Seit einigen Jahren hat der Begriff der Erlebnispädagogik Einzug gehalten in unterschiedliche Bereiche des öffentlichen Lebens, v.a. in der Jugendarbeit und zunehmend auch in der Erwachsenenbildung. Erlebnispädagogik ist in ihrem heutigen Erscheinungsbild sehr vielfältig und methodenreich, Abenteuer und Erlebnis haben Hochkonjunktur: in der modernen Freizeitgesellschaft gewinnt das Erlebnis, der "ultimative Kick" immer mehr an Bedeutung.
Vor diesem Hintergrund erscheint es mir notwendig und interessant, sich mit den eigentlichen Grundhaltungen von Erlebnispädagogik zu beschäftigen.
Im ersten Teil der Arbeit möchte ich mich mit den Ursprüngen von Erlebnispädagogik beschäftigen, dabei werde ich mich auf die wichtigsten Vertreter bzw. Vordenker stützen.
Im zweiten Teil werde ich das pädagogische Konzept Kurt Hahns und dessen Umsetzung in den Kurzschulen näher erläutern.
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INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung
I. Historische Entwicklung der Erlebnispädagogik
1. Leitlinien der Erlebnispädagogik vor
1.1 Das Bildungsverständnis in der Antike
1.2 J.J. Rousseau und D.H. Thoreau als Vordenker der Erlebnispädagogik
1.2.1 Jean-Jaques Rousseau
1.2.2 David Henry Thoreau
1.3 Der philosophische Blickwinkel
2. Weitere Wurzeln der Erlebnispädagogik in der Reformpädagogik
2.1 Pädagogische Reformbestrebungen
2.1.1 Die Kunsterziehungsbewegung
2.1.2 Die Jugendbewegung
2.1.3 H. Lietz und die Landerziehungsheimbewegung
2.2 Lernen im Projekt
II. Kurt Hahn und die Erlebnistherapie
1. Grundpfeiler des Hahn’schen Konzepts
1.1 Die sittliche Erziehung des Menschen
1.2 Das Modell einer pädagogischen Provinz
1.3 Das moralische Äquivalent des Krieges
2. Stufen der Erlebnistherapie
2.1 Erlebnispädagogische Grundelemente
2.1.1 Das körperliche Training
2.1.2 Die Expedition
2.1.3 Das Projekt
2.1.4 Der Rettungsdienst
2.2 „helpful memories“
2.3 Erlebnistherapie als Mittel zur Erziehung
3. Die Umsetzung des Hahn’schen Konzepts in den Kurzschulen
Literaturverzeichnis
Seit einigen Jahren hat der Begriff der Erlebnispädagogik Einzug gehalten in unterschiedliche Bereiche des öffentlichen Lebens, v.a. in der Jugendarbeit und zunehmend auch in der Erwachsenenbildung. Erlebnispädagogik ist in ihrem heutigen Erscheinungsbild sehr vielfältig und methodenreich, Abenteuer und Erlebnis haben Hochkonjunktur: in der modernen Freizeitgesellschaft gewinnt das Erlebnis, der „ultimative Kick“ immer mehr an Bedeutung.
Vor diesem Hintergrund erscheint es mir notwendig und interessant, sich mit den eigentlichen Grundhaltungen von Erlebnispädagogik zu beschäftigen.
Im ersten Teil der Arbeit möchte ich mich mit den Ursprüngen von Erlebnispädagogik beschäftigen, dabei werde ich mich auf die wichtigsten Vertreter bzw. Vordenker stützen.
Im zweiten Teil werde ich das pädagogische Konzept Kurt Hahns und dessen Umsetzung in den Kurzschulen näher erläutern.
I. Historische Entwicklung der Erlebnispädagogik
1. Leitlinien der Erlebnispädagogik vor 1890
Erlebnispädagogik ist nicht neu erfunden, sondern war schon von jeher eine Methode der Pädagogik die versucht hat, den drängenden pädagogischen Fragen bzw. reformbedürftigen Erziehungskonzepten der jeweiligen Zeit etwas entgegenzusetzen. Im folgenden Abschnitt möchte ich anhand eines kleinen Streifzugs durch die Geschichte der Pädagogik und unter Einbeziehung philosophischer Grundgedanken die Ursprünge bzw. Wurzeln von Erlebnispädagogik darstellen.
