Aus theoretischer Perspektive wurden Region und Regionalisierung von zahlreichen Autoren behandelt. Die aufgestellten Hypothesen und Systematisierungen sind allerdings wesentlich seltener auf die Praxis, sprich auf ein oder mehrere konkrete Beispiele, angewandt worden. Die für diese Arbeit maßgebliche „kulturwissenschaftliche Regionenforschung“ ist stark empirisch orientiert und bemüht sich u.a. Einzelergebnisse zu einer allgemeineren Theorie zu verknüpfen. Die vorliegende Arbeit soll mit Fokus auf eine Region, nämlich die Rhön, und die für sie maßgeblichen regionalisierenden Akteure, nämlich den Verein Rhönklub (RK) und das Biosphärenreservat Rhön (BRR), ein solches Einzelergebnis liefern. Die wesentliche Frage dabei ist:Welche Positionen lassen sich innerhalb der (schriftlich fixierten) Regionsdarstellungen der beiden Institutionen feststellen? Welche Strategien verfolgen sie, um die Region zu fördern, welche Bezüge setzen sie bei der Darstellung „ihrer“ Region?Das Ziel ist, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Bezugnahme auf die Region Rhön festzustellen und wenn möglich Erklärungsansätze zu liefern. Zugleich wird das Thema der regionalen Identität aufgegriffen, das in der Wissenschaft ebenso wie im Umfeld der Regionalentwicklung eine Rolle spielt. Erst kürzlich haben mit dem BRR befasste Wissenschaftler die Frage nach der symbolischen Bedeutung von Naturraummerkmalen oder regionalen Produkten für die „Rhöner Identität“ aufgeworfen. Diese Frage nach dem „Selbstverständnis und Selbstbewusstsein“ in der Rhön könne allerdings nicht allein mit Umfragen beantwortet werden,5sondern erfordere die Untersuchung „zeitgeschichtlich entsprechend ausgewählter Texte unter Beachtung ihres Entstehungs-und
Verwendungszusammenhangs“. Genau das versucht die vorliegende Arbeit: Sie beleuchtet mit dem Vergleich von Schriftzeugnissen einer bereits seit 1876 bestehenden und einer in den 1990ern entstandenen Organisation Regionalisierungbestrebungen bzw. Regionsdarstellungen vor verschiedenen zeitlichen Hintergründen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Grundlagen
2.1 Einbindung in die Forschungsdiskussion
2.1.1 Zur Konjunktur des Regionsbegriffs innerhalb und außerhalb der Wissenschaft
2.1.2 Substantialistische und konstruktivistische Ansätze
2.1.3 Kulturwissenschaftliche Regionenforschung: Region als Sinnordnung
2.1.4 Möglichkeiten regionaler Sinnordnung
2.1.4.1 Akteurstypen und Handlungslogiken
2.1.4.2 Regionskonzepte und Arten der Raumstrukturierung
2.2 Begriffsklärung
2.2.1 Kernbegriffe: Raum, Region, Heimat
2.2.2 Hilfsbegriffe: Moderne, Identität, Erzählungen
2.3 Erklärungsansätze und Theorien zu Region und Regionsbezug
2.3.1 Zur Aktualität des Raumbezugs in Zeiten der „Globalisierung“
2.3.2 Zum Raumbezug auf verschiedenen Ebenen: Region, Nation, Europa
2.3.3 Raumbezug als Möglichkeit der Selbstverortung und Sinnstiftung: Regionale Identität und Identifizierung mit der Region
2.4 Zusammenfassung und Folgerungen
3 Vorgehensweise
3.1 Untersuchungsgegenstand: Die Rhön und die Akteure Rhönklub und Biosphärenreservat
3.2 Verfahren zur Bearbeitung der Fragestellungen
3.2.1 Die Diskursanalyse
3.2.2 Der Vergleich und vergleichendes Vorgehen
3.3 Methode
3.3.1 Filterfragen: Unter welchen Gesichtspunkten werden Quellen ausgewählt?
3.3.2 Korpusbildung: Welches sind die relevanten Dokumente?
3.3.3 Analyseraster: Was sind diskursive Elemente?
4 Untersuchung: Die Konstruktion der Region Rhön
4.1 Kontext der Untersuchung: Beschreibung der Akteure
4.1.1 Der Rhönklub
4.1.2 Das Biosphärenreservat
4.1.3 Zuordnung zu Akteurstypen und Regionskonzepten
4.2 Untersuchung: Beschreibung der Regionskonzepte
4.2.1 Gründungserzählungen und Selbstdarstellungen – Hintergründe der Regionalisierung
4.2.1.1 Der Rhönklub
4.2.1.2 Das Biosphärenreservat
4.2.1.3 Zusammenfassung und Eckpunkte für die weitere Analyse
4.2.2 Darstellung der Rhön und ihrer Bewohner – Strategien der Regionalisierung
4.2.2.1 Räumliche Abgrenzung: Gemeinsame Aspekte statt eindeutige Grenzen (topografischer, ordnungspolitischer und kultureller Raum)
4.2.2.2 Die Rhön als Grenzland und Raum der Grenzüberschreitung (ordnungspolitischer und kultureller Raum)
4.2.2.3 Die Rhön als Kulturlandschaft zwischen Wirtschaftsraum und Schutzgebiet (ökonomischer und topografischer Raum)
4.2.2.4 Die Rhön als Refugium und Qualitätsregion (ökonomischer und kultureller Raum)
4.2.2.5 Der Begriff „Rhöner“: Gattungsname und Qualitätsattribut (kultureller und ökonomischer Raum)
5 Fazit
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Anhang mit Anhangsverzeichnis
1 Einleitung
„Region“ – das ist, um mit Blotevogel zu sprechen, ein „offener, extrem schillernder Begriff“.[1] „Region“ kann je Verwendungszusammenhang etwas anderes bedeuten und diejenigen, die von „Region“ reden, können oft zwar „ihre“ Region, aber nicht „die“ Region im Allgemeinen definieren. Obwohl sie sich inhaltlich unterscheiden, lässt sich aber ein gemeinsames formales Prinzip vieler Regionsbegriffe feststellen: Sie entstehen vor dem Hintergrund bestimmter Werte und Deutungszusammenhänge und nach bestimmten Ordnungsprinzipien.
Der Begriff der Region wird seit einigen Jahrzehnten in diversen Wissenschaftsgebieten verstärkt behandelt und spielt spätestens seit den 1990er Jahren auch außerhalb der Wissenschaft eine Rolle. In sogenannten Regionalentwicklungsprojekten, meist beeinflusst von Politik und Wirtschaft, aber auch von anderen Interessengruppen (etwa Vereinen), bemühen sich bestimmte Akteure um die Förderung einer bestimmten Region. Diese „Konjunktur“ der Region ist jedoch nichts völlig Neues, sondern kann eher als eine Phase bzw. Welle der „Regionalisierung“, also der bewussten Bezugnahme auf Region, verstanden werden.[2] Es scheint von daher interessant, nach früheren Phasen des Regionsbezugs und ihren Parallelen und Unterschieden zum Regionsbezug der Gegenwart zu fragen.
Aus theoretischer Perspektive wurden Region und Regionalisierung von zahlreichen Autoren behandelt. Die aufgestellten Hypothesen und Systematisierungen sind allerdings wesentlich seltener auf die Praxis, sprich auf ein oder mehrere konkrete Beipiele, angewandt worden. Die für diese Arbeit maßgebliche „kulturwissenschaftliche Regionenforschung“ ist stark empirisch orientiert und bemüht sich u.a. Einzelergebnisse zu einer allgemeineren Theorie zu verknüpfen.[3] Die vorliegende Arbeit soll mit Fokus auf eine Region, nämlich die Rhön, und die für sie maßgeblichen regionalisierenden Akteure, nämlich den Verein Rhönklub (RK) und das Biosphärenreservat Rhön (BRR), ein solches Einzelergebnis liefern. Die wesentliche Frage dabei ist: Welche Positionen lassen sich innerhalb der (schriftlich fixierten) Regionsdarstellungen der beiden Institutionen feststellen? Welche Strategien verfolgen sie, um die Region zu fördern, welche Bezüge setzen sie bei der Darstellung „ihrer“ Region? Das Ziel ist, Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Bezugnahme auf die Region Rhön festzustellen und wenn möglich Erklärungsansätze zu liefern. Zugleich wird das Thema der regionalen Identität aufgegriffen, das in der Wissenschaft ebenso wie im Umfeld der Regionalentwicklung eine Rolle spielt.[4] Erst kürzlich haben mit dem BRR befasste Wissenschaftler die Frage nach der symbolischen Bedeutung von Naturraummerkmalen oder regionalen Produkten für die „Rhöner Identität“ aufgeworfen. Diese Frage nach dem „Selbstverständnis und Selbstbewusstsein“ in der Rhön könne allerdings nicht allein mit Umfragen beantwortet werden,[5] sondern erfordere die Untersuchung „zeitgeschichtlich entsprechend ausgewählter Texte unter Beachtung ihres Entstehungs- und Verwendungszusammenhangs“. Genau das versucht die vorliegende Arbeit: Sie beleuchtet mit dem Vergleich von Schriftzeugnissen einer bereits seit 1876 bestehenden und einer in den 1990ern entstandenen Organisation Regionalisierungbestrebungen bzw. Regionsdarstellungen vor verschiedenen zeitlichen Hintergründen. Bei flüchtiger Betrachtung der beiden Akteure, deren Auswahl in Kap. 3.1. begründet wird, ergibt sich der Eindruck, dass die Grundgedanken der Heimatbewegung und Regionalisierungsbewegung zumindest in der Rhön eng beieinander liegen – diese Annahme, die die Ausgangshypothese für diese Arbeit bildete, gilt es zu prüfen.
Die vorliegende Arbeit nähert sich dem Untersuchungsgegenstand, indem sie versucht, die Diskussion um Region/Regionalisierung in Grundlinien darzustellen und zu systematisieren (Kap. 2.1.), wesentliche Begriffe definiert (Kap. 2.2.) sowie für das eigene Vorgehen relevante Theorien und Erklärungsansätze (Kap. 2.3.) vorstellt. Anhand dieses Grundlagenteils wurden erkenntnistheoretische Ausgangspunkte und Hypothesen/Fragen entwickelt, die bei der Quellenanalyse wieder aufgegriffen werden. Kap.3 begründet die Auswahl des Untersuchungsgegenstandes sowie der Untersuchungsverfahren und beschreibt das genaue Vorgehen bei der Quellenanalyse. Kap.4 versucht Aufbau und Funktionsweise der Akteure BRR und RK zu beschreiben (Kap. 4.1.) und fragt anschließend nach ihrer Darstellung der eigenen Aufgabe, der Region Rhön und ihrer Bewohner (Kap. 4.2.).
