Der Titel der vorliegenden Hausarbeit lautet „Die Rolle der türkischen Verfassungspolitik im Demokratisierungsprozess, 1924-1982“ und entstand im Rahmen des politikwissenschaftlichen Hauptseminars „Verfassungspolitik in Umbruchsituationen“. Im folgenden soll also untersucht werden, inwieweit es in der türkischen Republik eine Demokratie nach westlichem Vorbild gibt und wie diese Entwicklung stattgefunden hat. Der Verlauf soll an den verschiedenen Verfassungen des Landes nachgezeichnet werden. Eckpunkte sind dabei die Konstitutionen von 1924, 1961 und 1982.
Inhaltsverzeichnis
1.) Einleitung
1.1) Was ist unter dem Begriff „Demokratie“ zu verstehen?
2.) Hauptteil
2.1) Die erste republikanische Verfassung
2.2) Die Zweite Republik und die Verfassung von 1961
2.2.1) Der Charakter der Verfassung
2.2.2) Das Ende der Zweiten Republik
2.3) Die Dritte Republik
2.3.1) Die Verfassung der Dritten Republik
3.) Schlussbemerkungen
Literaturverzeichnis
1.) Einleitung
Der Titel der vorliegenden Hausarbeit lautet „Die Rolle der türkischen Verfassungspolitik im Demokratisierungsprozess, 1924-1982“ und entstand im Rahmen des politikwissenschaftlichen Hauptseminars „Verfassungspolitik in Umbruchsituationen“. Im folgenden soll also untersucht werden, inwieweit es in der türkischen Republik eine Demokratie nach westlichem Vorbild gibt und wie diese Entwicklung stattgefunden hat. Der Verlauf soll an den verschiedenen Verfassungen des Landes nachgezeichnet werden. Eckpunkte sind dabei die Konstitutionen von 1924, 1961 und 1982.
Nach Zusammenbruch des Osmanischen Reiches wurde die Republik Türkei am 29. Oktober 1923 ausgerufen. Der türkische Politikwissenschaftler Ergun Özbudun zählt sie zur „zweiten Welle der Demokratisierung“. Die Entstehung der Republik leitet nach Özbudun in den späten 1940er den Prozess eines langsamen Systemwechsel ein. Man könne das Land jedoch nicht zu den Vertretern fortgeschrittener repräsentativer Demokratien rechnen[1]. Diese oder ähnliche Meinungen werden auch in den Medien und in politischen Diskussionen vertreten. Insbesondere wenn es darum geht, über den türkischen Antrag auf EU-Mitgliedschaft zu entscheiden[2]. Die vorliegende Arbeit ist ein Versuch diesem Vorwurf nachzugehen und ihn auf seine Richtigkeit zu prüfen.
Dabei sollen lediglich Verfassungen im angegebenen Zeitraum analysiert werden. Aufgrund dessen wird bewertet, ob in der Theorie eine Demokratie vorhanden ist oder zumindest der Prozess dorthin stattgefunden hat. Unter einer Verfassung ist eine Rechtsvorschrift zu verstehen, die in einem grundsätzlichen Rahmen Staatsorganisation und -funktion, die Aufgaben und Ziele des Staates sowie die Rechtsstellung der Bürger verbindlich regelt[3]. Eine Untersuchung der Verfassungswirklichkeit, also die praktische Umsetzung der rechtlichen Vorgaben, kann an dieser Stelle nicht vorgenommen werden, da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde.
Bei der Frage, ob und inwieweit die Türkei ein demokratischer Staat ist, muss zunächst geklärt werden, was überhaupt Demokratie ist. Das Problem hierbei ist, dass es in der Wissenschaft keine einheitliche Definition für diese Herrschaftsform gibt. Es gibt eine Fülle an Literatur, die sich mit der Thematik beschäftigt und eine große Bandbreite an Meinungen aufweist[4]. In Ermangelung einer solchen allgemeingültigen Definition soll im folgenden eine Minimaldefinition vorgestellt werden, die dann als Bemessungsgrundlage für die Arbeit gilt. Im Anschluss daran wird das Thema in den historischen Kontext eingeordnet. Außerdem werden die Anfänge des Konstitutionalismus beschrieben, der im Osmanischen Reich begann. Darauf aufbauend werden im Hauptteil die drei Verfassungen analysiert: Das ist zum einen die Verfassung von 1924, die gleich nach Ausrufung der Republik verabschiedet wird. Zum anderen sind es die Konstitutionen von 1961 und 1982 – beide werden nach einschneidenden und tiefgreifenden Staatstreichen erarbeitet. Im Schlussteil werden die Verfassungen mit der hier verwendeten Definition der Demokratie verglichen und eine abschließende Beurteilung vorgenommen.
1.1.) Was ist unter dem Begriff „Demokratie“ zu verstehen?
Semantisch betrachtet hat der Terminus „Demokratie“ seinen Ursprung in der griechischen Sprache. Es besteht aus dem Wort „demos“, also Volk, und „kratein“ für herrschen. Gemeint ist eine Volksherrschaft bzw. die „Herrschaft der Mehrheit“, die die Menschen selber und in ihrem eigenen Interesse ausüben[5].
