Mit gewisser Wahrscheinlichkeit eintretende Ereignisse oder Zustände vorausschauend vorzubeugen ist ein bewährtes Ideal, dem die Menschheit seit Jahrhunderten in facettenreicher Gestalt nachstrebt. Um potentiell schwerwiegend abträgliche Umstände zu verhindern, werden etwa in der Politik oder Gesundheitsprophylaxe, aber auch unter kriminologischen Gesichtspunkten kontinuierlich geeignete Präventivmaßnahmen untersucht, ausgebaut und gegebenenfalls ergriffen.
Der Gedanke kriminalpräventiven Einschreitens ist freilich kein absolutes Novum. So sind neben der Datenerhebung zur Strafverfolgungsvorsorge auch die relativen Strafzwecktheorien der General- und Spezialprävention Ausdruck des Bestrebens, mittelbar künftige strafbare Handlungen zu verhindern. Ebenfalls indikativ für eine dahingehende kriminalpolitische Entwicklung steht der durch Änderung des Bayerischen PAG eingeführte Präventivgewahrsam.
Das Versprechen, durch algorithmenbasierte Datenauswertung Wahrscheinlichkeitsprognosen für künftige Straftaten berechnen zu können und somit „vor die Lage zu kommen“, bedarf indes angesichts des unmittelbaren polizeilichen Tätigwerdens im Rahmen einer neuartigen kriminologischen Interventionsform näherer rechtlicher Betrachtung. Es drängt sich gerade zu auf, dass dieser unter dem Begriff des Predictive Policing firmierenden polizeilich-präventiven Strategie Zulässigkeitsgrenzen gesetzt sind bzw. dem Rechtsschutz im Digitalen Zeitalter angepasst werden müssen.
Abkürzungsverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
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Gliederung der Ausarbeitung
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A. Einleitung
Mit gewisser Wahrscheinlichkeit eintretende Ereignisse oder Zustände vorausschauend vorzubeugen ist ein bewährtes Ideal, dem die Menschheit seit Jahrhunderten in facettenreicher Gestalt nachstrebt. Um potentiell schwerwiegend abträgliche Umstände zu verhindern, werden etwa in der Politik oder Gesundheitsprophylaxe, aber auch unter kriminologischen Gesichtspunkten1 kontinuierlich geeignete Präventivmaßnahmen untersucht, ausgebaut und ggfs. ergriffen.
Der Gedanke kriminalpräventiven Einschreitens ist freilich kein abso-lutes Novum. So sind neben der Datenerhebung zur Strafverfolgungs-vorsorge auch die relativen Strafzwecktheorien der General- und Spe-zialprävention Ausdruck des Bestrebens, mittelbar künftige strafbare Handlungen zu verhindern.2 Ebenfalls indikativ für eine dahingehende kriminalpolitische Entwicklung steht der durch Änderung des Bayeri-schen PAG eingeführte Präventivgewahrsam.
Das Versprechen, durch algorithmenbasierte Datenauswertung Wahr-scheinlichkeitsprognosen für künftige Straftaten berechnen zu können und somit „vor die Lage zu kommen“3, bedarf indes angesichts des unmittelbaren polizeilichen Tätigwerdens im Rahmen einer neuartigen kriminologischen Interventionsform näherer rechtlicher Betrachtung. Es drängt sich gerade zu auf, dass dieser unter dem Begriff des Predic-tive Policing firmierenden polizeilich-präventiven Strategie Zulässig-keitsgrenzen gesetzt sind bzw. dem Rechtsschutz im Digitalen Zeital-ter angepasst werden müssen.
