Die Methodik liegt zunächst in einer Fundierung der Sartreschen Philosophie. Der Mensch wird darin, exemplifiziert in Das Sein und das Nichts, als ein a priori nicht zu rechtfertigendes Sein verstanden, das sich im Laufe seiner Existenz auf ein Wesen hin entwirft. Darin manifestieren sich die existentiellen Grundkategorien: das deckungsungleiche An-sich und das Für-sich-Sein, Grundlage des subjektiven Konflikts. Das Solipsismus-Problem umgehend wird der Andere gleichsam zum Konstituierer meines an einer Identität mangelnden Seins. Doch gerade auch der Andere birgt einen weiteren Konflikt, den intersubjektiven, der, so Sartre, den Tod meiner Möglichkeiten, meiner mir fliehenden bzw. mir vom andern entwendeten Welt bedeutet. Dieser Sachverhalt birgt im engen Sinne die Unmöglichkeit von allgemeiner, normativer Moral bzw. ethischem Handeln. Dennoch: Der Mensch verhält sich zu diesen beiden Konflikten gemäss seiner Ur-Wahl, seines Entwurfs, das heisst, der Mensch kann, ja er muss sich allzeit, auch trotz einer gesellschaftlichen Bedingung, in voller Verantwortung frei auf ein Für-sich-Sein entwerfen. Diesen Sachverhalt auf sich zu nehmen ist gewissermassen der grösstmögliche ethische Akt. - Der Mensch ist somit lt. Sartre zur Freiheit verurteilt. Das Gelingen respektive das Scheitern dieses Entwurfs spiegelt sich sodann in einer vorzunehmenden Analyse mittels eines Verfahrens wie es im Text angeführt wurde.
Inhalt
1. Sartres Auffassung
2. Sartres Ablehnung
3. Sartres Alternative
4. Sartres Aspekt des Verstehens des Unsagbaren: Die gelebte Erfahrung
5. Erste Schlussfolgerungen
Sartres innovative philosophische Leistung für den biographisch-historisch interessierten Forscher beruht auf der von ihm konzipierten "existentiellen Psychoanalyse". Mittels dieser und der später entwickelten "progressiv-regressiven Methode", welche vor allem in seinem Aufsatz Fragen der Methode dargelegt wurde, galt es für Sartre all das zu verstehen und verstehbar zu machen, „was man“, wie er im Vorwort zu seiner Flaubert-Studie schrieb, „heute von einem Menschen wissen [kann]“.[1] Ob der Tatsache, dass Sartre in seiner Arbeit über Flaubert das Individuum als „einzelnes Allgemeines“, das heisst vor allem auch gesellschaftlich bedingt, verstanden wissen will und somit einen methodischen Mangel an der „existentiellen Psychoanalyse“ benennen und gleichzeitig beheben kann, stellt sie das zentrale Instrumentarium zur Analyse von Leben und Werk eines Menschen, vor allem eines Künstlers dar. Diese Vorarbeit zu dem im Jahre 2001 verstorbenen Literaturwissenschaftler und Schriftsteller W. G. Sebald will die Methode der „existentiellen Psychoanalyse“ zum einen bekräftigen, gleichzeitig wird die allzu gängige literaturwissenschaftliche Bezugnahme auf die freudsche Psychoanalyse in Frage gestellt bzw. als mangelhaft zurückgewiesen. Die Literaturwissenschaft wird vor allem dann eine aussagelose, wenn sie am Unbewussten festhält.
