwerbslosen. Diese Tendenzen haben weitreichende Folgen für die Lebensverhältnisse unserer Gesellschaft, die sich besonders in den großen Städten bemerkbar machen, denn hier konzentrieren sich die am Arbeitsmarkt benachteiligten und auf staatliche Unterstützung angewiesenen Bevölkerungs- gruppen. Hier tritt die Spaltung zwischen Gewinnern Verlierern, Bevorteilten und Benachteiligten des Modernisierungsprozesses am deutlichsten in Erschei- nung.
Rückzug des Staates aus der Wohnungsversorgung
Die mit den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt einhergehenden wachsenden sozialen Unterschiede werden durch den Rückzug des Staates aus der Woh- nungsversorgung verstärkt.37 Bisher war das deutsche Stadtsystem im interna- tionalen Maßstab vergleichsweise wenig von Benachteiligung und sozialer Ungleichheit geprägt. Dazu haben eine Reihe von Netzen und Maßnahmen bei- getragen, zu denen neben den nationalen sozialen Sicherungssystemen unter anderem die zentralstaatliche Regulierung des Wohnungsmarktes in Form des sozialen Wohnungsbaus gehört. Mit dem Konzept des sozialen Wohnungsbaus bezeichnete man ab den 30er Jahren den staatlich geförderten Mietwohnungs- bau. Damit erfolgte die Versorgung mit Wohnraum nicht mehr nur über den privatwirtschaftlichen Markt, bei dem die Wohnsituation einzig und allein an die Position am Arbeitsmarkt bzw. die Höhe des Einkommens gekoppelt ist.38 Mit dem Aufbau eines mit öffentlichen Mitteln geförderten, marktfernen Woh-
nungsbestandes wurde zwischen der sozialen Ungleichheit durch unterschiedli- che Einkommen und den Wohnbedingungen ein Puffer geschoben und somit die Verdopplung von Benachteiligung und Ausgrenzung weitgehend verhin- dert. Des Weiteren sollte mit dem sozialen Wohnungsbau die Wohnungsver- sorgung „nach Größe, Ausstattung und Miete oder Belastung für die breiten Schichten des Volkes“39 garantiert und gesichert werden. Der Aufbau des Mietwohnungsbaus wurde bewusst nicht speziell auf die Versorgung bedürfti- ger Bevölkerungsgruppen ausgerichtet, um der „sozialen Sortierung in den Städten“40 entgegenzuwirken. Die damit einhergehende Herausbildung von Wohngebieten mit einer sozial gemischten Bewohnerschaft war eines der her- ausragenden Ziele der sozialen Stadt- und Wohnungspolitik.41
Seit den 70er Jahren ist die Wohnungspolitik der Bundesrepublik allerdings durch die klare Tendenz gekennzeichnet, die Wohnraumversorgung wieder stärker den Marktgesetzen zu unterwerfen.42 Das bedeutet, dass der Zugang zu einer Wohnung für die meisten Haushalte über den städtischen Wohnungsmarkt erfolgt. Durch das Einkommensgefälle zwischen den Haushalten und aufgrund von Vermieterpräferenzen bei der Wohnungsvergabe bestehen damit selbst bei einer ausgeglichenen Marktlage für finanziell und sozial gut situierte Bewerber deutlich bessere Chancen, eine den Vorstellungen entsprechende Wohnung zu bekommen, als für finanzschwache Bevölkerungsgruppen. Hinzu kommt, dass Nutzungsänderungen, Abriss und Modernisierungen im Bereich des preisgüns- tigen Wohnungsbestandes in den letzten Jahren zu einer ständigen Verringe- rung des Angebots für einkommensschwache Schichten führten. Zusätzlich zu dem massiven Rückzug des Staates aus der Wohnungsversorgung, der 1996 mit der Erklärung der Beendigung des sozialen Mietwohnungsbau vom damaligen Bundesminister amtlich gemacht wurde, hat das weitreichende Auswirkungen,
die auch durch staatliche Mittel, wie dem Wohngeld, nicht kompensiert werden können. Je weniger Einfluss der Staat auf die Zuteilung von Wohnungen hat, desto direkter entscheiden die Marktprozesse. Dies hat zur Folge, dass sich die zunehmende Ungleichheit am Arbeitsmarkt und in der Einkommenslage in der räumlichen Struktur der Wohnungsversorgung und der Qualität der Lebensbe- dingungen niederschlägt, sich also segregationsfördernd auf die Bevölkerungs- teilung auswirkt, der bisher mit dem geförderten sozialen Wohnungsbau vorge- beugt wurde.43
Finanznot der Kommunen
Die Finanznot der Städte und Kommunen ist neben der Arbeitsmarktentwick- lung und der Situation auf dem Wohnungsmarkt die dritte Komponente, die die Konflikte und Problemlagen in den Städten verstärkt. Der steigende Bedarf an sozial ausgleichenden Maßnahmen in Folge der gleich bleibenden, wenn nicht sogar zunehmenden Arbeitslosenzahlen und im Zuge der sozial- demographischen Veränderungen, steht im Widerspruch zu den finanziellen Handlungsspielräumen des Bundes, der Länder und der Kommunen.44 Die fis- kalische Krise betrifft alle öffentlichen Haushalte und kommt insbesondere in sozialen Bereichen zum Tragen. So werden die sozialen Leistungen immer mehr reduziert bzw. zumindest nicht in dem Maße ausgebaut, wie es angesichts der wachsenden Notlagen nötig wäre. Das wiederum hat zur Folge, dass sich die sozialen Differenzierungs- und Polarisierungsprozesse in der Gesellschaft verstärken.
