Gemeinsamkeiten der beiden großen Komponistendes Jahrgangs 1813? Mehr als genug! Und Wagners Sohn outete sich wiederholt als Verdi-Fan. Das hat auch Spuren in seinem Bühnenschaffen hinterlassen.
WIE WAGNER UND VERDI ZUSAMMENKAMEN
"'Ich bin Verdi und du bist Wagner.' Leise sann der Maestro diese Worte vor sich hin, und kaum waren sie gedacht, hatte sich seine Ahnung enträtselt! 'Nicht Vignas, des Sterbenden, wegen bin ich nach Venedig gekommen, sondern im diesen Wagner zu sehn, ihm zu begegnen. - Gott weiß, warum! - Wir beide sind alt. Im gleichen Jahr geboren. Er bewegt und beherrscht alles. Ich bin schüchtern und stumm, noch immer der scheue Dorfköter von Roncole.- Dies dürfte die Wahrheit sein!'"
Die Begegnung zwischen Verdi und Wagner in Venedig gehört ins Reich der Legende, der zitierte Gedankengang Giuseppe Verdis entstammt Franz Werfels Verdi-Roman aus dem Jahr 1923. Werfels Roman "Verdi" wird heute von der Literaturkritik als ein Wagner-Roman eingestuft, bei dem Verdi quasi nur titelgebender Vorwand ist.
Die beiden Kinder des Jahrgangs 1813, Wagner im Tierkreiszeichen des Zwillings, Werdi in dem der Waage geboren, und damit beide dem Element der Luft zugehörig und damit beide Sanguiniker, sie wurden in erster Linie von ihrer Umwelt zu Antipoden gestempelt. Da Verdi Wagner um beinahe achtzehn Jahre überlebte, konnte Verdi - was Wagner versagt blieb - ein abschließendes Urteil über den Kollegen fällen. An Giulio Ricordi schrieb Verdi am 14. Februar 1883: "Traurig, traurig, traurig! Wagner ist tot! Als ich gestern die Depesche las, war ich das darf ich wohl sagen, völlig niedergeschmettert. Keine Diskussion! Es entschwindet eine große Persönlichkeit! Ein Name, der in der Geschichte der Kunst eine überaus mächtige Spur hinterläßt."
Als Verdis erste Oper "Oberto conte di San Bonifacio" im Jahr 1839 ihre Premiere erlebte, hatte Wagner bereits zwei Opern vollendet und eine davon, "Das Liebesverbot", war auch bereits einmal - allerdings nur ein einziges Mal - zur Aufführung gekommen. die Oper war frei nach Shakespeares "Measure for Measure" entstanden, damit also einem Dichter folgend, dem auch Verdi wiederholt huldigen sollte, - 1847 mit "Macbeth", dann mit dem jahrelangen Plan zu einer "King Lear"-Oper, und schließlich, im Jahre 1892 mit seinem Schwanengesang, dem "Falstaff".
Zwar zog Wagner schon mit seinen frühen Opern und stärker noch mit seinen programmatischen Schriften gegen die Überfremdung des deutschen Opernwesens zu Felde, aber er orientierte sich doch - neben den deutschen Romantikern - an denselben Vorbildern wie Verdi, - nämlich an Bellini und an Meyerbeer. Wagner konnte Bellini immerhin so erstaunlich nachemfpinden, daß er 1839 ein Einlegarie für den Orovisto in Bellinis "Norma" komponierte, die noch bei Aufführungen in unseren Tagen vom Publikum keineswegs als Fremdzelle empfunden, sondern in italienischer Manier - noch vor dem Verklingen frenetisch bejubelt wird.
Als sein eigener Textdichter mußte sich Wagner - im Gegensatz zu Verdi - nicht mit Librettisten herumärgern, er wurde von Verdi jedoch bald in der Anzahl seiner Opern überrundet; zusammen mit den beiden Bühnenwerken, die erst nach Wagners Tod entstanden, brachte es Verdi immerhin auf genau doppelt so viele Opern wie Wagner.