Wie muss diese Herrschaft aussehen? Die vorliegende Arbeit wird sich an die Minimaldefinition von Robert A. Dahl halten. Er stellt einen Katalog mit sieben Kriterien auf, die alle vollständig erfüllt sein müssen. Bei Fehlen eines oder mehrerer dieser Prüfsteine lehnt er es ab, von einer Demokratie zu sprechen[6]. Dahls Zusammenstellung beinhaltet folgende Punkte:
1.) Gewählte Abgeordnete: Eine Verfassung verleiht den gewählten Abgeordneten das Recht, politische Regierungsentscheidungen zu kontrollieren.
2.) Freie und faire Wahlen: Gewählte Abgeordnete werden in freien und zahlreichen Wahlen bestimmt. In diesen Wahlen darf es nicht zur Anwendung von Zwang kommen.
3.) Inklusives Stimmrecht: Praktisch alle Erwachsenen haben das Recht bei Wahlen zu wählen.
4.) Recht, sich zur Wahl zu stellen: Praktisch alle Erwachsenen sollten das Recht haben sich zur Wahl zu stellen. Dabei kann die Höhe des geforderten Mindestalters höher sein als beim Stimmrecht.
5.) Meinungsfreiheit: Die Bürger haben das Recht ihre freie Meinung zu äußern und zwar auch zu politischen Themen. Allgemein definiert zählen zu diesen Themen die Kritik an den Abgeordneten und der Regierung, am System und an der sozio-ökonomischen Situation sowie an der vorherrschenden Ideologie.
6.) Alternative Informationen: Die Bürger haben das Recht alternative Informationen zu suchen. Quellen alternativer Informationen müssen bestehen und sind gesetzlich zu schützen.
7.) Vereinigungsrecht: Es besteht das Recht, relativ unabhängige Verbände und Vereine zu gründen. Dazu zählen auch politische Parteien und Interessengruppen.[7]
Nach Dahl ist die Reihenfolge seines Kataloges nicht maßgebend. Die Erfahrung zeige, dass diese Kriterien in einem Land nicht unbedingt in dieser Sequenz auftreten. Außerdem erscheinen diese „Einrichtungen“, wie er es nennt, nicht gleichzeitig zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die Entwicklung dieser Rechte könne in den verschiedenen Demokratien unterschiedlich schnell bzw. langsam ausfallen[8].
1.2.) Beginn des Konstitutionalismus
Die Tradition des Konstitutionalismus, ebenso der Rechtsstaatlichkeit, begann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Das Osmanische Reich befand sich im Zerfall, sodass der Ruf nach Reformen immer lauter wurde. Solche Forderungen stellten auch die „Jung Osmanen“, eine ideologische Bewegung, dessen Mitglieder zur regierenden Elite gehörten. Ihr Ziel war es, unter Beibehaltung der traditionalistischen Grundsubstanz das Land nach westlichem Vorbild zu reformieren. Die Abschaffung des Sultanats bzw. des Kalifats[9] wurde nicht gefordert. Vielmehr verlangten sie – wie andere Intellektuelle auch – eine konstitutionelle Monarchie, um mit der entsprechenden Verfassung die Macht des Sultans zu begrenzen. Die „Jung Osmanen“ beeinflussten diese Entwicklung maßgeblich[10].
1876 bestieg Sultan Abdülhamit II. unter einigen Wirren den Thron. Vertreter der reformwilligen Bürokraten nutzten die politisch instabile Situation, um die erste Verfassung durchzusetzen. Sie trat am 23. Dezember 1876 in Kraft[11]. Es handelte sich dabei nicht um das Werk einer national-bürgerlichen bzw. aus dem Volk kommenden Anstrengung. Vielmehr waren es Kreise aus der Oberschicht – Intellektuelle, Politiker, Bürokraten – die sich für die Durchsetzung einer Verfassung interessierten und einsetzten[12].
Die Staatsordnung ähnelte im Wesen europäischen Gegenstücken ihrer Zeit[13]. Insbesondere die belgische und die preußische Verfassung hatten einen prägenden Einfluss. Die osmanische Konstitution sah ein Zweikammern-Parlament vor, ein System von Kabinettministern und eine unabhängige Judikative. Ein Grundrechtsteil regelte in 17 Artikeln die Rechte aller osmanischen Untertanen. Darunter fiel die Religionsfreiheit und zahlreiche andere persönliche Freiheiten, wobei Meinungs- sowie Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit noch fehlten. Problematisch an diesem Kataloges war jedoch, dass er nicht verfassungsrechtlich geschützt war. Es gab keine Einrichtungen, die die Umsetzung seiner einzelnen Bestandteile gewährleisteten. Der Sultan blieb als Souverän bestehen, dessen Macht weitgehend unangetastet war. So war er beispielsweise imstande ohne Zustimmung des Parlamentes Krieg zu erklären, Abkommen zu schließen und Münzen zu prägen sowie Dekrete zu erlassen. Außerdem war er befähigt, eigenmächtig Minister und Premier zu ernennen oder das Parlament nach seinem Belieben ein- und auszuberufen[14]. Abdülhamit II. nutzte seine starke Position, um das Parlament kurz darauf zu schließen und die Verfassung zu suspendieren[15]. Sie blieb bis 1908 außer Kraft.