Zusammenfassend kann man sagen, dass durch das Zusammenwirken von drei Prozessen, nämlich den der Arbeitsmarktentwicklung und der damit einherge- henden Spreizung der Haushaltseinkommen, der Deregulierung der Wohnungs- versorgung und der zunehmenden finanziellen Probleme des Staates, die Rah- menbedingungen für die Stadtentwicklung in den letzten Jahrzehnten verändert wurden. Diese Veränderungen schlagen sich in einer verstärkten Polarisierung der Sozialstruktur nieder, die wiederum Segregationserscheinungen begünstigen bzw. hervorrufen.
2.3.2 Herausbildung und Folgen
Nachdem ausführlicher auf die Ursachen für die wachsenden sozialen Unter- schiede in der Bevölkerung eingegangen wurde, die zu einer räumlichen Kon- zentration verschiedener sozialer, ethnischer und ökonomischer Probleme und damit zur Herausbildung problembeladener Stadtteile führen, soll in einem weiteren Schritt beschrieben werden, wie sich das auf die dort lebende Bevöl- kerung auswirken kann. Es werden die folgenden benachteiligenden Effekte eines Quartiers unterschieden:
Benachteiligende Quartiere zeichnen sich dadurch aus, dass im überdurch- schnittlichen Maße wirtschaftlich und sozial integrierte Haushalte abwandern und sich im Gegenzug wirtschaftlich schwache Haushalte konzentrieren. Die einseitige Abwanderung der Qualifizierten und integrierten Bevölkerungsgrup- pen hat zur Folge, dass sich die soziale Stabilität im Quartier durch den Verlust von sozialer Kompetenz zunehmend verringert.45 Hinzu kommt, dass das Feh- len von qualifizierten und beruflich Erfolgreichen die Erfahrenswelt insbeson- dere von Jugendlichen und Kindern enorm einschränkt. Je höher der Anteil der marginalisierten Personen und Haushalte in einem Quartier ist, desto stärker besteht die Gefahr, dass das dominante Verhalten der Bewohner eine abwei- chende Kultur entstehen lässt, die sich besonders prägend auf die Kinder und Jugendlichen auswirkt, auch wenn diese zuvor nicht dem Quartier angehörten. Durch das beispielhafte Erlernen von Verhaltens- und Denkweisen werden die Bewohner immer weiter von den Normen und der Verhaltensweisen der Gesell- schaft abweichen. Steigende Ausgrenzung vom Rest der Gesellschaft ist die Folge. Durch die Einschränkung der Erfahrenswelt und das Fehlen sozialer Rollen werden nun besonders für Kinder und Jugendliche die Möglichkeiten des sozialen Lernens beschränkt und die Entwicklungschancen negativ bestimmt.46 Eine weitere Dimension der benachteiligenden Wirkung stellt die abnehmende Ausstattung mit sozialen und kulturellen Infrastrukturangeboten dar. Infolge sinkender Kaufkraft und der damit einhergehenden Reduzierung der Einkaufsmöglichkeiten wird die Lebenslage weiter verschlechtert. Die in- neren Prozesse werden durch Veränderungen des äußeren Milieus zusätzlich verstärkt. Die Verwahrlosung von Gebäuden, Straßen und Plätzen führt in Kombination mit dem oft vernachlässigten Wohnbestand zu einer Abwertung des Quartiers, vor allem aber zu einer weiteren Beeinträchtigung des Selbst- wertgefühls. Das kann zur Folge haben, dass sich die Bewohner des Viertels mehr und mehr ins Private zurückziehen und resignieren.47 Des Weiteren kann sich die Benachteiligung, die mit einer räumlichen Distanz der sozialen Grup- pen einhergeht, in einer erhöhten Kategorisierungs- und Stigmatisierungsbe- reitschaft äußern. Diese Negativ-Images lösen wiederum Mobilitätsprozesse aus, die zu einem weiteren sozialen Abstieg der Quartiere führen. Diejenigen, die es sich noch leisten können, verlassen das Viertel, sozial schwache Grup- pen, die aus anderen Stadtteilen verdrängt werden, ziehen nach. Die Hand- lungsmöglichkeiten der Bewohner werden erheblich eingeschränkt, die sozia- len Netzwerke werden enger und homogener, und damit verschlechtert sich auch deren Qualität. Es entsteht ein Teufelskreis, dem der Einzelne sich oft nicht mehr entziehen kann.