Christina Howells behauptet, dass Sartre bereits durch seinen Roman Der Ekel einen biographischen Blick bevorzugt, insofern darin der Held Antoine Roquentin eine Lebensgeschichte über den Marquis de Rollebon zu verfassen gedenkt. Freilich lässt Roquentin dieses Unternehmen wieder fallen und Howells mutmaßt, dass er dies nicht tat, weil es "die falsche Art Biographie" war, sondern weil "Roquentin […] die falsche Haltung ihr gegenüber [ein]nimmt."[2] Was kennzeichnet die darin eingenommene falsche Haltung? "Er hat", so Howells, vor allem "den esprit de sérieux des Bürgers aufgegeben, der denkt, Werte seien einem absoluten oder göttlichen Bereich eingeschrieben, aber hat noch nicht den nächsten Schritt begriffen: dass nämlich er selbst 'das Sein ist, durch das die Werte existieren'."[3] Sartre selbst hat demzufolge mit Hilfe der in Frage stehenden "existentiellen Psychoanalyse" diesen Schritt vom Roman Der Ekel hin zu Das Sein und das Nichts – man beachte das dazwischen liegende Ereignis des Zweiten Weltkrieges - vollzogen. Damit einher geht zunächst Sartres Kritik an der empirischen Psychoanalyse, wie sie Freud vertreten hat. Alfred Dandyk hat dies treffend "am Leitfaden der Begriffspaare Substanz-Relation, Kausalität-Finalität, Reduktionismus-Holismus und Empirismus-Apriorismus"[4] erläutert. Zur ersten Orientierung soll diese Kritik ansatzweise betrachtet werden, um im Anschluss Sartres Konzeption darzulegen.
1. Sartres Auffassung
"Wenn es zutrifft", so Sartre, "daß die menschliche Realität […] sich durch die von ihr verfolgten Zwecke anzeigt und definiert, wird eine Untersuchung und Klassifizierung dieser Zwecke unerläßlich." Warum übt man die Schriftstellerei aus? Welchen Zweck sehen Flaubert, Baudelaire oder eben der in Frage stehende Sebald in ihrem schon im Kindesalter gewählten, lebenslangen Schreiben? Der Zweck muss nun insofern befragt werden, als er "[…] Teil der absoluten Subjektivität als ihre transzendente und objektive Grenze [ ist ]."[5] Die empirische Psychologie habe zwar gespürt, so Sartre, "daß ein einzelner Mensch sich durch seine Begierden definiert", dennoch begeht sie Sartre zufolge zwei Irrtümer.
1. "Zunächst bleibt der empirische Psychologe […] Opfer der substantialistischen Täuschung. Er sieht die Begierde im Menschen als «Inhalt» seines Bewußtseins, und er glaubt, der Sinn der Begierde sei der Begierde selbst inhärent."[6] Es geht ihm zunächst, ähnlich wie mit der phänomenologischen, Husserl kritisierenden Feststellung, dass das Ich kein Bewohner des Bewusstseins ist, um die Zurückweisung der freudschen Ansicht, wonach zwei Triebe, Eros und Thanatos dem Menschen gleichsam als Substanzen bzw. "als kleine psychische Entitäten"[7] eingepflanzt wären. Die Triebe und Affekte sind viel mehr, Dandyk weist darauf hin, "als eine Relation zwischen Mensch und Welt"[8] zu verstehen, "sie sind das Bewußtsein selbst in seiner ursprünglichen pro-jektiven und transzendenten Struktur, insofern es grundsätzlich Bewußtsein von etwas ist."[9]
2. Der zweite von Sartre behauptete Irrtum, "der in enger Verbindung zum ersten steht, liegt darin, daß man die psychologische Untersuchung für beendet hält, sobald man die konkrete Gesamtheit der empirischen Begierden erreicht hat."[10] Diese definitorische Reduzierung des Menschen auf ein "Bündel von Trieben [ tendances ]", auch wenn der fähige Psychologe, laut Sartre, versuchen wird, "ihre Verwandtschaften, ihre Übereinstimmungen und Harmonien"[11] aufzudecken, lehnt Sartre ab. "Eine derartige psychologische Analyse [der Triebe; d. Verf.] [geht] von dem Postulat aus, daß ein individuelles Faktum durch die Überschneidung abstrakter und allgemeiner Gesetze hervorgebracht werde."[12] Was die Analyse dabei unterschlage sei das je Individuelle, also das, "was gerade die Individualität des betreffenden Entwurfs ausmacht."[13] Sötemann stimmt dem Gesagten zu, insofern zwar "ein jeder Psychotherapeut die Äußerung eines Patienten 'Ich bin heute ziemlich traurig' auf die Konjugation des Verbes 'Sein' hin [versteht]", aber
