„Goethes ‘Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel’ ist aus dem umfangreichen poetischen Werk des Dichters ein Beispiel, auf das die (…) Feststellung, alles von Goethe Geschriebene sei vielfach durchleuchtet worden, nicht zutrifft. Das ‘Puppenspiel’ Goethes ist eine nicht nur vernachlässigte, sondern ganz und gar vergessene, noch nicht erschlossene Dichtung.“ Blickt man auf die aktuelle Editions- und Forschungslage zum genannten Werk, dann kann Wolfgang Stellmachers recht provokante These ad hoc belegt werden. So ist zum einen zu konstatieren, dass weder die geläufigsten Goethe-Ausgaben (Weimarer Ausgabe, Jubiläumsausgabe, Propyläen-Ausgabe, Berliner Ausgabe, Frankfurter Ausgabe) dem von Goethe zyklisch angelegten Charakter des Stückes gerecht werden, zum anderen lässt sich zweifelsfrei feststellen, dass das „Puppenspiel“ in der Literaturwissenschaft selbst kaum weiter reichenden Anklang gefunden hat. (...)
Als ein Element dieses Puppenspiel-Zyklus, für das aus literaturwissenschaftlicher Perspektive dasselbe zutrifft, wie für die Zusammenstellung insgesamt, gilt das „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ sowohl in seiner ersten als auch zweiten Fassung. Dieses soll – in Anlehnung an das im Hauptseminar „Goethes Lustspiele“ gehaltene Referat – ganz im Zentrum dieser Hausarbeit stehen. – Dabei möchte ich weniger den Versuch unternehmen, den unterschiedlichen interpretatorischen Forschungsansätzen Folge zu leisten und diese Arbeit als Podium für deren Repräsentationen zu beanspruchen, sondern mich vielmehr darum bemühen, Goethes „Schönbartspiel“ unter produktions-ästhetischen Gesichtspunkten zu untersuchen. Das bedeutet konkret, dass der auffallend gattungstheoretische Experimentalcharakter des „Jahrmarktfests“ in den Fokus einer tiefgründigeren Analyse gerückt werden soll. Daher werde ich die Elemente des Jahrmarktsfests, Schönbarts-/Fastnachtsspiels und des komischen Volkstheaters, das Prinzip des Raritätenkastens und den Esther-Stoff detaillierter analysieren. Aber auch die in diesem Zusammenhang bedeutenden Persönlichkeiten wie Hans Sachs oder William Shakespeare und letztlich das dem Text immanente Geniekonzept des bürgerlichen Genie-Dichters sollen intensivere Betrachtung finden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Allgemeine Aussagen zu Goethes „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“
3 Der Experimentalcharakter des Werkes
3.1 Der Jahrmarkt und das volkstümliche Theater
3.2 Schönbartspiel/ Fastnachtsspiel
3.3 Der Prolog zum „Neueröffneten moralisch-politischen Puppenspiel“ – Anlehnung an die Intention des Fastnachtsspiels und dichterisches Selbstverständnis des Sturm und Drang
3.4 Der Esther-Stoff im „Jahrmarktsfest“
3.4.1 Der biblische Esther-Stoff
3.4.2 Das jüdische Purim-Fest
3.4.3 Esther-Stoff und Purim-Fest – mögliche Adaptionen Goethes?
4 Fazit
Literaturangabe
1 Einleitung
„Goethes ‘Neueröffnetes moralisch-politisches Puppenspiel’ ist aus dem umfangreichen poetischen Werk des Dichters ein Beispiel, auf das die (…) Feststellung, alles von Goethe Geschriebene sei vielfach durchleuchtet worden, nicht zutrifft. Das ‘Puppenspiel’ Goethes ist eine nicht nur vernachlässigte, sondern ganz und gar vergessene, noch nicht erschlossene Dichtung.“[1] Blickt man auf die aktuelle Editions- und Forschungslage zum genannten Werk, dann kann Wolfgang Stellmachers recht provokante These ad hoc belegt werden. So ist zum einen zu konstatieren, dass weder die geläufigsten Goethe-Ausgaben (Weimarer Ausgabe, Jubiläumsausgabe, Propyläen-Ausgabe, Berliner Ausgabe, Frankfurter Ausgabe) dem von Goethe zyklisch angelegten Charakter des Stückes gerecht werden, zum anderen lässt sich zweifelsfrei feststellen, dass das „Puppenspiel“ in der Literaturwissenschaft selbst kaum weiter reichenden Anklang gefunden hat. Weder Max Morris,[2] Hanna Fischer-Lamberg,[3] Karl Eibel[4] noch Viktor Zmegac,[5] Hans-Günther Thalheim,[6] Karl Otto-Conrady,[7] Nicholas Boyle[8] oder Gero von Wilpert[9] gehen näher auf das Werk ein, was weder der künstlerisch anspruchsvollen noch recht schwierigen Komposition wirklich gerecht zu werden scheint.
