Im Jahr 2000 treten Paul Hansen, Karl-Otto Zinken, sowie fünf weitere Kläger an die Rechtsanwältin Randi Hagen Spydevold in Oslo heran. Was sie mit einander teilen, ist ihr gemeinsames Schicksal als so genannte "Tyskerbarn" (Deutschenkinder), deren Kindheit und Jugend davon geprägt waren, dass sie oft ohne ihre Eltern aufwuchsen, zwischen Heimen und Pflegefamilien hin und hergereicht und von der norwegischen Gesellschaft als schändlicher Makel des NS-Regimes gepeinigt und gedemütigt wurden. Sie sind Kinder norwegischer Frauen, die während des Zweiten Weltkrieges eine enge Beziehung mit einem Deutschen eingegangen waren, sprich aus gesellschaftspolitischer Sicht ganz offensichtlich und schamlos mit dem Feind fraternisiert hatten. Die Zahl der deutsch-norwegischen Kriegskinder kann zwar lediglich geschätzt werden, sie beläuft sich jedoch laut Aktenfund in Oslo auf etwa 10.000 bis 12.000 Kinder. Degradierung, Ausstoßung und Misshandlungen waren die Folge, meist für Mutter und Kind, die nicht nur willkürlich aus der Bevölkerung hervorgingen, sondern auch häufig von der Regierung der Nachkriegszeit gebilligt wurden. Ein Jahr später liegen bereits 150 Klagebegehren beim Osloer Stadtgericht vor und die Zahlen steigen in der folgenden Zeit stetig. Die dahinter stehenden Kläger fordern eine längst überfällige Auseinandersetzung der Gesellschaft mit diesem Kapitel der eigenen Vergangenheit, da der Umgang mit dieser besonderen Art der Kriegsopfer lange Zeit ignoriert, ihre Schicksale tabuisiert und von der norwegischen Regierung als "verjährt" abgestempelt wurde.
Um sich den Einfluss auf diese Kinder zu sichern, die aus nationalsozialistischer rassen-ideologischen Sicht, dem Deutschen Reich nicht verloren gingen durften, schaltete das Rassen- und Siedlungshauptamtes (RuSHA) der SS 1941 den Verein "Lebensborn e.V." ein. Dem Reichsführer des SS, Heinrich Himmler, direkt unterstellt organisierte er fortan die Versorgung der norwegischen Frauen, die von deutschen Männern ein Kind erwarteten, und war für die zukünftigen Lebensumstände hunderter Kriegskinder maßgeblich verantwortlich.
Doch auch nach Ende der deutschen Besatzung folgten Jahre der Diskriminierung seitens der norwegischen Gesellschaft bis in die heutige Zeit hinein, die das Leben dieser betroffenen auch weiterhin bestimmten.
Inhaltsverzeichnis:
1. Einführung
2. Rassenpolitisches Interesse an der Gleichschaltung Norwegens im Sinne der "Neuordnung" zum "Großgermanischen Reich"
2.1. "Positive" Rassen- und Siedlungspolitik der SS
2.2. Ideologisches Interesse der Nationalsozialisten an norwegischen Soldatenkindern
3. Überblick über den deutschen Überfall auf Norwegen am 9. April 1940 und die "Neuordnung" des besetzen Landes
4. Der Lebensborn e.V. - SS-Institution nationalsozialistischer Rassenpolitik
4.1. Die wichtigsten Beauftragten zur Ausführung der Lebensborn-Tätigkeit in Norwegen: Rediess, Reinecke, Sollmann, Richert, Titgen und Rallager
4.2. Lebensbornheime: gesetzliche Richtlinien zur Ausführung ihrer Arbeit und implizierte Ziele
4.3. Die "Deutschenmädchen" und ihre Kinder - ihre Behandlung durch die deutsche Besatzungsmacht und ihr Status innerhalb der norwegischen Gesellschaft als Landesverräterinnen
5. Umgang mit den deutsch-norwegischen Kriegskindern und deren Müttern nach der Befreiung Norwegens von der faschistischen Besatzungsmacht - Beginn des lang erhofften Friedens oder einer gefürchteten Verfolgungswelle?
