Am 17. Oktober 1994, also einen Tag nach den Kommunalwahlen, trat in Nordrhein-Westfalen das Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung nach jahrelangen politischen Diskussionen und einer Vielzahl an Reformvorschlägen in kraft. Die beiden wichtigsten Änderungen waren zum einen die Abschaffung der sogenannten »Doppelspitze« durch die Einführung eines unmittelbar vom Volk gewählten, hauptamtlichen Bürgermeisters und zum anderen die Schaffung direkter Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bürger durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Diese Form direkter Demokratie, verankert im § 26 GO NW, ermöglicht es den Bürgern nun, selbst Sachentscheidungen zu treffen und somit ihr politisches Umfeld zu beeinflussen.
Ziel dieser Arbeit ist es, die praktische Anwendung des § 26 GO NW näher zu erläutern; in diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach den Schwierigkeiten, mit denen Bürger einerseits und Gemeindeverwaltung andererseits bei der Handhabung dieses unmittelbar-demokratischen Elementes konfrontiert werden. Es wird noch zu zeigen sein, daß hier einige Unstimmigkeiten bestehen, die nicht nur die Bürger, sondern häufig auch die Verantwortlichen in der Verwaltung irritieren. Der sogenannte »Negativkatalog«, d.h. die darin enthaltenen Angelegenheiten, zu denen ein Bürgerbegehren unzulässig ist, kann hier exemplarisch angeführt werden.
Eine kurze Darstellung der politischen Diskussion im Vorfeld der Reform zeigte sich insofern als interessant, als daß sich hierdurch ein besseres Verständnis für die heutige Form des § 26 GO NW erreichen läßt. Mit Hilfe eines konkreten Beispiels – das Bürgerbegehren »Stoppt die großen Tonnen!« in der Stadt Mönchengladbach – soll im Anschluß daran gezeigt werden, wie und mit welcher Zielsetzung die Bürger einer Gemeinde von ihren neuen Rechten Gebrauch machen. Eine Bilanz der bisher in Nordrhein-Westfalen durchgeführten Bürgerbegehren wird im letzten Kapitel die Bedeutung und das durchaus vorhandene Potential dieses neuen Rechts auf Selbstbestimmung der Bürger verdeutlichen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die politische Diskussion im Vorfeld der Reform
3. Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in der Praxis
3.1. Antragstellung und formale Bestimmungen
3.2. Zulässigkeitsfeststellung durch den Rat
3.3. Der Bürgerentscheid: Durchführung und
Rechtswirkung
4. Ein aktuelles Beispiel: Das Bürgerbegehren »Stoppt die
großen Tonnen!« in der Stadt Mönchengladbach
5. Schlußbemerkung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Am 17. Oktober 1994, also einen Tag nach den Kommunal-wahlen, trat in Nordrhein-Westfalen das Gesetz zur Änderung der Kommunalverfassung[1] nach jahrelangen politischen Diskussionen[2] und einer Vielzahl an Reformvorschlägen in kraft. Die beiden wichtigsten Änderungen waren zum einen die Abschaffung der sogenannten »Doppelspitze« durch die Einführung eines unmittelbar vom Volk gewählten, hauptamtlichen Bürgermeisters[3] und zum anderen die Schaffung direkter Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bürger durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Diese Form direkter Demokratie, verankert im § 26 GO NW, ermöglicht es den Bürgern nun, selbst Sachentscheidungen zu treffen und somit ihr politisches Umfeld zu beeinflussen.
Ziel dieser Arbeit ist es, die praktische Anwendung des § 26 GO NW näher zu erläutern; in diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach den Schwierigkeiten, mit denen Bürger einerseits und Gemeindeverwaltung andererseits bei der Handhabung dieses unmittelbar-demokratischen Elementes konfrontiert werden. Es wird noch zu zeigen sein, daß hier einige Unstimmigkeiten bestehen, die nicht nur die Bürger, sondern häufig auch die Verantwortlichen in der Verwaltung irritieren. Der sogenannte »Negativkatalog«, d.h. die darin enthaltenen Angelegenheiten, zu denen ein Bürgerbegehren unzulässig ist, kann hier exemplarisch angeführt werden.
Eine kurze Darstellung der politischen Diskussion im Vorfeld der Reform zeigte sich insofern als interessant, als daß sich hierdurch ein besseres Verständnis für die heutige Form des § 26 GO NW erreichen läßt. Mit Hilfe eines konkreten Beispiels – das Bürgerbegehren »Stoppt die großen Tonnen!« in der Stadt Mönchengladbach – soll im Anschluß daran gezeigt werden, wie und mit welcher Zielsetzung die Bürger einer Gemeinde von ihren neuen Rechten Gebrauch machen. Eine Bilanz der bisher in Nordrhein-Westfalen durchgeführten Bürgerbegehren wird im letzten Kapitel die Bedeutung und das durchaus vorhandene Potential dieses neuen Rechts auf Selbstbestimmung der Bürger verdeutlichen.