Noch bevor der deutsche Meister mit seinem "Kunstwerk der Zukunft" das Theater revolutionierte, stieg er im Jahr 1848 in Dresden selbst auf die Barrikaden, wurde als Revolutionär steckbrieflich gesucht und verfolgt. Verdi wurde im selben Jahr für dieselbe Idee einer nationalen Einigung zum Sinnbild des Risorgimento. Und 11 Jahre später diente sein Name gar als poltisches Akronym: V(ittorio) E(manuele) R(e) D'I(talia).
Als Wagner zu seiner Nibelungen-Dichtung die passenden Töne noch nicht gefunden hatte und daher den Anfang von "Siegfrieds Tod", der späteren "Götterdämmerung", zunächst im Stile des "Lohengrin" als romantische Oper komponierte, vertonte Verdi bereits 'Walhall'und 'Wotan' - auf seine Weise, in seiner 1845 entstandenen Oper "Attila":
Eine weitere gemeinsame Liebe der Antipoden Wagner und Verdi galt Schiller: Der junge Wagner hatte 1830 eine Ouvertüre zu Schillers "Braut von Messina" komponiert, während Verdi 1849 "Luisa Miller", frei nach "Kabale und Liebe", vertonte. Im Jahre 1869 äußerte Richard Wagner gegenüber Cosima, daß nach Schillers "Dichtung nur noch das musikalische Drama möglich war, zu welchem er (Richard Wagner) gleichsam den Übergang bildet(e)"; und ein Jahr später ist zwischen Richard und Cosima die Rede von Goethe und Schiller, welche beide "auf die Musik zielen" würden und als "die Grundlage zum Musikdrama" verstanden werden müssten.
Einig sind sich Wagner und Verdi auch in der Betrachtung der alten Griechen: für Wagner bedeuteten sie einen Blick zurück, um auf solche Weise das Zukünftige zu messen. Und Verdi äußerte sich gegenüber seinem Librettisten Arrigo Boito, während der Arbeit am "Falstaff", : "Kehren wir zur Antike zurück, und es wird ein Fortschritt sein!"
Eine Gemeinsamkeit ist sicher auch beider Gespür für die Wirksamkeit des Theaters. Wie Wagner sich in erster Linie als Dichter verstand, der Bühnenvisionen erschaut, so ist Verdi ein "Mann des Theaters", der sich, genau wie Wagner aber wie sonst nur selten ein Komponist um die "richtige" Aufführung seiner Werke bemühte.
Die szenische Darstellung begriff auch Verdi als integralen Bestandteil der Komposition und ließ deshalb seit 1857 den Theatern, die seine Opern spielten, spezifische Regiebücher zukommen. Die Qualität der Wiedergabe seiner Werke war für Verdi entscheidendes Kriterium, und wenn er sich mit Mittelmaß begnügen mußte, verzichtete er lieber auf eine Aufführung. So waren sich zeitweilig - aufgrund ähnlicher, negativer Erfahrungen - Wagner und Verdi auch durchaus einig in ihrer verächtlichen Einschätzung der Pariser "Großen Oper".
Allen voran war der später reumütige Verdi-Bewunderer Hans von Bülow - als Wagners Vorkämpfer - zunächst ein erbitterter Gegner Verdis, der den Komponisten mit bissigen und ausfallenden Bemerkungen zu verletzen trachtete.
Zu diesem Zeitpunkt, 1870/71, hatte Verdi jedoch bereits Wagners bis dahin erschienene Kunstschriften auf französisch gelesen und empfand so manchen Gedanken des Zeitgenossen als einleuchtend:
Wie Wagner, so lehnte auch Verdi die "Wirkung ohne Ursache" ab und begrüßte Wagners Forderung nach einem unsichtbaren Orchester als "glänzenden Einfall".
Bei seiner "Aida" versuchte auch Verdi eine neue, gedrängtere Orchesteraufstellung, - um eine neuartige Mischung der Klangfarben zu erzielen. Eine Zeit lang zog er sogar für die Scala die Beseitigung der Proszeniumslogen und eine Versenkung des Orchesters, á la Bayreuths mystischem Abgrund, in Erwägung, dann aber gab er sich mit der Vertiefung des Orchestergrabens zufrieden, die eine reichere Klangwirkung und bessere Sicht des Zuschauers auf die Bühne ermöglicht.
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- Prof. Dr. Peter P. Pachl (Author), 2002, Wie Wagner und Verdi zusammenkamen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68934
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