Die historische Dimension des erzieherischen Handelns mit all seinen Maßnahmen, Institutionen, Inhalten, Zielbildern und Fragestellungen ist nicht von der Hand zu weisen. In der Geschichte der Pädagogik hinterlassen in der Vergangenheit handelnde Personen ihrer Nachwelt Erfahrungen im Gelingen wie im Scheitern, aus denen nachfolgende Generationen lernen können. Dieses „Denken über den Tag hinaus“ möchte ich anhand einer ausgewählten Geschichte aus dem Repertoire der Geschichte der Erziehung nachvollziehen. Es handelt sich nicht um einen fiktionalen Text, sondern um ein Gutachten des Arztes Itard über den Erziehungsversuch des Wilden von Aveyron. Gegenstand meiner Betrachtung soll der in diesem Gutachten thematisierte Erziehungs- und Bildungsprozess sein. Durch die Vorstellung der beiden beteiligten Personen und der Begegnung zwischen Lehrer und Schüler versuche ich, mich dieser Geschichte der Erziehung zu nähern.
Das Erziehungsverständnis und die daraus resultierenden pädagogischen Zielsetzungen des Lehrers sind dabei von Bedeutung für das Verständnis seiner gesamten Lehrtätigkeit. Nach der Beschreibung des Erziehungsprozesses im Ganzen wird dieser in Einzelteile zerlegt und analytisch betrachtet. Dabei gehe ich auf das Erziehungsfeld, die Lern- und Interaktionsformen sowie auf Methoden und Medien ein. Die Analyse erlaubt mir somit, meine gegenwärtige Sichtweise in die Vergangenheit zu projizieren und dadurch eine individuelle Auseinandersetzung zu erreichen. Unmittelbar an diese analytische Betrachtungsweise werden die Einzelteile wieder zusammengefügt und der Erziehungsprozess im Ganzen interpretiert. In der subjektiven Wertung und Auseinandersetzung geht es mir vor allem darum, die von mir ausgewählte historische Begebenheit gegenwartsnah zu deuten.
Dieser Herangehensweise liegt der eigene subjektive Bildungsprozess zugrunde. Über die einleitende Annäherung an die Thematik und Die gesamte vorliegende Arbeit ist also ein Versuch, anhand der Interpretation einer Geschichte aus der Geschichte der Erziehung den eigenen Bildungsprozess zu erfahren und zu fragen: Was kann man aus der Geschichte lernen?
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung: Anliegen der Untersuchung einer Geschichte der Erziehung
- Vorstellung der beiden Figuren der Erziehungsgeschichte
- Die Begegnung
- Victor zwischen Idiotie und Wildheit: Disput zwischen Pinel und Itard
- Der medizinische Blick Pinels
- Der pädagogische Blick Itards
- Das Menschenbild und Erziehungsverständnis des Lehrers und Erziehers
- Beschreibung und Analyse des Erziehungsprozesses
- Itards Gutachten als Quelle
- Pädagogische Zielsetzungen als Konsequenz der Diagnose
- Integration des Wilden in die Gemeinschaft
- Erhöhung der Sensibilität
- Erweiterung des gedanklichen Horizonts
- Entwicklung der Sprache
- Entwicklung geistiger Tätigkeit, die über die Bedürfnisse hinausgeht
- Maßnahmen, Methoden und Ergebnisse des Lehr-Lern-Prozesses im Überblick
- Integration in die Gesellschaft
- Sinnesschulung
- Schulung der intellektuellen Fähigkeiten
- Schulung der affektiven Fähigkeiten
- Didaktische Analyse der heilpädagogischen Urszene
- Das Erziehungsfeld: Die pädagogische Provinz (Koch)
- Das didaktische Modell
- Der Unterricht als kommunikativer Prozess
- Lernformen: Der Unterricht ohne Freude und Spiel
- Medien und Methoden
- Interpretation: Gegenwartsnahe Deutungen einer Geschichte der Geschichte der Erziehung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert den pädagogischen Prozess der Erziehung des Wilden von Aveyron durch den Arzt Itard. Ziel ist es, den historischen Erziehungsversuch im Kontext der damaligen Zeit zu verstehen und in Bezug zur Gegenwart zu setzen.
- Der Erziehungsversuch des Wilden von Aveyron als Fallbeispiel für die Geschichte der Erziehung
- Das Menschenbild und Erziehungsverständnis Itards im Vergleich zu Pinels medizinischem Ansatz
- Analyse der pädagogischen Methoden und Zielsetzungen Itards
- Interpretation des Erziehungsversuchs im Kontext der damaligen Zeit und der heutigen Gesellschaft
- Bedeutung der Geschichte für das Verständnis des heutigen pädagogischen Lebens
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung erläutert die Bedeutung der Geschichte der Erziehung für das Verstehen des pädagogischen Lebens in der Gegenwart. Das zweite Kapitel stellt die beiden Hauptfiguren der Geschichte, den Wilden von Aveyron und seinen Lehrer Itard, vor. Dabei wird auf ihre Begegnung eingegangen und die unterschiedlichen Perspektiven von Pinel und Itard auf Victors "Idiotie" und "Wildheit" gegenübergestellt.
Im dritten Kapitel wird der Erziehungs- und Bildungsprozess, der Gegenstand der Arbeit ist, im Detail analysiert. Itards Gutachten dient als zentrale Quelle.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen der Arbeit sind: Geschichte der Erziehung, pädagogischer Bildungsprozess, Menschenbild, Erziehungsverständnis, pädagogische Zielsetzungen, Methoden und Medien, Didaktische Analyse, Gegenwartsnahe Deutung, Wildheit, Idiotie, Integration, Sensibilität, Sprache, Sinnesschulung, intellektuelle Fähigkeiten, affektive Fähigkeiten.
- Arbeit zitieren
- Cina Bugdoll (Autor:in), 2000, Victor und sein Lehrer Jean Itard. Eine Geschichte der Erziehung als Medium pädagogischer Bildung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71201