Als ein Element dieses Puppenspiel-Zyklus, für das aus literaturwissenschaftlicher Perspektive dasselbe zutrifft, wie für die Zusammenstellung insgesamt, gilt das „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ sowohl in seiner ersten als auch zweiten Fassung. Dieses soll – in Anlehnung an das im Hauptseminar „Goethes Lustspiele“ gehaltene Referat – ganz im Zentrum dieser Hausarbeit stehen. – Dabei möchte ich weniger den Versuch unternehmen, den unterschiedlichen interpretatorischen Forschungsansätzen Folge zu leisten und diese Arbeit als Podium für deren Repräsentationen zu beanspruchen, sondern mich vielmehr darum bemühen, Goethes „Schönbartspiel“ unter produktions-ästhetischen Gesichtspunkten zu untersuchen. Das bedeutet konkret, dass der auffallend gattungstheoretische Experimentalcharakter des „Jahrmarktfests“ in den Fokus einer tiefgründigeren Analyse gerückt werden soll. Daher werde ich die Elemente des Jahrmarktsfests, Schönbarts-/Fastnachtsspiels und des komischen Volkstheaters, das Prinzip des Raritätenkastens und den Esther-Stoff detaillierter analysieren. Aber auch die in diesem Zusammenhang bedeutenden Persönlichkeiten wie Hans Sachs oder William Shakespeare und letztlich das dem Text immanente Geniekonzept des bürgerlichen Genie-Dichters sollen intensivere Betrachtung finden.
Stark angelehnt an die hiesigen Ausführungen sind die angegebenen Publikationen Wolfgang Stellmachers. Dieser stellte sich als nahezu der einzige dar, der den oben genannten Forschungsmissstand bezüglich des gesamten Puppenspiel-Zyklus aufzuheben scheint. So trifft er denn auch verwertbare Aussagen zum „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“.
Grundlage der zitierten Passagen aus dem „Puppenspiel“, des „Jahrmarktsfests“ und der Rede zum „Shäkespeares Tag“ ist die Berliner Goethe Ausgabe.
2 Allgemeine Aussagen zu Goethes „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“
Das „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ liegt uns heute in zwei Fassungen vor, die 1773 und 1778 entstanden sind und thematisch auf „einen beliebten Stoff der italienischen, französischen und deutschen Bühnendichtung zurück[greifen].“[10] Bezüglich der ersten Fassung ergibt sich diese relativ genaue Datierung aus der Tatsache, dass Goethe das „Fastnachtsspiel vom Pater Brey“ als eine Art Scherz zur Hochzeit Johann Gottfried Herders und Caroline Flachslands, die am 02.05.1773 stattfand, beigab. Demnach müssten das „Neueröffnete moralisch-politische Puppenspiel“ oder zumindest Teile davon bereits vor dieser Vermählung aus der Hand des Dichters entsprungen sein und ein Brief zwischen dem damals noch verlobtem Paar vom 29.03.1773 scheint diese Annahme zu belegen. Darin heißt es von Caroline Flachsland an Herder, Goethe habe ihr „neulich einen Jahrmarkt in Versen“[11] geschickt, womit sicherlich das „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ gemeint war. Außerdem schickte Goethe bereits Mitte März desselben Jahres das Manuskript an Johann Heinrich Merck und am 31. Oktober an Johanna Fahlmer, was die Datierung auf 1773 insgesamt sehr wahrscheinlich macht. Ursprünglich geschrieben, um Goethes Frankfurter Freund Maximilian Klinger aus der finanziellen Not zu befreien, fand es zunächst auch auf die Bemühungen des Gießener Jura-Professors Ludwig Friedrich Höpfner, bei dem Klinger vorerst Asyl bekam, keinen Verleger. Denn der Berliner Friedrich Nicolai, dem das Manuskript zum Druck vorlag, lehnte die Veröffentlichung ab. Schließlich fand Höpfner aber mit Weygand in Leipzig einen Verleger, so dass das „Jahrmarktsfest“ zusammen mit dem „Prolog“, „Des Künstlers Erdewallen“ und dem „Fastnachtsspiel vom Pater Brey“ bereits zur Herbstmesse 1774 erschien.
