Im Jahre 1972, als gegen große Widerstände der Wagner-Familie die Internatioanle Siegfried Wagner Gesellschaft e. V. gegründet wurde, gab es nicht eines der Werke des Wagner-Sohns und Liszt-Enkels auf Tonträgern. Dies hat sich gründlich geändert, seit nunmehr alle Opern dieses Komponisten - und einige davon bereits in verschiedneen Interprtetationen - zur Wieder- oder sogar zur Uraufführung gelangt und seither auch auf CD ("Der Kobold" sogar auf DVD) verfügbar sind.
Die ältere und neue Entwicklung der Rezeption dieses Komponisten wird aufgezeigt.
Er wird schwer an einem solchen Namen zu tragen haben
Anlässlich des 75. Todestages von Siegfried Wagner
Vor 75 Jahren, am 4. August 1930, starb Siegfried Wagner inmitten seiner Arbeit. Den triumphalen Erfolg seiner avantgardistischen „Tannhäuser“-Inszenierung erlebte er nicht mehr. Zu sehr hatte er Raubbau getrieben mit seiner schier unerschöpflichen Arbeitslust, die ihm kaum Zeit zum Schlafen ließ, kompensiert mit einem enormen Zigarettenkonsum. Allen Widerständen der Altwagnerianer zum Trotz hatte der Festspielleiter den exzentrischen Dirigenten Arturo Toscanini und damit erstmals einen Italiener als Orchesterleiter nach Bayreuth geholt und mit Rudolf von Laban einen ebenfalls ob seiner modernen Choreographien umstrittenen Partner für die umfangreiche Venusbergszene der Pariser Fassung engagiert. Ein Vierteljahr zuvor hatte Siegfried Wagner an der Mailänder Scala den „Ring des Nibelungen“ inszeniert und musikalisch geleitet. Dort erfuhr er vom bevorstehenden Tod seiner Mutter Cosima, jener Frau, die schon seit mehr als einem Jahrzehnt geistig abwesend war, aber deren aktive Teilnahme an ihrer Umwelt der Öffentlichkeit vorgegaukelt wurde. Cosima Wagner verstarb am 1. April 1930, im selben Jahr wie ihr Sohn, – und wurde so gedenktagsmäßig an ihn gekettet, wie auch die 1980 verstorbene Gattin des Komponisten, Winifred Wagner.
Sie übernahm nach dem Tode Siegfried Wagners die Festspielleitung, deren Neuorganisation sie hinter dem Rücken ihres Mannes schon lange vorbereitet hatte. Die Ablösung bedeutete eine Einlösung des Gesetzes der Folge, denn auch Cosima war ihren Gatten Richard Wagner als Festspielleiterin nachgefolgt.
Vom Architekten zum Komponisten, Dirigenten, Regisseur und Festspielleiter
Der am 6. Juni 1869 geborene Enkel Franz Liszts und einzige Sohn Richard Wagners studierte zunächst Musik und dann Architektur. Auf einer Ostasienreise mit seinem Freund Clement Harris entschloss er sich jedoch, den künstlerischen Wettstreit mit den Vorfahren aufzunehmen. So arbeitete er ab dem Sommer 1892 in diversen Positionen – als Beleuchtungsassistent, Dirigent und Regisseur – bei den Bayreuther Festspielen, deren Leitung er 1907 übernahm. Der insbesondere im Ausland sehr gefeierte, beispielsweise von George Bernard Shaw hochgelobte Dirigent war ob seiner szenischen Neuerungen auch vielen Vorwürfen ausgesetzt, insbesondere als er auch neue Bühnenbilder für „Parsifal“ realisierte, dessen Uraufführungsdekorationen den Wagnerianern als unantastbar galten. Siegfried Wagners eigenwillige Inszenierungen, insbesondere seine polykinetische Chorführung, wurde häufig mit den Leistungen seines Zeitgenossen Max Reinhardt verglichen, dem größten Regisseur des 20. Jahrhunderts.
Nach dem ersten Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise und Inflation bewältigte Siegfried Wagner im Sommer 1924, die Wiedereröffnung der Bayreuther Festspiele nach zehnjähriger Unterbrechung ohne staatliche Subventionen.
Neben seiner Arbeit als international gastierender Dirigent, Regisseur und Vortragsredner schuf Siegfried Wagner ein Oeuvre von achtzehn Bühnenwerken, drei sinfonischen Dichtungen, einer Symphonie und einer Reihe von Liedern.
Als Komponist überrundete er, zumindest in der Anzahl und zeitweise auch an Aufführungszahlen, das väterliche Oeuvre: er dichtete und komponierte 18 Opern, deren größter Teil zu seinen Lebzeiten mit wechselndem Erfolg gespielt wurde.
Der Zeitzeuge einer spannenden Epoche gesellschaftlicher, kultureller und politischer Umwälzungen verarbeitete seine Erfahrungen und Erlebnisse in seinen achtzehn Opern, die gigantischen Tagebüchern gleichkommen.