B. Definition und Umsetzung von Predictive Policing
I. Begriffsbestimmung, Zielsetzung und Hintergründe
Predictive Policing (nachfolgend: PP), übersetzt etwa prognosebasier-te, vorausschauende Polizeiarbeit beschreibt die polizeiliche Anwen-dung von analytisch-technischen Verfahren, um operative - d.h. unmit-telbar umsetzbare - Prognosen bezüglich wahrscheinlicher Ursprünge bzw. Zeiten und Orte zukünftiger Kriminalität zu generieren und um-zusetzen.4 Es ist ein Instrument auf Algorithmen beruhender Straftat-prognosen zur vorausschauenden Kriminalintervention.5
Die Prognosen liefern sowohl Wahrscheinlichkeitswerte, in welchem geografisch bestimmten Raum als auch von welcher Person innerhalb eines definierten Zeitraums die Begehung einer Straftat erwartet wer-den kann. Je nach Ausgestaltung der zugrundeliegenden Algorithmen generieren die Berechnungen also raum- oder personenbezogene Kri-minalitätsprognosen.
Letztere sind insbesondere in Metropolen der USA gängige Praxis und werden schon begrifflich ambivalent als person-based predictive tar-geting 6 bzw. predictive profiling 7 definiert. Durch den Einsatz von PP-Technologien erhoffte man sich angesichts der zunehmenden Span-nungen zwischen Polizei und sog. ethnischen Minderheiten eine ob-jektive, neutrale Entscheidungsfindung, die weniger Angriffsfläche für Rassismusvorwürfe bietet.8
In der BRD waren es vor allem die seit 2009 drastisch steigenden Fallzahlen im Deliktfeld Wohnungseinbruchsdiebstahl (nachfolgend: WED), die ein fruchtbares Implementierungsumfeld für den Einsatz von polizeilicher Prognosesoftware bereitstellten.9 Der WED hat seit-her zunehmend an politischer Relevanz gewonnen, der medial aufge-baute Druck wurde vor allem im Hinblick auf den Kernauftrag des Staates10 erhöht. Nicht zuletzt versuchten Oppositionsparteien, das Thema unter Hinweis auf die explosionsartig gestiegenen Fallzahlen und den erheblichen gesellschaftlich-psychischen Folgen für sich zu vereinnahmen.11 Im Zentrum stand seither weniger die Steigerung der Aufklärungsquote als die Reduktion der diesbezüglichen Fallzahlen.
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Abb. 1: Entwicklung WED und dessen Versuche in der BRD (2001-2015)
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Abb. 2: Entwicklung Häufigkeit WED(-Versuche) und Aufklärungsquoten (be-arb.)
II. Einsatzbereich und Einsatzmöglichkeiten in Deutschland
1. Anwendungsbereich und theoretische Ansätze
Die alltägliche Anwendung von PP in Deutschland beschränkt sich auf die Nutzung einer Prognosesoftware für die statistisch fundierte, algo-rithmisch prozessierte Vorhersage von raumzeitlichen Parametern von WED.12 Dabei wird vor allem auf über Jahrzehnte hinweg dokumen-tierte polizeiliche Kriminalitätsdaten zurückgegriffen. Die jeweiligen technischen Verfahren erheben aus Datensätzen der Vergangenheit sta-tistische Zusammenhänge (Muster) und setzen diese mangels zu-kunftsbezogener Gewissheiten in Form von Wahrscheinlichkeitspro-gnosen um.13 PP-Software stützt sich zur Generierung derartiger Pro-gnosen auf kriminologische Theorien, wonach gewisse Deliktfelder ein nur mit wenigen Eckdaten berechenbares Muster aufweisen. Hier-bei kann je nach genutzter Theorie zur Aufdeckung von Risikozu-sammenhängen sowie Art der eingespeisten Daten zwischen nachfol-genden Ansätzen differenziert werden.