Die erste Fassung des „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“ gilt gemeinhin als Goethes erstes Knittelversdrama, wobei – nicht zuletzt durch den Untertitel „Ein Schönbartspiel“ – die Nähe zu Hans Sachs und dessen Werken und Wirken zu erkennen ist. Mit dessen Oeuvre setzte sich Goethe auf Geheiß Mercks und in Verbindung mit dem Verfassen des „Götz von Berlichingen“ bereits Ende intensiv 1772 auseinander. Im Mittelpunkt dieser 1774 veröffentlichten Fassung stehen zweifelsohne eher der Frankfurter und Darmstädter Raum und die dortigen Gesellschaftskreise. Selbst Goethe bekannte dazu, dass „unter allen dort [im Jahrmarktsfest – Anm. d. Verf.] auftretenden Masken (…) wirkliche, in jener Sozietät lebende Glieder oder ihr wenigstens verbundene und einigermaßen bekannte Personen gemeint [sind].“[12] Und auch Merck bezeugt in einem Brief an Nicolai vom 28.08.1774, dass „die Pasqiuaden, die er [Goethe – Anm. d. Verf.] gemacht hat, (…) aus unserem Circel in Darmstadt sind“.[13] Diese beiden Bemerkungen lieferten unter anderem lange Zeit den Vorschub für stark personenzentrierte Interpretationen, allen voran Wilhelm Scherer, deren eigener wissenschaftlicher Erkenntniswert aufgrund eines regelrechten „Goethe-Biographismus’“ immer kritisch hinterfragt werden sollte.[14]
Die zweite Fassung (von 1778) schrieb Goethe – nun schon längere Zeit am Hofe in Weimar – für die Inszenierung am 20.10.1778 im Ettersburger Liebhabertheater um. Bei dieser trat Goethe unter Mitwirkung anderer Personen der Hofgesellschaft selbst als Schauspieler auf. Erweiterungen von Gesprächen, Neudichtungen von Strophen, Hinzufügungen von Liedern aber auch die Umformungen der Knittelverse in Alexandriner innerhalb des Esther-Dramas waren Goethes grundlegende Veränderungen. Damit gestaltete er das Werk insgesamt repräsentativer und opernmäßiger und erreichte damit eine strukturelle Nähe zum Singspiel. Doch nicht nur formal und inhaltlich, sondern auch intentional unterscheidet sich die zweite von der ersten Fassung. Stehen in der ersten noch bestimmte Personen aus Goethes unmittelbarer Nähe und aktuelle Tendenzen wie eine übersteigerte Empfindsamkeit/ Empfindelei oder ein ästhetischer Rationalismus im Vordergrund, so ist die zweite Fassung als eine Parodie auf die klassizistisch-französische Tragödie zu verstehen, bei der das Verlachen einzelner, real existierender Personen in den Hintergrund tritt.
