1. Einleitung
In der kontrovers diskutierten und oft als problematisch wahrgenommenen Geschichte Brandenburg-Preußens gibt es nur wenige Ereignisse, die überwiegend positiv bewertet und darum stets gerne genannt werden, um dem vielfach vorherrschenden Bild eines militaristischen Staates auch eine andere Seite Preußens gegenüberzustellen. Eines dieser Ereignisse ist die Aufnahme der französischen Glaubensflüchtlinge durch Kurfürst Friedrich Wilhelm und das Potsdamer Edikt vom 29. Oktober 1685. Viel gerühmt wurde dieses Handeln als Akt vorbildlicher Toleranz und der Kurfürst selbst als weiser Monarch, die Niederlassung der Hugenotten als uneingeschränkte Erfolgsgeschichte dargestellt und ihre Leistung für den Fortschritt und Aufstieg Brandenburg-Preußens betont, nicht zuletzt durch die französischen Zuwanderer selbst.
So verwundert es nicht, daß sich eine umfangreiche Forschungsliteratur mit der Geschichte der Hugenotten in Preußen und deren unterschiedlichen Gesichtspunkten beschäftigt. Einige Studien setzen sich beispielsweise bevorzugt mit der wirtschaftsgeschichtlichen Bedeutung der Réfugiès für Brandenburg-Preußen auseinander und relativieren diese zugleich. Andere Untersuchungen wiederum erläutern den Einfluß der Zuwanderer auf die Wissenschaftsentwicklung, ihre kulturelle, soziale und rechtliche Stellung im neuen Heimatland oder befassen sich mit der Gruppenidentität der Hugenotten im Refuge. Gemeinsam ist allen Forschungsansätzen, daß sie sich im Rahmen ihres jeweiligen Schwerpunktes auch mit der Integration der Hugenotten befassen, und sei es mitunter auch nur am Rande. Dem Leser vermittelt sich dergestalt ein Eindruck von der Komplexität und Vielschichtigkeit dieses Integrationsverlaufs. Keine der zahlreichen Studien jedoch beschäftigt sich umfassend und ausschließlich mit der differenzierten, keineswegs immer reibungslosen Integration der französischen Zuwanderer in die verschiedenen Lebensbereiche und stellt die einzelnen Integrationsfaktoren mit ihren Aus- und Wechselwirkungen in den Mittelpunkt einer Untersuchung. Aus diesem Grunde, und da ein solches Vorhaben obendrein den Rahmen sprengen würde, kann die vorliegende Arbeit keinen ausgedehnten Überblick zu dieser Problematik bieten. Ziel soll nichtsdestotrotz sein, vorhandene Erkenntnisse über den Integrationsprozess der Hugenotten aus der Forschungsliteratur zusammenzutragen und herauszuarbeiten. [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Juristische und administrative Integrationsfaktoren
3. Faktoren zur wirtschaftlichen Integration
4. Sprache, Kultur und Religion als Integrationsfaktoren
5. Mentale Integrationsfaktoren
6. Das Lebensumfeld als Integrationsfaktor
7. Fazit
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
In der kontrovers diskutierten und oft als problematisch wahrgenommenen Geschichte Brandenburg-Preußens gibt es nur wenige Ereignisse, die überwiegend positiv bewertet und darum stets gerne genannt werden, um dem vielfach vorherrschenden Bild eines militaristischen Staates auch eine andere Seite Preußens gegenüberzustellen. Eines dieser Ereignisse ist die Aufnahme der französischen Glaubensflüchtlinge durch Kurfürst Friedrich Wilhelm und das Potsdamer Edikt vom 29. Oktober 1685. Viel gerühmt wurde dieses Handeln als Akt vorbildlicher Toleranz und der Kurfürst selbst als weiser Monarch, die Niederlassung der Hugenotten als uneingeschränkte Erfolgsgeschichte dargestellt und ihre Leistung für den Fortschritt und Aufstieg Brandenburg-Preußens betont, nicht zuletzt durch die französischen Zuwanderer selbst.[1]
So verwundert es nicht, daß sich eine umfangreiche Forschungsliteratur mit der Geschichte der Hugenotten in Preußen und deren unterschiedlichen Gesichtspunkten beschäftigt. Einige Studien setzen sich beispielsweise bevorzugt mit der wirtschaftsgeschichtlichen Bedeutung der Réfugiès für Brandenburg-Preußen auseinander und relativieren diese zugleich.[2] Andere Untersuchungen wiederum erläutern den Einfluß der Zuwanderer auf die Wissenschaftsentwicklung,[3] ihre kulturelle, soziale und rechtliche Stellung im neuen Heimatland[4] oder befassen sich mit der Gruppenidentität der Hugenotten im Refuge.[5] Gemeinsam ist allen Forschungsansätzen, daß sie sich im Rahmen ihres jeweiligen Schwerpunktes auch mit der Integration der Hugenotten befassen, und sei es mitunter auch nur am Rande. Dem Leser vermittelt sich dergestalt ein Eindruck von der Komplexität und Vielschichtigkeit dieses Integrationsverlaufs. Keine der zahlreichen Studien jedoch beschäftigt sich umfassend und ausschließlich mit der differenzierten, keineswegs immer reibungslosen Integration der französischen Zuwanderer in die verschiedenen Lebensbereiche und stellt die einzelnen Integrationsfaktoren mit ihren Aus- und Wechselwirkungen in den Mittelpunkt einer Untersuchung.