Sozialräumliche Segregation und die damit verbundene Konzentration von Benachteiligten in bestimmten Stadtteilen ist also ein Prozess, der die Lage der Betroffenen zusätzlich verschlechtert. Dieser Prozess ist oft ein sich selbst verstärkender Prozess, der auch als Fahrstuhleffekt oder Spirale der Benachteili gung bezeichnet wird.48
Experten sind sich einig, dass Benachteiligung, Armut und soziale Ausgren- zung in der Stadt nicht durch den Einsatz von Fördermitteln und Subventionie- rung im Wohnraum zu verhindern sind. Man hat erkannt, dass es einer Neuori- entierung in der Stadtentwicklungspolitik bedarf, will man den Prozess der Abwärtsentwicklung, der sich selbst laufend verstärkt, unterbrechen. Vor die- sem Hintergrund ist die Initiierung des Bund-Länder-Programms Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die Soziale Stadt zu verstehen. Darauf, sowie auf das in dem Rahmen des Bund-Länder-Programms installierte Berli- ner Quartiersmanagement soll im nächsten Kapitel eingegangen werden.
3 Bund-Länder-Programm Die Soziale Stadt
Das Bund-Länder-Programm Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die Soziale Stadt, (kurz Soziale Stadt) wurde am 5. Juli 1999 offiziell in 161 Quartieren gestartet. Das Programm ist eine Ergänzung zur baulich-räumlich orientierten Städtebauförderung im Rahmen der seit 1996 existierenden Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt der ARGEBAU (Arbeitsgemeinschaft der Bauminister des Bundes und der Länder). Ausgangspunkt der Gemeinschafts- initiative war, den Rahmen für eine zwischen Bund und Ländern abgestimmte, nachhaltige Strategie zu schaffen, um gegen die wachsende sozialräumliche Polarisierung in den Städten anzugehen.49 Bei der Umsetzung baut das Pro- gramm auf Erfahrungen einzelner europäischer Nachbarstaaten vereinzelter Landesprogramme. So werden in Ländern wie Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden bereits seit Beginn der 90er Jahre Stra- tegien für benachteiligte Quartiere erfolgreich angewandt. Bundesweit gibt es beispielsweise seit 1993 in Nordrhein-Westfalen das integrierte Handlungspro- gramm für Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf. In Hamburg exis- tiert seit 1994 das soziale Stadtentwicklungskonzept Soziale Brennpunkte, auf dessen Erkenntnisse man zurückgreifen und aufbauen kann.
Mit dem Programm Soziale Stadt wurde ein neuer Ansatz in der Städtebauför- derung eingerichtet. Angesichts der zunehmend schrumpfenden staatlichen Förderprogramme und der gleichbleibenden, wenn nicht sogar zunehmenden Problemlagen der Stadtgesellschaften, hat man erkannt, dass man dem komple- xen Wirkungsgefüge der Benachteiligung nur mit integrierten Ansätzen begeg- nen kann. Vor diesem Hintergrund veränderte sich die Zielsetzung der Stadter- neuerung. So werden die rein städtebaulichen Erneuerungsstrategien durch Instrumente und Maßnahmen erweitert, die den zirkulären Abwertungsprozess in benachteiligten Stadtquartieren mit integrierten Handlungsansätzen durch- brechen sollen. Im Rahmen dieser Neuorientierung ist auch die Entstehung der Gemeinschaftsinitiative und das eigenständige Programm Soziale Stadt zu begreifen.50
Das Ziel ist es nun, mit Hilfe des von der ARGEBAU 1998 formulierten Leitfadens zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt, problembeladenen bzw. benachteiligten Stadtteile, so genannte Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf, „zu selbstständig lebensfähigen Stadtteilen mit positiver Zukunftsperspektive“51 zu machen.