Bezüglich der Handlung bleibt zu konstatieren, dass eine Stringenz im Sinne eines auf den Höhepunkt hinauslaufenden Geschehens hier völlig fehlt … „von einer fortlaufenden Handlung ist hier nicht die Rede, keine Spannung auf Entwicklung und Katastrophe: der Augenblick unterhält, das lebendige Gewühl und Gewoge des Jahrmarkts.“[15] Man kann von einer Art Karusselltechnik sprechen, bei der die einzelnen Personen und Situation ähnlich der Fahrgäste eines Kettenkarussells vor dem Auge des Beobachters kurz auftauchen um dann sogleich wieder zu verschwinden. Und auch Goethe deklariert:
„Durch ein geistreiches Zusammensein an den heitersten Tagen aufgeregt, gewöhnte man sich, in augenblicklich kurzen Darstellungen alles dasjenige zu zersplittern, was man sonst zusammengehalten hatte, um größere Kompositionen daraus zu erbauen. Ein einzelner einfacher Vorfall, ein glückliches naives, ja albernes Wort, ein Mißverstand, eine Paradoxie, eine geistreiche Bemerkung, persönliche Eigenheiten oder Angewohnheiten, ja eine bedeutende Miene, und was nur immer in einem bunten rauschenden Leben vorkommen mag, alles wird in Form des Dialoges, der Katechisation, einer bewegten Handlung, eines Schauspiels dargestellt, manchmal in Prosa, öfters in Versen. – An dieser genialisch-leidenschaftlich durchgesetzten Übung bestätigte sich jene eigentliche poetische Denkweise. Man ließ nämlich Gegenstände, Begebenheiten, Personen an und für sich sowie in allen Verhältnissen bestehen, man suchte sie nur deutlich zu fassen und lebhaft abzubilden. Alles Urteil, billigend oder mißbilligend, sollte sich vor den Augen des Beschauers in lebendigen Formen bewegen. Man könnte diese Produktion belebte Sinngedichte nennen, die, ohne Schärfe und Spitzen, mit treffenden und entscheidenden Zügen reichlich ausgestattet waren. Das Jahrmarktsfest ist ein solches, oder vielmehr eine Sammlung solcher Epigramme.“[16]
Die Bewegungen von der Goethe hier spricht, erinnern schon an dieser Stelle an das Prinzip des Raritätenkastens, auf das im Folgenden der Arbeit noch weiter eingegangen werden soll. – Jedenfalls wird deutlich, dass eine stringente Handlung im Sinne eines klassischen Dramenaufbaus nicht vorhanden ist und auch nicht vorhanden sein soll, weil dies der „eigentlichen poetischen Denkweise“ zuwider laufen würde, da es ja gerade auf die „einzelnen Vorfälle, Begebenheiten und Personen“ ankommt. Insofern ist das „Jahrmarktsfest“ ein „Musterbeispiel dafür, wie im Schaffen des jungen Goethe ursprünglich plebejische Kunsttradition schöpferisch aufgegriffen und neu belebt wurden.“[17]
An dieser Stelle sei noch ein kurzer Exkurs bezüglich des Titels eingeschoben. – Eine Frage, mit der sich des Öfteren beschäftigt wurde, war, wo Plundersweilern eigentlich zu finden sei. Scherer und einige seiner Anhänger gehen recht verwegen davon aus, Plundersweilern sei Frankfurt und das Jahrmarktsfest die Frankfurter Messe.[18] Freilich liegt eine kurze Erwägung dieses Gedankens, nicht zu letzt begründet durch die damaligen Aufenthaltsorte Goethes, nahe, verliert aber schon vor dem Hintergrund des Verwaltungs- und Beamtenpersonals im „Jahrmarktsfest“ selbst seine Gültigkeit. So sind der Amtmann und seine Frau die obersten administrativen Organe der Szenerie, die den Ort folglich als kleinere Provinzstadt charakterisieren.[19] Noch dazu erinnert auch der Name „Plundersweilern“ an ein Onomatopoetikum – dann ist sicherlich nicht die Frankfurter Messe der Ort, an dem es nur „Plunder“ zu erwerben gibt, sondern eher das kleine Örtchen mit seinem „Plundermarkt“.