Aus diesem Grunde, und da ein solches Vorhaben obendrein den Rahmen sprengen würde, kann die vorliegende Arbeit keinen ausgedehnten Überblick zu dieser Problematik bieten. Ziel soll nichtsdestotrotz sein, vorhandene Erkenntnisse über den Integrationsprozess der Hugenotten aus der Forschungsliteratur zusammenzutragen und herauszuarbeiten. So soll die Frage zu beantwortet werden, welche Faktoren die Integration der Réfugiès begünstigt und erleichtert, beziehungsweise erschwert oder gar verzögert haben. Hierfür werden in den jeweiligen Kapiteln Aspekte betrachtet, die für die Integration eine wichtige Rolle spielten, wie beispielsweise juristische, wirtschaftliche, kulturelle und mentale Gegebenheiten, aber auch die Bedeutung der Schichtzugehörigkeit und des Lebensumfeldes. Dabei wird sich zeigen, daß häufig ein und derselbe Faktor sowohl einen integrationsfördernden als auch –erschwerenden Effekt haben konnte, je nach dem Zeitpunkt, an dem er wirkte und nach Umfeld und sozialer Stellung des Einzelnen.
2. Juristische und administrative Integrationsfaktoren
Das Potsdamer Edikt, mit dem Kurfürst Friedrich Wilhelm die französischen Flüchtlinge in sein Land holen wollte, beinhaltete neben der besonders wichtigen Zusicherung der Glaubensfreiheit noch einige weitere rechtliche Regelungen und Privilegien, die den Hugenotten Anreize schaffen sollten, sich in Brandenburg-Preußen niederzulassen. Zum Beispiel wurden die Zuwanderer den einheimischen Untertanen juristisch gleichgestellt, indem sie die bürgerlichen Rechte und die Zunftrechte erhielten.[6] War dies zweifellos ein wichtiger Schritt zur allgemeinen rechtlichen Eingliederung, so erleichterten die Bestimmungen des Edikts es einer speziellen Gruppe der Neuankömmlinge zusätzlich, in dem neuen Land heimisch zu werden: Die Angehörigen des französisch-reformierten Adels wurden dem deutschen Adel gleichgestellt und ihre juristischen Standesprivilegien respektiert, wodurch sie Zugang zu Ämtern am Hof und beim Militär hatten und in den Genuß aller grundherrlichen Rechte kamen, sofern sie Ländereien erwerben wollten.[7]
Interne Streitigkeiten durften die Réfugiès mittels eines von ihnen gewählten Schieds- oder Friedensrichters selbst regeln. Über rechtliche Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Franzosen wiederum sollte ein Gerichtskollegium, bestehend aus dem französischen Schiedsrichter und dem jeweils für den betreffenden Ort zuständigen deutschen Magistrat entscheiden. Das gleiche Kollegium war auch in zweiter Instanz für Streitigkeiten zwischen Franzosen zuständig, wenn solche im ersten Schlichtungsversuch nicht bereinigt werden konnten.[8]
Die Bestimmungen des Potsdamer Edikts zielten demnach darauf ab, die Zugewanderten in die bestehenden rechtlichen Strukturen einzufügen, ohne sie dabei zu übergehen, wie die Regelung prozessualer Angelegenheiten zeigt – an sich eine gute Voraussetzung für eine Integration. Von einer Sondergerichtsbarkeit der Hugenotten ist im Edikt nirgends die Rede. Erst in den folgenden Jahren bis 1720 entwickelte sich in mehreren Etappen eine von der deutschen Justiz in weiten Teilen unabhängige Koloniegerichtsbarkeit, der sogar französisches Recht zugrunde lag. Beim Strafrecht hingegen galten die üblichen Regelungen des Landes.[9] Die Gründe, weshalb Brandenburg-Preußen eine solche Entwicklung zugelassen hat, sind nicht zweifelsfrei zu benennen. Möglicherweise führten organisatorische Probleme beim Zusammenwirken französischer Schiedsrichter und deutscher Magistrate dazu.[10] Vielleicht wollten die Verantwortlichen mit einer gesonderten Gerichtsbarkeit auch zusätzliche Anreize zur Gewinnung neuer Flüchtlinge schaffen.[11]
Ein die Integration in die preußische Gesellschaft eher begünstigender – und diese bezweckender - Schritt war hingegen das 1709 erlassene Naturalisationsedikt, das die Hugenotten den einheimischen Untertanen rechtlich endgültig gleichstellte und die Zuwanderer nach einem individuell zu leistenden Treueeid auf den Herrscher als Untertanen anerkannte.[12]
Eine ähnliche Entwicklung wie die hin zur Sondergerichtsbarkeit nahm auf dem Gebiet der Verwaltung ihren Lauf. Das im November 1685 eingerichtete Kommissariat für französische Angelegenheiten hatte zunächst nur die Aufgabe, die Ansiedlung der Flüchtlinge in Brandenburg-Preußen zu organisieren und die Durchführung der Bestimmungen des Edikts zu überwachen. In den Folgejahren wurde das Kommissariat jedoch mehrfach umorganisiert und in seinen Kompetenzen erweitert, bis sich unter seinen jeweiligen Direktoren – den Chefs de la Nation – schließlich die Französischen Kolonien mit dem Französischen Oberdirektiorium als einem Kolonieministerium, eigenen Bürgermeistern und eigener Verwaltung herausgebildet hatte.[13]
[...]