Da nicht alle Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Rhön-Darstellungen beider Akteure verglichen werden können, wird die Untersuchung auf einige Aspekte beschränkt: Eine Grundannahme der vorliegenden Arbeit ist, dass Umbrüche/Zäsuren irgendeiner Art dazu führen, dass sich auf Regionen bezogene Akteursgruppen bilden bzw. schon bestehende sich verändern. Die damit verbundenen auf die Gründungsphasen bezogenen Fragen, die in Kap.4.1. beantwortet werden sollen, lauten: Welche Umbrüche sind im Fall der hier untersuchten Akteure relevant? Maßgeblich dabei ist die Binnenperspektive: Wie erklären sie ihre Entstehung und ihre Aufgabe in Bezug auf „die Rhön“ selbst?
Ebenfalls interessant ist, ob sich einzelne Elemente der Darstellungen (Themen, Formulierungen, Ausdrücke) verändern oder stabil bleiben, und inwiefern sich die Positionen der Akteure voneinander unterscheiden oder sich ähneln. Ausgangspunkt zur Beantwortung dieser Fragen in Kap. 4.2. sind Zäsuren bzw. Zeitpunkte, zu denen sich die Akteure selbst definieren müssen, und zwar u.a. als eher bewahrend oder eher modernisierend. Anhand von Publikationen zu Jubiläen und besonderen Ereignissen sollen bestimmte wiederkehrende Themenfelder und einzelne Aussagen dazu betrachtet werden.
Die vorliegende Arbeit bezieht ebenso wie die ihr zu Grunde liegende kulturwissenschaftliche Regionenforschung Ansätze verschiedener Disziplinen, v.a. der Geschichte, Soziologie, Politikwissenschaften und Geographie mit ein. Ein Hauptziel der Verfasserin ist es, die Entstehung bestimmter Regionsvorstellungen an einem konkreten Beispiel herauszuarbeiten und mit Hilfe bereits vorhandener Ansätze verstehbar zu machen. Es ist zu bedenken, dass diese Arbeit in gewisser Weise selbst Produkt des hier untersuchten Regionalisierungs-Diskurses ist. Durch die Auswahl des Themas und Beziehungen zu den untersuchten Akteuren ist sie quasi selbst an der untersuchten „Konstruktion von Regionen“ beteiligt. Eine Grundannahme der Verfasserin ist, dass der Regionsbezug der hier untersuchten Institutionen/Organisationen im doppelten Sinne „Sinn macht“: einerseits wörtlich, weil die beiden Akteure „Sinn“ konstruieren und stiften, andererseits aber auch als sinnvolle Möglichkeit, um bestimmte Probleme zu lösen.
2 Grundlagen
2.1 Einbindung in die Forschungsdiskussion
2.1.1 Zur Konjunktur des Regionsbegriffs innerhalb und außerhalb der Wissenschaft
Seit einigen Jahrzehnten erlebt der Regionsbegriff eine „Diskurskonjunktur“.[6] Die in der Geographie und Raumplanung bereits vor den 1960er Jahren beginnende Auseinandersetzung mit Raum- und Regionsbegriffen weitet sich allmählich auf die Gesellschaftswissenschaften aus, Mitte der 1970er wächst in der Soziologie, den Politik- und Wirtschaftswissenschaften das Interesse am Regionalen. „Region“ wird in diversen Wissenschaftsfeldern Forschungsgegenstand und Forschungsansatz.[7] In den Geschichtswissenschaften werden seit den 1960ern durch die Sozial- und Strukturgeschichte „holistische“ Raumvorstellungen, die von real vorhandenen „natürlichen Regionen“ und somit auch einer unveränderlichen und richtigen Regionsgliederung sowie einer schicksalhaften Verbindung zwischen Volk und Raum ausgehen, aufgeweicht.[8] Allmählich tritt der Regionsbegriff neben den nationalen Analyserahmen: Die Region in Form von Verwaltungseinheiten wie Kreis, Provinz etc. wird einerseits zur übersichtlichen Untersuchungsebene für sozioökonomische, alltags- oder mentalitätshistorische Fragen. Andererseits geht die Wiederkehr des Regionalen einher mit Skepsis gegenüber großen politischen Entwürfen, allzu glatten Modernisierungstheorien und sehr allgemeinen Urteilen über Gesellschaft und Staat . Mitte der 70er erhält das Regionale einen Eigenwert über diese „Korrekturfunktion“ hinaus: Die Beschäftigung mit großen Systemen, Staaten, Theorien geht zurück, der Rückgriff auf „Variablen wie Umwelt, Geschlecht, Generation und eben Region“ wird wichtiger. In diesem Zusammenhang werden auch Fragen nach vorher als überholt geltenden, mit Blut- und Boden-Assoziationen behafteten Aspekten wie Heimat, Territorium und Kulturraum wieder legitimer.[9] In den 80ern wird der Regionsbegriff zunehmend in Zusammenhang mit „Kritik an den negativen sozialen und ökologischen Folgekosten der ‚Moderne’“ gestellt. In den 90ern verbindet sich diese Kritik unter dem Schlagwort von der „Wiederkehr des Regionalen“ mit einem alternativen soziopolitischen Strukturmodell, das sich gegen Entfremdungseffekte wendet und „die Entwicklung ‚endogener’ regionaler Potentiale und regionaler Subsidiarität“ betont.[10]
Der Aufschwung des Regionalen wird immer wieder in Zusammenhang gebracht mit Moderne/Modernisierung und Suche nach Identität/Identifikation.[11] Dabei wird Regionsbezug z.T. als „postmodernes“, also die Moderne ablehnendes Phänomen, z.T. als Möglichkeit, sich die Moderne anzueignen, angesehen, bleibt aber immer eine Art Verarbeitung der Moderne.[12] Parallel zur Konjunktur innerhalb der Wissenschaft gewinnt Region offenbar auch außerhalb an Bedeutung: In der Politik werden flache Hierarchien, Kooperation statt Intervention und Netzwerke beschworen.[13] In der Wirtschaft erscheint Region seit den 80ern als „Handlungsebene für wirtschaftlichen Strukturwandel in Richtung ‚nachhaltige Entwicklung’“. Im überregionalen Wettbewerb wird die Region zum Raum für Innovationen.[14] Spätestens in den 90ern ist Region eine Art Modebegriff in diversen Wissenschaftsbereichen, öffentlichen Debatten und Publikationen geworden.
Etwa zur gleichen Zeit wird auf soziokultureller Ebene der vorher z.T. als antimodern diskreditierte Heimatbegriff neu bewertet.[15] Nach Bausinger kommt es seit Mitte der 70er zu einer neuen „Heimatkonjunktur“, wobei Heimat nicht mehr „Freizeit- und Kompensationsbegriff“, sondern vielmehr auf Alltagsprobleme wie z.B. Landschaftszerstörung bezogen sei.[16] In der Wissenschaft wird Heimat seit Ende der 80er verstärkt und unter verschiedenen Perspektiven thematisiert.[17] Insgesamt lässt sich feststellen, dass es weder in der Geographie, noch in anderen Wissenschaften einen klar definierten Regions- oder Heimatbegriff gibt und dass die Diskussion vielschichtig ist.[18]
2.1.2 Substantialistische und konstruktivistische Ansätze
Zur grundsätzlichen Systematisierung der Diskussion um Region und Regionalisierung scheint es sinnvoll, mit Kunz substantialistische und konstruktivistische Ansätze zu unterscheiden.[19] Während Region von ersteren als natürlich vorhandene Substanz verstanden wird, betrachten letztere sie als menschliches (Sinn-)Konstrukt. Der Beschäftigung mit Regionen und Regionsdarstellungen liegen zwangsläufig bestimmte Vorstellungen von Raum zu Grunde. Substantialistische Ansätze gehen von einem real existierenden Container-Raum aus, also von einer Art Behälter, in dem „bereits alles vorfindbar enthalten“ ist. Der Mensch fügt sich demnach in diese vorhandene Kulisse der natürlichen Gegebenheiten ein.[20] Konstruktivistische und insbesondere die hier verwendeten kulturwissenschaftliche Ansätze verstehen Raum dagegen im Sinne Cassirers als vom Menschen geschaffene Sinnordnung, die durch Bedeutungszuweisung funktioniert.[21] Das Denken in räumlichen Kategorien schafft Ordnung und Beziehungen und ist für den Menschen eine Möglichkeit, seine Lebenswelt zu strukturieren.[22] Daraus folgt, „dass wir nicht innerhalb eines so oder so beschaffenen objektiven Raums leben, sondern wir je nach dem bestimmten Sinn, den wir ihm jeweils beilegen, eine bestimmte ‚Sinnordnung’ herstellen, die wir dann als den ‚Raum’ bezeichnen.“[23]
Es kann durchaus Ansätze zwischen beiden Polen geben, so etwa in der Geographie, wo Region immer auch als erdräumlich lokalisierbar gesehen wird, die Vorstellung, dass soziokulturelle Räume erdräumlich bestimmt seien, aber abgelehnt wird.[24] Eine „Entontologisierung“, sprich das Abrücken von der Vorstellung, dass eine Region etwas objektiv Bestimmbares sei, fand in geographischen Disziplinen schon seit den 60ern statt. Seit den 80er Jahren gewinnen konstruktivistische Ansätze und damit die Frage danach, was Region bedeutet, an Einfluss. Die hier herangezogenen neueren Ansätze begreifen Raum überwiegend als konstruiert und relational, also abhängig vom Betrachterstandpunkt.[25] Regionen sind demnach Ergebnisse menschlichen Handelns und Denkens. Mehrere Autoren betonen den doppelten Konstruktcharakter von Regionen, die erstens gedankliche Konstrukte der Wissenschaft und zweitens historische und gesellschaftliche Konstrukte bzw. kognitive Konstrukte der Alltagswelt darstellen.[26] Auf die Frage, ob Regionen vor allem in der subjektiven Vorstellung oder gesellschaftlich bzw. sozial konstruiert werden, gibt es unterschiedliche Antworten. So wird z.B. von kulturanthropologischer Seite angenommen, dass Regionen als „subjektive Raumbilder entworfen“ werden, während etwa der viel zitierte strukturationstheoretische Ansatz von Paasi Region als soziale bzw. kollektive Konstruktion begreift.[27] Region bezieht sich nach Paasi v.a. auf die Ebene der institutionellen Praktiken und der überindividuellen Geschichte.