1.1 Das Bildungsverständnis in der Antike
Der Gedanke der Bildung als Vorgang des Lernens hat seine Quellen in der griechischen Antike. Ein bedeutender Vertreter der Zeit ist Plato (427-347 v.Chr.), der eine Philosophie über die sittliche Erziehung des Menschen entwickelte. Er ging davon aus, daß eine auf eine schöne Seele gerichtete Erziehung zugleich eine Erziehung im Interesse des Staates sei: Die Wohlgestimmtheit der Seele, erreichbar durch eine in der richtigen Mischung bzw. Integration von Gymnastik und Musik dargebotenen Erziehung fördere sowohl Tapferkeit wie Besonnenheit. Diese platonische Ganzheitssicht von Körper, Geist und Seele, Individuum und Gesellschaft, wurde später von Kurt Hahn zum Vorbild und zu einem Grundpfeiler seines Konzepts[1].
1.2 J.J. Rousseau und D.H. Thoreau als Vordenker der Erlebnispädagogik
Jean-Jaques Rousseau (1712-1778) und David Henry Thoreau (1817-1862) haben das philosophische und pädagogische Denken bis in die heutige Zeit geprägt. Viele ihrer Ideen sind vergleichbar, beide entdecken die Einfachheit und Einsamkeit und sind den Denker gegen den Zeitgeist. Sowohl Rousseau als auch Thoreau sehen in der Natur die „Erzieherin und Lehrmeisterin“. Sie wollen einen neuen Menschen schaffen und entwickeln dafür eine Utopie der Erziehung[2].
1.2.1 Jean-Jaques Rousseau
Im Umfeld der französischen Aufklärung entstand das pädagogische und philosophische Werk von J.J. Rousseau, sein Erziehungsroman „Emile oder Über die Erziehung“ war für das spätere Erziehungswesen folgenreich.
In seinen Ausführungen richtet er sich in erster Linie gegen die restriktiven Erziehungsbestimmungen seiner Zeit und postuliert ein Eigenrecht auf die Lebensphase Kindheit.
Rousseaus Grundannahme ist, daß der Mensch von Natur aus gut sei und deshalb gute Erziehung von dieser Natur auszugehen hat. Mit seinem Ruf „zurück zur Natur“ fordert er, die Natur als Erziehungsmittel zu nutzen. Einfachheit, natürliche Bewegung in der Natur, unmittelbares Erleben durch die Sinne, Lernen aus eigenen Erfahrungen und der Erwerb von Selbständigkeit sind die Grundsäulen seiner Erziehungsphilosophie.
Sein Ziel ist die Erziehung ohne Erzieher, eine Minimalerziehung, die durch die negativen Folgen von unpassenden Handlungen (die natürliche Strafe) zum freien Menschen führt. Durch Handeln lernt der Mensch besser und mehr, wer gut handelt, wird ein guter Mensch. Die eigene Befindlichkeit, Zufriedenheit und Glück und die Fähigkeit, die Freuden und Leiden des Lebens zu ertragen sind der Maßstab für eine gute Erziehung[3].
1.2.2 David Henry Thoreau
Zur Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der amerikanische Schriftsteller D.H. Thoreau für ein der Natur nahes Leben und Lernen plädiert. Er forderte den einzelnen Menschen auf, seine soziale Rolle und individuelle Lebensbedingungen in den unmittelbaren Vorgängen und Prozessen der Natur zu reflektieren[4]. Während Rousseau ein Schreibtischtäter blieb, lieferte Thoreau ein praktisches Beispiel der Lebenskunst: zwischen 1845 und 1848 zieht er sich in einem Eigenexperiment („Walden“) in die Wälder Kanadas zurück.
Thoreau beklagte der Verlust der Unmittelbarkeit durch den herrschenden Zeitgeist, durch Luxus, Bequemlichkeit, Mode, Zivilisation und Technik. Er suchte nach den ursprünglichen Bedürfnissen des Menschen und versuchte in seinem Walden-Experiment ein bedürfnisloses Leben zu führen, um zum eigentlich Wichtigen vorzustoßen.