5.1. Maßnahmen des norwegischen Staates in der ersten Nachkriegszeit im Umgang mit den "Deutschenkindern" und ihren Müttern
6. Einstellung der norwegischen Gesellschaft gegenüber den Kriegskinder heute
Bibliographie:
1. Einführung
Im Jahr 2000 treten Paul Hansen, Karl-Otto Zinken, sowie fünf weitere Kläger an die Rechtsanwältin Randi Hagen Spydevold in Oslo heran. Was sie mit einander teilen, ist ihr gemeinsames Schicksal als so genannte "Tyskerbarn" (Deutschenkinder), deren Kindheit und Jugend davon geprägt waren, dass sie oft ohne ihre Eltern aufwuchsen, zwischen Heimen und Pflegefamilien hin und hergereicht und von der norwegischen Gesellschaft als schändlicher Makel des NS-Regimes gepeinigt und gedemütigt wurden. Sie sind Kinder norwegischer Frauen, die während des Zweiten Weltkrieges eine enge Beziehung mit einem Deutschen eingegangen waren, sprich aus gesellschaftspolitischer Sicht ganz offensichtlich und schamlos mit dem Feind fraternisiert hatten. Degradierung, Ausstoßung und Misshandlungen waren die Folge, meist für Mutter und Kind, die nicht nur willkürlich aus der Bevölkerung hervorgingen, sondern auch häufig von der Regierung der Nachkriegszeit gebilligt wurden. Ein Jahr später liegen bereits 150 Klagebegehren beim Osloer Stadtgericht vor und die Zahlen steigen in der folgenden Zeit stetig. Die dahinter stehenden Kläger fordern eine längst überfällige Auseinandersetzung der Gesellschaft mit diesem Kapitel der eigenen Vergangenheit, da der Umgang mit dieser besonderen Art der Kriegsopfer lange Zeit ignoriert, ihre Schicksale tabuisiert und von der norwegischen Regierung als "verjährt" abgestempelt wurde.[1]
Während der deutschen Besatzung Norwegens vom 9. April 1940, dem Tag des deutschen Überfalls auf Norwegen und Dänemark, der unter dem Decknamen "Weserübung" erfolgte, bis zum Kapitulationstag der Nationalsozialisten am 8. Mai 1945 waren über 300.000 deutsche Soldaten in Norwegen stationiert, die dort verglichen zu anderen Besatzungszonen eine ungemein friedvolle Zeit erlebten, geprägt von einer starken Integration in die norwegische Gesellschaft und einem ungewöhnlich engen Kontakt mit der Zivilbevölkerung. Trotz eines durchaus vorhandenen Widerstandes, größtenteils organisiert von der in England weiter agierenden Exilregierung unter König Haakon VII., bestand verständlicher Weise die Hoffnung auf einen weitestgehend ungehinderten Fortgang des gesellschaftlichen Lebens. Dies mag eventuell in Ansätzen die in weiten Teilen der Bevölkerung verbreitete Bereitschaft erklären, vor allem die der führenden Repräsentanten aus Wirtschaft, Recht und Kultur, sich mit der Besatzungsmacht zu arrangieren.
Während der fünfjährigen Besatzungszeit durch die deutschen Nationalsozialisten wurde selbstverständlich auch von den Frauen eine deutliche Positionierung gegenüber der Tatsache der Besatzung, sowie der Politik der Besetzer abverlangt. Dabei tat sich hier zwischen Kollaboration und Widerstand eine breite Skala unterschiedlichster Formen von Kontakt zur Besatzungsmacht im alltäglichen Leben auf. Dies variierte oft von Region zu Region, sowie innerhalb unterschiedlicher Milieus und natürlich auch je nach Präsenz und Auftreten der Deutschen in der Gesellschaft bzw. in den einzelnen Gemeinden.
