Einleitung
Der Dokumentarfilm-Effekt von „Halbe Treppe“ ist für mich das Spezifische, dadurch erst wird der Film bemerkenswert und erinnerungswürdig. Der Inhalt ist nahezu banal und gewöhnlich, aber durch seine spezielle Form hat dieser Spielfilm einen ganz besonderen
Charakter.
Wie schafft es nun der Regisseur Andreas Dresen diese Geschichte so zu gestalten, dass der Film bei den Zuschauern großes Interesse auslöst und nachhaltig in Erinnerung bleibt? Welche Rolle spielen dabei Kamera, Ton, Schnitt und weitere filmische Verfahren?
Ausgehend von dieser Fragestellung habe ich meine Analyse aufgebaut und strukturiert und mich implizit mit der Problematik Form versus Inhalt und Dokumentation versus Spielfilm beschäftigt.
Die einfache Story des Films wird kaum jemanden in unserer heutigen Gesellschaft sehr fremd sein: 1. „(...) Chris und Katrin Düring haben sich in Alltag und Bett nicht mehr viel zu sagen, während Uwe Kukowski fast rund um die Uhr in seiner Imbissbude „Halbe Treppe“
schuftet und darüber seine Frau Ellen und die Kinder vergisst. Kein Wunder, dass sich die vereinsamte Ellen und der auf Abwechslung drängende Chris näher kommen. Aber das Verhältnis fliegt auf, und plötzlich scheinen bei allen die Karten neu gemischt (...)“ („Halbe
Treppe“ Pressetext zum Kinostart 2002: http://halbetreppe.de).
[...]
1. Einleitung
Der Dokumentarfilm-Effekt von „Halbe Treppe“ ist für mich das Spezifische, dadurch erst wird der Film bemerkenswert und erinnerungswürdig. Der Inhalt ist nahezu banal und gewöhnlich, aber durch seine spezielle Form hat dieser Spielfilm einen ganz besonderen Charakter.
Wie schafft es nun der Regisseur Andreas Dresen diese Geschichte so zu gestalten, dass der Film bei den Zuschauern großes Interesse auslöst und nachhaltig in Erinnerung bleibt? Welche Rolle spielen dabei Kamera, Ton, Schnitt und weitere filmische Verfahren? Ausgehend von dieser Fragestellung habe ich meine Analyse aufgebaut und strukturiert und mich implizit mit der Problematik Form versus Inhalt und Dokumentation versus Spielfilm beschäftigt.
Die einfache Story des Films wird kaum jemanden in unserer heutigen Gesellschaft sehr fremd sein: 1. „(...) Chris und Katrin Düring haben sich in Alltag und Bett nicht mehr viel zu sagen, während Uwe Kukowski fast rund um die Uhr in seiner Imbissbude „Halbe Treppe“ schuftet und darüber seine Frau Ellen und die Kinder vergisst. Kein Wunder, dass sich die vereinsamte Ellen und der auf Abwechslung drängende Chris näher kommen. Aber das Verhältnis fliegt auf, und plötzlich scheinen bei allen die Karten neu gemischt (...)“ („Halbe Treppe“ Pressetext zum Kinostart 2002: http://halbetreppe.de).
Also, eine alltägliche, uns bekannte Situation - und doch weckt der Film ab der ersten Minute das Interesse des Zuschauers und zwar nicht durch seinen Inhalt, sondern durch die Erzählform der Geschichte und den Umgang mit den Figuren. Die Kameraführung, die Mise en Scène und die Montage sind überraschend - alles andere als spielfilmtypisch. Im Zentrum meiner Analyse steht die Form des Films, die den Inhalt in den Hintergrund treten lässt bzw. durch die der Inhalt erst wieder an Interesse gewinnt. Als Herangehensweise habe ich deshalb den neoformalistischen Ansatz gewählt:
Es wird in diesem Film etwas Gewöhnliches gezeigt, mit dem der Zuschauer in seinem Leben und vor allem in konventionellen (Liebes-)Filmen oft konfrontiert wird: Dem Seitensprung auf Grund der Alltagsroutine wird daher keine große Aufmerksamkeit mehr geschenkt - ohne weiter darüber nachzudenken wird die Filmsituation automatisch erkannt. „Halbe Treppe“ macht dieses nun trotzdem zu seinem inhaltlichen Thema - einem Thema, mit dem sich der Zuschauer 106 Minuten auseinandersetzt. Genau hier handelt es sich für mich um eine Art Fremdmachung - nicht der gezeigten Objekte sondern - der spielfilmischen Sehgewohnheiten durch den unerwarteten, dokumentarischen Charakter, die den Film zu einem bemerkenswerten Kunstwerk macht.
