Diese Arbeit vollzieht die Geschichte der Solidarnosc in ihren Grundzügen nach bis zum Zeitpunkt ihres Eintauchens in den Untergrund. Es wird die Entstehungszeit ebenso behandelt wie die außenpolitischen Einwirkungen Moskaus.
Inhaltsverzeichnis
1. Die Solidarność aus globalhistorischer Sicht – ein Abriss
2. Warum war die Solidarność in Polen möglich?
2.1 Gewerkschaftstradition
2.2 Streiktradition
2.3. Wirtschaftliche Vorraussetzungen
2.4 Politische Vorraussetzungen
2.5 Gesellschaftliche Faktoren
2.6 Kulturelle Faktoren
3. Die Solidarność
3.1 Ein polnischer Sommer
3.1.2 Vorspiel im Juli
3.1.2 Der Danziger August
3.1.3 NSZZ „Solidarność“
3.2 Die Lage verschärft sich
3.3 Außenpolitischer Exkurs - Die Rolle Moskaus
3.4 Endphase
4. Solidarność: einstweilige Niederlage, langfristiger Sieg
5. Literaturverzeichnis
1. Die Solidarność aus globalhistorischer Sicht – ein Abriss
Die „sechzehn Monate der ‚Solidarität’ vom August 1980 bis zum Dezember 1981“[1], die für Jerzy Holzer zu einer „große[n] historische[n] Erfahrung“[2] wurden, waren eine Zeit, in der sich Geschichte „in wenigen Momenten zusammenballt“[3]. Sie konstituierten in einer „Entwicklung [...], in der sich die Ereignisse überstürzten“[4] nicht nur eine Gewerkschaftsorganisation, sondern auch ein Ventil für demokratische und liberale Strömungen in Polen[5], das so machtvoll war, dass es allen Widrigkeiten, wie den Repressalien durch das kommunistische Regime, der Verhängung des Kriegsrechts und dem Verbot freier Gewerkschaften, zum Trotz, im Untergrund weiterhin existierte und agierte und schließlich seine höchste historische Dimension mit der maßgeblichen Beteiligung an der politischen Wende 1989 erreichte.
Diese Arbeit hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Entwicklungslinien aufzuzeigen, die zur Entstehung der Solidarność führten und sie weiterzuverfolgen bis zum Zeitpunkt der Verhängung des Kriegsrechts in Polen und der Verdrängung der Solidarność in den Untergrund. Es sollen die konkret polnischen Vorraussetzungen dargestellt, die historischen Abläufe skizziert und die Positionen von Gewerkschaft und Regierung vom Juli 1980 bis zum Dezember 1981 im innen- wie außenpolitischen Spannungsfeld demonstriert werden.
Eine entscheidende Größe in dieser Auseinandersetzung, die Rolle der katholischen Kirche nämlich, wird jedoch bewusst nicht diskutiert werden, da dies zum Einen den Rahmen sprengen würde und zum Anderen Gegenstand der Arbeit meiner Referatskollegin ist.
2. Warum war die Solidarność in Polen möglich?
Die Solidarność kann nicht losgelöst von der Geschichte Polens und des Ostblocks betrachtet werden. Trotz der genuinen Neuartigkeit dieser „erste[n] Willensäußerung der Arbeiter, eine unabhängige Selbstverwaltungsorganisation zu schaffen“[6], spielen doch sowohl die polnische Streik- und Gewerkschaftstradition sowie die konkreten Verhältnisse im Land vor dem Sommer 1980 eine entscheidende Rolle. Beides soll im Folgenden kurz beleuchtet werden.
2.1 Gewerkschaftstradition
Obwohl die traditionell unabhängige polnische Gewerkschaftsbewegung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wiederauferstanden war, wurde sie schon bald darauf nach sowjetischem Muster gleichgeschaltet. Hoffnungen, die in die so geschaffenen Arbeiterräte gesetzt wurden, verflüchtigten sich schon Anfang der sechziger Jahre. In den politischen Krisen 1956 und 1970/71 wurde das Problem gewerkschaftlicher Vertretung wieder aufgeworfen, wenn auch nicht als politische Forderung nach einer neuen und unabhängigen Gewerkschaft konkretisiert. Außerhalb der für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse praktisch unbrauchbaren Arbeiterräte kämpfte ab 1976 das KSS „KOR“ (Komitee zur gesellschaftlichen Selbstverteidigung „KOR“) für die Verteidigung der Arbeiterinteressen.[7]
Ein weiterer wichtiger Schritt war die „Charta der Arbeiterrechte“ vom August 1979. Sie formulierte nicht nur neue, im Westen selbstverständliche, Rahmenbedingungen, sondern stellte auch das Faktum heraus, dass nur unabhängige Gewerkschaften den Behörden Widerstand leisten könnten.[8]
2.2 Streiktradition
Ein Arbeiteraufstand in Posen wurde 1956 von Offizierskadetten blutig niedergeschlagen, es folgen Massenverhaftungen. Gomułka versprach den Arbeitern Reformen, wurde aber vom Kreml zurückgepfiffen und sowjetische Truppen setzten sich Richtung Warschau in Bewegung – ein Verhaltensmuster Moskaus, das, wie unter 3.3 demonstriert werden wird, sich in ähnlicher Form auch beim Umgang mit Solidarność zeigte.[9]
1970 stürzte Gomułka über eine 30-prozentige Preiserhöhung für Lebensmittel, die einen Streik der Belegschaft auf der Danziger Lenin-Werft auslöste. Obwohl Panzer das Feuer auf die Arbeiter dort eröffneten, weiteten sich die Streiks aus und Gierek wurde Gomułkas Nachfolger. Er nahm die Preiserhöhungen zurück und machte dazu erhebliche Lohnzugeständnisse.[10]
1976 kam es zu einer ähnlichen Situation. Wieder waren Preiserhöhungen der Anlass für eine Streikwelle mitsamt Massendemonstrationen, Barrikadenkämpfen und Besetzungen. Obwohl Gierek die Maßnahmen noch am selben Tag zurücknahm, wurden von der Regierung Massenverhaftungen, Entlassungen, Terrorisierung und Misshandlung von Arbeitern in die Wege geleitet.[11]
2.3. Wirtschaftliche Vorraussetzungen
In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre schlitterte die polnische Wirtschaft in eine tiefe Krise, die bis 1989 anhielt und zurückzuführen war auf die Unzulänglichkeit des bürokratisch-kommunistischen Systems.[12] Die Auslandschulden waren auf 24 Milliarden Dollar angewachsen; dieses Geld war auch noch nicht einmal profitabel investiert worden. Das Wirtschaftswachstum ging um etwa drei Viertel seiner Stärke zurück, die Einkommenssteigerung tendierte gegen Null.[13] Das Gefühl einer Schere zwischen Arm und Reich verstärkte sich.[14]
2.4 Politische Vorraussetzungen
Weiterhin ursächlich für die Ereignisse des Augusts 1980 war nicht nur die ökonomisch schlechte Situation, sondern auch die Entwicklung des polnischen politischen Systems von einem totalitären hin zu einem autoritär-bürokratischen Regime unter Gierek in den siebziger Jahren.