Im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen diejenigen norwegischen Frauen, die in dieser Zeit in engem Kontakt mit einem Deutschen standen, und aus deren Liebesbeziehungen deutsch-norwegische Kriegskinder hervorgingen, deren Zahl man zwar lediglich schätzen kann, die sich jedoch auf etwa 10.000 bis 12.000 beläuft. Von Interesse soll dabei sein, die Umstände zu beschreiben, unter denen sich diese Paare kennen lernten und wie sich derartige Beziehungen über die Dauer des Krieges hinweg gestalteten. Auch die Bedingungen, unter denen diese Frauen ihre Kinder auf die Welt brachten und großzogen, sowie die Maßnahmen, die von deutscher Seite aus rassen-ideologischen Gesichtspunkten ergriffen worden waren, um sich den Einfluss auf die Kinder zu sichern, sollen möglichst differenziert dargestellt werden. Darüber hinaus erfolgt eine genauere Beschreibung der gesamten Tätigkeit des "Lebensborn e.V.", einer Institution des Rassen- und Siedlungshauptamtes (RuSHA) der SS, die für die Versorgung der norwegischen Frauen, die von deutschen Männern ein Kind erwarteten, zuständig und für die zukünftigen Lebensumstände hunderter Kriegskinder maßgeblich verantwortlich war. Abschließend soll noch darauf hingewiesen werden, inwiefern die jahrelange Diskriminierung von Seitens der norwegischen Gesellschaft bis in die heutige Zeit hinein das Leben dieser betroffenen Menschen determiniert hat und auch weiterhin bestimmt.
2. Rassenpolitisches Interesse an der Gleichschaltung Norwegens im Sinne der "Neuordnung" zum "Großgermanischen Reich"
Um das starke Interesse der deutschen Nationalsozialisten an den deutsch-norwegischen Kriegskindern im Sinne faschistischer Rassenideologie besser verstehen zu können, ist es wichtig, sich zunächst einmal den verschiedenen Forschungsfeldern und Interessenssphären der komplexen deutschen Okkupationspolitik und –praxis bewusst zu werden. Diese umfassten nämlich nicht nur territoriale und politische Veränderungen und die Durchdringung und Beherrschung der bestehenden Wirtschaft, sondern auch die gezielte Veränderung von Größe und Zusammensetzung der Bevölkerung der besetzen Länder. Entscheidend hierfür sind die "Neuordnungspläne", die die Okkupanten besonders mit Hinsicht auf die Erschließung der "germanisch" anerkannten Länder in das "Großdeutsche Reich", hegten.[2] „Für die NS-Ideologie waren diese Länder prädestiniert, in ein "Großgermanisches Reich" aufgenommen zu werden.“[3] Es ist die Rede von Dänemark, Norwegen und den Niederlanden, denen Hitler aufgrund ihrer rassischen Grundvorrausetzung eine Sonderstellung bei den Neuordnungsplänen Europas einräumte und darauf abzielte, diese in Form von "Reichskommissariaten"[4] einzuschließen und staatsrechtlich mit dem deutschen Staat zu verbinden. Durch die Expansionsziele, die in West- und Osteuropa angestrebt wurden, waren die Pläne für Nordeuropa einige Zeit zurückgestellt worden. Daher muss man ehrlich sagen, dass die konkreten Überlegungen einer Neuordnung erst im wesentlichen in der Zeit vom Frühjahr 1940 bis zum Herbst 1941[5], also erst mit dem Beginn der Offensive und der Besetzung der nordischen Staaten Dänemark und Norwegen gezielt in Angriff genommen wurden. Die Vorstellungen über die Verwirklichung der Eingliederung dieser Länder zu einem Großwirtschaftsraum unter deutsch-imperialistischer Führung mit einer entsprechenden politischen Vereinigung, variierten hierbei zwischen völliger Unterdrückung, Kollaboration und beschränkter nationaler Autonomie. Alfred Rosenberg, der als Schirmherr der "Nordischen Gesellschaft"[6] schon seit mehreren Jahren an den deutsch-nordischen Beziehungen arbeitete, erhoffte sich gar eine von Norwegen selbstständig angestrebte Aufnahme in das Deutsche Reich.
