In der Arbeit wird der Frage nachgegangen, was eigentlich ein „Soziolekt“ ist. Denn der Begriff selbst ist noch nicht für den Untersuchungsbereich, der Einfluss sozialer Faktoren auf die Sprache, festgeschrieben und es werden synonym auch andere Begriffe verwendet. Ferner wird näher in den Untersuchungsbereich hineingegangen und die spezifischen sozialen Faktoren benannt sowie dargestellt. Des Weiteren wird auch geklärt, welche Einflüsse diese Faktoren nun auf die Sprache ausüben.
Die Soziolinguistik möchte ja den Zusammenhang von Sprache in Bezug auf die gesellschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen erforschen und dabei klären, ob Zusammenhänge vorliegen und wenn ja, ob bei defizitärer Sprachausstattung eine Förderung möglich sei. Dieser Arbeitsbereich erlebte insbesondere in den 60er und 70er Jahren eine Blüte (siehe auch Ammon; Simon, 1975: 9-29). Dies ist wenig verwunderlich, wenn man die (Bildungs-) politische Situation jener Zeit mit betrachtet, denn diese war von einer linken und aufgeklärten Strömung geprägt. Als Folge versuchte man eben auch den ‚unteren Schichten’ eine entsprechende Förderung anzugedeihen.
Um das schwindende Interesse an der Soziolinguistik zu erklären lohnt es sich das Vorwort zur Zweiten Auflage des Buches „Soziolekt und soziale Rolle“ von Wolfgang Steinig heranzuziehen. Dieses lieferte einen Erklärungsansatz, warum das Interesse an der Soziolinguistik so rückläufig sei. Denn die Auseinandersetzung mit dem kreativen und innovativen Potential der Bernsteinschen Gedanken habe die einseitiger werdende Soziologie, seiner Meinung nach, nicht akzeptieren wollen. Dies wiederum habe dazu geführt, dass sich kaum noch Erzieher, Bildungspolitiker und auch Laien dafür interessieren würden. Sicherlich hat Steinig damit recht, dass es durch einen ‚Richtungsstreit’ innerhalb dieser Disziplin zu einer abflachenden Rezeption kam. Doch muss man auch den gesellschaftlichen Wandel, der auch zu einem Wandel in der Bildungspolitik führte, in Betracht ziehen. Konservative und zum Teil auch reaktionäre Strömungen traten wieder verstärkt auf. Eine Konsequenz hiervon war, dass die (durchaus kritisch zu betrachtenden) Förderprogramme zum kompensatorischen Sprachunterricht abgeschafft und Gesamtschulen aufgelöst wurden. Der ‚Elitegedanke’ rückte wiederum in den Vordergrund, an einer Förderung nach dem Prinzip – die besten Chancen für alle – war man nicht mehr interessiert.
Inhaltsverzeichnis
1. Einführende Bemerkungen zum Thema der Arbeit
2. Die Anfänge der Soziolinguistik – ein historischer Abriss
2.1 Die Prägung der Sprachwissenschaft durch de Saussures und Chomsky
2.2 Die Kode-Theorie von Basil Bernstein
2.3 Die Differenzkonzeption William Labovs
2.4 Die ‚neuere’ Soziolinguistik
3. Begriffliche Schwierigkeiten – Soziolinguistik als Varietätenlinguistik
3.1 Der Begriff Soziolekt
4. Die Bedeutung außersprachlicher Parameter und ihre Auswirkungen auf die Sprache
5. Reflexion und rückblickende Betrachtungen
6. Literatur
1. Einführende Bemerkungen zum Thema der Arbeit
In der vorliegenden Seminararbeit möchte ich mich mit einer Teildisziplin der Sprachwissenschaft, der Soziolinguistik und dabei im Besonderen mit dem „Soziolekt“ beschäftigen.
Hierbei gehe ich der Frage nach, was eigentlich ein „Soziolekt“ ist. Denn der Begriff selbst ist noch nicht für den Untersuchungsbereich, der Einfluss sozialer Faktoren auf die Sprache, festgeschrieben und es werden synonym auch andere Begriffe verwendet. Des Weiteren werde ich in den Untersuchungsbereich hineingehen und die spezifischen sozialen Faktoren benennen sowie darstellen, ferner auch klären welche Einflüsse diese nun auf die Sprache ausüben.
Auf dieses Thema wurde ich im Zuge des Seminars „Sprachliche Varietäten“ aufmerksam. Die Soziolinguistik möchte ja den Zusammenhang von Sprache in Bezug auf die gesellschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen erforschen und dabei klären, ob Zusammenhänge vorliegen und wenn ja, ob bei defizitärer Sprachausstattung eine Förderung möglich sei. Dieser Arbeitsbereich erlebte insbesondere in den 60er und 70er Jahren eine Blüte (siehe auch Ammon; Simon, 1975: 9-29). Dies ist wenig verwunderlich, wenn man die (Bildungs-) politische Situation jener Zeit mit betrachtet, denn diese war von einer linken und aufgeklärten Strömung geprägt. Als Folge versuchte man eben auch den ‚unteren Schichten’ eine entsprechende Förderung anzugedeihen. Da ich mich, auch als Student des Faches Geschichte, sehr für sozialistische Theorie interessiere zieht sich hier ein zweiter Faden der das Interesse, nun unter dem Aspekt der Sprache, begründet.