3 Der Experimentalcharakter des Werkes
3.1 Der Jahrmarkt und das volkstümliche Theater
Bauern[20], Metzger, Händler, Pfefferkuchenmädchen, Bänkelsänger, Zitterspielbub, Zigeuner und Schattenspielmann – sie alle erinnern unweigerlich an einen Jahrmarkt und das bunte Treiben auf dem selbigen. Gerade der Marktschreier, hier als Quacksalber auftretend, verweist in seinem Habitus und der Danksagung an den ortsansässigen Doktor, das Schauspiel aufführen und sich als Wunderheiler darstellen zu dürfen an die damals geläufige Praxis der fahrenden Schausteller, die auf Jahrmärkten und Messen auftraten. „Mit dem Jahrmarkt als Hauptgegenstand und -ort steht (…) ein altes, sehr beliebtes und auch im 18. Jahrhundert weit verbreitetes Element volkstümlicher Lebenskultur ganz im Zentrum dieses Stückes.“[21] Ursprünglich aus Frankreich kommend, fanden die Jahrmarktsdarstelllungen im 17. und 18. Jahrhundert auch in Italien und Deutschland ihren Anklang.[22] Volkstümlich war ihre Form in doppelter Hinsicht: a) zum einen, weil der Jahrmarkt in seiner literarischen Tradition ein plebejisches und komisches Pendant zur heroischen Tragödie und dem damit verbundenem vorherrschend höfisch/ bürgerlichen Repräsentations- und/ oder Bildungstheater darstellte, das gerade in der Barockzeit und im Aufführungshorizont des barocken Theaters/ der barocken Oper ein zentrales Element war; b) zum anderen ergibt sich die Nähe zum komischen Volkstheater aufgrund des die Allgemeinheit ansprechenden Gehalts, der ungeschickten und uneinheitlichen Form und eines sehr breit gefächerten Figurenensembles. Gerade die Unpersönlichkeit der Darstellung bezüglich der Figuren- und Ereignisgestaltung erinnert an die schon o.g. Karusselltechnik. Daran anlehnend treten die Figuren eher als Masken ohne eine ausgeprägte und/ oder individuelle Psychologie denn als ausgefeilte Persönlichkeiten auf. Insofern kann Goethes „Jahrmarktsfest“ im weiteren Sinne als eine Art Weltsymbol verstanden werden, mit dem das bunte und facettenreiche Leben der Menschen dargestellt werden soll. Im engeren Sinne und gestützt auf die personenzentrierten Ansätze um Wilmanns und Scherer, liest es sich zudem als eine literarische Satire, in der Goethe eine lustige und muntere Ironisierung seiner Gegenwart vornahm und eben jenes Figurenensemble das Fundament für zahlreiche Anspielungen auf die damaligen literarischen und geselligen Erscheinungen bildete. Auch eine dritte Lesart bietet sich laut Herrmann an. Versteht man das Esther-Drama als autonomen Teil des „Jahrmarktsfests“, so können auch die darin enthaltenen globalen Weltgegensätze eine Interpretationsgrundlage liefern.[23]
Eine weitere Bemühung Goethes um das Aufgreifen jener alten volkstümlichen Traditionen stellt das Auftreten des Lichtputzers dar. Dieser unternimmt den Versuch, den Hanswurst zu ersetzen und scheitert dabei jämmerlich.[24] Deshalb äußert der Marktschreier den Wunsch, seinen Hanswurst zu kurieren, der sonst im Intermezzo brav, die Leute weckte aus ’m Sittenschlaf und auch Wilhelm Meister konstatiert im Romanfragment „Wilhelm Meisters theatralische Sendung“:
[...]
[1] Stellmacher, Wolfgang, Goethes Puppenspiel. Vom Sinn und Gewinn der zyklischen Komposition, Frankfurt a. M. u.a. 2001, S. 13.
[2] Morris, Max (Hrsg.), Der junge Goethe, 6 Bände, Leipzig 1909/ 12.
[3] Fischer-Lamberg, Hanna, Der junge Goethe, neu bearbeitete Ausgabe in 5 Bde., Berlin/ New York 1963/ 74.
[4] Ebel, Karl u.a. (Hrsg.), Der junge Goethe in seiner Zeit, 2 Bde. und eine CD-Rom, Frankfurt am Main/ Leipzig 1998.
[5] Zmegac, Viktor (Hrsg.), Geschichte der deutschen Literatur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 2., durchgesehene Aufl., Bd. I/ 1, Königstein/ Ts. 1984.
