Seit den 1960er Jahren orientiert sich die musikalische Entwicklungsforschung überwiegend an der weitverbreiteten und einflussreichen Entwicklungstheorie Jean Piagets.
Diese Entwicklungstheorie unterteilt die geistige Entwicklung eines Kindes in verschiedene Entwicklungsstufen. Man setzte voraus, dass die Prinzipien und Stadien der allgemeinen geistigen Entwicklung auf die musikalische Entwicklung übertragbar sind. So kann man die von Piaget genannten Entwicklungsstufen in der musikalischen Entwicklung des Individuums feststellen2. Hierbei möchte ich gleich darauf hinweisen, dass unter dem Begriffmusikalische Entwicklungdurchaus nicht nur die Fähigkeit des Erlernens eines Instrumentes zu verstehen ist, sondern andere zum Teil auch vernachlässigte Aspekte eine große Rolle spielen. Neben der Fähigkeit ein Musikinstrument zu erlernen, sollten in der frühkindlichen Entwicklung eines Kindes ebenfalls noch weitere „musikalische Fähigkeiten“ beobachtet werden. Diesen Aspekten in der musikalischen Entwicklung, wie zum Beispiel die Entwicklung der Wahrnehmungen, das emotionale Erleben, sei es kognitiv oder beim Praktizieren von Musik, das frei erfundene Singen, Nachsingen, Wiedererkennen usw., werde ich im Laufe meiner Arbeit anhand von Versuchen, sowie Überlegungen Wichtigkeit schenken und im gleichen Zuge die damit entstehenden Probleme aufzeigen. Oftmals entstehen „Probleme“ zwischenmenschlicher Art, wenn sich Menschen nicht verstehen. Dies kann durchaus auf die musikalische Entwicklung übertragen werden.
Inhalt
1. Grundgedanken zur musikalischen Entwicklungsforschung
2. Die Theorie des Entwicklungsforschers Jean Piaget
2.1 Die Entwicklungsphase des anschaulichen Denkens
2.1.1 Die musikalische Entwicklung in der Entwicklungsphase des anschaulichen Denkens
2.2 Die Entwicklungsphase des konkret-operatorischen Denkens
2.2.1 Die musikalische Entwicklung in der Entwicklungsphase des konkret-operatorischen Denkens
2.3 Schemata
3. Kritik an der Theorie Jean Piagets
4. Das Problem der Begrifflichkeit
5. Die Notation
6. Die Theorie Gordons
7. Verbesserte musikalische Entwicklung und Schlussfolgerung
8. Literaturverzeichnis
Die anschauliche Zentrierung in der musikalischen Entwicklung Grundgedanken
1. Grundgedanken zur musikalischen Entwicklungsforschung
Seit den 1960er Jahren orientiert sich die musikalische Entwicklungsforschung überwiegend an der weitverbreiteten und einflussreichen Entwicklungstheorie Jean Piagets.[1]
Diese Entwicklungstheorie unterteilt die geistige Entwicklung eines Kindes in verschiedene Entwicklungsstufen. Man setzte voraus, dass die Prinzipien und Stadien der allgemeinen geistigen Entwicklung auf die musikalische Entwicklung übertragbar sind. So kann man die von Piaget genannten Entwicklungsstufen in der musikalischen Entwicklung des Individuums feststellen[2]. Hierbei möchte ich gleich darauf hinweisen, dass unter dem Begriff musikalische Entwicklung durchaus nicht nur die Fähigkeit des Erlernens eines Instrumentes zu verstehen ist, sondern andere zum Teil auch vernachlässigte Aspekte eine große Rolle spielen. Neben der Fähigkeit ein Musikinstrument zu erlernen, sollten in der frühkindlichen Entwicklung eines Kindes ebenfalls noch weitere „musikalische Fähigkeiten“ beobachtet werden. Diesen Aspekten in der musikalischen Entwicklung, wie zum Beispiel die Entwicklung der Wahrnehmungen, das emotionale Erleben, sei es kognitiv oder beim Praktizieren von Musik, das frei erfundene Singen, Nachsingen, Wiedererkennen usw., werde ich im Laufe meiner Arbeit anhand von Versuchen, sowie Überlegungen Wichtigkeit schenken und im gleichen Zuge die damit entstehenden Probleme aufzeigen.