Während meines bisherigen Studiums bin ich bisher wenig über dieses Thema gestolpert. Wenn man nun das Vorwort zur Zweiten Auflage des Buches „Soziolekt und soziale Rolle“ von Wolfgang Steinig[1] heranzieht erklärt dieses, warum das Interesse an der Soziolinguistik so rückläufig sei. Denn die Auseinandersetzung mit dem kreativen und innovativen Potential der Bernsteinschen Gedanken habe die einseitiger werdende Soziologie, seiner Meinung nach, nicht akzeptieren wollen. Dies wiederum habe dazu geführt, dass sich kaum noch Erzieher, Bildungspolitiker und auch Laien dafür interessieren würden. Sicherlich hat Steinig damit recht, dass es durch einen ‚Richtungsstreit’ innerhalb dieser Disziplin zu einer abflachenden Rezeption kam. Doch muss man auch den gesellschaftlichen Wandel, der auch zu einem Wandel in der Bildungspolitik führte, in Betracht ziehen. Konservative und zum Teil auch reaktionäre Strömungen traten wieder verstärkt auf. Eine Konsequenz hiervon war, dass die (durchaus kritisch zu betrachtenden) Förderprogramme zum kompensatorischen Sprachunterricht abgeschafft und Gesamtschulen aufgelöst wurden. Der ‚Elitegedanke’ rückte wiederum in den Vordergrund, an einer Förderung nach dem Prinzip – die besten Chancen für alle – war man nicht mehr interessiert.
In meiner folgenden Arbeit werde ich mich hauptsächlich an die Ausführungen von M. Hartig, N. Dittmar, W. Steinig und B. Schlieben-Lange halten. Auch das „Studienbuch Linguistik“ von A. Linke, M. Nussbaumer und P.R. Portmann haben mir dabei geholfen ein gutes Fundament für die weitere Auseinandersetzung mit dem Thema zu legen.
Die Seminararbeit möchte ich mit einem historischen Abriss beginnen lassen, der nach den Anfängen der Soziolinguistik fragt. Hiernach werde ich mehrere Persönlichkeiten und deren Theorien vorstellen und kurz erläutern. Im weiteren Verlauf möchte ich die begrifflichen Schwierigkeiten darstellen und auf weitere Nachbarbegriffe eingehen. Hierdurch kann ich nun auf die sozialen Faktoren eingehen, beziehungsweise den Einfluss außersprachlicher Parameter wiedergeben, die auf die Sprache einwirken. Zuletzt möchte ich mich um eine kurze Reflexion bemühen.
2. Die Anfänge der Soziolinguistik – ein historischer Abriss
Wenn man sich heute das Vorlesungsverzeichnis der Pädagogischen Hochschule betrachtet, kann man durchaus feststellen, dass die Behandlung linguistischer Konzeptionen und Theorien bei weitem nicht mehr so im Vordergrund stehen, wie dies vielleicht noch vor ca. 20 oder 25 Jahren der Fall war. Interessant ist es deshalb auch zu erfahren, dass zu jener Zeit die Soziolinguistik und deren Hypothesen zum „Allgemeingut“ der Studentenbewegung, der pädagogischen Hochschulen und der Studienseminare gehörte.[2] Es könnte natürlich auch möglich sein, dass das Institut durchaus ein Interesse daran hat, eine umfängliche Bildung in den linguistischen Theorien zu ermöglichen, doch wegen Geld- bzw. Personalmangels nicht umsetzen kann. Doch ist es auch Tatsache, dass nach dem Theorie-Boom in den 60er und 70er Jahren eine gewisse Ernüchterung einsetzte. So sei die Soziolinguistik von den gesellschaftspolitischen und emanzipatorischen Absichten abgerückt[3], was das Interesse zusätzlich abflachen ließ.
