Gegen religiösen Fundamentalismus kann prophylaktisch durchaus etwas getan werden, etwa in Gestalt einer Kultur des Fragens, vor allem im Bereich der Pädagogik. Fragen stellen zu dürfen, ist nicht selbstverständlich. Wo wie in fundamentalistischen Gruppen Frage- und Denkverbote herrschen, wird das Menschsein eingeschränkt. Dort schlägt Religion in Ideologie um und beginnt, unmenschlich zu werden. Frageverbote sind Denkverbote, sind Freiheitsverbote, sind Gefängnisse ohne sichtbare Gitter. Frageverbote sind Reiseverbote für das Denken. In fundamentalistischen Gruppen und Kreisen werden die Frage-Antwort-Spiele ersetzt durch Befehl-Gehorsam-Spiele. An die Stelle der sokratischen Hebammenkunst tritt die Bevormundung, die zur „Ent-Mündigung“ führt: es wird einem der Mund verboten, der unbequeme Fragen stellen könnte. Befehle „von oben“ sind nicht zu hinterfragen, ebensowenig wie die irrtumslosen Offenbarungen „von oben“: ihnen muß man und frau blind gehorchen, ihnen ist kritiklos zu glauben. Frage-Antwort-Spiele sind jedoch ein wichtiges Merkmal nicht nur der Philosophie, sondern auch der pädagogischen Tradition der Religionen. Ein neuer Lehrer fragte seine Schüler zu Beginn des Schuljahres: „Was für einen Unterricht wünscht ihr euch von mir?“ Der erste Schüler antwortete: „Befiehl mir, sag mir, was ich zu tun habe, und ich werde gehorchen oder vielleicht auch rebellieren.“ Der zweite Schüler sagte: „Belehre mich, und ich werde mich erinnern oder viel-leicht auch alles wieder vergessen.“ Ein dritter Schüler meinte: „Provoziere meine Fragen, und ich werde nachdenken und vielleicht auch eigene Antworten finden.“ Ein vierter Schüler antwortete leise: „Laß mich teilhaben an deinen Fragen und Antworten, und ich werde verstehen und dein Partner sein.“
Inhalt
1. Ent-Deckung
2. Fragen und Antworten – ein unzertrennliches Paar
3. Fragen – die Schwestern des Staunens
4. Verwitwete Fragen
5. Was zwischen Frage und Antwort steht
6. Frageverbote
7. Selbstkritisches Fragen
8. Rollenwechsel
9. Die Fragen leben
1. Ent-Deckung
Wer Fragen stellt, ent-deckt sich und die Welt. Der geht aus seiner Deckung, gibt sich eine Blöße, gibt sich zu erkennen in seinem Antrieb. Wer eine Frage stellt, gibt zu neugierig oder unwissend zu sein. Er oder sie macht sich ein Stück weit verletzbar. Der gibt einen Vertrauensvorschuß an den, der antworten soll. Wer Fragen stellt, will etwas wissen, möchte etwas verstehen oder besser begreifen. Der oder die ist lernbereit, offen für Neues, Überraschendes, Unbekanntes. Wer Fragen stellt, der gibt zu: ich weiß etwas Bestimmtes nicht, habe es nicht verstanden, habe nicht zugehört oder aufgepaßt. Wer fragt, gibt zu,
daß er – normalerweise – vorher darüber nachgedacht hat und nun eine Antwort sucht, Hilfe braucht, ein Gegenüber anspricht, der oder die mir als Fragendem etwas zu geben hat, was ich nicht habe und mir im Augenblick auch nicht selber geben kann.
Fragen zu stellen, ist so ähnlich wie auf Reisen zu gehen, nur daß man sich räumlich nicht fortbewegen muß. Einzig den Mund muß man aufmachen – eine Überwindung ganz eigener Art. Die 80 g Zunge zu bewegen, fällt manchem sogar schwerer als die 80 kg Körpergewicht in Gang zu setzen. Schwer zu ertragen ist der Anblick eines Menschen, dem eine Frage auf den Lippen brennt, der sich aber nicht traut, sie zu stellen und seine Worte auf die Reise zu schicken hin zu dem, der vielleicht die Antwort weiß. Eine Frage nicht stellen zu dürfen oder nicht aussprechen zu können, ist eine Art Gefangenschaft oder Folter.