Das 19. Jahrhundert war weitgehend durch den Versuch gekennzeichnet, mit Reformen in den verschiedensten gesellschaftlichen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen Bereichen den Reichszerfall aufzuhalten. Dies gelingt jedoch nicht[16]. Man spricht vom „kranken Mann am Bosporus“, der in den ersten Weltkrieg gerät und letztendlich zusammenbricht.
1921, gegen Ende des Osmanischen Reiches, wurde eine neue, sehr kurz gehaltene Verfassung[17] verabschiedet, die formell die Konstitution von 1876 nicht aufhob. Sie soll an dieser Stelle jedoch nicht näher dargestellt werden, da ihr in der Literatur zum großen Teil ein Übergangscharakter zugewiesen
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[1] Özbudun, Ergun: „Contemporary Turkish Politics. Challenge to Democratic Consolidation“, Boulder & London 2000, S. 1
[2] Sen, Faruk: „Perspektiven und Stellung der Türkei aus der Sicht der EU-Erweiterungs- und Sicherheitspolitik. Helsinki-Gipfel: Neubeginn oder Ende einer langwierigen Beziehung?“, in: Zentale für Türkeistudien – Daten und Fakten, http://www.uni-essen.de/zft/daten_fakten/berichte/d_rede-1999-11-18a.html, 22. Februar 2002, S. 1 f.
[3] für eine detailliertere Erklärung Nohlen, Dieter/Rainer-Olaf Schultze/Suzanne S. Schüttemeyer (Hg.): „Politische Begriffe“, in: Nohlen, Dieter (Hg.): „Lexikon der Politik“, Bd. 7, München 1998, S. 669
[4] ähnliche Wahrnehmungen finden sich beispielsweise auch bei Nohlen, Dieter/Peter Waldmann/Klaus Ziemer (Hg.): „Die östlichen und südlichen Länder“, in: Nohlen, Dieter (Hg.): „Lexikon der Politik“, Bd. 4, München 1997, S. 118 und Collier, David/Steven Levitsky: „Democracy with Adjectives. Conceptual Innovation in Comparative Research“, in: World Politics 49 (April 1997), S. 433 f.
[5] Nohlen, Bd. 7, S. 112
[6] Dahl, Robert A.: „Towards Democracy: A Journey Reflections: 1940-1997“, Bd. 1, Berkeley 1997, S. 456
[7] Dahl, Robert A.: „Democracy and its Critics“, New Haven & London 1989, S. 221
[8] ders.: „On Democracy“, New Haven & London 1998, S. 86 f.
[9] Die Osmanische Dynastie beansprucht für sich seit dem 15. Jahrhundert nicht nur politischer Herrscher und Souverän, sondern auch Hüter der Religion und Oberhaupt der Muslime zu sein. Daher nannten sich die Sultane Kalif, also Nachfolger des Propheten Mohammed. Kreiser, Klaus/Rotraud Wielandt (Hg.): „Lexikon der Islamischen Welt“, Stuttgart/Berlin/Köln 1992, S. 150
[10] Özbudun, S. 6; Zürcher, Erik J.: „Turkey. A Modern History“, London & New York 1998, S. 73 f.; McCarthy, Justin: „The Ottoman Turks. An Introductory History to 1923“, London & New York 1997, S. 320; Akkaya, Cigdem/Yasemin Özbek/Faruk Sen: „Länderbericht Türkei“, Darmstadt 1998, S. 11
[11] McCarthy, S. 304
[12] Rumpf, Chrisitan: „Zur Entwicklung der türkischen Rechtsordnung seit der Reformperiode im Osmanischen Reich“, in: Zeitschrift für Türkeistudien (Opladen), 12. Jahrgang, 1999, Heft 2, S. 208; McCarthy, S. 305
[13] den genauen Verfassungstext gibt es bei Erdem, Tarhan: „Anayasalar ve Secim Kanunlari, 1876-1982 (Die Verfassungen und Wahlgesetze, 1876-1982)“, Istanbul 1982, S. 3-30
[14] McCarthy, S. 304; Hirsch, Ernst E.: „Die Verfassung der Türkischen Republik“, in: Forschungsstelle für Völkerrecht und ausländisches Recht der Universität Hamburg (Hg.): „Die Staatsverfassungen der Welt“, Bd. 7, Berlin & Frankfurt/Main 1966, S. 28; Rumpf (1999), S. 208 f.
[15] Hirsch, S. 28; Steinbach, Udo: „Türkei“, in: Steinbach, Udo/Rolf Hofmeier/Mathias Schönborn (Hg.): „Politisches Lexikon Nahost/Nordafrika“, 3. Auflage , München 1994, S. 283
[16] Steinbach (1994), S. 283
[17] der genaue Verfassungstext ist zu sehen bei Erdem, S. 27-30
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