2. Analyse des Films „Halbe Treppe“
2.1. Kameratechnik
Das essenzielle Verfahren ist für mich die Kameraführung, da sie diesem Spielfilm seinen besonderen Charakter verleiht - den Charakter einer Dokumentation.
„Halbe Treppe“ macht den Anschein mit einer einzigen Handkamera gefilmt worden zu sein. Dieser Kameratyp passt sich an den Körper des Kameramanns an und verleiht so dem Film etwas Unmittelbares - durch diese Optik erscheint dem Rezipienten der Film erst improvisiert oder sogar authentisch. Die Kamerabewegung ist vollkommen auf die der Handkamera reduziert und trägt stark zum Dokumentarfilmeffekt bei - die gewohnten (spiel-)filmischen Bedienungsführungen wie Kamerafahrt, Kameraschwenk und Zoom sind kaum vorhanden. Im Folgenden habe ich die wesentlichen Gestaltungsmerkmale der Kameraführung untersucht:
Grundsätzlich folgt die Kamera den Darstellern (an Stelle eines Schnitts) und bewegt sich dadurch gelegentlich schnell hin und her um den Sprecher oder die Aktion einzufangen. Hierbei entstehen sogar einige unscharfe und leicht wacklige Einstellungen. Der Zuschauer hat das Gefühl, dass der Kameramann nicht weiß, was passieren wird und tatsächlich nur spontan agiert. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass das Bildfeld nicht durchgängig sehr vorteilhaft gewählt zu sein scheint. Dem Zuschauer wird dann kein freier Blick auf die Darsteller gewährt: Regale, Türrahmen, Treppengeländer und Rücken versperren die Sicht. Diese Vorgehensweise wirkt wie ein Authentizitätssignal (vgl. Borstnar/Pabst/Wulff 2002: 32) - das Vorhandensein der Kamera wird absichtlich herausgestellt. Die Dominanz der Normalperspektive ist für Spielfilme recht ungewöhnlich, da so „nur“ semantische Neutralität erreicht wird und folglich keine Beeinflussung des Rezipienten stattfindet. Es werden Bilder gezeigt ohne Bewertung - auch hier wird der dokumentarische Charakter deutlich: der Zuschauer muss sich seine Meinung selber bilden und seine Haltung gegenüber den Figuren individuell konstruieren.
Die Einstellungsgröße bleibt innerhalb einer Szene immer gleich: auffällig oft werden Groß-, Nah- oder halbnahe Aufnahmen gewählt. Durch diese fast durchgängige Nähe wird ein sensibles Gefühl für die Atmosphäre geschaffen - sie wird für den Rezipienten spürbar: Blicke werden verfolgt, Mimiken werden eingefangen und mögliche Gedanken werden transparenter. Beispielhaft hierfür ist Chris’ und Katrins Bett-Szene: der Rezipient kann das Unbehagen der beiden förmlich greifen, da jede kleinste Mimik und Bewegung sichtbar ist und ihr Innenleben - die Unsicherheit, die Unlust, das schlechte Gewissen - scheinbar unmittelbar offen daliegen.
2.2. Mise en Scène
Mise en Scène meint die Organisation des Bildinhalts, die Veränderung im Raum - wie ist nun das Filmbild bei „Halbe Treppe“ arrangiert, so dass der spezielle Charakter hervortritt? Die Figuren, das Setting, die Bildkomposition und die Beleuchtung „verführen“ den Zuschauer zu glauben, dass der Film eine Dokumentation ist, sind aber wiederum gespickt mit Verfahren, die subtil den Spielfilm „entlarven“.
Die vier Protagonisten des Films hinterlassen als Figuren keinen besonderen Eindruck: Sie fallen weder durch ihre Physiognomie noch durch ihre Kleidung speziell auf, verhalten sich gewöhnlich und sprechen umgangssprachlich, fallen sich dabei sogar ins Wort. Man sieht gewohnte Mimiken - weder überzeichnet noch überspitzt dargestellt - und hört gewohnte Versprecher. Gerade diese starke Lebensnähe - Nähe auch im räumlich-bildlichen Sinn (siehe 2.1. Einstellungsgrößen) - hebt die Darsteller an sich hervor. Sie vermitteln einem z.T.
tatsächlich das Gefühl in ihrem realen Alltag gefilmt zu werden. Dieses Phänomen wird vor allem von den Interviews gestützt, die ein abgerundetes und glaubhaftes Bild der Figuren liefern. Der Zuschauer identifiziert sich nun aber nicht durchgängig mit einem Charakter sondern erkennt sich in Verhaltensweisen der vier Figuren und in alltäglichen ihm ggf. gut bekannten Situationen wieder und fühlt sich durch diese Authentizität berührt. Die Sympathie des Rezipienten wird weder gelenkt noch beeinflusst, was ihm eher die Rolle eines Betrachters zukommen lässt.