„Regionen sind insofern symbolische Strukturen, deren Sinn zwar individuell erschlossen und gedeutet, aber überindividuell vermittelt und historisch tradiert wird. […] Wenn man Region in diesem Sinne als historisch-gesellschaftliches Phänomen auffaßt, rückt der Prozeß der Institutionalisierung von Regionen in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses.“[28]
Nach dieser Vorstellung ist davon auszugehen, dass der kollektive Konstruktionsprozess und somit auch die Institutionalisierung von Regionen ein kommunikativer – sprich in Diskursen stattfindender – Vorgang ist[29]. Diese Annahme liegt auch der vorliegenden Arbeit zu Grunde, denn vor diesem Hintergrund wird die Frage nach den Darstellungen von Region überhaupt erst interessant.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Phänomen Regionalisierung von diversen Disziplinen und Standpunkten aus untersucht und betrachtet wurde. Generell zeigen sich in den Gesellschafts- und Humanwissenschaften Auswirkungen des cultural turn[30] und der damit verbundenen Annahmen, dass der betrachtete Gegenstand sich je nach Betrachterstandpunkt ändert und somit nicht seine Substanz, sondern seine Bedeutung wesentlich ist. Aus der Annahme, dass die (Bedeutungs-)Konstruktion von Region kollektiv und kommunikativ abläuft, folgt, dass Sprache eine wichtige Rolle bei der Entstehung dieser Bedeutungen spielt. Diese Grundannahmen werden auch von der „kulturwissenschaftlichen Regionenforschung“ vertreten.
2.1.3 Kulturwissenschaftliche Regionenforschung: Region als Sinnordnung
Als „kulturwissenschaftliche Regionenforschung“ werden hier vor allem Arbeiten aus dem Umfeld des Sonderforschungsbereiches 417 (SFB) an der Universität Leipzig[31] verstanden. Eine Grundlage für die Beschäftigung mit Region ist für den SFB das oben erläuterte Verständnis von Raum als Sinnordnung in Anlehnung an Cassirer. Aus der Annahme, dass Raum vom Menschen „gemacht“ ist, wird folgendes Programm abgeleitet:
„Wir beschäftigen uns mit den vielfältigen kulturellen, ökonomischen, politischen und wissenschaftlichen Prozessen des ‚region making’ und wollen herausfinden, was eine Region zur Region macht. Dazu versuchen wir zu verstehen, was es bedeutet, daß, wie und worin sich Menschen mit ‚ihrer Region’ identifizieren. Wir fragen also, was ‚Region’ bedeutet, aber nicht, was ‚Region’ eigentlich ist. Unser Ziel ist es, den Raumbezug menschlicher Existenz anhand von Identifikationsprozessen von Angehörigen einer Region als gemeinsam praktizierte, empfundene oder nur gedachte ‚Sinnordnung’ zu erfassen.“[32]
Identifikation und Identifikationsprozesse sind hier wichtige Schlagworte. Der SFB entscheidet sich dafür, nicht das Endergebnis „Identität“, sondern die dahin führenden „Identifikationsprozesse“, die Versuche der Identitätskonstruktion zu untersuchen, bei denen es um „Loyalitätsbeziehungen zwischen Menschen im Horizont einer räumlich bezogenen Sinnordnung“ geht. Wesentlich an „regionaler Identität“ ist also quasi nicht ihr Inhalt und die im Einzelnen damit verbundenen Vorstellungen, sondern eher ihre Funktion, ihre motivierende und mobilisierende Qualität.[33]
Wenn Raum als Sinnordnung und Gegenstand von Identifikationsprozessen verstanden wird, ist davon auszugehen, dass erstens diese Sinnordnungen von jemandem, nämlich von „Akteuren“ gemacht werden und dass zweitens mehrere solcher Akteursgruppen bzw. Sinnordnungen parallel existieren. Sie können sich überschneiden und zwischen ihnen herrscht eine Konkurrenz um die Deutungshoheit:
„Einerseits konkurrieren die Sinnordnungen als Identifikationsangebote miteinander und andererseits konkurrieren Akteure um die Definition von Identifikationsobjekten und damit um die Produktion von Sinnordnungen.“[34]
Diese Konkurrenz der Akteure findet in bzw. zwischen drei Sphären statt:
1. im Bereich der Eliten „die in ihren Diskursen um Vorrang hinsichtlich der Definitionsmacht wetteifern“;
2. im Bereich des Alltagshandelns „mit seinem reichen Spektrum an Erfahrungen, Denkmustern und Umgangsformen“;
3. im Bereich der Institutionen und Organisationen, „die als Foren fungieren, in denen die Macht der Ideen mit dem Eigensinn des Alltags zusammentrifft.“[35]
Neben der Konzentration auf Akteure plädiert der SFB dafür, Regionsbezüge und -darstellungen „im historischen Längsschnitt“, also in ihrer Veränderung oder Konstanz über längere Zeit hinweg zu untersuchen.[36] Wesentlich sind außerdem der angestrebte Vergleich verschiedener Regionen und die interdisziplinäre Arbeitsweise.
Überträgt man diese Grundsätze auf die vorliegende Arbeit, ergibt sich Folgendes: Untersucht werden soll die kollektiv hergestellte Sinnordnung „Region Rhön“, die auf Grund des Einsatzes verschiedener Akteure mittlerweile zum Gegenstand von Publikationen und Debatten sowohl bei (z.B. politischen) Eliten als auch in der Alltagswelt geworden ist. Hier werden unter Einbeziehung von Ansätzen aus verschiedenen Disziplinen zwei an der Sinnproduktion beteiligte Akteure, der RK und das BRR, betrachtet.[37] Beide sind am ehesten dem Bereich 3 zuzurechnen und sind mit Eliten ebenso verknüpft wie mit dem Alltagshandeln. Die Untersuchung soll Veränderungen der Sinnproduktion im Laufe eines Zeitraums von 1876 bis 2006 (natürlich nur schlaglichtartig) berücksichtigen.
2.1.4 Möglichkeiten regionaler Sinnordnung
2.1.4.1 Akteurstypen und Handlungslogiken
Wenn Regionalisierung unter dem Akteurs-Gesichtspunkt betrachtet werden soll, scheint es hilfreich, die ausgewählten Akteure zunächst in den bestehenden theoretischen Rahmen einzuordnen. Von den mit kulturwissenschaftlicher Regionenforschung befassten Autoren haben insbesondere Fürst und Wiechmann versucht, bestimmte Akteurskategorien festzustellen. Fürst sieht die Region als „Arena für kollektives Handeln“. Je nach Akteursgruppe wird unterschiedlich stark mit Regionsbezug gearbeitet. Im Zusammenhang mit der regional governance-Diskussion[38] unterscheidet Fürst zwischen territorial gebundenen Akteuren, die in ihrem Gemeinschaftsdenken von gebietskörperschaftlichen Bindungen bestimmt sind, und funktional agierenden Akteuren, die weniger an gebietskörperschaftliche Grenzen gebunden sind. Zur ersten Gruppe sind Politiker, Verwaltungsleute, Bürger zu rechnen, deren „Lebensraum […] lokal oder regional determiniert [ist] durch Wohnen, soziale Kontakte und Heimatbindungen.“[39] Funktional handeln solche Akteure, die die Region für bestimmte Zwecke nutzen, aber keine Bindung an eine bestimmte Region im Sinne einer Wesensgemeinschaft haben, etwa Wirtschaftsunternehmen.
Politiker und Verwaltungsleute, die ihr Handeln an Wahlen und rechtlichen Regelsystemen ausrichten, sind zwar territorial gebunden, aber lokale Identität ist zunächst wichtiger als regionale, weil die Region in Deutschland politisch nicht verfasst ist. Die Wirtschaft, die marktorientiert und gewinngesteuert handelt, bezieht sich dann auf Region, wenn diese als Ort der Vernetzung dient. Die Idee der regionalen Identität spielt eine geringe Rolle. Der Dritte Sektor[40] (z.B. Umweltverbände) wird von Ideen und sozio-emotionalen Bindungen bestimmt und ist themenspezifisch organisiert, d.h. nicht territorial gebunden. Fürst vertritt die These, dass sich die Art des Regionsbezugs generell wandelt, worauf in Kap.2.3.3. näher eingegangen werden soll:
„Es gibt offenbar immer mehr Akteure, für deren Handlungslogik der territoriale Bezug irrelevanter, der funktionale Bezug aber immer bedeutender wird. Gleichzeitig wird die Gestaltungsposition derer schwächer, die territorial gebunden sind.“[41]
Wie bei den meisten Idealtypen ist es auch hier problematisch, konkrete „regionalisierende“ Organisationen eindeutig in dieses Schema einzuordnen. Sie können in ihrer Komplexität vermutlich eher mit Mischtypen erfasst werden.
Etwas offener als Fürst geht Wiechmann vor, der sich ebenfalls mit der Entwicklung regionaler Netzwerke beschäftigt, die er im Spannungsfeld zwischen einer funktionalen und einer territorialen Regionsbetrachtung sieht. Er unterteilt in vier Arten von Netzwerken, in denen jeweils eine Akteursgruppe dominant ist:
1. strategische Allianzen von wirtschaftlichen Akteuren, die über den Markt funktionieren;
2. Beziehungsnetzwerke von Einzelpersonen, die über Zusammenarbeit und persönliche Bindung funktionieren;
3. Policy Netzwerke von öffenlichen Akteuren, die über bestimmte Hierarchien funktionieren; 4. Innovationsnetzwerke mit gemischter Akteurskonstellation, bei denen sich ein Spannungsverhältnis zwischen den verschiedenen Formen der Zusammenarbeit (Markt, Beziehung, Hierarchie) zeigt.[42]
Zusammenfassend lässt sich festetellen: Der Regionsbezug eines Akteurs wird offenbar davon bestimmt, ob er an Handlungslogiken der Politik, der Ökonomie, des Alltags, der Non-Profit-Organisationen oder einer Mischung verschiedener Handlungslogiken ausgerichtet ist. Wie es sich damit bei den hier untersuchten Akteuren verhält, soll in Kap. 4.1. geklärt werden.
2.1.4.2 Regionskonzepte und Arten der Raumstrukturierung
Betrachtet man Regionen als Folgen menschlichen Handelns bzw. als von Akteuren gemachte (Sinn-)Konstrukte, scheint es sinnvoll, bei der Systematisierung von Regionskonzepten von den jeweiligen Akteursgruppen auszugehen. Angenommen, eine Region erscheint je nach „Brille“ bzw. Standpunkt anders, wäre anzunehmen, dass Akteure mit ähnlichen Standpunkten (etwa Politiker, Bürger) ähnliche Regionsbezüge entwickeln müssten. Blotevogel und Weichhart haben versucht, verschiedene Möglichkeiten der Regionsbestimmung zu systematisieren.[43] Beide unterteilen mögliche Regionstypen in drei Gruppen:
1. methodische Konstrukte bzw. Beschreibungs- und Analyseregionen, also in der Raumforschung entwickelte Vorstellungen, die der wissenschaftlichen Beschreibung und Analyse dienen. Regionstypen, die zu dieser Gruppe gehören, werden auf Grund räumlich eindeutig lokalisierbarer, materieller, messbarer oder gegenständlicher Eigenschaften von Analysierenden als Einheit angesehen. Dazu gehören a) Strukturregionen, die auf angenommener Homogenität (z.B. gleicher Siedlungsdichte oder gleicher Arbeitslosenquote) basieren und b) Verflechtungsregionen, die sich an funktionalen Verflechtungen (z.B. Pendlerströmen, Warenaustausch) orientieren.