Außerdem war die Polnische Kommunistische Partei immer mehr in sich gespalten, was sie schwächte; die katholische Kirche und eine unabhängige Intelligenz stellten eine institutionelle Basis für oppositionelle Aktivitäten dar; und schließlich hatte Gierek falsch kalkuliert, denn sein Weg der „repressiven Toleranz“[15] brachte der Oppositionsbewegung mehr Vorteile als der Regierung.[16]
2.5 Gesellschaftliche Faktoren
Die polnische Gewerkschaft war polarisiert, Ungerechtigkeiten bezüglich Bildung, Macht, Einkommen und Prestige nahmen zu, was der offiziellen, egalitären Linie der Regierung eindeutig widersprach. Der polnische Kommunismus war aber auch dahingehend unvollständig, als dass die Bauern nicht kollektiviert waren und einige von ihnen aktiv an der Opposition beteiligt waren. Im Großen war die Gesellschaft enttäuscht darüber, dass Giereks Politik die steigenden Erwartungen, die nach seinen frühen Erfolgen aufkamen, nicht bedienen konnte.[17]
2.6 Kulturelle Faktoren
Die polnische Geschichte, voll von Kämpfen und Aufständen, war ein Schlüsselelement des oppositionellen Ethos; sie wurde bei oppositionellen Feiern, Kundgebungen und in Publikationen als Komponente zur Untergrabung der Partei hochgehalten. Des weiteren ließ sich eine Spaltung zwischen den Vermögenden und den Arbeitern deutlich erkennen, was das Unrechtsbewusstsein beförderte; eine Diskrepanz war ebenso entstanden zwischen dem Selbstbildnis des Systems (Erfolgspropaganda) und dem Bild, dass die breite Mehrheit hatte.[18]
[...]
[1] Jerzy Holzer, „Solidarität“ – die Geschichte einer freien Gewerkschaft in Polen, München: Beck (1985), 23.
[2] Holzer, „Solidarität“, 23.
[3] Klaus Pumberger , Solidarität im Streik: politische Krise, sozialer Protest und Machtfrage in Polen 1980/81, Frankfurt u.a.: Campus-Verlag (1989), 13.
[4] Rainer W. Fuhrmann, Polen: Abriß der Geschichte, Hannover: Fackelträger (1981), 154.
[5] Georg Strobel, „NSZZ ‚Solidarność’. Beitrag zur Analyse der Organisation und politischen Wirkung einer sozialen Sammlungsbewegung“, in Dieter Bingen (Hrsg.), Polen 1980-1984: Dauerkrise oder Stabilisierung, Baden-Baden: Nomos-Verlags-Gesellschaft (1985), 58.
[6] Pavel Tigrid, Arbeiter gegen den Arbeiterstaat: Widerstand in Osteuropa, Köln: Bund-Verlag (1983), 92.
[7] Strobel, „NSZZ ‚Solidarność’“, 47-49.
[8] Rainer W. Fuhrmann, Polen: Geschichte, Politik, Wirtschaft, Hannover: Fackelträger (1981), 139-140.
[9] Wolfgang Weber, Solidarność 1980/1981 und die Perspektive der politischen Revolution, Essen: Arbeiterpresse-Verlag (1987), 19-20.
[10] Weber, Solidarność 1980/1981, 21.
[11] Weber, Solidarność 1980/1981, 23.
[12] Jan Kubik, The Power of Symbols against the Symbols of Power: The Rise of Solidarity and the Fall of State Socialism in Poland, University Park, Pennsylvania: Pennsylvania State University Press (1994), 240.
[13] Manfred Alexander, Kleine Geschichte Polens, Stuttgart: Reclam (2003), 350.
[14] Kubik, Power of Symbols, 240.
[15] Kubik, Power of Symbols, 241.
[16] Kubik, Power of Symbols, 240-241.
[17] Kubik, Power of Symbols, 241 242.
[18] Kubik, Power of Symbols,242 243.
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.