[6] Thalheim, Hans-Günther (Hrsg.), Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, Bd. 6, Berlin 1979.
[7] Conrady, Karl Otto, Goethe. Leben und Werk, 2 Bände, Frankfurt a. M. 1988.
[8] Boyle, Nicholas, Goethe. Der Dichter in seiner Zeit, Bd. 1, München 1995.
[9] Wilpert, Gero von, Goethe Lexikon, Stuttgart 1998.
[10] BA, Bd. 5, S. 586.
[11] Schauer, Hans (Hrsg.), Herders Briefwechsel mit Caroline Flachsland (= Schriften der Goethe-Gesellschaft, Bd. 41), Bd. 2, Weimar 1928, S. 393.
[12] BA, Bd. 13, S. 639.
[13] Wagner, Karl (Hrsg.), Briefe aus dem Freundeskreis von Goethe, Herder, Höpfner und Merck. Eine selbstständige Folge der beiden in den Jahren 1835 und 1838 erschienenen Merckischen Briefsammlungen, Leipzig 1847, S. 107.
[14] „Dass die Personen des kleinen Spieles Porträte ganz oder hauptsächlich aus Goethes Kreis seien, steht fest durch Goethes eigenes und durch Mercks Zeugnis.“ – Scherer, Wilhelm, Aus Goethes Frühzeit. Bruchstücke eines Commentares zum jungen Goethe (= Quellen und Forschungen zur Sprach- und Culturgeschichte der germanischen Völker), Strassburg 1879, S. 25. Verschwiegen werden soll dabei nicht, dass die Leistungen Scherers und seiner Anhänger auf der Ebene der Quellenbeschaffung von besonderem Stellenwert sind und insofern ihre Daseinsberechtigung in keiner Weise angezweifelt werden soll.
[15] Wilmanns, W., Goethes „Jahrmarktsfest zu Plundersweilern“, in: Treitschke, H. v./ Wehrenpfennig, W. (Hrsg.), Preußische Jahrbücher, Bd. 42, Berlin 1878, S. 44.
[16] BA, Bd. 13, S. 638.
[17] Stellmacher, W., Goethes Puppenspiel, Frankfurt a. M. u.a. 2001, S. 142.
[18] Vgl. Scherer, Wilhelm, Aus Goethes Frühzeit, Strassburg 1879, S. 26.
[19] Vgl. Herrmann, Max, Jahrmarktsfest zu Plundersweilern. Entstehungs- und Bühnengeschichte. Nebst einer kritischen Ausgabe des Spiels und ungedruckten Versen Goethes sowie Bildern und Notenbeilagen, Berlin 1900, S. 47f.
[20] Vgl. dazu Stellmacher, Wolfgang, Goethe, die Volkspoesie und die Folgen, in: Stellmacher, Wolfgang/ Tarnói, Lázló (Hrsg.), Goethe. Vorgaben. Zugänge. Wirkungen, Frankfurt a. M. 2000, S. 15-30.
[21] Stellmacher, Wolfgang, Goethes Puppenspiel, S. 142. Andere Elemente waren die Bauern- und Dorfkomödie, das Puppenspiel allgemein, Truppenspiele (z.B. Bergmannkomödien), Passionsdarstellungen, geistliche Volksschauspiele, Fastnachtsspiele, Stubenspiele und Weihnachtsspiele.
[22] Zum Motiv des Jahrmarkts vgl. Herrmann, Max, Jahrmarktsfest zu Plundersweilen. Entstehungs- und Bühnengeschichte, Berlin 1900, S. 111ff.
[23] Vgl. Hermann, Max, Jahrmarktsfest zu Plundersweilern, Berlin 1900, S. 165ff.
[24] Ihr mehnt, i bin Hanswurst, nit wahr? Hab sein Krage, sei Hose, sei Kopf; Hätt i au sei Kopf, Wär i Hanswurst ganz und gar.
- Quote paper
- Marc Partetzke (Author), 2006, Untersuchungen zum gattungstheoretischen und produktions-ästhetischen Experimentalcharakter des Werkes "Jahrmarktsfest zu Plundersweilern" von Goethe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/69012
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