2. politische Konstrukte bzw. Tätigkeitsregionen ökonomischer und politisch-administrativer Organisationen, die dazu dienen, Prozesse der Machtausübung zu organisieren. Regionstypen, die zu dieser Gruppe gehören, werden durch das Handeln gesellschaftlicher Organisationen oder Gruppen gebildet, sie basieren auf Programmen dieser Akteure. Hierunter fallen a) politisch-administrative und b) wirtschaftliche Tätigkeitsregionen.
3. sozialpsychologische Konstrukte bzw. Wahrnehmungs- und Identitätsregionen, die der Daseinsbewältigung und dem Gruppenzusammenhalt dienen. Regionstypen, die zu dieser Gruppe gehören, entstehen durch soziale Kommunikation (face-to-face-Kommunikation, Massenmedien, Politik, Kultur). Dazu gehören verschiedene lebensweltliche Regionstypen, nämlich a) Wahrnehmungsregionen als Produkte gezielten „Marketings“ durch bestimmte Gruppen/Institutionen, b) Identitätsregionen, die der Selbstvergewisserung und Verstärkung von Gruppenidentitäten dienen und c) Bezugsräume eines aktiven Regionalismus, der als „im weitesten Sinne politische Handlungsstruktur einer ‚neuen sozialen Bewegung’“ verstanden werden kann, die regionale Besonderheiten gegen den „Zugriff des Allgemeingültigen“ verteidigt. Allen Regionstypen ist nach Weichhart gemeinsam, dass sie Mittel zur Reduktion von Komplexität sind. Sie dienen je nach Typ zur Darstellung und Strukturierung von Verwaltungs-, Herrschafts- und Planungsaufgaben oder Lösung von Alltagsproblemen.
Wenn (ähnlich wie in Bezug auf Identität)[44] nicht das Ergebnis, sondern der Prozess des Regionenmachens in den Mittelpunkt gestellt wird, erscheint der Ansatz Nitschkes brauchbar. Je nachdem, unter welchen Gesichtspunkten Begriffe und Bilder von Regionen hergestellt werden, unterscheidet er verschiedene Strukturmuster der räumlichen Bestimmung[45]:
1. topografischer Raum (bezogen auf Natur, landschaftliche Besonderheit);
2. ordnungspolitischer Raum (bezogen auf Einfluss, Macht, Recht, Herrschaft);
3. ökonomischer Raum (bezogen auf Geld, Waren, Verkehr, Bewirtschaftung);
4. kultureller Raum (bezogen auf Glaube, Verbundenheit, Hingabe, Vertrauen).
Diese Strukturmuster treten laut Schulze bei der Bestimmung von Regionen meist vernetzt auf. In Kap. 4 werden mit Bezug auf diese Überlegungen Antworten auf die Fragen gesucht: Vertreten BRR und RK als bestimmte Akteurstypen bestimmte Regionskonzepte? Nach welchen Strukturmustern stellen sie die Rhön dar?
2.2 Begriffsklärung
2.2.1 Kernbegriffe: Raum, Region, Heimat
Da einige hier immer wieder auftauchende Begriffe, wie Kap.2.1. verdeutlicht, je nach Disziplin, erkenntnistheoretischer Grundlage und Erkenntnisinteresse auf verschiedenste Weise verstanden werden können, soll ihre Verwendung in der vorliegenden Arbeit erläutert werden.
Raum als Grundlage für die Beschäftigung mit Regionalisierung wird im Sinne des SFB 417[46] als vom Menschen gedachte/dargestellte Sinnordnung verstanden. Sich mit Vorstellungen/Darstellungen von Raum zu beschäftigen bedeutet aber nicht, dass der Raum als reines menschliches Konstrukt aufgefasst wird, dem keine realen Gegebenheiten mehr zu Grunde liegen. Sinnvoller scheint es, mit Koselleck zwischen vom Menschen nicht beeinflussbaren bzw. von der Natur vorgegebenen Aspekten und vom Menschen beeinflussbaren Aspekten zu unterscheiden. „Es gibt von Natur aus räumliche Vorgaben, die je nach ihrer technischen, ökonomischen oder politischen Verfügbarkeit als Bedingungen möglichen Handelns […] zu berücksichtigen sind.“[47]
Eine besondere Art der räumlichen Sinnordnung ist, wie Kap. 2.1. deutlich gemacht haben sollte, die Region. Nach dem in der Geographie üblichen Begriffsverständnis bezeichnet Region zunächst einmal einen Raum mittlerer Größenordnung (d.h. „zwischen lokaler und nationaler Ebene angesiedelt“), der als zusammengehörig angesehen wird.[48] Die vorliegende Arbeit orientiert sich am Regions-Begriff der kulturwissenschaftlichen Regionenforschung, insbesondere an Autoren aus dem Umfeld des SFB 417.
„‚Region’ muss als kulturelles und gesellschaftliches Raumkonstrukt begriffen werden; als institutionell verfestigtes Ergebnis vielfältiger Prozesse des symbolischen und sozialen Regionen-Machens oder ‚Regionalisierens’. In der kulturwissenschaftlichen Perspektive erscheint ‚Region’ als ‚Sinnordnung, die dem Raum seinen bestimmten Gehalt und seine eigentümliche Fügung’ gibt. Aus der Perspektive des Historikers ist die jeweilige Region das Ergebnis des sozialen und symbolischen Regionalisierens durch verschiedene Akteure.“[49]
Ähnliche Grundannahmen formuliert Nitschke:
„Eine Region, das ist der Output einer Tätigkeit, die man Regionalisieren nennen kann, und Regionalisieren heißt, Begriffe und Bilder von Regionen herzustellen und diese mit mehr oder weniger Erfolg in die soziale Kommunikation einzufädeln.“[50]
Regionalisierung meint also „Deutungshorizonte, Wahrnehmungsmuster und soziale Praktiken […], die entweder durch vorgegebene institutionalisierte 'regionale' Räume bestimmt sind oder den sozialen und kulturellen Raum als 'Region' begreifen und strukturieren.“[51] Dieses Bezugnehmen auf „Regionen“ bzw. Regionen-Machen beruht auf „komplexen formellen und informellen Prozessen, in denen verschiedenste Akteure aufgrund wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Interessen aushandeln und definieren, was zur regionalen Kultur und Lebensweise gehören soll.“[52] Auch Autoren anderer Disziplinen und Forschungseinrichtungen verstehen Region als Ergebnis menschlichen Denkens und Handelns, wobei teils individuelle, teils kollektive Regions-Vorstellungen im Vordergrund stehen.[53] In der vorliegenden Arbeit interessieren letztere.
Begriffe und Bilder von Regionen wurden im hier untersuchten Fall u.a. von einem Verein mit starkem „Heimat“-Bezug geprägt. Der RK betrieb seit 1876 Regionalisierung im o.g. Sinne, sprach von der Rhön aber nicht als Region, sondern eher als Landschaft, Mittelgebirge und v.a. als Heimat. Deshalb ist auch eine Klärung des Heimatbegriffes sinnvoll.[54] Die herangezogenen Texte und Untersuchungen zu „Heimat“ drehen sich im Kern ebenfalls um Sinnordnungen, nämlich um „individuelle Sinnzentrierung und durch sie bedingte individuelle Identität“[55]. Wesentlich dabei ist der „Anspruch auf vertraute Welt“ ganz allgemein, wobei auf den Raum Bezug genommen werden kann, aber nicht muss. Falls „Heimat“ auf Raum bezogen wird, stellt sich weiterhin die Frage, auf welchen Raum bzw. auf welche Ebene. Viele der v.a. seit den 70ern entstandenen Publikationen verwenden „Heimat“ als eine „den Nationenbegriff auf regionaler Ebene gleichsam untersetzende Einheit“.[56] Sie sehen Bewegungen – insbesondere des 19. Jahrhunderts –, die Region „im zeitgenössischen Sinne als ‚Heimat’“ definierten, im Zusammenhang mit Nationalbewusstsein und Bürgerstolz.[57] Mehrere der hier herangezogenen Autoren betrachten Heimatbezug und Heimatbewegung als eine bestimmte Form oder Phase des Regionsbezugs.[58] In anderen Untersuchungen wird Heimatbezug mit dem Kernbereich der Lebenswelt wie Familie, Nachbarschaft, also mit lokalen Räumen des Alltagslebens, verbunden.[59] Dass der Heimatbegriff von der Sozialisation des Einzelnen, insbesondere von Kindheit, Jugend und familiärem Aktionsradius abhängig ist, vertritt z.B. Köhnke.[60] Die vorliegende Arbeit schließt sich dem an, geht aber davon aus, dass sich die von Einzelnen gemachten Erfahrungen und daraus resultierenden Vorstellungen innerhalb der untersuchten Organisationen, besonders innerhalb des RK zu bestimmten kollektiven Heimatvorstellungen verdichten.
Wie im Fall von „Region“ scheint also auch im Fall von „Heimat“ eine allgemein gültige Definition nicht sinnvoll; der Inhalt beider Begriffe ist als Ergebnis bestimmter, von Fall zu Fall verschiedener Sinnordnungs-Prinzipien zu betrachten. Ob nun Heimat allgemein auf der Ebene der Region, darunter oder darüber anzusiedeln ist, kann und soll in dieser Arbeit nicht geklärt werden. Hier interessieren Heimat- und Regions vorstellungen in Bezug auf die Rhön. Und unabhängig davon, ob sie im Allgemeinen eher individuell oder kollektiv geprägt sind, stellt sich die Grundfrage: Was wird von bestimmten (kollektiven) Akteuren – völlig unabhängig von den „realen Eigenschaften“ des so bezeichneten Raumes – als die Region bzw. die Heimat Rhön verstanden bzw. so dargestellt?