Thoreau wollte beweisen, daß durch Reduktion von unnötigen Bedürfnissen mit wenig Geld eine einfache und solide Lebensgrundlage aufgebaut und erhalten werden kann. Somit stellt dieser Rückzug in die Natur ein Experiment im mehrfachen Sinn dar: eine Selbstheilung, ein Gegenentwurf zur herrschenden Gesellschaftsphilosophie und ein ökonomisches Experiment.
Thoreau’s Prinzipien sind die Unmittelbarkeit des eigenen Erlebens, die eigene Erfahrung, Lernen durch Versuch und Irrtum in möglichst realen Situationen.
Er gilt somit neben Rousseau als Wegbereiter der Erlebnispädagogik[5].
1.3 Der philosophische Blickwinkel
In Konzentration auf die Sinnesfragen der menschlichen Existenz befaßten sich im 19 Jahrhundert die Vertreter der Existenz- sowie der Lebensphilosophie mit den Fragen des „Er-Lebens“. Henry Bergson (1859-1941) und William James (1842-1910) entwarfen philosophische Systeme, die über die intellektuelle Verstandesbildung hinausgriffen und Erfahrung, Intuition und im Gefühl erlebte Bewußtseinstatsachen als spezifisch menschliche Wesenszüge und Erziehungstatsachen klassifizierten. Unmittelbares Erleben in der praktischen Tätigkeit des handelnden Menschen wurde als zentrales Entwicklungsmoment des Individuums erarbeitet. Bergson sieht das Erleben als Zeiterfahrung, in unserem Erleben gestalten wir die Zeitdimension jedesmal neu. Erleben ist Freiheit, frei sind wir dann, wenn unsere Handlungen aus unserer ganzen Persönlichkeit hervorgehen und sie auszudrücken vermögen[6]. Nach Bauer ist hier die Erlebnispädagogik schon unmittelbar erkennbar[7].
James ging davon aus, daß die junge Generation in ihren Lebenswelten ständig Möglichkeiten vorfinden müßte, um innere Spannungen abbauen und die Bedürfnisse nach Bewegung und Arbeit befriedigen zu können. Seine Erziehungsprinzipien haben bis heute eine große Bedeutung für alle handlungsorientierten Ansätze:
- Man lernt am besten, wenn man selbst dabei handelnd tätig ist.
- Interesse ist ein Zeichen dafür, daß Lernen stattfindet.
- Die Basis jedes Lernens ist das unmittelbare Erleben durch die Sinne.
- Gute Erziehung muß ganzheitlich sein.
- Liebe und Verständnis sind für den Lernprozeß wichtig.
- Effektives Lernen findet fächerübergreifend statt.
- Respekt für die unterschiedlichen Individuen ist essentiell[8].
Diese Gedanken wurden später von Kurt Hahn aufgegriffen und in sein Konzept eingebunden.
2. Weitere Wurzeln der Erlebnispädagogik in der Reformpädagogik
Die Geschichtsschreibung der Reformpädagogik (1890-1933) beginnt mit der Kulturkritik des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die Namen Paul de Lagarde, Julius Langbehn und Friedrich Nietzsche werden damit verbunden. Die Kulturkritik stellte in erster Linie das veraltete preußische Bildungs- und Schulsystem in Frage, sie forderte pädagogisches Handeln und Denken, das sich zunehmend auf den psychischen und physischen Entwicklungsstand der Kinder zu richten hatte. Ein nächster Kritikpunkt war das Prinzip der Allgemeinbildung, das Wissen und Können zu den kulturellen Leistungen und Produkten menschlicher Entwicklung von allen gleichförmig abverlangt. Des weiteren lehnte die Kulturkritik die autoritären Disziplinierungen des Schulalltags ab und plädierte für einen behut- und einfühlsamen Aufbau des kindlichen Selbstbildes. Die Zielgruppe der Kritiker war die Jugend, der die neuen Ideale vermittelt werden sollten[9].