Oftmals entstehen „Probleme“ zwischenmenschlicher Art, wenn sich Menschen nicht verstehen. Dies kann durchaus auf die musikalische Entwicklung übertragen werden. Unter dem Begriff „Probleme“ dürfen jedoch nicht Konflikte oder Streitereien zwischen Kind und Beobachter verstanden werden. Es handelt sich hier um Kommunikationsprobleme „niederer Art“. Das Kind als Individuum gesehen, besitzt noch nicht die erworbenen geistigen oder auch körperlichen Fähigkeiten, das musikalisch Erlebte dem erwachsenen Beobachter verständlich mitzuteilen. Wobei ich hier nur anmerken möchte, dass zum Teil selbst erwachsene Menschen diese Schwierigkeiten besitzen. Sie sind
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wohl der kommunikativen Mittel, wie Sprache, Schrift in diesem Falle evtl. sogar der Notenschrift mächtig, können aber ihre Gefühle nicht ausdrücken. Sei es durch Sprache, Niederschrift oder Bewegungen, sie können gehörte Musik und das dabei emotional Erlebte schlecht oder kaum vermitteln. Bereits an der Entwicklungstheorie Jean Piagets wurde Kritik geübt, dass seine Versuche und Überlegungen sich ausschließlich auf das Kindesalter beziehen und das Erwachsenenalter und deren Entwicklung außen vor bleiben.[3] Dem müssten nun neue Untersuchen sowie Versuche zu Grunde gelegt werden, um dieses Thema neu zu beleuchten, was meiner Ansicht nach sehr interessant ist. In diesem Falle sind die im Kindesalter noch evtl. vorhanden körperlichen „Probleme“, welche zum Teil bei den Versuchen Schwierigkeiten hervorbrachten, voll und ganz entwickelt. Da einige musikalischen Fähigkeiten erst in einem bestimmten Alter, oder anders gesagt, erst durch eine körperliche Weiterentwicklung erworben werden können, wäre es zum Beispiel interessant zu untersuchen, in welchem Maße Wahrnehmung und Ausdruck bei bisher eher „unmusikalischen“ Erwachsen, vorhanden sind und diese Aspekte gefördert werden können. Meiner Meinung nach hängt dies damit zusammen, das intensive Erleben der Emotionen zu steigern und auszuprägen. Die Musik spricht keine Sprache der Welt. Würde dies vielleicht nicht helfen die Welt besser kennen zu lernen und die Menschen stärker zu vereinen und an ihren Empfindungen und deren anderen Menschen Teil zu haben? Ich will damit nicht sagen, dass mit Musik über Krieg und Frieden entschieden werden kann, aber dass vielen Menschen mit der Ausprägung ihrer musikalischen Fähigkeiten und somit auch dem intensiven Erleben ihrer Emotionen die Augen geöffnet werden könnte und somit ihr innerer Frieden etwas mehr geprägt würde.
Nach diesem Kritikpunkt an der Theorie Piagets, möchte ich mich nun den anfangs genannten Entwicklungsstufen nach Piaget widmen. Wie bereits erwähnt orientieren sich die musikalischen Entwicklungsforscher ebenfalls an dieser Stufentheorie Piagets, da diese Entwicklungsphasen sehr deutlich auch in der musikalischen Entwicklung zur Geltung kommen.
Die anschauliche Zentrierung in der musikalischen Entwicklung Die Theorie Piagets
Besondere Aufmerksamkeit wurde dabei 2 Entwicklungsphasen geschenkt, die ich nun näher betrachten möchte.
Zunächst wäre da die Entwicklungsphase des anschaulichen Denkens, welche sich über die Lebensjahre 4 bis 7 erstreckt, gefolgt von der Entwicklungsphase des konkret-operationalen Denkens vom 7. bis 11. Lebensjahr. Ich möchte beide Phasen der Entwicklung gesondert und der Reihe nach erläutern, wobei ich zunächst die geistige und körperliche Entwicklungsreife und dann vergleichsweise die musikalische Entwicklungsreife darstellen werde. So scheint mir, werden die Relationen der geistigen und musikalischen Entwicklung klar verdeutlicht. Beide Entwicklungsreifen sind eng miteinander verknüpft, jedoch Ausnahmen bestätigen die Regel.
So wird doch hin und wieder ein Fall bekannt, wo geistig oder auch körperlich behinderte Menschen zu unwahrscheinlich „hohen“ musikalischen Leistungen fähig sind.
