Die Liebestrank-Episode in Gottfrieds Tristan, eines der LIeblingsthemen der Forschungsliteratur, lässt sich durchaus auch interpretieren als exponierter Mittelteil eines komplexen textinternen Referenzsystems, das sowohl mit sich wiederholenden Namen (Isôt) als auch mit sich wiederholenden Ereignissen (Leim-Metapher) und Schicksalsrekurrenzen (Rîwalin vs. Tristan) einhergeht.
Diese Struktur soll anhand der vorliegenden Arbeit aufgezeigt und zur Diskussion gestellt werden, und zwar auch vor dem HIntergrund der (im Anhang beigegebenen) Varianten der Liebestrank-Episode aus anderen Fassungen und Bearbeitungen des Tristan-Stoffes.
Inhaltsverzeichnis
I. Begegnungen zwischen Tristan und Îsôt
Tristans erster Aufenthalt in Develin
Tristans zweiter Aufenthalt in Develin
Tristan und Îsôt auf dem Schiff
II. Der Minnetrank
Die Herkunft des Minnetranks
Die Eigenschaften des Minnetranks
III. Die verhängnisvolle Verwechslung
IV. Die Wirkung des Minnetranks
V. ... mit gelîmeten ougen
VI. Parallelen zwischen Riwalîn und Tristan
VII. Diskussion
Anhang 1
Literaturverzeichnis:
I. Begegnungen zwischen Tristan und Îsôt
Tristans erster Aufenthalt in Develin
Tristan, in der Not seiner unheilbaren Wunde, erinnert sich nicht nur der Worte Morolds, der ihm von den heilkundigen Fähigkeiten seiner Schwester Îsôt erzählt hatte (V.6944-6952; vgl.II), sondern auch an das, was von der schönen und klugen Königin allenthalben berichtet wird. Er begreift, dass nur die Königin von Irland sein Leben retten kann und macht sich auf den abenteuerlichen Weg dorthin (z’Irlanden; V.7328)[1]. Tatsächlich gelingt es ihm, von der Königin selbst gepflegt zu werden; eine Begegnung mit deren Tochter, der erwünscheten maget (V.7717), ist nur noch eine Frage der Zeit. Als man nach ihr schickt, erscheint daz wâre insigel der minne,/ mit dem sîn herze sider[2] wart/versigelt unde vor verspart/aller der werlt gemeiner/niuwan ir al einer, (V.7812-7816)
Als Tristan nach erfolgreicher Rekonvaleszenz (während der er Îsôt in Buchwissen [!], Saitenspiel und moraliteit[3] unterrichtet hat) wieder an Markes Hof zurückkehrt, entlädt sich seine Begeisterung für das Mädchen Îsôt in einer über 46 Verse reichende Lobeshymne (V.8255-8300); als der wol gemuote Tristan seine Rede beendet hat, spürt er: im was ein ander leben gegeben:/er was ein niuborner man. (V.8312-13).[4] Genau so erging es übrigens auch seinem (vergessenen) Vater Riwalîn, als er sich in Blancheflur verliebt hatte: wan er greif in ein ander leben;/ein niuwe leben wart ime gegeben (V.937-938; vgl. auch V).
Tristans zweiter Aufenthalt in Develin
Die zweite Begegnung zwischen Tristan und dem Mädchen Îsôt bedeutet für Tristan doppelte Entdeckung - zuerst erkennt Îsôt ihren Lehrer Tantris (V.9471-9473), den sie auch heimlich ansieht (V.9995f.), dann den Mörder ihres Onkels; dies aber eher intuitiv, wie es die Erzählerinstanz suggeriert: Nu ergieng ez aber Îsolde,/alsô der billîch wolde:/daz si aber ir herzequâle/zem anderen mâle/vor den andern allen vant. (V.10057-10061).
Als Îsôt den aufbewahrten Splitter aus Morolds Schädel als das fehlende Stück aus Tristans Schwert identifiziert, begunde ir herze kalten/umbe ir schaden den alten. (V.10087f.) Wut und Hass bemächtigen sich ihrer so sehr, dass sie Tristan erschlagen will; ihre Mutter kann im letzten Moment die unhöfische Tat verhindern, die das Mädchen für alle Zeit ehrlos gemacht hätte, denn Frauen sind im mittelalterlichen Rechtskontext von der Ausübung der Blutrache ausgenommen (vgl. Kriemhild!)
Tristan und Îsôt auf dem Schiff
Als Tristan das Mädchen schließlich mit sich nimmt, um sie Marke als Braut zuzuführen, sind Îsôts Gefühle für Tristan alles andere als liebevoll, denn si waz im dannoch gehaz (V. 11402). Für Tristan ist aber Îsôt, so berichtet es der Erzähler, sîn unverwânde amîe,/sîn unverwantiu herzenôt (V.11488-11489); entsprechend bemüht sich Tristan von Beginn der Reise an und unabhängig von Îsôts Wut und Hass gegen ihn (vgl. V.11575; 11579-81; 11624-26), um Trost für die trauernde und traurige Braut: der gie wîlent dar în/und trôste die künigîn,/dâ si weinende saz. (V.11545-11547). sô trôste sî Tristan ie,/sô er suozeste kunde./ze iegelîcher stunde,/alse er zuo z'ir triure kam,/zwischen sîn arme er si nam/vil suoze unde lîse/und niuwan in der wîse,/als ein man sîne vrouwen sol. (V.11554-11561).
