Die Frage nach der menschlichen Freiheit bzw. Unfreiheit beschäftigt die Philosophie von ihren Anfängen in der Antike bis in unsere gegenwärtige Zeit hinein. Besonders in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts schien die Überzeugung, daß der Mensch seinem grundlegendem Wesen nach frei sei, gefährdeter denn je. Bahnbrechende Erfolge in den naturwissenschaftlichen Einzeldisziplinen und ein daraus resultierendes positivistisches Klima, das seinen Einzug auch in den philosophischen Diskurs fand, kulminierten weitestgehend in der Überzeugung der Unhaltbarkeit des menschlichen Freiheitsbegriffes, der auf dem Altar meist mechanistischer Universal – Erklärungs – Modelle geopfert wurde.
Die Arbeit schließt sich der Bergsonschen Gliederung an, indem sie mit einer kurzen Skizzierung jener Kritik beginnt, um von dort aus über den Begriff der Dauer Bergsons Konzeption der Freiheit zu entwickeln.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Kritik des psycho-physischen Parallelismus
III. Dauer, Sprache, Freiheit
IV. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Die Frage nach der menschlichen Freiheit bzw. Unfreiheit beschäftigt die Philosophie von ihren Anfängen in der Antike bis in unsere gegenwärtige Zeit hinein. Besonders in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts schien die Überzeugung, daß der Mensch seinem grundlegendem Wesen nach frei sei, gefährdeter denn je. Bahnbrechende Erfolge in den naturwissenschaftlichen Einzeldisziplinen und ein daraus resultierendes positivistisches Klima, das seinen Einzug auch in den philosophischen Diskurs fand, kulminierten weitestgehend in der Überzeugung der Unhaltbarkeit des menschlichen Freiheitsbegriffes, der auf dem Altar meist mechanistischer Universal – Erklärungs – Modelle geopfert wurde.
Das Problem der menschlichen Freiheit manifestiert seinen Diskurshorizont dabei innerhalb der paradigmatischen Gegenüberstellung von Determinismus und Indeterminismus. Als determiniert bezeichnet man im weitesten und stark vereinfachten Sinne alle Strukturen, die einem Ursache – Wirkungs – Schema unterliegen und somit Vorhersagen über ihre zukünftige Entwicklung zulassen. Ist der Mensch seinem Wesen nach oder aufgrund äußerer Einflüsse determiniert so ist die Behauptung seiner Freiheit nicht mehr – oder nur noch unter erheblichen Einschränkungen – möglich. Demnach müssen Verteidiger der menschlichen Freiheit einen notwendig indeterministischen Standpunkt vertreten.
Außerhalb dieser oppositionellen Struktur beschreitet nun Bergson einen Weg, der ihm erlaubt, ein abweichendes Verständnis des Freiheitsbegriffes zu formulieren.
Eine sukzessive Herleitung jenes Freiheitsbegriffes, den Bergson das erste Mal im dritten Kapitel seines 1911 erschienenen Buches „Zeit und Freiheit“ formuliert, ist das zentrale Anliegen dieser Arbeit. Entscheidend für Bergsons Freiheitsverständnis ist seine innovative Konzeption der Zeit, der Dauer (duree), die er dem wissenschaftlichen (meßbaren) Zeitbegriff entgegenstellt. In „Zeit und Freiheit“ wirft Bergson den beiden grundlegenden deterministischen Theorien seiner Epoche vor, die Qualität der Zeit mit der Quantität des Raumes unzulässig zu vermengen und auf diesem Wege eine prinzipielle Meßbarkeit psychischer Zustände zu erreichen.
Die Arbeit schließt sich der Bergsonschen Gliederung an, indem sie mit einer kurzen Skizzierung jener Kritik beginnt, um von dort aus über den Begriff der Dauer Bergsons Konzeption der Freiheit zu entwickeln.
II. Kritik des psycho-physischen Parallelismus
Bergson beschäftigt sich mit beiden Formen in denen der Determinismus auftreten kann; dem physischen und psychischen Determinismus. Der physische Determinismus, der „aufs innigste mit den mechanistischen oder vielmehr kinetischen Theorien von der Materie verbunden“ ist[1], vertritt die These, daß alle Handlungen von Personen durch vorausliegende körperliche Umstände nach physikalischen Gesetzen determiniert sind.[2] „Every movement we make with our bodies must obey the laws of nature. (...) And the more we study the phenomena of consciousness the more they seem to be correlated with events in the body, and in the brain in particular.“[3]
Die These des psychologischen Determinismus ist, daß alle Handlungen von Personen oder zumindest einige ihrer Charakteristiken durch vorausliegende psychische Umstände nach psychologischen Gesetzen determiniert sind.[4]
Bergsons Strategie besteht nun darin aufzuzeigen, daß der physische Determinismus stets den psychologischen voraussetzt und dieser wiederum „auf einer unrichtigen Auffassung von der Mannigfaltigkeit der Bewußtseinszustände besonders von der Dauer“ beruht.[5] Die Rückführung der einen Form des Determinismus auf die andere, vollzieht Bergson nicht in einer dialektischen Denkbewegung, sondern vielmehr im stetigen Aufzeigen einiger Schnittpunkte beider Theorien, auf Grundlage derer sie sich gegenseitig absichern und bedingen. So nimmt der Determinismus an, daß einer bestimmten durch die Materie determinierten Konstellation der Gehirnstruktur, auch stets ein bestimmter determinierter psychischer Zustand korrespondiert.