Die Kerngedanken der Reformpädagogik sind Augenblick, Unmittelbarkeit, Natur, Echtheit, Einfachheit, der Mensch in seiner Ganzheit und die Erziehung in der Gemeinschaft, in der das Erleben neuen Raum und neue Bedeutung gewinnt: in unterschiedlichen inhaltlichen und didaktischen Formen, wie die einzelnen Strömungen der Reformpädagogik aufweisen[10].
2.1 Pädagogische Reformbestrebungen
2.1.1 Die Kunsterziehungsbewegung
Den wohl entscheidendsten Impuls für die Erlebnispädagogik lieferte die Kunsterziehungsbewegung. Der Hamburger Kunstpädagoge Alfred Lichtwark stellte das Betrachten eines Kunstwerks und seine Wirkung auf das Kind in den Mittelpunkt seiner pädagogischen Bemühungen. Die Betrachtung und Analyse von Kunstwerken sollte die künstlerische Empfänglichkeit und Genußfähigkeit des Schülers wecken. Die subjektive Welt des Betrachters und sein inneres Erlebnis rückt in den Mittelpunkt des Unterrichts, somit ergibt sich eine Unterrichtsform des Erlebens[11].
Daneben setzte auch Julius Langbehn Akzente, indem er der bildenden Kunst die Fähigkeit der Erneuerung von Leben und Lernen zubilligte: künstlerische Erziehung könne Schule und Volksbildung reformieren. Der Zeichenunterricht solle dabei die produktiven Kräfte des Kindes entwickeln und fördern, der „Geist der Kunst“ sich auf Sprache und Dichtung übertragen, Gymnastik und Musik, schließlich auch der Turnunterricht (bisher eher militärische Disziplin) zu den in ihnen angelegten kreativen Wirkungen kommen[12].
2.1.2 Die Jugendbewegung
Die große Bewegung und Umformung des pädagogischen Lebens bringt erst der Aufbruch der jungen Generation selbst, die Jugendbewegung. Ihr Protest richtete sich gegen die erstarrten bürgerlichen Lebens- und Daseinsformen, v.a. gegen das bürgerliche Elternhaus und die Autoritätsschule, die als Anstalt der Knechtung empfunden wird. Das großstädtische Leben erschien der Jugend schal und langweilig, alles war vorgeformt, aufbereitet, gefiltert durch die Welt der Erwachsenen. Das eigentliche Leben sollte dort stattfinden, wo weder Erwachsene noch Großstadt das unmittelbare Erleben verhindern: in der freien, ursprünglichen Natur. Bedeutend dabei sind gemeinsames Unternehmen und Erleben in den Jugendgruppen, das Erlebnis echter urtümlicher Gemeinschaft[13].
Zu einem erheblichen Teil – etwa durch die Zielsetzung, die Schule zur Stätte der Jugendkultur zu machen – entstand auch zwischen Jugendbewegung und Landerziehungsheimbewegung eine enge Verbindung. Nach Bauer ist diese Rebellion der Jugend gegen die Erwachsenen bzw. die moderne industrielle Zivilisation „psychologische Basis für die Landerziehungsheime Salem, Gordonstoun und später den Outward Bound“[14].
[...]
[1] Vgl. Bauer 1996, S. 8 f.; Reiners 1995, S. 15.
[2] Vgl. Heckmair / Michl 1994, S. 3.
[3] Vgl. Heckmair / Michl 1994, S. 3f.; Fischer / Ziegenspeck 2000, S. 100f.
[4] Fischer / Ziegenspeck 2000, S. 192.
[5] Heckmair / Michl 1994, S.4 f.
[6] Vgl. Bauer 1996, S. 9f.; Fischer / Ziegenspeck 2000, S. 193.
[7] Bauer 1996, S. 11.
[8] Reiners 1995, S.16.; s.a. Fischer / Ziegenspeck 2000, S. 193.
[9] Vgl. Heckmair / Michl 1994, S.20; Fischer / Ziegenspeck 2000, S. 206 f.
[10] Bauer 1996, S. 14.; Heckmair / Michl 1994, S. 17.
[11] Heckmair / Michl 1994, S. 21; Reble 1999, S. 267 f.
[12] Bauer 1996, S. 14.
[13] Reble 1999, S. 259 f.
[14] Bauer 1996, S. 16.
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