2. Die politische Diskussion im Vorfeld der Reform
Der Gesetzentwurf der Landesregierung vom 28. Januar 1993[4] verfolgte das Ziel, »den rechtlichen Rahmen für die Kommunalpolitik entsprechend den sich wandelnden Anforderungen unserer Gesellschaft fortzuentwickeln und das kommunalpolitische Interesse und die Akzeptanz kommunalpolitischer Entscheidungen bei den Bürgern zu stärken«[5]. Dies war das eigentliche Hauptanliegen der Reform und zugleich ein Versuch des Gesetzgebers, dem Trend zu einer stärkeren Bürgerbeteiligung, man denke hier beispielsweise an die stetig gewachsene Zahl von Bürgerinitiativen, Rechnung zu tragen. Vor allem sollten hierdurch ein Großteil der politischen Entscheidungsprozesse auf Gemeindeebene für die Bürger transparenter gestaltet werden, wodurch man sich letztendlich auch einen Abbau der oftmals bestehenden Distanz zwischen Bürgerschaft und Verwaltung erhofft. Doch bevor es zur Einführung der neuen Mitwirkungsrechte kommen konnte, mußte viel Überzeugungsarbeit gerade bei den Kommunen geleistet werden, da in vielen die Sorge um ihre Regierbarkeit vorhanden war. Wie so oft bei politischen Neuerungen und Reformen war auch die Änderung der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung ein Kompromiß – zumindest im Hinblick auf Bürgerbegehren und Bürgerentscheid. Weniger die Einführung letzterer selbst, als vielmehr die konkrete rechtliche Ausgestaltung dieser Elemente direkter Demokratie blieb bis zuletzt strittig. Daß die Gemeindeordnung um die Möglichkeit von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid erweitert werden sollte, darüber herrschte bei allen Fraktionen im Landtag weitestgehend Einigkeit.
Lange vor dem Gesetzentwurf der Landesregierung, nämlich schon am 15. April 1991, legte die Fraktion der GRÜNEN ihr Konzept zu einem »Gesetz zur Einführung des kommunalen Volksentscheids« vor, in dem sie »eine unmittelbare Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an allen politischen Entscheidungsprozessen« forderte.[6] Die GRÜNEN argumentierten hierbei zurecht mit dem Aspekt der Volkssouveränität gemäß Art. 28 Abs. 2 GG, dessen Grundsätze in Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG ebenso für die Bundesländer festgelegt werden. Bürgerbegehren und Bürgerentscheid sahen sie als eine notwendige Übertragung des in Art. 2 LV NW bekundeten Volkswillens auf die Gemeindeebene als der »›unteren‹ politischen Ebene«.[7] Eine Einschränkung der direkten Mitbestimmung auf Seiten der Bürger sah dieser Gesetzentwurf lediglich für die Haushaltssatzung sowie die innere Verwaltungsorganisation der Gemeinden vor. Alle anderen Ausschließungsgründe des gültigen »Negativkataloges« in § 26 Abs. 5 GO NW wurden von vornherein abgelehnt, da diese, so die Ansicht der GRÜNEN bis heute, die neuen Mitwirkungsrechte der Bürger untergraben und folglich das gesamte Instrument des Bürgerbegehrens nur noch eine Alibifunktion besitze.[8] Der »Negativkatalog« des § 26 GO NW bildete im Rahmen der Beratungen den wichtigsten und am heftigsten debattierten Streitpunkt.
Während die Fraktion der GRÜNEN den Gesetzentwurf der Landesregierung also dahingehend kritisierte und ablehnte, daß er im besagten »Negativkatalog« die für die Bürger bedeutendsten und interessantesten Anliegen ihrem unmittelbaren Einflußbereich entziehe, befürworteten SPD, CDU und FDP denselben: Um die Wirksamkeit der Entscheidungen des demokratisch gewählten Rates zu gewährleisten und die Verwaltungstätigkeit der Gemeinden nicht durch zu große Mitwirkungsrechte der Bürger zu lähmen, seien die Einschränkungen nicht nur sinnvoll, sondern auch unbedingt notwendig.