a) Near-Repeat -Theorie
Ein fundamentaler theoretischer Ansatz des PP ist die Near-Repeat -Theorie, die ihre Basis in der Erdbebenforschung findet. Hat ein Erd-beben stattgefunden, besteht in Nähe des Epizentrums ein erhöhtes Wiederholungsrisiko.14 Hinzu kommt die dem Rational-Choice -Kal-kül entnommene Annahme, dass insbesondere bandenmäßig agieren-de, professionelle (Serien)-Täter um der Maximierung ihres Ertrags bei gleichzeitiger Minimierung des Aufwands willen generell rational handeln, jedenfalls aber antizipierte Kosten und Gewinne gegeneinan-der aufwiegen.15 Gelingt den Tätern einmalig der Einbruch in einer für ihr Vorhaben als lukrativ identifizierten Wohngegend mit mehreren Zielobjekten, steigt dort nach der Anlasstat analog das Risiko entspre-chender Folgedelikte (sog. near repeat victimization). Dies beruht auf der statistisch interpretierten und kriminologisch bestätigten Erkennt-nis, dass Täter nach gewissen Mustern vorgehen, die sich aus der Ver-gangenheit in die Zukunft fortschreiben lassen. Eben diese Folgedelik-te sollen durch den Einsatz von Prognosesoftware vorhergesagt und durch polizeiliche Maßnahmen vorgebeugt werden. Damit steht fest, dass Gelegenheits- und Affekttaten schon nicht von der Prognose um-fasst sein können. Während die Wahrscheinlichkeit für Folgetaten 48 Stunden nach der Anlasstat am höchsten sein soll, besteht in betroffe-nen Gebieten insgesamt etwa vier Wochen lang erhöhte Wiederho-lungsgefahr.16
Die algorithmisch umgesetzten theoretischen Annahmen eignen sich gerade deshalb zur Anwendung auf den WED, da dieses Delikt ein im Rahmen wissenschaftlicher Studien17 bestätigtes und mit wenigen Kerndaten berechenbares Muster aufweist.18 Zudem zeigen banden-mäßig agierende Täter, die Zielgruppe der auf der Theorie basierenden Prognose, eine besondere Delikttreue.
b) Hot-Spot -Methoden
Die simpelste Form prognosenbasierter Polizeiarbeit beruht auf einer Übertragung chronischer, räumlich zuordenbarer Kriminalitätscluster aus der Vergangenheit in die Zukunft.19 Beispielhaft seien hier Hochri-sikospiele im Fußball genannt. Ist der Polizei bekannt, dass es im Rahmen gewisser Fußballpartien stets zu Ausschreitungen rivalisie-render Fangruppen kommt, kann dies auch in Zukunft erwartet wer-den. Daher werden Polizeibeamte präventiv stationiert, um direkt ein-schreiten zu können. Zwar vermag man diese Methodik mangels com-puterbedingter Unterstützung zur Feststellung von Kriminalitäts- brennpunkten nicht unbedingt als PP-Maßnahme einstufen. Anhand ihr werden gleichwohl operative Prognosen erstellt und ummittelbar umgesetzt.20
c) Risk-Terrain Analysis
Kriminologisch deutlich komplexer sind Modellierungen von Risiko-gebieten. Zukunftsbezogene räumliche Risikoprofile werden dabei nicht nur auf Basis polizeilicher Falldaten generiert, sondern durch sozioökonomische und infrastrukturelle Daten wie bspw. Einkom-mensverteilung, Bausubstanz oder der Präsenz von Bars ergänzt.21 In-ternational laut wird das Vorhaben, Daten aus Social Networking in die jeweiligen Analysen zu implementieren. Big Data bzw. Data Mi-ning verlangt nach der Implementierung so vieler Daten wie möglich, um sog. hidden patterns and relationships, also versteckte Muster und Risikozusammenhänge zwischen räumlichen Variablen herzuleiten.