2.2.2 Hilfsbegriffe: Moderne, Identität, Erzählungen
„Heimat“ und „Region“ werden oft im Zusammenhang mit Moderne, Modernisierung, Modernität betrachtet bzw. diskutiert. Dieser Begriff ist nicht im Sinne von irgendwie positiv oder negativ zu wertendem Fortschritt zu verstehen, sondern vielmehr im Sinne von Veränderung.[61] Moderne wird hier nicht als zeitlich klar abgrenzbare Epoche, sondern – in Anlehnung an ein ab 1830 sich entwickelndes Modernitätsverständnis – als „Zeitbewegung“ verstanden. „Modern“ wird im 19. Jahrhundert zur „Bezeichnung einer als Durchgangspunkt empfundenen Gegenwart“ und steht für Beschleunigung, Übergang, Flüchtigkeit, Veränderung.[62] In einem neuen Gegenwartsverständnis um die Jahrhundertwende wurde der „‚Zwang der Tradition’ als Orientierung menschlichen Handelns auf breiter Ebene durch den ‚Zwang zur Selektion’ abgelöst“. Die Welt bietet jetzt mehr Wahlmöglichkeiten, wird aber auch komplexer. Im 20. Jahrhundert ist Moderne zur „Bewegungskategorie“ geworden: „Solcher Imperativ des Wandels ist die Konsequenz eines Bewußtseins der Gegenwart als vorübergehendem, auf die Zukunft gerichtetem Durchgangspunkt“, d.h. er ist der Traditionsorientierung, die auf Dauer und Fortsetzung zielt, entgegengesetzt.[63]
Modernität steht also in dieser Arbeit für Änderung, Umbruch, Dynamik, ständigen Wandel – sie ist Inbegriff des Neuen, aber auch des schnell Vergänglichen. Mit „Moderne“ kann demnach eine Zeit bezeichnet werden, die insbesondere im Alltagsverständnis durch ständige Transformation und geringe Stabilität gekennzeichnet ist (was auch auf die so bezeichnete Epoche zutrifft).[64] Der Anspruch auf Heimat und der Bezug auf Region kommen offenbar gerade in der modernen Gesellschaft bzw. angesichts von Modernisierung zum Tragen. Von verschiedenen Autoren wird dieser Bezug auf übersichtliche Räume/Zusammenhänge als Gegenbewegung zu Pluralisierung, Unüberschaubarkeit und Rückgang von Intimität[65] gesehen, denn in der modernen Gesellschaft „bedrohen vielfältige Veränderungszwänge die vertrauten sozialen Welten.“ Heimat- bzw. Regionsbezug wäre dann „der Versuch, im gesellschaftlichen Wandel Kontinuitäten und Vertrautheit zu wahren.“[66]
Mit diesem Bestreben hängt die Frage nach bzw. Schaffung von Identität zusammen. Identität ist allgemein gefasst die Vergewisserung eines Selbst im sozialen Zusammenhang.[67] In dieser Arbeit geht es nicht um die Identität des Einzelnen, sondern um kollektive Identitäten, also „Diskursformationen“, die abhängig sind von Symbolsystemen, über die sich Menschen als zu etwas (in diesem Fall zu einer Region) zugehörig definieren.[68] Generell ist anzumerken, dass Arbeiten zu dem seit den 90ern beliebten Thema Identität Gefahr laufen, Identität selbst (bewusst oder unbewusst) mit zu konstruieren.[69] Autoren des SFB 417 kritisieren sowohl die Unschärfe des Begriffs „regionale Identität“ als auch, dass oft die Frage nach der Substanz einer Region am Anfang von Untersuchungen zur regionalen Identität stehe. Die vorliegende Arbeit versteht „regionale Identität“ mit dem SFB nicht als zu untersuchenden Gegenstand, sondern als Ziel/Endergebnis eines Identifikationsprozesses. Im Verlauf dieses Prozesses machen bestimmte Akteure Sinn- und Selbstverortungsangebote und diese sind Gegenstand der Untersuchung. Im Zusammenhang mit Identitäts- und Sinnstiftung steht das Konzept der Narrativität, das davon ausgeht, dass Identitätsbildung über subjektive oder kollektive Erzählungen (Narrationen) abläuft.[70] Wie in Kap. 2.1.2. angedeutet, gibt es einen Zusammenhang zwischen Erzählungen und kollektiven Konstruktionsprozessen. Die in von Gruppen geteilten Erzählungen auftauchenden Werte, Formen und Muster sollen mit Hilfe eines vergleichend diskursanalytischen Vorgehens in Kap.4 herausgearbeitet werden.
Dabei wird angenommen, dass die Regionsdarstellungen der untersuchten Akteure in irgendeiner Weise mit Herausforderungen durch Modernisierung und mit dem Versuch, angesichts dessen Identität zu stiften, zusammenhängen. Vermutlich versuchen beide, durch ihre Darstellungen bzw. darin wiederholt auftauchende Erzählungen kollektive Vorstellungen zu beeinflussen – sowohl im Dienst ideeller Zielsetzungen, als auch um sich selbst zu erhalten.
2.3 Erklärungsansätze und Theorien zu Region und Regionsbezug
2.3.1 Zur Aktualität des Raumbezugs in Zeiten der „Globalisierung“
Zur Frage, welche raumbezogenen Lebens- und Denkweisen für moderne, (westliche) industrialisierte Gesellschaften typisch sind, gibt es in der Forschung gegensätzliche Thesen: Die These von der Universalisierung bzw. Entregionalisierung/Delokalisierung besagt stark vereinfacht, dass Kultur, Mentalitäten, Konsum, Kommunikation usw. nicht mehr an Region oder Nation gebunden sind. Traditionelle Räume bzw. regional institutionalisierte und territorial begrenzte Kulturen/Denkweisen werden unwichtig, während globale wichtiger werden. Die These von der Partikularisierung bzw. Singularisierung/Differenzierung besagt dagegen, dass auch in der modernen Welt Güter, Praktiken und Denkweisen an bestimmte Orte und Räume gebunden sind.[71] Eine dritte Forschungsrichtung vertritt die These, dass sowohl globale als auch lokale oder regionale Bezüge von Bedeutung sein können, Bezüge auf den Nationalstaat aber an Bedeutung verlieren. Autoren dieser Richtung gehen von einem dialektischen Verhältnis zwischen Globalem und Lokalem, von einer „Glokalisierung“, aus.[72]
Vor allem von der Geographie wird die Frage gestellt, inwieweit Raumbezug für moderne Gesellschaften überhaupt noch relevant ist. Die These von der räumlichen „Entankerung“ spätmoderner Gesellschaften, wie sie von Werlen vertreten wird, lässt zunächst vermuten, dass Regionsbezüge völlig unwichtig werden. Der Sozialgeograph geht davon aus, „daß moderne, im Vergleich zu traditionellen Lebensformen nicht mehr so eng mit den räumlichen Gegebenheiten gekoppelt sind.“[73] Gerade deswegen bilden sich aber Gegenbewegungen: „Man kann davon ausgehen, daß die Entankerungsmechanismen, welche den Spielraum der persönlichen Wahlmöglichkeiten wesentlich erhöhen, auf persönlicher Ebene gleichzeitig zu Verunsicherungen führen können. Und genau unter diesen Bedingungen werden in bestimmten Kreisen wieder erfolgreich stabilisierende Identitäten im Stile von regionalen oder nationalen Identitäten propagiert.“[74]
In die gleiche Richtung argumentiert Weichhart: Trotz immer weniger regional verankerter Lebensbedingungen (die sich z.B. in der Trennung von Wohnen und Arbeiten und in raumübergreifenden Kommunikationstechnologien zeigen) erlebe die Region spätestens seit den 80er Jahren eine „Renaissance“[75] in Wissenschaft, Politik und Umgangssprache. Dass sich „auch moderne Gesellschaftssysteme trotz aller ‚Entankerung’ nicht von dem emanzipieren konnten, was wir in verkürzender Redeweise als ‚Raum’ [bezeichnen]“, sieht Weichhart darin begründet, dass Raum ein „Strukturprinzip“ und Basisbegriff des Sozialen sei.[76] Der Bezug auf überschaubare Räume, speziell auf Region bzw. Heimat scheint im Zusammenhang mit Unübersichtlichkeit, Unsicherheit und Kontrollverlust durch Modernisierung zu stehen.[77] Angesichts dessen suchen Menschen nach individueller oder kollektiver Identität bzw. versuchen solche zu stiften. Und bei dem Versuch, Identität über Raumbezüge herzustellen, hat offenbar gerade die Region Konjunktur.
In Bezug auf die Frage, ob regionenbezogenes Denken in der Spät- bzw. Post- oder zweiten Moderne noch angemessen sei, stehen sich nach Wardenga/Miggelbrink zwei Meinungen gegenüber: Aus der Perspektive „modernisierungstheoretischer Ansätze“ ist Regionalisierung in einer Zeit der Globalisierung und Internationalisierung als „verblassendes historisches Überbleibsel“[78] im Grunde genommen überholt. Andere Autoren, u.a. die Philosophen Marquard, Lübbe und der Ethnologe Lindner sehen Regionalisierung ebenfalls als kompensatorische Reaktion auf Modernisierungverunsicherungen, werten sie jedoch eher als positiv bzw. sinnvoll. Unter Zuspitzung dieser These ließe sich sogar behaupten, „daß regionenbezogenes Denken ein konstitutiver Bestandteil der Moderne selbst und vielleicht sogar eines der wesentlichsten Antriebsmomente von Modernisierung“ sei.[79] Wie auch immer das Phänomen Regionalisierung bewertet wird, zumindest über einen Punkt sind sich die viele Autoren einig: In der Moderne wächst offenbar die Notwendigkeit, die Komplexität der Lebenswelt zu reduzieren bzw. bestimmte Aspekte auszublenden und Regionsbezug ist ein komplexitätsreduzierendes Verfahren: indem bestimmte Sachverhalte auf ihre räumliche Dimension reduziert werden, sind sie leichter verstehbar und handhabbar und Probleme scheinen leichter zu bewältigen.[80] Ob der Regionsbezug der jeweiligen Akteure dabei eher als Abwehrreaktion oder Modernisierungsstrategie zu verstehen ist – es ist zumindest zu vermuten, dass er auch in Zeiten der Globalisierung nicht obsolet wird.