Sicherlich müssen beide Standpunkte berücksichtigt werden. Denn auf der einen Seite leidet die Effektivität einer Verwaltung umso mehr, je größer die Zahl der Mitspracheberechtigten ist. Andererseits legt ein so umfangreicher Ausnahmekatalog wie der in der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalens die Vermutung nahe, der Gesetzgeber stehe dem unmittelbar-demokratischen Element von Bürgerbegehren und Bürgerentscheid eher mit Skepsis gegenüber, als daß er in ihnen eine vernünftige Alternative zum repräsentativen System sieht. Über diese Frage läßt sich jedoch geteilter Meinung sein, ebenso wie es sich um die zweite Frage streiten läßt, inwieweit die Ausnahmeregelungen in Abs. 5 des § 26 GO NW tatsächlich sinnvoll sind oder ob sie, wie von den GRÜNEN immer wieder behauptet, zu einer Art »Scheindemokratie« führen, welche Bürgerbegehren und Bürgerentscheid zu wirkungslosen Attrappen degradiert. Doch um eine tiefergehende Analyse dieser rechtspolitischen Auseinandersetzungen soll es im weiteren Verlauf nicht gehen, sie bilden einen eigenständigen Themenschwerpunkt, der den Rahmen dieser Arbeit zwangsläufig sprengen würde.
Betrachtet man die Gesetzentwürfe der einzelnen Fraktionen, so ist festzustellen, daß sie mit Ausnahme weniger Details in den grundlegenden Punkten identisch sind. Einzig und allein der Vorschlag der GRÜNEN (s.o.) fällt, wie bereits gesagt, aus dem Rahmen und ist seit der ersten Vorlage 1991 nicht mehr überarbeitet worden.
Im einzelnen forderte die CDU-Fraktion in ihrem Änderungsantrag[9] die Einführung absoluter statt Prozentzahlen in Bezug auf das von der Landesregierung festgesetzte Einleitungsquorum von zehn Prozent sowie eine Erhöhung der Frist in Abs. 3, nach dem ein Bürgerbegehren, welches sich gegen einen bekanntgemachten Ratsbeschluß richtet, innerhalb eines Monats eingereicht werden muß, auf sechs Wochen. Letzteres findet sich auch im Änderungsantrag der SPD-Fraktion[10], neben dem Zusatz, der die Einreichungsfrist für Bürgerbegehren gegen einen nicht bekanntmachungsbedürftigen Ratsbeschluß auf drei Monate festlegt. Während jedoch die SPD dem Ausnahmekatalog in Abs. 5 inhaltlich zustimmten und ausschließlich Nr. 9 um die Unzulässigkeit von Bürgerbegehren, die »gegen die guten Sitten verstoßen«, erweiterten, sah der Änderungsantrag der CDU hier einen zusätzlichen Ausschließungsgrund in einer Nr. 11 vor: Ein Bürgerbegehren sollte ebenso unzulässig sein über »Angelegenheiten, die die Veräußerung von Grundstücken, die Aufnahme von Krediten, die Übernahme von Bürgschaften, die Führung von Rechtsstreitigkeiten der Gemeinden und die Wirtschaftspläne kommunaler Eigengesellschaften betreffen«. In der abschließenden Beratung des Landtagsausschusses für Kommunalpolitik am 27. April 1994[11] zog der CDU-Abgeordnete Leifert den Änderungsantrag seiner Fraktion zu Abs. 5 allerdings zurück, da unter dem Stichwort »Haushaltssatzung« in Abs. 5 Nr. 3 des Gesetzentwurfs der Landesregierung auch die von der CDU geforderten Zusätze (s.o.) zusammengefaßt sind. Prinzipielle Bedenken gegen weitere Einschränkungen als die bisher vorgeschlagenen äußerte im Zusammenhang mit der Beratung zum besagten »Negativkatalog« Ministerialdirektor Held vom Landesinnenministerium. Er verwies hier auf die Erfahrungen anderer Bundesländer, in denen Bürgerbegehren aufgrund zu intensiver gesetzlicher Einschränkungen nicht zustandekämen.
[...]
[1] GV. NW. 1994, S. 208
[2] Zum Beginn der Reformdiskussion vgl. u.a. Janbernd Oebbe>
[3] Diese Neuregelung findet nach einer Übergangsfrist erstmals mit den Kommunalwahlen 1999 Anwendung.
[4] LT-Drs. 11/4983
[5] Ebd., S. 1 d. Begründung.
[6] LT-Drs. 11/1562
[7] Vgl. ebd., S. 11.
[8] Siehe hierzu den Kommentar der Landtagsabgeordneten Bärbel Höhn während der 33. Sitzung des Ausschusses für Kommunalpolitik am 24.08.93 (APr. 11/948, S. 12).
[9] Vorl. 11/2936 v. 22.04.94
[10] Vorl. 11/2935 v. 21.04.94
[11] APr. 11/1220
- Quote paper
- Dirk Bessell (Author), 1996, Plebiszitäre Elemente in der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalens seit 1994, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69754
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