d) Mitgebrachte kriminalanalytische Neuerungen
Die wesentlichen Neuerungen, die der Einsatz von PP im Vergleich zum Einsatz GIS-unterstützter Crime-Mapping-Verfahren und klassi-scher Hot-Spot-Methoden mit sich bringt, sind vor allem hinsichtlich des Parameters Zeit und auf Ebene der polizeilichen Ressourcennut-zung zu verorten. Schon bei der polizeidienstlichen Lagebesprechung kann eine Streifenzuteilung unter teilweisem Rückgriff auf aktuelle Lageinformationen vorgenommen werden, die wiederum auf compu-tergestützten Risikoanalysen basieren.22 Die kriminalanalytische Tä-tigkeit der Auswertung von Vorgangsdaten, die bisher umfassende po-lizeiliche Ressourcen beanspruchte, wird also auf den der jeweiligen Software zugrunde liegenden Algorithmus übertragen. Im Vorder-grund steht nunmehr die computergestützte Identifizierung von Ver-haltensmustern durch die permanente Auswertung von Daten.23
2. Polizeiliche Umsetzung von Predictive Policing
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 3: PP als interrelationaler ganzheitlicher polizeilicher Prozess
Predictive Policing umfasst weit mehr als die algorithmengestützte Prognoseerstellung selbst. Es ist vielmehr als ganzheitliche polizeili-che Praxis zu verstehen.24
Die Ausschöpfung des Potentials datenbasierter Prognosesysteme be-ginnt schon mit der Implementierung den Fakten entsprechender, kor-rekter Falldaten. Algorithmen generieren keine nutzbaren, validen Prognosen, sofern die zugrundeliegenden Datenfundamente verzerrt oder anderweitig fehlerhaft sind, sog. Garbage in - Garbage out - Pa-radigma.25 Die Multidimensionalität von PP zeigt sich ferner darin, dass keine Prognose einen kriminalpräventiven Effekt fördert, wenn sie nicht vor Ort gezielt polizeilich umgesetzt wird. So erfordert die interrelationale Dynamik zwischen polizeilichem Vorgehen und pro-gnostischer Datenbasis neben der theoretisch-analytischen Prognose-erstellung eben auch deren (Nicht-)Weitergabe bzw. (Nicht-)Umset-zung.26
Raumzeitlich definierte Wahrscheinlichkeitsprognosen werden poli-zeilich nach zwei Interventionsmöglichkeiten operativ umgesetzt. Wird ein repressiver Handlungsansatz verfolgt, kann durch die Ent-sendung ziviler Polizeibeamter in den prognostizierten Risikoraum eine Festnahme in flagranti gewährt werden. In der Zwecksetzung hingegen weitaus präventiver ist die Umsetzung durch den Einsatz patrouillierender uniformierter Polizeikräfte, deren ersichtliche Prä-senz geneigte Täter von etwaigen Tatvorhaben abschrecken soll.27
3. Softwareeinsatz & Umsetzung am Beispiel PRECOBS
Das IfmPt, Hersteller von PRECOBS, verspricht mit seiner Software die Near-Repeat-Folgedelikte für raumzeitliche Parameter in ihrer Wahrscheinlichkeit zu prognostizieren, damit die Polizei dort operativ intervenieren kann.28 Hierbei werden ausschließlich ortsbezogene Da-ten in den Algorithmus eingespeist und verarbeitet.
Dabei wird eine Kombination von GIS-Technologien und polizeilich erfassten Falldaten verwendet. PRECOBS verlässt sich auf Daten in Bezug auf Tathergang und Tatbegehungsweise. Auf Basis dieser In-formationen werden sogenannte Trigger (Auslöser), die für near re-peats sprechen, sowie Anti-Trigger, also Indikatoren, die eben nicht für Folgedelikte sprechen, identifiziert. Durch dieses Filtersystem soll eine positive Falschalarmierung der Polizeidienststellen vermieden werden.29 Diese Indikatoren sind in PRECOBS hinterlegt und umfas-sen neben dem Informationsfeld der Tatörtlichkeit (Lage und Bauart des Zielobjekts) auch die Beute und den modus operandi. Im laufen-den Betrieb polizeilich erfasste Vorgangsdaten werden dann in das Programm eingespeist und systematisch mit den zuvor definierten Triggerkriterien abgeglichen. Parallel werden aus Daten der Vergan-genheit Gebiete lokalisiert, die ein erhöhtes near-repeat -Risiko auf-weisen. Letztendlich wird die Prognose im polizeilichen Dauerbetrieb über eine „Wenn-dann-Entscheidung“ generiert, der neben den festge-stellten Tatmerkmalen des jeweiligen Einbruchs auch dessen geografi-sche Lage jeweils in Bezug zu den definierten Triggerkriterien zu Grunde gelegt wird. Sind nach Auswertung aktueller polizeilicher Da-ten alle Triggerkriterien erfüllt und besteht kein Anti-Trigger, liegt ein sog. Triggerdelikt, also als eine Tat, die als Auslöser einer Einbruchse- rie anzusehen ist, die konzeptionell raum- und zeitbezogen prognosti-ziert werden kann, vor. Die entsprechend zuständige Polizeidienststel-le wird bei Überschreiten vorab definierter Wahrscheinlichkeitswerte über einen Alarm auf die Prognose aufmerksam gemacht, bevor dort über dessen weitere Handhabung entschieden wird.