„Man stellt sich im Gehirn ablaufende Molekularbewegungen vor, das Bewußtsein soll dann, ohne daß man weiß wie, gelegentlich aus diesen Bewegungen hervorgehen und deren Spur wie eine Phosphoreszenz erleuchten. Oder man denkt an jenen unsichtbaren Spieler eines Instruments, der hinter der Bühne spielt, während der Schauspieler Tasten berührt, die keinen Ton geben: das Bewußtsein käme dabei aus einer unbekannten Gegend zu den Vibrationen der Moleküle hinzu, wie die Melodie zu den rhythmischen Bewegungen des Schauspielers. Welches Bild man aber auch heranziehen möge, es wird nie gezeigt und nie gezeigt werden, daß der psychische Vorgang durch die Bewegungen der Moleküle in notwendiger Weise determiniert werde, - denn in einer Bewegung wird man zwar den Grund für eine andere Bewegung finden können, nicht aber den Grund für einen Bewußtseinszustand.“[6]
Durch diese Identifizierung der materiellen Vorgänge mit Bewußtseinsphänomenen, kann dann ein, der den Naturgesetzen unterliegenden Materie inhärentes, kausal – mechanistisches Erklärungsmodell, auch auf eben jene Phänomene des Bewußtseins projiziert werden. Der daraus entstehende psycho-physische Parallelismus, der – auf die eine oder andere Art – jedem Determinismus zugrunde liegt, beruht also auf der Überzeugung der Übertragbarkeit mechanistischer Regeln auf psychische Phänomene.
Diesen Parallelismus, der Bergson zufolge auf äußerst fragwürdigen Annahmen basiert, macht sich auch die Assoziationstheorie zu Nutzen. Diese zu Bergsons Zeit neue Theorie verbindet die wissenschaftlichen Ergebnisse der Psychologie mit den Assoziationstheorien der wissenschaftlichen Tradition, wie sie vorallem auf Hume zurückgehen. Die Verbindung der unterschiedlichen psychischen Phänomene wird hier dadurch erklärt, daß das psychische und geistige Leben – wie auch die Natur in ihren Ereignissen – durch kausale Zusammenhänge bestimmt ist.[7] Auch die Assoziationstheorie bedient sich somit des „Mechanismus – Modells“[8], nach dem alle Vorgänge, sei es in der physischen Welt der äußeren Ereignisse oder auch in der Welt unseres Bewußtseins, als Funktionen eines Mechanismus gedeutet werden können.
Da es jener Parallelismus, man könnte auch sagen, jene Vermischung der psychologisch – physischen Entitäten ist, auf die sich sowohl der psychologische als auch der physische Determinismus stützt, ist die begriffliche Trennung beider Theorien eher artifizieller Natur und es eröffnet sich für Bergson die Möglichkeit ihrer Subsumierung unter den Begriff des Determinismus im allgemeinen.
Die Zusammenfassung der Bergsonschen Kritik der deterministischen Theorien, so verkürzend und selektiv sie bisher auch war, ist hier an einem für unser Vorhaben zentralem Punkt angelangt. Es ist – wie Vrhunc prägnant formuliert – die umstandslose Ausweitung der grundlegenden Hypothesen und Prinzipien der experimentell fundierbaren Wissenschaften auf alle Seinsbereiche und – im Falle des psychologischen Determinismus der Assoziationstheorie - vorallem auf die Phänomene unseres Bewußtseins.[9]
Die Ausweitung wissenschaftlicher Prinzipien ist, nach Bergson, den Deterministen nur deshalb möglich, da sie die eigentliche Zeitstruktur des Bewußtseins, eher unbewußt als bewußt, verräumlichen und somit die Phänomene des Bewußtseins in quantitativ meßbare Einheiten zerlegen.