In diesen Bühnenwerken erweist sich der Künstler als ein pazifistischer Kosmopolit und somit als ein Dissident gegenüber dem von Bayreuth und seiner eigenen Familie ausgerufenen, nationalistischen Kulturkampf. Die Themen seiner Opern klagen die Gewalt gegenüber Fremden und Außenseitern an. Weder inhaltlich noch thematisch entsprachen sie dem, was sich ein Publikum vom Wagner-Sohn erwartete, und so hatte Siegfried zwar nicht mit dem Drachen, aber als schaffender Künstler doch gleich auf zwei Fronten zu kämpfen: gegen die Wagnerianer, die ihren „Meister“ besser zu verstehen glaubten als dessen Sprössling, und gegen die erbitterten Wagnergegner, die in Wagner junior stets nur Wagner den Jüngeren erblickten. So erfüllte sich für Siegfried Wagner eine Prognose seines Vaters, kurz nach seiner Geburt, am 6. Juni 1869 in Tribschen am Vierwaldstättersee, „Er wird schwer an solchem Namen zu tragen haben“.
Siegfried Wagner zeigte eine Vorliebe für Künstlerpersönlichkeiten, die nicht den deutschnationalen Richtlinien Bayreuths, vertreten etwa durch Cosimas selbsterwählten Schwiegersohn Houston Stewart Chamberlain, entsprachen. Und so zeigen seine Bühnenwerke mit ihren jugendstilhaften Titeln geistige Verwandtschaft zu Oscar Wilde, Stefan George, Gerhart Hauptmann und sogar Bertolt Brecht.
Die historisch angesiedelten Handlungen behandeln psychische und manische Phänomene, sie integrieren Themen wie Astrologie, Chiromantie und Hypnose. In der Zeichnung seiner dramatis personae verzichtet er auf jegliche Schwarzweißmalerei, will im Betrachter und Hörer Mitgefühl wecken mit Außenseitern, gewinnt aber selbst den Schuften noch menschlich nachvollziehbare Züge ab.
Die spätromantisch verwurzelten Partituren integrieren impressionistische Einflüsse und Geräuschkunst, Verismo, Aleatorik und sogar Zwölftontechnik. Formal und in ihren Topoi sind sie Meyerbeers Grand Opéra verwandter als dem Musikdrama Richard Wagners.
Nach dem Tod des Komponisten unterband Winifred Wagner zusehends Aufführungen der Werke Siegfried Wagners und vernichtete leider auch zwei nur in Particell vollendete Opern.
Von Siegfried Wagners 18 Opern blieben drei in Partitur unausgeführt. Die letzte Uraufführung der zum Teil erst in den letzten zwanzig Jahren erstmals aufgeführten Werke erfolgte erst im Oktober 2003.
Schlüssel zur Zeitgeschichte
„Es bedarf schon der Geduld, bis man wenigstens eine kleine Anzahl der Vorurteile beseitigt hat, die gegen den Sohn eines großen Mannes feststehen. Ich weiß nicht, wie sich das in anderen Ländern verhält; in Deutschland besteht jedenfalls ein Dogma, dass solche in Sohn mindestens ein halber Esel, wenn nicht gar ein kompletter Idiot sein muss. Kommt nun einer, auf den dieses Dogma nicht ganz passt, entsteht Verwirrung.“
So Siegfried Wagner in den im Vorfeld seiner Amerika-Tournee im Jahre 1923 veröffentlichten „Erinnerungen“. Die soeben erschienene Neuausgabe stellt Herausgeber Bernd Zegowitz in die Reihe der „autobiographischen Zeugnisse der Eltern (Richard und Cosima), der Kinder (Friedelind und Wolfgang), der Enkelkinder (Gottfried und Nike) Siegfrieds“, womit der Herausgeber „die Familiengeschichte der Wagners aus erster Hand lückenlos dokumentiert“ sieht. (Siegfried Wagner: Erinnerungen. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Bernd Zegowitz. Peter Lang, Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt/Main 2005. ISBN 3-631-53848-0, 127 S., € 16,80)
In seinen „Erinnerungen“ finden die Opern Siegfried Wagners kaum Erwähnung, – wohl da sie selbst seine entscheidenden Memoiren darstellen. Der Herausgeber der Neuausgabe der „Erinnerungen“ lässt sich, wie schon so mancher vor ihm, verleiten, damit ihre Bedeutung zu verkennen, sich durch deren seltsame Titel zu Trugschlüssen verleiten zu lassen (sie etwa als „volkstümlich-humoristische Opern“ zu klassifizieren) oder alte Wertungen zu übernehmen, die beinahe sämtlich aus einer Positionierung für oder gegen Richarde Wagner erfolgten.
Nur wenige Geister, wie etwa Arnold Schönberg, verfügten über jenen Weitblick, mit dem Schönberg konstatierte, dass „Siegfried Wagner ein tieferer und originellerer Künstler ist, als viele, die heute sehr berühmt sind“.
Aber die sonst nicht gerade immer einige Familie Wagners glaubte gut daran zu tun, die Werke des Liszt-Enkels und Wagner-Sohnes nach dem Tode des Komponisten im Jahre 1930 teils ganz verschwinden, teils in jener Schublade verwahrt zu lassen, in die der Komponist sie einmal selbst mit den Worten gesteckt hatte:
"Ich lege eine Partitur nach der anderen in das Schubfach. Wenn ich einmal tot bin, wird man sie hervorholen."
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- Arbeit zitieren
- Prof. Dr. Peter P. Pachl (Autor:in), 2005, Siegfried Wagner zum 75. Todestag - eine Bestandsaufnahme, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68927
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