Im folgenden Abschnitt soll zunächst auf die Fragestellung eingegangen werden, in welchen Gebieten der besondere Entwicklungsbedarf gesehen wird und an welchen Faktoren bzw. Indikatoren dies gebunden ist. Anschließend wird näher auf die daraus resultierenden Aufgaben und die Umsetzung des Programms eingegangen.52
3.1 Gebiete mit besonderem Entwicklungsbedarf
Im Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt gelten jene Ortsteile und Gebiete als gefährdet, “die infolge sozialräumlicher Segregation davon bedroht sind, ins soziale Abseits abzurutschen. Es handelt sich dabei um hoch verdichtete, einwohnerstarke Stadtteile in städtischen Räumen, die im Hinblick auf ihre Sozialstruktur den baulichen Bestand, das Arbeitsplatzangebot, das Ausbildungsniveau, die Ausstattung mit sozialer und stadtteilkultureller Infrastruktur, sowie die Qualität der Wohnungen, des Wohnumfeldes und der Umwelt erhebliche Defizite aufweisen.“53
Ein besonderer Entwicklungsbedarf wird dort gesehen, wo mehrere der nachfolgend aufgeführten Faktoren der Stadtentwicklung zusammenfallen:
städtebauliche, bauliche und ökologische Defizite;
infrastrukturelle Defizite;
wirtschaftliche Stagnation auf niedrigem Niveau;
Inhaltsverzeichnis
Umbruch bzw. sprunghafter Rückgang der wirtschaftlichen Aktivitäten; unausgewogene Bevölkerungsentwicklung;
hohe Arbeitslosigkeit;
hoher Grad der Abhängigkeit von Transfereinkommen;
hoher Anteil von Ausländern, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen; hohe Mobilität (Fortzug insbesondere von Familien, Erwerbstätigen und einkommensstarken Haushalten);
zunehmende soziale und kulturelle Segregation und Ausgrenzung und Zunahme der Kriminalität im öffentlichen Raum.54
Die vielfältigen Problemlagen konzentrieren sich in diesen Gebieten und führen zu einer sich steigernden Negativentwicklung, so dass dort ein besonderer Entwicklungsbedarf gesehen wird.
Es werden im Wesentlichen drei Gebietstypen unterschieden, bei denen das Bund-Länder-Programm zum Einsatz kommt:
Innerstädtische oder innenstadtnahe Quartiere in benachteiligten Regionen mit nicht modernisierter Bausubstanz und deutlich unterdurchschnittlicher Umwelt- qualität.
In den alten Bundesländern sieht man die Ursachen für die Stagnation der Stadterneuerungsprozesse in dem seit längerer Zeit fehlenden Engagement privater Investoren sowie in der schlechten, hoch verdichteten Bausubstanz in den innerstädtischen oder innenstadtnahen Gebieten. Fehlende Grün- und Frei- flächen, erhöhte Immissionsbelastungen, Beeinträchtigung durch Verkehrstra- ßen und -lärm und fehlende Gemeinschaftseinrichtungen führen weiterhin zu einem Attraktivitätsverlust und damit unweigerlich zu Migrationsprozessen. Junge und ökonomisch aufstrebende Familien wandern im Zuge dessen in besser ausgestattete Stadtteile ab und tragen so zur Verdrängung der Schlech- terverdienenden in die sozial benachteiligten Gebiete bei.55
Auch die neuen Bundesländer sind von den geschilderten Segregationsprozes- sen betroffen, da es auch dort innerstädtische Bereiche gibt, die bauliche, öko- logische und funktionelle Mängel aufweisen und man bei dem Bund-Länder- Programm Soziale Stadt damit rechnet, dass es ohne das Einsetzen einer gegen- läufigen Strategie zur „Verschärfung dieses Entwicklungsprozesses“56 kommt.
Große Wohnsiedlungen aus der Nachkriegszeit einschließlich sozial gefährdeter Bereiche in den Plattensiedlungen der neuen Bundesländer.
