„Erzählen? – Was kann man darüber schreiben? Es stimmt; in der Schule wird viel erzählt, aber darüber nachdenken oder darüber sprechen tut man eigentlich nicht.“
Diese und ähnliche Zitate, von Lehrern geäußert, gaben den Ansporn für die vorliegende Arbeit.
Erzählen gehört zum Alltag eines jeden Menschen. Jedoch ist unser Bild vom Erzählen geprägt von perfekten Erzählungen professioneller Erzähler, der Literaten. Dieses Erzählen ist allerdings ein schriftliches Erzählen, das gewissen Regeln unterliegt. Das alltägliche Erzählen gerät demgegenüber in den Hintergrund und erscheint als ebenso selbstverständlich wie belanglos; eine theoretische Beschäftigung damit gilt als überflüssig.
Eine solche Überlegung steht jedoch im Widerspruch zur tatsächlichen Rolle des Erzählens im Alltag, denn: „Wer gut erzählen kann, erfreut sich der Wertschätzung seiner Umgebung. Wer zu oft erzählt, kann in Konflikt geraten mit den institutionell verlangten Tätigkeiten; wer schlecht erzählt, steht leicht abseits, und wer es ganz lässt, sieht seine sozialen Handlungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt.“ Dieser Aussage zufolge ist das Erzählen also viel zu wichtig, als dass eine bevorzugte Behandlung des literarischen Erzählens zu rechtfertigen wäre.
Wenn die Schule sich des Erzählens annimmt, muss sie sich vor Augen führen, dass sie sich mit einem Gegenstand befasst, der für die Schüler, auch außerhalb der Schule und jenseits literarischer Erwartungen, von großer Bedeutung ist.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem mündlichen Erzählen in der Grundschule. Die Entscheidung für die Thematik des mündlichen Erzählens liegt zum einen darin begründet, dass der mündliche Sprachgebrauch Ausgangspunkt und Medium des Unterrichts ist; er macht den größten Teil des Unterrichts aus. In ihm findet Austausch, Erarbeitung und Verständigung statt. Die Kinder bringen hier die am weitesten ausgebauten sprachlichen Fähigkeiten mit.
Innerhalb des mündlichen Sprachgebrauchs eignet sich, zum anderen, gerade das Erzählen für eine exemplarische Behandlung besonders gut, weil hier linguistische, entwicklungstheoretische und didaktische Aspekte am weitesten erforscht sind.
Insbesondere untersucht die vorliegende Arbeit die Fragestellung, ob die Schule, angesichts der Bedeutung des Erzählens im Alltag, in dem das Erzählen natürlich vornehmlich mündlich erfolgt, in der Lage ist, eine Chancengleichheit zwischen mündlichem und schriftlichem Erzählen anzustreben.
[...]
Inhaltsverzeichnis
- EINLEITUNG
- THEORETISCHE GRUNDLAGEN
- ERZÄHLEN IM ALLTAG
- Erzählen in Abgrenzung zum Berichten und Beschreiben
- Die „Ungewöhnlichkeit“ als Kennzeichen einer Erzählung
- Das Erzählen nach dem Höhepunkt-Modell (LABOV/WALETZKY)
- Kommunikative Funktionen des Erzählens
- Resümee
- DER ERZÄHLERWERB
- Der Erzählerwerb als kognitiver Prozess (BOUEKE ET AL.)
- Strukturmodelle in der bisherigen Erzählforschung
- Die Entwicklung eines neuen Modells
- Das Modell und die Ergebnisse der Untersuchung
- Kritik am Verfahren
- Der Erzählerwerb als interaktiver Prozess (HAUSENDORF/QUASTHOFF)
- Das Modell und seine Konstituenten
- Die Rolle des Zuhörers
- Abschließende Ergebnisse
- Der Vollzug des Erzählerwerbs beim Spracherwerb (WAGNER)
- ERZÄHLEN IN DER GRUNDSCHULE
- Zur Berücksichtigung des mündlichen Erzählens in den Richtlinien
- Resümee
- EMPIRISCHE UNTERSUCHUNG
- DIDAKTISCHE KONZEPTE – EINE BESTANDSAUFNAHME
- BARTNITZKY, Sprachunterricht heute
- HAUSENDORF/WOLF, Erzählentwicklung und -didaktik
- LUDWIG, Die Schulerzählung oder Erzählen in der Schule
- Die Grundschulzeitschrift 132/2000
- CLAUSSEN/MERKELBACH, Erzählwerkstatt
- Zeitschrift „Grundschule“, Erzählen – Zuhören Erzählen
- CLAUSSEN, Erzählen lernen in der Grundschule
- HAUEIS, Bildergeschichten nacherzählen – leichter gesagt als getan!
- Ergebnisse der Untersuchung
- UNTERRICHTSMATERIALIEN – EIN ÜBERBLICK
- Pusteblume
- 2. Schuljahr
- 4. Schuljahr
- Bausteine Sprachbuch
- 2. Schuljahr
- 4. Schuljahr
- Ergebnisse der Untersuchung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Bedeutung des mündlichen Erzählens in der Grundschule. Sie untersucht, ob die Schule in der Lage ist, dem mündlichen Erzählen den Stellenwert einzuräumen, den es im Alltag verdient, und ob sie dabei die Kritik an der diskriminierenden Behandlung des mündlichen Erzählens im Vergleich zum schriftlichen Erzählen ausräumen kann.
- Die Rolle des Erzählens im Alltag
- Der Erwerb von Erzählkompetenz im kognitiven und interaktiven Prozess
- Die Bedeutung des mündlichen Erzählens in der Grundschule
- Die Berücksichtigung des mündlichen Erzählens in didaktischen Konzepten
- Die Darstellung des Stellenwerts des mündlichen Erzählens in Sprachbüchern
Zusammenfassung der Kapitel
Kapitel 1 beleuchtet die Rolle des Erzählens im Alltag und hebt die Bedeutung des Erzählens für die soziale Interaktion und das menschliche Zusammenleben hervor. In Kapitel 2 werden verschiedene Modelle des Erzählerwerbs vorgestellt, die den kognitiven und interaktiven Aspekt des Erzählens beleuchten. Kapitel 3 setzt sich mit der Bedeutung des mündlichen Erzählens in der Grundschule auseinander und stellt die Frage, ob die Schule dem mündlichen Erzählen den gebührenden Stellenwert einräumt.
Im zweiten Teil der Arbeit werden in Kapitel 4 verschiedene didaktische Konzepte des Erzählens in der Grundschule vorgestellt und auf ihre Berücksichtigung der theoretischen Grundlagen untersucht. Kapitel 5 analysiert exemplarisch Sprachbücher und deren Einbezug des mündlichen Erzählens.
Schlüsselwörter
Mündliches Erzählen, Erzählerwerb, Grundschule, Didaktische Konzepte, Sprachbücher, Chancengleichheit, Alltagserzählen, Literarisches Erzählen.
- Quote paper
- Anonym (Author), 2001, Erzählen in der Grundschule. Linguistische, entwicklungstheoretische und didaktische Aspekte, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6914