2.3.2 Zum Raumbezug auf verschiedenen Ebenen: Region, Nation, Europa
Ob der Bezug auf Regionen eine Art Gegenbewegung zur Herausbildung größerer räumlicher Zusammenhänge, also „Kompensation überregionaler Zentralisierung“ ist[81] oder ob er mit überregionalen Raumbezügen vereinbar ist, darüber sind die Autoren uneinig. Kunz unterscheidet zwei grundsätzliche Argumentationslinien in der Theorieliteratur zu regionalem Bewusstsein: Die historistische Erklärungsvariante geht, wie auch oben gesehen, davon aus, dass regionales Bewusstsein v.a. eine Kompensationsfunktion hat, also auf „Absicherung des Menschen gegenüber den denormierenden, homogenisierenden und desorientierenden ‚Zumutungen’ des Emanzipationsprozesses der Moderne“ zielt. Räumliches bzw. regionales Bewusstsein wird dabei als kaum zu beeinflussende, empirisch nachweisbare „Grundkonstante menschlicher Identitätsbildung“ gesehen. Region wäre demnach ein anthropologisch notwendiger Grundbaustein und nicht das Produkt menschlichen Handelns in einem bestimmten historischen Kontext. Die lokale-regionale Bezugsebene erscheint hier als quasi natürlich im Gegensatz zu „künstlichen“ nationalen und übernationalen Raumschöpfungen.
Die konstruktivistische Erklärungsvariante greift auf Hobsbawms Konzept der „Invention of Tradition“[82] zurück und betont den Konstruktionscharakter regionaler Identität. Region wird nicht positivistisch-ontologisch, also als natürlich gegeben verstanden, sondern ebenso wie „Nation“ als von Menschen „gestiftet“. Damit schließen sich Regionsbezug und Bezug auf andere Raumeinheiten (insbesondere auf die Nation) nicht mehr aus.[83] Diese Arbeit schließt sich Kunz’ Auffassung an, dass der historistische Ansatz zwar einen richtigen Kern hat, weil viele Akteure tatsächlich Identitätsangebote mit der Vorstellung einer unveränderlichen Region verbinden und versuchen, die Modernisierung zu kompensieren. Zugleich nimmt Kunz aber an, dass es sich bei diesen Angeboten um konstruierte Traditionsräume handelt, dass also auch Region nicht etwa natürlich gegeben, sondern ebenso wie nationale oder z.B. europäische Identität von bestimmten Akteuren produziert ist. Er nimmt weiterhin an, dass ein Nebeneinander bzw. eine Verknüpfung verschiedener Raumbezüge möglich ist und dass regionales Bewusstsein nicht nur konservativ, sondern auch progressiv ausgerichtet sein kann.[84]
2.3.3 Raumbezug als Möglichkeit der Selbstverortung und Sinnstiftung: Regionale Identität und Identifizierung mit der Region
Die Frage nach Identität steht wie oben gesehen offenbar in engem Zusammenhang mit Modernität bzw. der Moderne. Sie stellt sich erst dann, wenn überhaupt eine Differenz möglich ist; d.h. solange nur das Eigene und Ähnliche bekannt ist, macht es keinen Sinn nach Identität zu fragen. „Deshalb wird ‚Identität’ erst in modernen Gesellschaften und Kulturen thematisiert“.[85] Mit der Voraussetzung der Unterscheidbarkeit liegt auch auf der Hand, dass Identitätsdefinitionen immer mit Abgrenzung zu dem oder den Anderen einhergehen: „[A]lle kollektiven Identitätsprozesse identifizieren eigene und fremde Kollektive. […] Alle Identitätsprozesse, die sich auf Räume beziehen, unterstellen nicht nur äußere Grenzen und bestimmen darüber, wer innen und wer außen ist. Sie unterstellen auch eine gewisse Homogenität der Überzeugungen und Verhaltensweisen in und für einen Raum.“[86]
Raum eignet sich im Zusammenhang mit der Suche nach Identität offenbar gut als Symbolträger, denn er kann „im Rahmen sozialer Kommunikation als symbolischer Code für komplexe soziale, politische und kulturelle Inhalte dienen“.[87] Kunz gibt allerdings zu bedenken, dass räumlich-regionales Bewusstsein nur eine Facette der individuellen und kollektiven Identitätsbildung neben Geschlecht, sozialer Stellung, Kulturkreis usw. ist.[88] Räumliche Identität kann unterschiedlich stark ausgeprägt sein und sich im Lauf der Zeit verändern. Sie ist, so Ipsen, mit bestimmten sich verändernden Raumbildern, Auf- und Abwertung von Räumen verknüpft.[89] Diese Veränderungen der Raum- und somit auch Identitätsvorstellungen werden v.a. von Eliten beeinflusst. Im Prozess der Aushandlung geht es darum, „welche soziale Gruppe in der Lage ist, gegenüber anderen Gruppen ihre Werte und Sicht der Dinge durchzusetzen“[90], also quasi die Deutungshoheit hat. Die hier untersuchten Akteure versuchen vermutlich, in solchen Aushandlungsprozessen erfolgreich zu sein. Sie wollen Einfluss nehmen auf gemeinsame Wertüberzeugungen, Geschichtserinnerungen, Zielorientierungen, also letztlich auf kollektive Identität.[91]
Wie oben gesehen, vertritt u.a. Werlen die These, dass die Bedeutung von Raum und somit auch von an Raum gebundener Identität in modernen Gesellschaften abnehme. Wie aber z.B. Fürst mit dem Konzept der „Identifizierung“ zeigt, führt abnehmende Raumbindung nicht zwangsläufig zu abnehmendem, wohl aber zu sich veränderndem Regionsbezug. Der „Wandel von der territorialen zur funktionalen Gemeinschaftsbildung entwertet den Begriff der ‚regionalen Identität’, wenn darunter eine sozio-emotionale ‚Wesensgleichheit’ von Personen mit einer gedachten regionalen Gemeinschaft verstanden wird.“[92] Statt dessen nimmt aber der Bedarf an Identifizierung zu, die als ein „dynamisches Konzept“ verstanden werden kann, in dem Institutionen an Stelle der gelebten Gemeinschaft treten. Identifizierung funktioniert also nicht über raumbezogene Wesensgemeinschaft und zwangsläufige Bindung an ein bestimmtes Territorium, sondern über freiwillige (d.h. nicht durch räumliche Gegebenheiten vorbestimmte) Selbstbindung an bestimmte Ideen, Personen und Institutionen.[93]
Regionale Identität im Sinne einer vorgestellten regionalen Wesensgemeinschaft wird also nach Fürst unwichtiger. „Gelebte Gemeinsamkeit“ wird durch Institutionen/Organisationen, die für bestimmte gemeinsame Ideen stehen, ersetzt. Diese Institutionen inszenieren „Prozesse der Symbolentwicklung, der emotionalen Anbindung, der Identitäts- Schaffung [Hervorhebung A.K.]“, um bei ihren Zielgruppen Gemeinschaftsgefühl zu stiften und die Unterstützung eigener Projekte zu erreichen.[94] Nach Fürst geht die Tendenz also dahin, dass sich Akteursgruppen dann auf die Region beziehen, wenn sie als Vehikel genutzt werden kann, um bestimmte Ideen und Themen zu transportieren. Kollektives Handeln und Vergemeinschaftung sind demnach in „unserer Zeit der Globalisierung und des schnellen Wandels“ v.a. funktional ausgerichtet.[95] Trotzdem wird raumbezogene Identität von bestimmten Akteuren genutzt, um Identifizierungsprozesse zu unterstützen – sprich: eine vorgestellte Wesensgemeinschaft erleichtert auch die Identifizierung mit Ideen/Organisationen.[96]
Identität – im Sinne von Bezug auf einen ganz bestimmten, so und nicht anderes beschaffenen Raum – wird laut Fürst besonders von denen beschworen, die wie Politiker oder Bürger unter Entwertung der Raumbindung leiden. Geht man davon aus, dass die moderne, individualisierte Welt Flexibilität und Konkurrenzfähigkeit erfordert, die projektbezogene Ansätze (also Identifizierung) eher erfüllen können als umfassende Ansätze (also Identität), ließe sich in Anlehnung an Fürst folgern, dass Identifizierung auch für an eine bestimmte Region gebundene Akteure wesentlicher würde.
[...]
[1] Blotevogel: Theorie. S.52.
[2] Zum Begriff ‚Regionalisierung’ und verschiedenen Phasen des Regionsbezugs vgl. Siegrist/Schramm: Regionalisierung. Besonders S.9f und S.21ff.
[3] Vgl. Köhnke: Grundbegriffe. S.25.
[4] Vgl. Wittmann: Regionale Identität.
[5] Zu Problemen bei Forschungsprojekten zu „regionaler Identität“ vgl. Kap. 2.2.2. und 2.3.3.
[6] Die Angaben in Bezug auf den Beginn dieser „Konjunktur“ unterscheiden sich. Die früheste Angabe ist bei hier herangezogenen Autoren „seit den 60ern“. Vgl. z.B. Wardenga/Miggelbrink: Realismus und Konstruktivismus. S.33.
[7] Zum Regionsbegriff und seiner Konjunktur vgl. Wardenga/Miggelbrink: Realismus und Konstruktivismus. S.33 und S.36ff; Kunz: Verortete Geschichte. S.11ff; Blotevogel: Theorie. S.44f. Zum Hintergrund der Konjunktur des Regionalen vgl. z.B. Brunn: Region. S.9ff.
[8] Vgl. Blotevogel: Theorie. S.53; Kunz: Verortete Geschichte S.11. Wardenga/Miggelbrink: Realismus und Konstruktivismus. S.36; Fach: Symbolische Regionalpolitik. Problemskizze. S.10.
[9] Zum Regionsbegriff speziell in der Neueren und Zeitgeschichte und der Zuordnung bestimmter Vorstellungen zu einzelnen Schulen bzw. Theoriesystemen vgl. Briesen: Region. Hier besonders S.152ff.
[10] Kunz: Verortete Geschichte. S.15f.
[11] Die Begriffe Moderne/Modernisierung/modern sowie Identität/Identifikation können in verschiedener Weise verstanden und verwendet werden. Vgl. dazu Kap. 2.2. sowie 2.3. Hier meint Moderne eine Epoche/Phase.
[12] So vertritt z.B. Nitschke die Ansicht, Regionalisierung solle die „metaphysische Heimatlosigkeit“ in der Moderne kompensieren. „[D]ie Region wieder wertzuschätzen, ist insofern das Ergebnis postmoderner Diskurse. Die Verortung des eigenen Seins jenseits aller künstlicher [sic!] Virtualität der Medieninszenierung ist hierbei das Ergebnis einer bewußten Selbstbeschränkung“. Nitschke: Regionale Identität. S.291. Lipp dagegen sieht Regionalismus und Heimatbewegung als Möglichkeit die Moderne „urbar“ zu machen: Die 1. Phase der Modernisierung sei verbunden gewesen mit Entwicklungsschüben, Überwindung beschränkter Verhältnisse, Fortschritt. Die 2.Phase der Modernisierung, die die Modernität vollendet, sei gekennzeichnet durch Wiederbesinnung auf das Alte, die Geschichte, den Raum. Die für die Moderne typischen sozialen Spaltungen wie reich-arm, Land-Stadt, gebildet-ungebildet können durch Regionalisierung und Heimatbezug überbrückt werden, denn diese „erzeugen […] gegenüber anonymen, entfremdeten Funktionsabläufen Überschaubarkeit, bieten […] Gestaltung, Selbstfindung und Identifikation im Nahraum an.“ Lipp: Heimatbewegung. S.176f.