Im Osten wie im Westen gibt es eine große Anzahl von Neubauquartieren, die aufgrund erheblicher funktioneller und gestalterischer Mängel eine soziale Abwertung erfahren haben oder dahin abzugleiten drohen. Die fehlende Attrak- tivität liegt darin begründet, dass diese Gebiete als so genannte „Schlafstäd- te“57 konzipiert sind. Die Gebiete sind unzureichend in den öffentlichen Nah- verkehr eingebunden, es fehlt ihnen oftmals eine selbsttragende lokale Wirt- schaft und es mangelt an Arbeitsplätzen im Nahbereich. Die einfallslose Archi- tektur und die fehlende individuelle Ausprägung der Eingangsbereiche und der Vorgärten erzeugen „austauschbare, erlebnisarme Wohnsituationen“58, die es den Bewohnern schwer machen, sich mit ihrem Quartier zu identifizieren.
Gebiete in Gemeinden, die z. B. aufgrund ihrer peripheren Lage und durch ihre Einwohnerstruktur vergleichbare Defizite aufweisen.
Das können Gebiete in stark benachteiligten Regionen oder ehemalige Wohnsiedlungen der abgezogenen Streitkräfte sein.59
3.2 Programminhalte und -strukturen
Das zentrale Ziel des Bund-Länder-Programms ist die nachhaltige Verbesse- rung der Lebenssituation betroffener Bewohner eines benachteiligten Stadt- quartiers durch eine aktive und integrativ wirkende Stadtentwicklungspolitik. Diese Zielsetzung soll verknüpft werden mit einer Effizienzsteigerung öffentli- cher Maßnahmen durch die Bündelung öffentlicher und privater Finanzmittel auf der Stadtteilebene.60 Durch die gezielte Einsetzung der Finanzmittel möch- te man Quartiersentwicklungsprozesse in Gang setzen, „welche die sozialen Problemgebiete zu selbstständig lebensfähigen Stadtteilen mit positiver Zu- kunftsperspektive machen sollen.“61 Mit Hilfe des Bund-Länder-Programms ist vorgesehen:
Besch ä ftigungsimpulse zu geben durch die Stärkung der lokalen Wirtschaft, die Schaffung und Sicherung örtlicher Arbeitsplätze sowie die Qualifizierung von Arbeitssuchenden;
die Vermittlung sozialer Impulse durch die Verbesserung der Wohnverhältnisse, der Unterstützung des sozialen Miteinander, die Wiederherstellung von gemisch- ten Bewohnerstrukturen durch eine Verbesserung der Gebietsaktivitäten für Zuziehende, die Schaffung von mehr Sicherheit im öffentlichen Raum sowie die Verbesserung der Infrastruktur;
eine Stärkung ö kologischer Impulse durch ökologisches Planen, Bauen und Wohnen im Bestand;
nicht zuletzt gibt das Programm politische Impulse durch den integrierten Ein- satz der verschiedenen politischen Felder.62
Es wird deutlich, dass das Programm erstmals einen Politikansatz verfolgt, der bewusst über die klassische Städtebauförderung mit ihrem primär-baulichen Ansatz hinausgeht. Das Programm ist als ein zeitlich begrenztes Leitprogramm auf dem Weg der sozialen, wirtschaftlichen und städtebaulichen Verbesserung in den betroffenen Gebieten zu verstehen. Die Stadtteile sollen durch die ge- nannten Impulse so gefördert werden, dass sie schrittweise wieder als ein „selbstständiges Gemeinwesen“63 funktionieren. Eine grundlegende Vorraus- setzung dafür ist die Bürgerbeteiligung bei der Quartiersentwicklung. Integ- rierte Handlungsansätze basieren auf Kommunikation, Kooperation, offene Auseinandersetzungen und Konfliktbewältigung. Dies kann nicht an den Be- wohnern vorbeigehen. Vielmehr ist die Einbindung der dort lebenden Bevölke- rung schon in den Planungsprozess Grundvoraussetzung für eine dauerhafte
Stabilisierung des Stadtteils. Daher hat sich die Gemeinschaftsinitiative zur Aufgabe gemacht, die örtlichen Potentiale zu aktivieren. Die Bewohner sollen dazu ermutigt werden, in Initiativen und Vereinen mitzuwirken und sich dauerhaft selbst zu organisieren.64 Kurzum, es soll durch die Stabilisierung nachbarschaftlicher sozialer Netze und der Entwicklung eines Bürgerbewusstseins für den Stadtteil ein eigenständiges Stadtteilleben wieder aufgebaut werden. Aktivierung und Beteiligung erweisen sich so als Schlüsselelemente für die Soziale Stadt, denn erst sie bieten die Voraussetzung dafür, das zentrale Ziel des Programms, „den Aufbau langfristig tragfähiger Strukturen in den benachteiligten Quartieren“65 in Angriff zu nehmen.