Weiterhin spielen die musizierenden 17 Hippies, die sich wie ein roter Faden durch den ganzen Film ziehen, eine wichtige Nebenrolle. Anfänglich begegnet Uwe einem Hippie mit einem Dudelsack, bei jedem weiteren Aufeinandertreffen sind es mehrere Hippies - bis der Zuschauer sie mit Uwe zusammen schon erwartet. Uwe: „Die sind auch schon wieder da. Ich fass es nicht!“. Durch diese Kontinuität und der damit verbundenen Komik sind sie ein dezenter Hinweis für die fiktionale Handlung - der Zuschauer kann ein bekanntes filmisches Verfahren wiedererkennen: einen Running Gag. Letztendlich erscheinen sie zusammen mit ihrer meist heiteren Musik und ihrer „kuriosen Vermehrung“ wie ein Symbol für Lebenslust, aber auch für Vorankommen im Leben. Schließlich sind es auch diese Hippies, die den Ausklang des Films positiv und angenehm gestalten, indem sie der Figur Uwe und somit auch dem Zuschauer Hoffnung geben.
Genauso wie die Figuren sind die Settings gewählt: Konnotativ ist Frankfurt/Oder in unserer heutigen Gesellschaft meist nur „irgendeine uninteressante graue und triste Stadt in der ehemaligen DDR“. Dieser somit unspektakuläre Handlungs- und Drehort unterstreicht das Alltägliche der Geschichte und lässt den Inhalt des Films noch glaubhafter und sogar realer werden. Ähnlich verhält es sich mit den Wohnungen der Kukowskis und Dürings: gewöhnliche eher kleine und bescheiden eingerichtete Mietwohnungen, die wohl die meisten Zuschauer aus unserer Gesellschaft selber so kennen oder sogar bewohnen.
Das Arrangement der einzelnen Objekte im Bild ist bedeutungstragend, da die sogenannte Bildkomposition für den Stil des Films eine Rolle spielt. Spezifisch für „Halbe Treppe“ ist nun, dass das Dargestellte eben gerade nicht für die Kamera arrangiert wirkt (vgl. Borstnar/Pabst/Wulff 2002: 31). Das Bild ist durchgehend einfach aufgebaut und die einzelnen Bilder ähneln sich stark, was wiederum zu Gunsten des speziellen Charakters ausfällt. Auffällig oft sind durch zahlreiche Nahaufnahmen Menschen im Vordergrund des Bildes zu sehen (siehe 2.1.Einstellungsgrößen), denn gerade von diesen Menschen lebt der Film: Sie sind wichtig und bedeutungstragend.
Bei genauerer Betrachtung des Bildes stellt man zusätzlich fest, dass das Bild relativ körnig ist. Diese Bildbeschaffenheit grenzt „Halbe Treppe“ weiter gegen konventionelle Spielfilme ab, 3. „da man ein grobkörniges Bild mit Vergrößerung und Dokumentation assoziiert [-] dieser Effekt [wird] häufig eingesetzt um zu unterstreichen, das etwas Wahres gezeigt wird“ (Künzler, Fabian; Zimmermann, Thomas 2001:
http://visor.unibe.ch/WS01/film/RaumwKnzleruZimmermmann.pdf).
Als letztes bezüglich der Mise en Scène soll der Beleuchtungsstil zu Erwähnung kommen, der durch ausschließlichen Normalstil auch sehr einfach gestaltet ist. Es entsteht der Eindruck, dass ohne Filmlicht gedreht wurde - die Lichtführung ist motiviert; das Licht ist demnach meist weich und diffus und die Farben entsprechen unseren normalen Sehgewohnheiten. Es kommt sogar eine Szene im Gegenlicht zu Stande: nach der großen Aussprache bei Kukowskis, in der sich Katrin von Uwe verabschiedet, zeichnen sich Katrins und vor allem Uwes Profil gegen das (Tages-)Licht ab.
Wieder ist die realistische Wirkung bemerkenswert, die einen an den Realitätsgehalt des Gefilmten festhalten lässt.
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- Arbeit zitieren
- Jennifer Ahl (Autor:in), 2004, Eine Analyse zum Film 'Halbe Treppe', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71889
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