[13] Wardenga/Miggelbrink: Realismus und Konstruktivismus. S.33. Wiechmann: Raumentwicklung. S.85.
[14] Vgl. Fürst: Regionalentwicklung. S.50 und Blotevogel: Theorie. S.45.
[15] „Dieser Begriff, der bis dahin als vor- bzw. antimodern diskreditiert war, bezeichnet eine emotionale Regionsbezogenheit, die dadurch entsteht, daß eine Region (oder ein Ort) zum Bestandteil einer personalen Biographie wird.“ Blotevogel: Theorie. S.46.
[16] Bausinger: Heimat. S.86ff. In Cremer/Klein: Heimat. S.36. wird ebenfalls auf eine Konjunktur seit den 70ern verwiesen.
[17] Zum Heimatgedanken und -begriff allgemein: Applegate: Nation of Provincials. Cremer/Klein: Heimat. Analysen, Themen, Perspektiven. Zu Heimatvereinen: Behrens: Regionalkultur; Ditt: Regionalbewusstsein. Zur deutschen Heimat(schutz)bewegung Lipp: Heimatbewegung; Jefferies: Back to the future?; Ditt: Heimatbewegung.
[18] Vgl. Blotevogel: Theorie. S.44. Wardenga/Miggelbrink: Realismus und Konstruktivismus. S.31.
[19] Vgl. Kunz: Verortete Geschichte. S.15 und S.17ff. Zur Diskussion zwischen „Realisten“ und „Konstruktivisten“ vgl. auch Wardenga/Miggelbrink: Realismus und Konstruktivismus. S.36f.
[20] Vgl. Wardenga/Miggelbrink: Realismus und Konstruktivismus. S.35; Fach: Symbolische Regionalpolitik. Problemskizze. S.10; Gans/Briesen: Siegerland. S.69f; Wollersheim: Identifikationsprozesse. S.15.
[21] Vgl. Cassirer: Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum. Insbesondere S.93; S.97f.
[22] Die Vorstellung des Raums als „Ordnung“ statt als „Sein“ hat einen weiteren Vorteil: „Unter der Herrschaft des Ordnungsbegriffs können die verschiedenartigsten geistigen Gebilde und die mannigfachsten Gestaltungsprinzipien frei und leicht beieinanderwohnen, die im bloßen Sein, in dem harten Raum, in dem die Sachen sich stoßen, einander zu befehden und einander auszuschließen scheinen.“ Cassirer: Mythischer, ästhetischer und theoretischer Raum. S.99f.
[23] Köhnke: Grundbegriffe. S.26f.
[24] Vgl. Blotevogel: Theorie. S.56.
[25] Fürst verweist auf einen Zusammenhang mit der Wendung zum cultural turn bzw. zu kognitionstheoretischen Ansätzen auch in Geographie und Sozialwissenschaften. Vgl. Fürst: Place-making. S.70.
[26] Vgl. Blotevogel: Theorie. S.57. In Anlehnung daran Wardenga/Miggelbrink: Realismus und Konstruktivismus. S.37. Dafür, dass Region nicht nur völlig subjektiv, sondern gesellschaftlich-sozial konstruiert wird, plädiert Paasi: Institutionalization.
[27] Dass Region als individuell bedeutsame Alltagswelt konstruiert wird, vertreten am kulturanthropologischen Forschungsprojekt „Regionale Identität in Hessen“ beteiligte Autoren. Vgl. z.B. Eckert: Offizieller Blick. Hier S.226. Zu Paasis Ansatz vgl. Paasi: Institutionalization.
[28] Blotevogel: Theorie. S.61f.
[29] Fürst: Place-Making. S.70.
[30] Vgl. dazu ebd.; Middell: Einführende Bemerkungen. S.11. Zum cultural/linguistic turn und seinen Grundannahmen, speziell im Hinblick auf die Geschichtswissenschaften vgl. Sarasin: Geschichtswissenschaft; Daniel: Kompendium Kulturgeschichte.
[31] Der Ende der 90er gegründete SFB 417 ist ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen, u.a. der Geschichts-, Politik- und Kulturwissenschaften. Der (mittlerweile aufgespaltene) SFB beschäftigt sich in Veröffentlichungen und Veranstaltungen mit Regions- bzw. Raumbezug als Sinnordnung. Vgl. zu Programm und Aufbau (Stand 2002) http://www.uni-leipzig.de/~sfb417/. Hier verwendete Publikationen des SFB bzw. seiner Nachfolgeorganisationen oder ihm nahestehender Autoren sind: Fach/Luutz: Symbolische Regionalpolitik; Fach/Luutz: Region und Vision; Middell: Kulturwissenschaftliche Regionenforschung; Siegrist/Schramm: Regionalisierung; Werlen: Konstruktion; Wollersheim: Region und Identifikation.
[32] http://www.uni-leipzig.de/~sfb417/.
[33] Vgl. dazu Wollersheim: Identifikationsprozesse Sachsen. S.3f. „Statt einer auf die vorgängige definitorische Absicherung einer substantialistisch verstandenen Region verweisenden ‚regionalen Identität’ mit ihrem unscharfen, kaum zu operationalisierenden Begriffsumfang nachzusinnen, konzentrieren wir uns auf ‚regionenbezogene Identifikationsprozesse.“ Diese Prozesse zielen „auf eine kollektive Imagination von ‚Region’, auf einen Aspekt von regionaler Identität im Sinne des Dazugehörens, des Mittun-Wollens, des Gemeinschaftserlebens.“ Ebd. S.4.
[34] http://www.uni-leipzig.de/~sfb417/.
[35] Ebd.
[36] „Die Beobachtung, Feststellung und Deutung dieser Prozesse der Aufladung, Prägnanzsteigerung und/oder Umdeutung, aber auch die ständige Generierung neuer Regionenkonzepte“ lassen sich nur über längere Zeiträume hinweg und unter Betrachtung verschiedener Akteure, „die diese Prozesse solcher bedeutungsmäßigen Aufladungen, Prägnanzsteigerung resp. Umdeutung von Regionen forcieren und mittels vielfältiger Inszenierungen und Verlautbarungen ins Werk zu setzen suchen“, sinnvoll untersuchen. Köhnke: Grundbegriffe. S.26.
[37] Zur Begründung dieser Auswahl vgl. Kap.3.1.
[38] Das Konzept der regional governance hängt zusammen mit der von Sozial- und Wirtschaftswissenschaften geprägten Idee projektspezifischer Netzwerke/Gemeinschaften. Vor dem Hintergrund der Auflösung von Regelsystemen in der Gegenwart wird angenommen, dass sich Identität nicht mehr auf einen spezifischen Raum sondern auf eine gemeinsame Thematik/Aufgabe bezieht. Im Konzept der regional governance geht es darum, dass Politik, Wirtschaft oder andere Akteure Einfluss auf die Identifizierung des Einzelnen mit kollektiven Belangen nehmen können. Vgl. Fürst: Regionalentwicklung. S.53. Im Rahmen dieser Diskussion um Gemeinschafts-Inszenierung wurde deutlich, dass es sinnvoll ist, verschiedene Akteurskategorien zu unterscheiden.
[39] Vgl. ebd. S.55.
[40] Der Begriff Dritter oder Non-Profit-Sektor „bezeichnet einen gesellschaftlichen Bereich, der durch ein Neben- und Miteinander von Marktmechanismus, staatlicher Steuerung und Leistung und gemeinschaftlicher bzw. familiärer Arbeit geprägt ist, in dem jedoch keiner dieser Mechanismen eindeutig vorherrscht. Typischerweise ist das z.B. in sozialen Bereichen wie Selbsthilfe- und selbstorganisierten Gruppen der Fall, wo die Begünstigten einerseits auf staatliche Hilfe angewiesen sind, andererseits die Art und Weise der benötigten Leistungen und Hilfen individuell sehr unterschiedlich ausfallen […]. Der Begriff […] wird auch auf Unternehmen angewandt, deren primäres wirtschaftliches Ziel nicht die Gewinnerzielung, sondern die Erbringung einer Leistung (z.B. Angebot von Waren aus der Dritten Welt), die Beschäftigung von ansonsten Arbeitslosen (z.B. Beschäftigungsgesellschaften) etc. ist.“ Schubert/Klein: Dritter Sektor.
[41] Fürst: Regionalentwicklung. S.58.
[42] Vgl. Wiechmann: Raumentwicklung. S.83ff. Vgl. auch Grafik in Anhang 1.
[43] Vgl. Blotevogel: Theorie. S. 57ff; Weichhart: Region. S.29ff.
[44] Vgl. Kap. 2.1.3.
[45] Vgl. Nitschke: Regionale Identität. S.288f.
[46] Vgl. Kap.2.1.3.
[47] Vgl. Koselleck: Raum und Geschichte. Insbesondere S.83-89. Hier: S.86.
[48] Vgl. Behrens: Regionalkultur. S.32. und Blotevogel: Theorie. S.53.
[49] Siegrist/Schramm: Regionalisierung. S.18. Die Autoren beziehen sich hier auf Cassirer.
[50] Nitschke: Regionale Identität. S.289.
[51] Ebd. S.9f.
[52] Ebd. S.19.
[53] Weichhart sieht Region als „kontextualisiertes Gefüge oder Ensemble aufeinander bezogener ‚Action Settings’ [= Handlungsplattformen/Schauplätze; A.K.] auf der Meso- und Makroebene“, für Schilling ist sie eine Raumdimension „zwischen der Mikroebene Gemeinschaft und der Makroebene Nation.“ Für Fürst ist die Region „Arena für kollektives Handeln“, bei Schilling/Ploch spiegelt sie sich in der Alltagwelt bzw. im Handeln der in der ‚Region’ lebenden einzelnen Menschen. „Region ist eingebettet zwischen ideologischem Konstrukt und subjektiv erfahrener Handlungslandschaft“ und „konkretisiert sich auf der Ebene alltagsweltlicher Praxis.“ Behrens schlägt die Brücke zwischen der Gemeinschaft und dem Einzelnen: Region ist „…eine räumliche Struktur der Mesoebene, die zwischen lokaler und nationaler Ebene angesiedelt ist. Konstruiert und kommunizierbar wird sie dadurch, dass sie ein nachweisbar im Bewusstsein ihrer [einzelnen, A.K.] Bewohner und Bewohnerinnen verankertes kollektives Sinnkonstrukt darstellt.“ Vgl. Weichhart: Region. S.41; Schilling: Region und Identität. S.62; Fürst: Regionalentwicklung. S.56f. Schilling/Ploch: Region als Handlungslandschaft. S.123 und 132f; Behrens: Regionalkultur. S.32f.