III. Dauer, Sprache, Freiheit
Bergson insistiert, daß die Bewußtseinsphänomene gerade keine quantitativen, meßbaren und aufeinander folgenden Ereigniselemente sind, sondern einen völlig anderen Charakter besitzen. Die Bewußtseinsphänomene lassen sich nur durch das Verständnis ihrer zeitlichen Vollzugsform wahrhaft erfassen, die Bergson als Dauer bezeichnet. Die Zeitform der Dauer hat den Charakter von ineinander verwobenen, somit untrennbaren und sich gegenseitig durchdringenden Ereignissen. In dieser Zeitform unseres Bewußtseins liegen dessen Phänomene als dynamische Ganzheiten[10] vor, die sich am besten in der Metapher des ineinander Fließens erfassen lassen. Aufgrund dieses dynamischen Prozesses – der das Bewußtsein nicht repräsentiert, sondern Bewußtsein ist – ist eine Trennung, eine Unterscheidung einzelner Bewußtseinsphänomene ebensowenig möglich, wie eine Aufspaltung der Dauer in die unterschiedlichen Zeitformen des Vergangenen, Gegenwärtigen und Zukünftigen. Diesen Überlegungen Bergsons liegt die Auffassung zugrunde, daß alle Bewußtseinsphänomene als qualitative – und nur als qualitative! – Mannigfaltigkeit zu betrachten sind. Keine psychologische Erfahrung läßt sich auf quantitativer Ebene mit einer anderen vergleichen. „There is no such thing as a „greater“ or „smaller“ anger, if we mean by this a difference in size, the difference is qualitative. (...) The sensations of cold and heat do not differ from each other according to the degrees on a thermometer. All simple psychological effects are pure qualities.“[11]
Was Kolakowski hier in der, der englischen Sprache eigenen Schlichtheit und Prägnanz formuliert, soll noch einmal genau beleuchtet werden. Nach Bergson modifiziert sich eine Empfindung „schon allein dadurch, daß sie andauert, so sehr, daß sie unerträglich wird. Dasselbe bleibt hier nicht dasselbe, sondern verstärkt sich und nimmt seine ganze Vergangenheit in sich auf.“[12] Insofern kann eine psychologische Erfahrung aufgrund ihres dynamischen Charakters niemals ein zweites Mal in identischer Form auftreten. Schon allein dadurch, daß man eine Erfahrung einmal erlebt hat, ist sie bei ihrem (scheinbaren) zweiten Auftreten, durch eben jene erste Erfahrung, wie auch durch alle anderen dazwischen liegenden psychologischen Momente, in ihrem Charakter grundlegend verändert.[13] Denn der Prozeß der dynamischen Ganzheit in dem sich unser Bewußtsein gestaltet besagt ja gerade, daß die Gesamtheit aller Erfahrungen in jeder einzelnen mitenthalten und mitverwirklicht ist. Jedes Bewußtseinsphänomen repräsentiert somit die Ganzheit eines Bewußtseins, daß sich in jedem Augenblick in einem Prozeß des ständigen Werdens selbst modifiziert.
An dieser Stelle soll kurz ein interessanter Gedanke eingeführt werden. Es war bereits die Rede vom Fehlen der Unterscheidungsmöglichkeit der Zeitformen als beinahe definitorisches Charakteristikum der Dauer. Zumindest die Vergangenheit ist in der Bergsonschen Zeitstruktur des Bewußtseins enthalten; jedoch nicht in einer abgrenzenden und katalogisierenden Funktion gegenüber dem Zustand der Gegenwart, sondern als implizite, jedem einzelnem Bewußtseinsphänomen eingeschriebene Erinnerung. Während man so Vergangenheit innerhalb der Dauer noch als eingeschriebene Erinnerung lokalisieren könnte, scheinen die Modi der Gegenwart und der Zukunft tatsächlich in einem nicht mehr identifizierbaren, dunklen Vakuum zu verschwinden. Da jedes einzelne psychologische Phänomen die Ganzheit des Bewußtseins in sich schließt und diese im Augenblick seines Auftretens sofort modifiziert, läßt sich Gegenwart nur noch formulieren, als ein ständiges diffuses Hinübergleiten in ein Zukünftiges, welches seinerseits sich von der Gegenwart nicht mehr zu trennen vermag.
[...]
[1] Bergson, „Zeit und Freiheit“ (ZF), 108
[2] Metzlers Philosophie Lexikon, 97
[3] Lacey, „Bergson“, 68
[4] Metzlers Philosophie Lexikon, 97
[5] ZF, 108
[6] ZF, 111f
[7] Vrhunc, „Bild und Wirklichkeit“, 33
[8] s. Vrhunc, 38
[9] Vrhunc, 42
[10] Vrhunc, 48
[11] Kolakowski, „Bergson“, 15
[12] ZF, 116
[13] s.a. Kolakowski, 16
- Quote paper
- Steffen Heil (Author), 2004, Der Begriff der Freiheit bei Bergson, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/70027
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