3.3 Der Schwerpunkt: Aktivierung und Beteiligung
Wenn von Aktivierung und Beteiligung gesprochen wird, sind alle Aktivitäten gemeint, die geeignet sind, Menschen durch Unterstützungen unterschiedlichster Art in die Lage zu versetzen:
sich für Belange ihres Quartiers einzusetzen und zur Verbesserung der Lebens- bedingungen im Quartier beizutragen, d. h. Gemeinwohlinteressen zu verfolgen und / oder
sich stark für die Verbesserung der eigenen privaten, familiären und beruflichen Lebensbedingungen zu machen, d. h. den Sinn für Eigeninteressen zu entwi- ckeln.66
In der Literatur wird oftmals darauf hingewiesen, dass Aktivierung und Betei- ligung begrifflich nicht voneinander getrennt werden können, denn „Aktivie- rung wirke immer beteiligend und alle Beteiligungsformen wiesen zugleich aktivierenden Charakter auf.“67 Eine getrennte Betrachtung erscheint dennoch sinnvoll und gerechtfertigt, wenn man die Situation vor Ort betrachtet.
In vielen problembeladenen und benachteiligten Stadtteilen engagieren sich bereits Teile der Bewohnerschaft und verschiedene lokale Akteure für die Ver- besserung der Lebens- und Wohnverhältnisse im Quartier. Hier ist es wichtig und von großer Bedeutung, die Mitwirkungsbereitschaft als besondere Res- source in Form von Beteiligungen zu nutzen. Ein Großteil der Bewohner, überwiegend Arbeitslose, Jugendliche mit schlechter Berufsperspektive, alte Menschen und Migranten, hat sich jedoch zurückgezogen und ist nur mittels besonderer Zuwendung zu motivieren. Hier sind zunächst direkte, situationsbe- zogene Anstöße, Beratungen und Zuspruch nötig, um eine Mitwirkungsbereit- schaft zu wecken. Es wird deutlich, dass für die Formen der Aktivierung und der Beteiligung verschiedene Handlungsansätze bzw. unterschiedliche Heran- gehensweisen notwendig sind: „Die Unbeteiligten beteiligen [und] die Aktiven ermuntern.“68 Vor diesem Hintergrund erfolgt in den folgenden zwei Abschnit- ten eine detailliertere Betrachtung von Aktivierung und Beteiligung und deren Ansätzen, Formen und Techniken.
3.3.1 Aktivierung
Die Aktivierung vor allem benachteiligter Bevölkerungsgruppen ist spätestens seit den 1970er Jahren einer der Hauptaufgaben von Gemeinwesenarbeit und stadtteilbezogener sozialer Arbeit. In diesem Rahmen wird Aktivierung als ein mehrjähriger, projekt- und themenunspezifischer Prozess verstanden, der die Grundmobilisierung eines Wohnquartiers bewirkt, die dann die Vorrausetzung für größere Einzelprojekte darstellt.69 Es geht also darum, „kollektive Aspekte individueller Betroffenheit zu organisieren, an vorhandene Interessen, Aktivi- täten und Bedürfnislagen anzuknüpfen, Menschen an einen Tisch zu bringen, Nachbarschaften zu stärken und lokale Potentiale zu mobilisieren“70, um dies für das Zusammenleben im Quartier nutzbar zu machen. In diesem Zusammen- hang entwickelte sich auch der Begriff oder vielmehr das Konzept des Empo- werment. Der Begriff stammt ursprünglich aus dem Bereich der Psychologie und Sozialpädagogik und lässt sich am besten mit Selbstkompetenz übersetzen. Man bezeichnet mit Empowerment Strategien und Maßnahmen, die das Maß an Selbstbestimmung und Autonomie benachteiligter Bevölkerungsgruppen erhö- hen und die Menschen in die Lage versetzen, ihre Belange eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmend zu vertreten und zu gestalten. Empowerment ist also vor allem ein Prozess, der das Selbstvertrauen benach- teiligter Bevölkerungsteile stärkt und sie in die Lage versetzt, an Entschei- dungsprozessen, die ihre Lebensgestaltung und ihre unmittelbare soziale Umwelt betreffen, zu beteiligen.71 Vor diesem Hintergrund lassen sich unter Aktivierung die verschiedenen Formen und Techniken verstehen, mit denen einzelne Personen oder Personengruppen im Quartier angesprochen und in Kommunikation gebracht werden können. Man unterscheidet zwischen zwei Formen von Aktivierungstechniken. Zum einen die direkten Techniken und zum anderen die visuellen Hilfsmittel.