[54] Zur Veränderung von Heimatbewegung, Heimatbegriffen und -vorstellungen vgl. Bausinger: Heimat; Ditt: Heimatbewegung; Ipsen: Regionale Identiät.
[55] Wollersheim: Identifikationsprozesse Sachsen. S.28.
[56] Ebd. S.27.
[57] Vgl. v.a. Gans/Briesen: Siegerland. Die Autoren zeigen Parallelen zwischen regionalen und nationalen Identitätskonstruktionen auf. Regionen seien, „was ihre distinktiven Elemente betrifft, verkleinerte Kopien von Nationen“. Die Grundidee ist, dass „Nation“ nach der Reichsgründung 1871 von einem bisher sozial exklusiven Konzept (der Liberalen) auf alle Deutschen ausgedehnt werden sollte. „Dies machte sich die bald aufblühende Regionalbewegung zur Aufgabe. Sie definierte Region im zeitgenössischen Sinne als ‚Heimat’ […und] lieferte die zur Absicherung des Nationalen ‚nach unten’ erforderlichen, pädagogisierbaren Leitbilder. Daher wundert es kaum, wenn an ihrer Spitze ‚Bildungsbürger’ und professionelle Erzieher standen.“ Vgl. Gans/Briesen: Siegerland. S.73. Von einer Verbindung von Nationalbewusstsein und regional-lokaler Ebene in Bezug auf den „Heimatgedanken“ gehen ebenfalls aus: Kunz: Verortete Geschichte; Applegate: Nation of Provincials.
[58] Zur Verbindung von Heimat- und Regionsbezug in einzelnen „Regionen“ vgl. Behrens: Regionalkultur; Ditt: Regionalbewusstsein. Vergleichend angelegt ist Kunz: Verortete Geschichte. Zum Zusammenhang zwischen Heimat und Region bzw. Heimat- und Regionalisierungsbewegung vgl. auch Siegrist/Schramm: Regionalisierung. S.16, S.21, S.32; Blotevogel: Theorie; Brinkmann/Seibel: Wer oder was macht Region?
[59] Vgl. dazu und zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Heimatbewegung und Regionalismus Nitschke: Regionale Identität. S.292ff; Lipp: Heimatbewegung. S.158/159 und S. 169ff.
[60] Köhnke: Heimatbegriff. S.144. Köhnke untersuchte im Zusammenhang mit den Forschungen des Leipziger SFB 417 zu „Regionenbezogenen Identifikationsprozessen“ die sprachliche Untergliederung von Räumen im Bereich des Alltagshandelns. Seiner Auffassung nach lässt sich Heimat definieren „durch einen (vorzugsweise familiären) Aktionsradius, und zweitens durch (Erinnerungen an) Erfahrungen in Kindheit und Jugend an einem bestimmten Ort, dem ‚Heimatort’.“ In Anlehnung an Berger/Luckmann: Gesellschaftliche Konstruktion. wird angenommen, dass die primäre Sozialisation und die Welt der Kindheit das Bewusstsein wesentlich prägt.
[61] Zu den verschiedenen Bedeutungsmöglichkeiten von „modern“ und der Veränderung des Modernitätsbegriffs seit der Aufklärung vgl. Gumbrecht: Modern, Modernität, Moderne.
[62] Vgl. Ebd. S.109ff.
[63] Ebd. S.120ff und 126ff.
[64] V.a. in der Geschichtsschreibung wurde/wird den Begriff „Moderne“ auch als feste Epochenbezeichnung, etwa für eine mit der französischen Revolution beginnende Periode der Vergangenheit gebraucht. Vgl. Gumbrecht: Modern, Modernität, Moderne. S.117. Einige herangezogene Autoren bringen ihn mit Postmoderne, Zweite Moderne etc. in Verbindung. Diese Denkmodelle werden hier zugunsten des auch in der „Postmoderne“ noch verwendeten Alltagsbegriff „modern“ vernachlässigt, weil es in den untersuchten Quellen letztlich nicht um wissenschaftliche Theorien, sondern um das alltagssprachliche Verständnis geht. Wenn in Texten des RK von „Tradition und Moderne“ die Rede ist, kann das m.E. nicht im Sinne einer mittlerweile durch die Postmoderne abgelösten Epoche, sondern eher im oben beschriebenen Sinne verstanden werden.
[65] Cremer/Klein: Heimat. S.44. Die Autoren argumentieren mit einem „Doppelprozeß von Kontingenzerweiterung und Traditionsvernichtung“ im wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Handlungsfeld. „Sinnmaßstäbe und Orientierungshilfen für das eigene Handeln lassen sich dem symbolischen Universum überlieferter Traditionen nicht mehr ohne weiteres entnehmen.“ Sie greifen dabei zurück auf Peter L. Berger u.a.: Das Unbehagen in der Modernität. Die Autoren gehen davon aus, dass die Modernität den Menschen aus sozialen Kontrollsituationen befreie und ihm Lenkung der Natur und Kontrolle des eigenen Lebens ermögliche, der Preis dafür aber die „Heimatlosigkeit“ sei. Vgl. dazu Cremer/Klein: Heimat. S.44/45.
[66] Ebd. S.50.
[67] Assmann: Problem der Identität. S.13f.
[68] Vgl. Ebd. S.16.
[69] Auf diese Gefahr verweist Middell: Einführende Bemerkungen. S.9. Nach „Identität“ fragen z.B. Schilling/Ploch: Region als Handlungslandschaft sowie diverse Autoren in den Sammelbänden Schilling/Ploch: Region; Lindner: Wiederkehr.
[70] Vgl. dazu Ahbe: Narrativität.
[71] Vgl. Siegrist/Schramm: Regionalisierung. S.17. Die Denkfiguren „Universalisierung“ und „Partikularisierung“ tauchen in verschiedenen Forschungsbereichen, z.B. auch im Bereich der Erinnerungskultur auf. Vgl. z.B. Levy/Sznaider: Erinnerung. S.18f.
[72] Gemeint sind hier v.a. Ulrich Beck und seine Anhänger, die sich wiederum auf Robertson berufen. Vgl. z.B. Levy/Sznaider: Erinnerung. S.17ff. Zur Idee der Glokalisierung vgl. Robertson: Glocalization.
[73] Werlen: Konstruktion. S.2. Zu zeitlichen und räumlichen Aspekten traditioneller und moderner Lebensformen vgl. ebd. S.4f. Werlens Ansicht nach „wird es unter spät-modernen Lebensbedingungen im Prinzip immer fragwürdiger, nach Identitäten zwischen physisch-materiell begrenzten Regionen und kulturellen oder emotionalen Gegebenheiten Ausschau zu halten.“ Ebd. S.8.
[74] Ebd. S.7.
[75] Weichhart: Region. S.38/39. Von einer Renaissance bzw. Konjunktur des Regionalen und auch des Heimatbegriffs sprechen mehrere Autoren: Vgl. Blotevogel: Theorie. S.44-47. Wollersheim: Identifikationsprozesse Sachsen. S.2. Cremer/Klein: Heimat. S.35ff. Lipp: Heimatbewegung. S.166.
[76] Weichhart: Region. S.38ff. Weichhart bezeichnet das Phänomen von Entankerung und gleichzeitigem Regionsbezug ebenso wie Blotevogel als regionalistisches Paradoxon. Vgl. Ebd. S.38/39.
[77] Auch Ipsen betont, dass angesichts solcher Verunsicherung oder Entankerung die Region bzw. Heimat zum Ort der Sicherheit wird. Ipsen: Regionale Identität. S.235.
[78] Wardenga/Miggelbrink: Realismus und Konstruktivismus. Hier S.45. Die Autorinnen greifen hier zurück auf Blotevogel, der diese Position beschreibt und sich dabei u.a. auf Werlens Aussage von der „räumlichen Entankerung“ bezieht. Diese Ansicht stellt Blotevogel einer bei Wardenga nicht genannten weiteren These gegenüber, nach der globale und regionale Ebene in einem dialektischen Wechselverhältnis stehen. Vgl. Blotevogel: Theorie. S.47ff.
[79] Wardenga/Miggelbrink: Realismus und Konstruktivismus. S.45.
[80] Vgl. z.B. Ebd. S.46; Lipp: Heimatbewegung. S.169 und S.175ff; Lindner: Wiederkehr. S.7; Kunz: Verortete Geschichte. S.36f. Zu Komplexitätsselektion vgl. Fach: Raum als Wille. S.7.
[81] Vgl. Ipsen: Regionale Identität. S.232; Schilling/Ploch: Region als Handlungslandschaft. S.122.
[82] Vgl. dazu Hobsbawm/Ranger: Invention of Tradition.
[83] Vgl. Kunz: Verortete Geschichte. S.19ff. Die konstruktivistische Variante und eine Konvergenz zwischen National- und Regionalbewusstsein wird z.B. vertreten von Gans/Briesen: Siegerland.
[84] Vgl. Kunz: Verortete Geschichte. S.24f.
[85] Werlen: Konstruktion. S.8. sowie S.6ff.
[86] Ipsen: Regionale Identiät. S.250/251.
[87] Vgl. Kunz: Verortete Geschichte. S.17. Laut Ipsen ist neben der Herstellung von historischer Kontinuität die Herstellung der drei Raumeigenschaften Kontur (Betonung der Eigenart bzw. des Unterschied zu anderen), Kohärenz (Notwendigkeit, einen Raum auch über seine inneren Widersprüchlichkeiten hinweg als Ganzes zu begreifen), Komplexität (Betonung des Raums als Bereich dynamischer, Aktivität ermöglichender Prozesse) entscheidend dafür, dass Identitätsbildung funktioniert. Vgl. Ipsen: Regionale Identiät. S.239.
[88] Kunz: Verortete Geschichte. S.17.
[89] Vgl. Ipsen: Regionale Identität. S. 243.
[90] Ebd. S.248.
[91] Vgl. Assmann: Problem der Identität. S.22f.
[92] Fürst: Regionalentwicklung. S.56.
[93] Ebd. S.59ff.
[94] Ebd. S.56.
[95] Vgl. Fürst: Regionalentwicklung. S.57f. Hier S.59.
[96] Vgl. Ebd. S.58ff.
- Quote paper
- Anne Krenzer (Author), 2006, Vom "Land der armen Leute" zur "Modellregion" - Regionalisierung am Beispiel der Region Rhön in den Darstellungen regionaler Akteure zwischen 1876 und 2006, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/71177
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