Der Operator, der die Software bedient, entscheidet nach einer Plausi-bilitätsprüfung, ob die Prognose zur weiteren Bearbeitung angenom-men wird. Ggfs. werden automatisch Alarmmeldungen in pdf-Form generiert, die an die zuständigen Polizeireviere übermittelt und im In-tranet der Polizei veröffentlicht werden. Die Umsetzung der Progno-sen wird letztlich mithin von einer menschlichen Komponente abhän-gig gemacht.
Ein in den jeweiligen Alarmmeldungen enthaltener „operativer Kreis“ stellt auf einer Karte ein kreisförmig angeordnetes Risikogebiet mit einem Radius von 500m dar, in dem der Prognose zufolge die Ver-wirklichung von Folgedelikten zu erwarten ist. In diesem operativ vermehrt zu bestreifenden Bereich, in dem der Mittelpunkt das auslö-sende Delikt ist, sind weitere polizeiliche Maßnahmen zu erwarten.30
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 4: Kartografische Darstellung prognostizierter near-repeat-Risikogebiete
[...]
1 Belina, MschrKrim 2016, 85 (87 ff.).
2 Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 10. Aufl. 2017, Rn. 1689 ff., 1814 ff; Brunhö - ber/ Singelnstein, Strafrecht im Präventionsstaat, 1. Aufl. 2014, 41 (42 ff.).
3 Knobloch, Vor die Lage kommen: PP in Deutschland, S. 4.
4 Egbert , in: Strafverteidigervereinigungen (Hrsg.): Räume der Unfreiheit. Texte und Ergebnisse des 42. Strafverteidigertages Münster: Organisationsbüro der Straf-verteidigervereinigungen, S. 241 (242).
5 Singelnstein, NStZ 2018, 1 (6).
6 Ferguson , New York University Press 2017, S. 34.
7 Sommerer, Neue Kriminalpolitik 2017, 147 (149).
8 Egbert (Fn. 4), S. 243.
9 Egbert , European Journal For Security Research, October 2018, Vol. 3, Issue 2, pp 95-114.
10 https://www.welt.de/debatte/kommentare/article116223952/Der-Staat-versagt-bei-seinem-Kernauftrag.html, Abruf: 22.10.2019.
11 https://landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/ MMD16-12344.pdf, Abruf: 22.10.2019.
12 Egbert (Fn. 4), S. 244.
13 Vgl. Perry et al., The Role of Crime Forecasting in Law Enforcement Operations, Santa Monica 2013, S. 50 ff.
14 Knobloch (Fn. 3), S. 16.
15 Egbert (Fn. 4), S. 246.
16 Vgl. Gluba, PP - eine Bestandsaufnahme, 2014, 3.
17 Bowers et al. , British Journal of Criminology 2017, S. 641 (644).
18 Egbert (Fn. 4), S. 246.
19 Egbert (Fn. 4), S. 245.
20 Egbert (Fn. 4), S. 245.
21 Perry et al., (Fn. 13), S. 8.
22 Egbert (Fn. 4), S. 253.
23 Kunz et al., Kriminologie, 7. Auflage 2016, § 22 Rn. 2 ff.
24 vgl. Perry et al., (Fn. 13), S. 4.
25 Egbert (Fn. 4), S. 260.
26 Egbert (Fn. 4), S. 247.
27 Gluba, Die Polizei 2017, S. 323 (327).
28 Schweer, Die Kriminalpolizei 2015, S. 13 (14).
29 Siehe Fn. 28.
30 Egbert (Fn. 4), S. 250 ff.
- Quote paper
- Cedrik Lin (Author), 2019, Einsatzmöglichkeiten und Zulässigkeitsgrenzen von Predictive Policing, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/704163
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