2. Fragen und Antworten – ein unzertrennliches Paar
Die Welt der Fragen ist ein bunter Kosmos, wie auch die Welt der möglichen Antworten darauf. Es gibt leichte und schwere Fragen, leichte und schwere Antworten. Es gibt Fragen, die sich gleichsam selber beantworten – sog. „rhetorische Fragen“ – und es gibt Fragen, die seit langer Zeit und vielleicht für immer auf ihre Antworten warten... „Frage und Antwort“ sind sozusagen ein unzertrennliches Paar, ähnlich wie z.B. das Paar „Verheißung (oder: Hoffnung) und Erfüllung“. Diese Pärchen machen – anders als etwa das Paar „Befehl und Gehorsam“ – das Menschsein wesentlich aus. Denn ohne Visionen der Verheißung, ohne Utopien der Hoffnung und auch ohne das Recht und Möglichkeit, Fragen zu stellen, fehlt uns Menschen etwa Entscheidendes. Mit Albert Einstein zu reden: „Wichtig ist, daß man nicht aufhört zu fragen.“ Es mag manchmal nervtötend sein für Eltern oder Lehrer, diese endlose Fragerei der Kinder, aber es ist menschlich. Wehe dem Vater, wehe der Lehrerin, deren Kind nie eine Frage stellt...
Anders ausgedrückt: wo alle Fragen schon endgültig beantwortet sind oder wo es sogar verboten ist, (kritische) Fragen zu stellen, dort wird das Menschsein verstellt, versperrt, eingeschränkt. Darauf komme ich nachher nochmals zurück. Ähnlich scheint uns ein Leben, in dem alle Wünsche und Sehnsüchte schon erfüllt sind und nichts mehr zu hoffen bleibt, mindestens langweilig wenn nicht unerträglich zu sein.
3. Fragen – die Schwestern des Staunens
Das Fragen ist dem Staunen verwandt, das die griechischen Philosophen als initium philosophiae, als den „Anfang der Philosophie“ bezeichnet hatten. Die Philosophie des Sokrates ist wesentlich eine Kunst des rechten Fragen Stellens gewesen. Er nannte sie „Mäeutik“: die Philosophie als Hebammenkunst. Es kommt darauf an, die Fragen so zu stellen bzw. mit Gegenfragen zu beantworten, daß sie die Antworten hervorlocken aus dem, der fragt und gar nicht ahnt, daß er die Antworten zu seinen Fragen in sich selber trägt. So wird das Gefälle zwischen dem unterlegenen (nicht wissenden) Fragenden und dem überlegenen (wissenden) Antwortenden aufgelöst. Denn der, der fragt, lernt, sich selber die Antworten zu geben. Er oder sie braucht nur jemanden, der ihm oder ihr dabei hilft, eben wie eine Hebamme beim Kinder Gebären.
Eine Kultur des Fragens – und ähnlich auch des Staunens – zu fördern, heißt, sich für das Menschsein in seiner Neugier, in seiner Nachdenklichkeit und Offenheit einzusetzen. Das ist ein Grundzug nicht nur der Philosophie, sondern auch vieler Religionen, in denen „Frage-Antwort-Spiele“ verschiedenster Art zwischen Gott und Mensch ebenso üblich sind wie etwa in Schüler-Lehrer-Beziehungen. Die Kultur des Fragens ist religionsübergreifend zu beobachten. Allein im Buch Genesis, dem ersten Buch der Bibel, werden rund 150 Fragen gestellt. So ist gerade im Judentum das Fragenstellen zu einem Schwungrad der Vermittlung der Tradition geworden. Rechtsfragen von allgemeinem Interesse, die von Rabbinatsgerichten oder Rabbinerkonferenzen beantwortet wurden, werden gesammelt und veröffentlicht – ähnlich auch im Islam. Im Neuen Testament stellt Jesus häufig Fragen („Was willst du, daß ich für dich tun soll?“ fragt er Kranke, die zu ihm kommen) und er läßt sich Fragen stellen. Als Antwort erzählt er gerne eine Geschichte. So beantwortet er die Frage „Wer ist denn mein Nächster?“ mit der berühmten Geschichte vom barmherzigen Samariter (Lukas 10,29ff). Die Summa Theologica des größten mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin ist ein einziges riesiges Frage-Antwort-Spiel. Weniger gelehrt, dafür volksnah und elementar sind die reformatorischen Frage-Antwort-Spiele in Gestalt der diversen Katechismen. Martin Luthers kleiner Katechismus von 1529 wird noch heute im Konfirmandenunterricht verwendet. Auch der Koran ist voller Fragen und Antworten. Sure 55 etwa singt das Lob des Barmherzigen und zigmal wird refrainartig gefragt: „Welche der Wohltaten eures Herrn wollt ihr beide (die Geister im Himmel und die Menschen auf Erden) für Lüge erklären?“
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