Dem gesonderten Interesse gegenüber den "germanischen" Ländern wie Dänemark und Norwegen ging der "Nordische Gedanke"[7] als weltanschauliche Grundlage voraus, welcher die Vereinigung aller Völker germanischer Sprache mit dem Ziel der Stärkung der zur Weltherrschaft bestimmten nordischen Rasse implizierte. Wichtigster Vertreter dieser "Großgermanischen Reichsidee"[8] war der Rassenexperte Hans F. K. Günther, der neben vielen anderen Forschern und Wissenschaftlern auf diesem Gebiet die zunehmende biologische Degenerierung der Gesellschaft hinsichtlich der nordischen Erbanlagen wissenschaftlich begründete. Neben der Eindeutschung relativ nordischer Bestandteile der osteuropäischen Völker, zielte der nach Norwegen ausgewanderte Günther auf die große Bedeutung des Anschlusses der germanischen Gebiete in Nord- und Nordwesteuropa an das nationalsozialistisch-deutsche Reich, um so ein "Aussterben der Nordrasse"[9] schnellstmöglich entgegen zu wirken. Unter Rosenbergs politischen Ambitionen, bei der Neuordnung Nordeuropas eine entscheidende Rolle zugeteilt zu bekommen, entwickelte sich der Allnordische Gedanke schnell zu einem "deutsch-skandinavischen Gedanken"[10] und wurde daraufhin bald in Hitlers nationalistisch-imperialistischen Expansionspolitik aufgenommen.
2.1. "Positive" Rassen- und Siedlungspolitik der SS
Angesichts des drohenden Niedergangs der "rassisch wertvollen Menschheit", wie diese Entwicklung in der Gedankenwelt des so genannten Sozial-Darwinismus der nationalsozialistischen Rassenforscher genannt wurde, galt es entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, dieser ursprünglich auf einer natürlichen Auslese beruhenden Durchsetzung der Stärkeren gezielt nachzuhelfen. Es handelt sich hierbei bekannter Weise nicht um den Überlebenskampf von Individuen, sondern vielmehr um die Überzeugung von einer überlegenen arischen Rasse, die auf dem Vorhandensein gesunden Erbgutes beruht. Dabei teilt sich die daraus resultierende „Rassenhygiene“ in zwei entscheidende Programme, das der "negativen Auslese" und das der "positiven Auslese". Den Maßnahmen, die ergriffen wurden, um die minderwertigen Rassen in Form von Verhütung und Vernichtung "lebensunwerten Lebens" auszuschalten, stehen die Maßnahmen zur Förderung der hochwertigen Rassen gegenüber.[11]
[...]
[1] Spiegel. 8 (2001)
[2] Petrick. „Europa unterm Hakenkreuz“, 1992, S. 305-306
[3] Petrick. „Europa unterm Hakenkreuz“, 1992,. S. 314-315
[4] Petrick. „Europa unterm Hakenkreuz“, 1992,. S. 312
[5] Bleyer u. a., 1975, S. 73
[6] Die Nordische Gesellschaft war schon in den zwanziger Jahren im Sinne der imperialistischen deutschen Auslandspropaganda in Nordeuropa wirksam geworden; einige Begründungen waren später wesentlicher Bestandteil der Rassenideologie der deutschen Faschisten geworden. Siehe hierzu auch Lutzhöft. Der Nordische Gedanke in Deutschland 1920-1940, 1971, S. 55ff
[7] Lutzhöft, 1971, S. 370ff
[8] Ebenda.
[9] Lutzhöft, 1971, S. 370
[10] Ebenda.
[11] Lilienthal, 1993, S. 16ff, siehe hierzu auch Hildebrand, Klaus. Deutsche Außenpolitik 1933-1945. Kalkül oder Dogma? Vierte Auflage. Stuttgart, 1980 und auch Lilienthal. Rassenhygiene im Dritten Reich. Krise und Wende. Medizinhistorisches Journal 14 (1979), S. 114-134
- Arbeit zitieren
- Sarah Rehberg (Autor:in), 2005, Die nationalsozialistische Rassenideologie und ihre praktische Umsetzung am Beispiel norwegischer Kriegskinder aus der faschistischen Besatzungszeit 1940-1945, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70908
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