"um dieses Erleben, das die Existentialität des Menschen ausmacht, kennenlernen zu können, um diese einzigartige, in dieser Situation, in dieser Zeit existierende Person verstehen zu können, muß diese Person als Auskunftgeber über sich, als erster Ansprechpartner erkannt werden. Das verweist auf die psychische Eigenwelt jedes Menschen in seinem gesellschaftlichen Kontext, und dieser Verweis ruft nach Methoden, die dem Erleben dieser Eigenwelt Rechnung tragen können."[14]
Das von Sartre kritisierte Vorgehen der Psychologen kann demnach "keine Erklärung der «Berufung» Flauberts" liefern, "es [das Schreibbedürfnis Flauberts; d. Verf.] ist im Gegenteil das, was erklärt werden müßte."[15] Warum also Flaubert symbolische Befriedigung "im Schreiben statt in der Malerei oder der Musik" gefunden hat, wird nicht ersichtlich. Im Gegenteil, "die Übergänge, das Werden, die Umformungen sind uns sorgsam verhüllt worden, und man hat sich darauf beschränkt, Ordnung in diese Aufeinanderfolge zu bringen, indem man sich auf empirisch festgestellte, aber buchstäblich nicht intelligible Sequenzen bezog [...]."[16] Auf welche Art und Weise wurden uns "die Übergänge, das Werden und die Umformungen" verhüllt, maskiert? Man ahnt schon, worauf Sartre hinaus will. Es geht ihm nicht um eine ausschließliche Zurückweisung der Psychoanalyse, sondern vielmehr um das Herausstellen des "globalen Bezug[s] zur Welt, durch den sich das Subjekt als ein Selbst konstituiert. Anders gesagt, diese empirische Haltung ist durch sich selbst der Ausdruck der 'Wahl eines intelligiblen Charakters'." Und wenn also
"die empirische Haltung die Wahl des intelligiblen Charakters bedeutet, so weil sie selbst die Wahl ist. Das besondere Merkmal der intelligiblen Wahl […] ist, daß sie nur als die transzendente Bedeutung jeder konkreten empirischen Wahl existieren kann: sie wird keineswegs zunächst in irgendeinem Unbewußten oder auf der noumenalen Ebene vollzogen, um sich dann einer beobachtbaren Haltung auszudrücken, sie hat nicht einmal ontologischen Vorrang vor der empirischen Wahl, sondern sie ist grundsätzlich das, was sich immer aus der empirischen Wahl als ihr Jenseits und die Unendlichkeit ihrer Transzendenz ablesen lassen muß."[17]
[...]
[1] Jean-Paul Sartre: Der Idiot der Familie. Gustave Flaubert 1821 bis 1857, I. Die Konstitution, Reinbek bei Hamburg 1977, S. 7.
[2] Christina Howells: Sartres existentialistischen Biografien: Fragen der Methode, S. 97, in: Flynn, Thomas R., Kampits, Peter u. Vogt, Erik M. (Hg.): Über Sartre. Perspektiven und Kritiken, Wien 2005, S. 97-115.
[3] Ebenda, S. 98.
[4] Alfred Dandyk: Unaufrichtigkeit. Die existentielle Psychoanalyse Sartres im Kontext der Philosophiegeschichte, Würzburg 2002, S. 8.
[5] Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, Reinbek bei Hamburg 72001, S. 956.
[6] Ebenda.
[7] Ebenda, S. 957.
[8] Alfred Dandyk: Unaufrichtigkeit. Die existentielle Psychoanalyse Sartres im Kontext der Philosophiegeschichte, S. 8.
[9] Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts, S. 957.
[10] Ebenda.
[11] Ebenda.
[12] Ebenda, S. 958.
[13] Ebenda.
[14] Christian H. Sötemann: Sein und Existenz in Phänomenologie und Psychoanalyse , Hamburg 2005 , S. 23, (= Dissertation, Universität Bremen 2005.)
[15] Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts, S. 958.
[16] Ebenda, S. 959 f.
[17] Ebenda, S. 967.
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