Direkte Techniken
Unter direkten Techniken versteht man die Techniken, bei denen die direkte Verbindung mit den Bürgern ermöglicht werden soll. Dazu zählen:
Aktivierende Befragungen zur Ermittlung der gebietsspezifischen subjektiven Probleme;
die Arbeit mit einzelnen Personen, z. B. in Form von Beratungsangeboten;
Befähigung einzelner Bewohner zur Übernahme von Aufgaben im Gemeinwe- sen, z. B. in Form eines Bürgermoderators;
die Vernetzung und Vermittlung zwischen einzelnen Akteuren, Institutionen und Organisationen und Schlichtung von Interessenkonflikten;
Angebote sowohl für regelmäßig stattfindende offene Treffs als auch für Treffs bestimmter Zielgruppen;
zielgruppenspezifische Veranstaltungen und Aktionen, z. B. in Form von Sport- und Freizeitangeboten für Kinder oder auch Seniorennachmittage;
Gebiets- und Gebäudebegehungen mit Quartiersbewohnern und anderen lokalen Akteuren;
Informationsangebote und -veranstaltungen zu allen Belangen der Stadtteilent- wicklung;
[...]
1 Vgl. unter anderem Hart; Herlyn; Scheller (1998) und Heinz (1998), S. 225ff.
2 Vgl. Häußermann; Kapphan (2000b), S. 14ff. und Häupl (Hrsg.) (1996) S.4ff.
3 Vgl. Keller (1999) und Thieme ( 1993), S. 169f.
4 Vgl. Walther; Günther (2004), S. 185f und Tietzsch (1996).
5 Vgl. Heidede; Löhr (2000), S. 22ff.
6 Vgl. Alisch (Hrsg.) (1998), S. 153f.
7 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden nur die männliche Bezeichnung verwendet.
8 Vgl. Franke (2003), S. 193ff.
9 Dazu ausführlicher im Abschnitt 3.
10 Vgl. unter anderem Kapphan (2002), S.37.
11 Zitiert nach http://www.wikipedia.org/wiki/Ausgrenzung.
12 Vgl. Kapphan (2002), S. 33.
13 Zitiert nach Häußermann (2000), S. 13.
14 Vgl. Häußermann (2000), S. 13 und Kapphan (2002), S.31f.
15 Vgl. Kronauer (1998), S.13 und Farwick (2001), S.17. Mit dem Ausschluss vom Arbeitsmarkt ist Unterbeschäftigung, Langzeitarbeitslosigkeit oder erzwungener Rückzug vom Arbeitsmarkt gemeint. Vgl. Kronauer (1998), S. 25.
16 Vgl. Mirbach (1999), S.9f.
17 Marginalisierung ist ein Synonym für Ausgrenzung und beschreibt einen Prozess, „bei dem sozial schwächere Bevölkerungsschichten an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden und dadurch deutlich weniger an wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.“ Zitiert nach http://www.wikipedia.org/wiki/Marginalisierung.
18 Vgl. Mirbach (1999), S.1.
19 Vgl. Schacht (1999).
20 Vgl. Fremdwörterbuch Duden (2001), S.900.
21 Vgl. Kapphan (2002), S. 39. Die Wissenschaftliche Behandlung der sozialräumlichen Stadtstruktur ist stark vom deskriptivanalytischen Ansatz der Modelle der Chicagoer Schule geprägt worden, der die Dynamik von Stadtwachstum und innerer Differenzierung städtischer Teilgebiete anhand US-amerikanischer Städte der 20er Jahre thematisierte. Vertiefend zur Chicagoer Schule vgl. unter anderem Tomasi (1998).