2. Die Entwicklungstheorie Jean Piagets
2.1 Die Entwicklungsphase des anschaulichen Denkens
Ein Kind wird im Laufe seiner Entwicklung überhäuft von Eindrücken und Wahrnehmungen. Doch nicht immer ist es einem Kind möglich, diese kognitiven oder durch Intervention erfahrenen Eindrücke zu ordnen und zu verstehen. Vor allem nicht, wenn es sich noch in der Phase des anschaulichen Denkens befindet welche sich über die Lebensjahre 4 bis 7 erstreckt. Zu Beginn dieser Entwicklungsphase kann das Kind seine Aufmerksamkeit nur auf einen Aspekt der Wahrnehmung lenken. Dies bezeichnet Piaget als die anschauliche Zentrierung. Ich werde dies anhand eines Versuches Piagets näher verdeutlichen:
Einem fünfjährigen Kind wird vorgeführt, wie die Wassermenge aus einem hohen und somit schmaleren Glas in ein niedrigeres, breiteres Glas umgeschüttet wird. Das Kind wird antworten, dass die Wassermenge weniger ist als vorher. Es beurteilt die Wassermenge des Glases nach der Höhe oder Breite des Glases. Das Kind, welches sich noch in der Phase des anschaulichen Denkens befindet, vermag noch nicht beide Aspekte zu berücksichtigen und zu koordinieren, um das
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Volumen festzustellen. Es lässt sich ebenfalls folgern, dass in dieser Entwicklungsphase räumliche Dimensionen, wie hoch, tief usw. noch nicht entwickelt sind. Das Kind kann diese Begriffe noch nicht einordnen.[4]
2.1.1 Die musikalische Entwicklung in der Entwicklungsphase des anschaulichen Denkens
Betrachten wir nun die musikalische Entwicklung in der Phase des anschaulichen Denkens. Hierbei möchte ich auf die Beobachtungen von Pflederer-Zimmermann (1964) und Pflederer-Sechrest (1968) eingehen.
Fünfjährige Kinder werden darauf untersucht, ob sie in der Lage sind mehrere Aspekte der Melodie, wie Rhythmik oder Harmonik gleichzeitig zu betrachten und die Identität oder Ähnlichkeit des Rhythmus, der Melodie oder der Harmonik bei gleichzeitiger Veränderung anderer Parameter zu erkennen.
Die fünfjährigen Kinder sind dazu jedoch nicht in der Lage, da sie sich noch in der Phase des anschaulichen Denkens (anschaulichen Zentrierung) befinden und somit noch nicht in der Lage sind mehrere Wahrnehmungsaspekte gleichzeitig zu betrachten. Wenn man folglich einem Kind in dieser Entwicklungsphase eine Melodie zweimal vorspielt, zunächst allein, das andere Mal harmonisiert, wird es diese kaum wiedererkennen. Auf die Frage ob die zweite Melodie gleich oder ähnlich gewesen sei, werden die Kinder zum Beispiel antworten: das zweite Stück war mehr Musik, es haben mehr Leute gespielt, oder es wurden mehr Finger gebraucht.
Ebenso wurden Kinder des gleichen Alters auf die symbolische Repräsentation von Musik näher untersucht. Sie sollten das Gehörte durch Schrift oder Malerei verdeutlichen. Bei diesem Versuch konnte ebenfalls die Auswirkungen der anschaulichen Zentrierung beobachtet werden. Entweder wurde die melodische Kontur oder die rhythmische Gruppierung einer Melodiephrase notiert.
Auf dieses Problem der Notation werde ich zu einem späteren Zeitpunkt wiederum zu sprechen kommen.
Die anschauliche Zentrierung in der musikalischen Entwicklung Die Theorie Piagets
Kinder dieses Alters sind nicht in der Lage, die Länge oder Dauer eines Musikstückes zu bestimmen. Beim Versuch mit mehreren Stücken unterschiedlicher Länge, konnten die untersuchten Kinder keine Angaben darüber machen, welches Stück länger oder kürzer erklang. Sie konnten keine zeitlichen Angaben dazu machen. Dies bestätigt, dass in dieser Entwicklungsphase neben den räumlichen Dimensionen ebenfalls die zeitlichen Dimensionen fehlen.[5]
Als weiteres Kriterium dieser Entwicklungsphase wäre noch der Egozentrismus zu erwähnen. Der Wahrnehmung kommt in dieser Phase der musikalischen Entwicklung eine große Bedeutung zu. Stets sollen die untersuchten Kinder das Gehörte bzw. das Erlebte beschreiben. Da sie jedoch noch von einem Egozentrismus „beherrscht“ werden, kann sich ein Kind bis zum 7.Lebensjahr nicht ausmalen, dass ein anderer etwas anderes gehört oder empfunden hat. Sie wissen nicht, dass eine andere Person die Dinge anders wahrnehmen kann, als sie selber.[6]
[...]
[1] PIAGET, Jean 1896-1980.
[2] GEMBRIS, Heiner: Grundlagen musikalischer Begabung und Entwicklung, 1998, S.239.
[3] GEMBRIS, Heiner: Grundlagen musikalischer Begabung und Entwicklung, 1998, S.242.
[4] GEBMRIS, Heiner: Grundlagen musikalischer Begabung und Entwicklung, 1998, S.239f.
[5] GEMBRIS, Heiner: Grundlagen musikalischer Begabung und Entwicklung, 1998, S. 240f.
[6] GEMBRIS, Heiner: Grundlagen musikalischer Begabung und Entwicklung, 1998, S. 239f.
- Quote paper
- Heiko Klaiber (Author), 2002, Die anschauliche Zentrierung in der musikalischen Entwicklung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71253
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