II. Der Minnetrank
Die Herkunft des Minnetranks
Der Minnetrank wird von der klugen und weisen Königin Îsôt zubereitet, die bereits zuvor von ihrem Bruder Morold als außergewöhnliche Heilerin gepriesen wird, nachdem dieser Tristan mit seinem vergifteten Schwert verwundet hat: arzât noch arzâte list/ernert dich niemer dirre nôt,/ez entuo mîn swester eine, Îsôt,/diu künegîn von Îrlande./diu erkennet maneger hande/wurze und aller crûte craft/und arzâtlîche meisterschaft./diu kan eine disen list/und anders nieman, der der ist. (V.6944-6952)
Doch Îsôt versteht sich nicht nur auf Heil- und Kräuterkunde, sondern auch auf Magie und Traumdeutung,[5] die sie durchaus auch zu ihrem Vorteil einzusetzen weiß: und alse ez nahten began,/diu wîse vrâgete unde sprach/umbe ir tohter ungemach/ir tougenlîche liste,/von den si wunder wiste,/daz s'in ir troume gesach,/daz ez niht alsô geschach,/als der lantschal sagete. (V.9298-9305)
Die Eigenschaften des Minnetranks
Der Minnetrank soll die Liebe zwischen Îsôt und Marke unterstützen und festigen, um der Ehefrau Îsôt nicht nur langfristig die alleinige Aufmerksamkeit ihres Mannes zu sichern, sondern auch, um durch eine stabile Ehe zwischen den beiden den soeben geschlossenen Frieden zwischen Irland und Cornwall zu besiegeln und auf Dauer zu erhalten. Um dies zu erreichen, stellt Îsôt einen tranc von minnen her; mit sweme sîn ieman getranc,/den muose er âne sînen danc[6] /vor allen dingen meinen/und er dâ wider in einen./in was ein tôt unde ein leben,/ein triure, ein vröude samet gegeben. (V.11439-11444)
Trotzdem soll die Ehe zunächst ohne die Hilfe der geheimen Künste vollzogen werden, denn Mutter Îsôt schärft Brangäne, die auch um die Art des Tranks weiß (der tranc der ist von minnen; V.11467), ein: swenne Îsôt unde Marke/in ein der minne komen sîn,/sô schenke in disen tranc vür wîn/und lâ si'n trinken ûz in ein. (V.11460-11463)
Îsôt und Marke sollen also mithilfe dieses Tranks und nach dem Vollzug ihrer Ehe (?) durch eine ausschließliche, vom freien Willen unabhängige und lebenslang andauernde Liebe zueinander verbunden sein.
III. Die verhängnisvolle Verwechslung
Das Verhängnis nimmt seinen Lauf, als Îsôt und ir gesinde seekrank werden und Tristan deshalb die Reise unterbrechen lässt (V.11649ff.). Als er sich zu der im Schiff verbliebenen Îsôt gesellt, wird er durstig; eine junge Hofdame reicht ihm ein gefülltes Glas, das Tristan zuerst an Îsôt weiterreicht, bevor er selbst auch daraus trinkt. Das Glas enthält jedoch keinen Wein, wie alle Beteiligten meinen, sondern ez was diu wernde swaere,/diu endelôse herzenôt,/von der si beide lâgen tôt. (V.11674-76). Auch Brangäne, die kurz darauf erscheint, begreift sofort das kommende Verhängnis: ouwê Tristan unde Îsôt,/diz tranc ist iuwer beider tôt! (V.11705f.) Mit ähnlichen Worten berichtet sie das Unglück übrigens auch Îsôt: «owî!» sprach sî «daz selbe glas/und der tranc, der dar inne was,/der ist iuwer beider tôt.» (V.12487-89).
[...]
[1] In der Sage ergibt sich Tristan Gottes Wille: nâch wâne (wohin Gott mich bringt)
[2] Epische Vorausdeutung mit sît (praemonitio=Warnung); vgl. dazu auch die Verse 7058 und 7135.
[3] Sittenlehre = Gesinnung und Gesittung. Hier klingt die Opposition „religiöse Gebote“ vs. „sündenhaftes Erdenleben“ bzw. der Dualismus got vs. werlt an; diese Opposition wird in der Synthese des vollkommenen, ritterlich-höfischen Menschen aufgelöst.
[4] Könnte diese Parallele auch gedeutet werden als die Auferstehung eines Todgeweihten?
[5] Das kommt in dieser Form ausschließlich bei Gottfried vor!
[6] Der Ausdruck (ohne bzw. unabhängig vom eigenen Willen) wird auch bei Eilhart in diesem Zusammenhang verwendet. Heinrich von Veldeke benutzt den Ausdruck in seiner gereimten Tristan-Kritik (vgl. dazu den Kommentar zu V.11440; S. 116)
- Arbeit zitieren
- Magister Artium Clarissa Höschel (Autor:in), 2006, Die Liebestrank-Episode in Gottfried von Straßburgs TRISTAN, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71523
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