22 Vgl. Schacht (1999).
23 Vgl. Dangschat (1998), S.215.
24 Vgl. Harth (1998), S.48 und Stichs (2003), S.27.
25 Zitiert nach Friedrichs (1995), S.93.
26 Vgl. Marcuse (1993), S.232.
27 Vgl. Marcuse (1993), S.235f.
28 Vgl. Harth (1998), S.170.
29 Zitiert nach Harth (1998), S.29.
30 Vgl. Häußermann (2000), S.18f und Harth (1998), S.230f.
31 Vgl. Harth (1998), S.231.
32 Vgl. unter anderem Stichs (2003), S.29 und Mirbach (1999), S.153.
33 Vgl. Haack (2004), S.56.
34 Die Arbeitslosigkeit hat bereits in den 90er Jahren in Deutschland ein Ausmaß erreicht, das den Stand der schlimmsten Jahre der Weimarer Republik überschritten hat. Vgl. unter anderem Friedrich (1999), S. 263.
35 So zählen Tätigkeiten im Bereich der Gastronomie, Bewachungs- und Reinigungsdienste sowie Ge- sundheits- und Soziale Dienste zum Bereich des so genannten. Niedriglohnsektors. Vgl. Mirbach (1999), S.14f.
36 Mann muss sich heute zunehmend auf zeitlich befristete Verträge bei verschiedenen Arbeitgebern, Teilzeitstellen oder sog. Billig-Jobs, die unterhalb der Sozialversicherungsgrenze liegen, einstellen. Vgl. unter anderem Mirbach (1999), S.89.
37 Vgl. unter anderem Friedrich (1999), S.11 und Keim (1999).
38 Mit Wohnsituation ist die Größe, Qualität und Lage der Wohnung gemeint.
39 Zitiert nach §§ 1 II. WoBauG. Die entsprechende gesetzliche Grundlage ist im II. Wohnungsbaugesetz- buch festgelegt. Vgl. http://www.ibr-online.de/IBRNormen/index.php? __SESSIONID__&HTTP_Gesetzbuch=II.+WoBauG.
40 Zitiert nach Häußermann (2000), S.16. Vertiefend zur Geschichte des sozialen Wohnungsbaus vgl. unter anderem Häußermann (2000).
41 Durch den verstreuten Einbau von geförderten Wohnungen in bereits existierenden Gebieten aber auch in neuen Sieldungsbereichen mit einheitlichen Sozialwohnungsbestand verhinderte man die Sortierung der Wohngebiete nach sozialer Lage der Wohnbevölkerung.
42 Vgl. unter anderem Friedrich (1999), S.18.
43 Vgl. Keim (1999).
44 Vertiefend zur demographischen Entwicklung in Deutschland, vor allem in Bezug auf die Rentenproblematik unter anderem Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) (Hrsg.) (2004).
45 Vgl. Häußermann (2000), S.14.
46 Vgl. Häußermann (2000), S.19 und Harth (1998), S.230.
47 Vgl. Häußermann (2000), S. 19ff.
48 Vgl. Häußermann (2000), S. 17.
49 Vgl. Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2000), S.2.
50 Vgl. unter anderem Schmals (o. J.a), S.7f und Mezger; West (Hrsg.) (2000), S. 12ff.
51 Zitiert nach Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2000), S.4.
52 Vgl. Schmals (o. J.b ), S.56.
53 Zitiert nach Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2000), S.2.
54 Vgl. Quartiersmanagement Berlin Online (2005a).
55 Vgl. Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2000), S.2f.
56 Zitiert nach Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2000), S.3.
57 Zitiert nach Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2000), S.4
58 Zitiert nach Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2000), S.5.
59 Vgl. Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2000), S.2.
60 Vgl. Döhne und Walter (1999), S. 3.
61 Zitiert nach Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2000), S.4.
62 Vgl. Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2000), S.4ff.
63 Zitiert nach Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2000), S. 15.
64 Vgl. Franke (2003), S. 195f.
65 Zitiert nach Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2002), S.1.
66 Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung (GSS) (2001), S.8f.
67 Zitiert nach Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung (GSS) (2001), S.2.
68 Zitiert nach Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2002), S.1.
69 Vgl. Deutsches Institut für Urbanistik (Hrsg.) (2002), S.2 und Hinte (1998), S3f.
70 Zitiert nach Hinte (1998), S.4.
71 Vgl. http://www.bmz.de/de/service/glossar/empowerment.html.
- Quote paper
- Britta Held (Author), 2006, Entwicklung und Förderung benachteiligter Stadtteile am Beispiel des Quartiersmanagements Oberschöneweide, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/72145
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