[1] Vgl. z. B. Francios, Etienne, Die Traditions- und Legendenbildung des deutschen Refuge, in: Der Exodus der Hugenotten. Die Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 als europäisches Ereignis, hg. v. Heinz Duchhardt, Köln u. a. 1985, S. 177-193.
[2] Vgl. z. B. Jersch-Wenzel, Stefi, Ein importiertes Ersatzbürgertum? Die Bedeutung der Hugenotten in der Wirtschaft Brandenburg-Preußens, in: Die Hugenotten 1685-1985, hg. v. Rudolf von Thadden und Michelle Magdelaine, Frankfurt/M. u. a. 1986, S. 160-171.
[3] Wilke, Jürgen, Der Einfluß der Hugenotten auf Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur, in: Wege und Grenzen der Toleranz. Edikt von Potsdam 1685-1985, hg. v. Manfred Stolpe u. Friedrich Winter, Berlin, 1987, S. 36-50.
[4] Z. B. Hartweg, Frédéric, Die Hugenotten in Deutschland. Eine Minderheit zwischen zwei Kulturen, in: Die Hugenotten 1685-1985, hg. v. Rudolf von Thadden u. Michelle Magdelaine, Frankfurt/M. u. a. 1986, S. 172-185 ; Wilke, Jürgen, Rechtsstellung und Rechtsprechung der Hugenotten in Brandenburg-Preußen (1685-1809), in: Hugenotten 1685-1985, hg. v. Rudolf von Thadden und Michelle Magdelaine, Frankfurt/M. u. a. 1986, S. 100-114.
[5] Birnstiel, Eckart, „Dieu protège nos souverains“. Zur Gruppenidentität der Hugenotten in Branden- burg-Preußen, in: Die Hugenotten und das Refuge: Deutschland und Europa. Beiträge zu einer Tagung, hg. v. Frédéric Hartweg u. Stefi Jersch-Wenzel, Berlin 1990, S. 107-128.
[6] Alle dem Potsdamer Edikt entnommenen Angaben folgen der Edition in: Muret, Eduard, Geschichte der Französischen Kolonie in Brandenburg-Preußen, unter besonderer Berücksichtigung der Berliner Gemeinde, Berlin 1885, S. 301-306, hier S. 304-305.
[7] Muret, Geschichte der Französischen Kolonie, S. 305-306.
[8] Ebd., S. 305.
[9] Weitzel, Jürgen, Landesherrliche Administrationsmaßnahmen zur Eingliederung hugenottischer Flüchtlinge, in: Der Exodus der Hugenotten. Die Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 als euro- päisches Ereignis, hg. v. Heinz Duchhardt, Köln u. a. 1985, S. 127, 132-134; Wilke, Rechtsstellung und Rechtsprechung, S. 102.
[10] Diese Ansicht vertritt Wilke, Rechtsstellung und Rechtsprechung, S. 103.
[11] Auch wenn er einräumt, daß die Ursachen für die Entwicklung nicht geklärt sind, zieht Weitzel diese Möglichkeit in Betracht: Weitzel, Landesherrliche Administrationsmaßnahmen, S. 133.
[12] Birnstiel, Eckart u. Reinke, Andreas, Hugenotten in Berlin, in: Von Zuwanderern zu Einheimischen. Hugenotten, Juden, Böhmen, Polen in Berlin, hg. v. Stefi Jersch-Wenzel, Berlin 1990, S. 50-51.
[13] Birnstiel,/Reinke, Hugenotten in Berlin, S. 85-87; Wilke, Rechtsstellung und Rechtsprechung, S. 101-103.
- Quote paper
- Tatjana Schäfer (Author), 2005, Die Hugenotten in Brandenburg-Preußen: Faktoren ihrer Integration, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69206
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