Beginnen möchte ich mit einigen soziolinguistischen Problemstellungen. Vorerst könne man die Grundannahme stellen, dass eine Gesellschaftsstruktur auf irgend eine Art und Weise mit einer Sprachstruktur verbunden sei. Jedoch könne man an diese Annahme von zwei Seiten herangehen. Zum einen können Sprachen nur innerhalb bestimmter Gesellschaften, Schichten oder Nationen existieren und darin fortbestehen.[4] Zum anderen bedingen Sprachen erst Minderheitengruppen oder sogar Nationen. Sprache bedingen jedoch nicht allein gesellschaftliche Gruppen, sondern auch die „Erfassung der Wirklichkeit“, die ja auch sprachlich vollzogen werde. Die Unterscheidung konkreter Gegenstände sei durch die Sprache selbst oft vorgegeben und daher auseinander zuhalten (z.B. die Kategorie für „grün“ und „braun“). Den konkreten Gegenständen stünden Abstrakta gegenüber wie zum Beispiel „Sprache“ oder „Gesellschaft“. Inwiefern nun die gesellschaftliche Erfassung der Wirklichkeit durch sprachliche Strukturen vorgegeben ist, wurde oft diskutiert. Zuerst war es Humboldt, der in seiner Hypothese die sprachlich vermittelte „Weltansicht“ formulierte. In der so genannten „Sapir-Whorf-Hypothese“ wurde die Bestimmtheit dieser Wirklichkeitserfassung verabsolutiert.[5] Danach spiele die Sprache eine weitaus größere Rolle als ursprünglich angenommen. Eben aus dem Problem von „sprachlichem Relativismus“ und „sprachlichem Determinismus“ entwickelten sich erste Ansätze zu einer systematischen Soziolinguistik.[6] In den USA ist Sapir dabei einer sprachwissenschaftlichen Richtung zuzurechnen, die ethnologisch orientiert war, aber auch soziologische Fragen tangierte.[7]
In der Soziologie unterscheidet man zwischen zwei Betrachtungsweisen, zum Einen der „Mensch in der Gesellschaft“ und zum Anderen „der Mensch als Subjekt“. In der Soziolinguistik müsste nun darauf geachtet werden, dass man nicht von einer „Sprachverwendungstheorie“ ausginge, sondern den Mittelpunkt auf die „Interaktion und Kommunikation von Menschen [...] [setzt] und die Funktionen, die Sprache in diesem Zusammenhang hat“, betrachtet. „Einen Ausgangspunkt zu einer solchen Kommunikationstheorie könnte man etwa in Bühlers Organon-Modell sehen. [...] Wenn die Sprache selbst (technisch: der Code) zum Gegenstand der Kommunikation wird, steht die metasprachliche Funktion der Sprache im Vordergrund. [...] Die Soziolinguistik müßte also von dieser Basisstruktur von Kommunikation ausgehen und die im Vordergrund stehenden Sprachfunktionen [...] im Auge behalten.“[8] Aus dieser Theorie entwickelte sich eine weitere Richtung innerhalb der amerikanischen Soziolinguistik, die unter dem Begriff „Ethnography of Communication“ (Hymes) bekannt werden sollte.[9] Ich möchte es aber bei der bloßen Benennung dieser Richtung belassen und werde im weiteren Verlauf auf einen anderen Vertreter der amerikanischen Soziolinguistik noch zu sprechen kommen – William Labov.
2.1 Die Prägung der Sprachwissenschaft durch de Saussures und Chomsky
Die Sprachwissenschaft wurde lange von den Theorien de Saussures und Chomskys bestimmt. Diese sahen Sprache unabhängig von der außersprachlichen Wirklichkeit als losgetrenntes System. So stellen auch A. Linke, M. Nussbaumer und P.R. Portmann fest, dass sich das Interesse „auf die Sprache selbst richtete“.[10] Jedoch gilt der „Cour de Linguistique Générale“ des Genfer Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure als Beginn der modernen Sprachwissenschaft. Seine Leistung lag jedoch gerade darin, dass er die Sprache als System untersuchte.[11] Um überhaupt Sprache als System untersuchen zu können, nahm er an, dass Sprache als eine eigene Gattung existierte.[12] Hieraus folgte, dass de Saussure Sprache als isolierbares und in sich strukturiertes Objekt untersuchte. Dabei bezog er sich auf den Begriff „fait social“ (soziale Handlung) von Durkheim. Die Auffassung stellte das Soziale außerhalb des Einzelnen und galt als unabhängige Größe. Die Sprache sei somit gesellschaftliche Institution und von anderen zu isolieren.[13] Um diese Autonomie zu erreichen, nahm er zwei „Idealisierungen“ vor. Um Sprache als System untersuchen zu können, müsse sie „homogen“ sein und von allen Sprechern gesprochen und verstanden werden.[14] Die zweite Idealisierung bezog sich auf die Elemente des Systems Sprache. So unterschied er zwischen zwei Elementen, die in Opposition zueinander stünden. Ein Verhältnis, das so erklärt ist, wurde später Struktur (à Strukturalismus) genannt. Ich möchte nun einen kurzen Absatz zitieren, wie nun de Saussure die Sprache einteilte:
Das sprachliche Zeichen erfüllt seine Funktion dadurch, daß es aufgrund einer stillschweigenden Übereinkunft zwischen den Mitgliedern einer Sprachge-meinschaft eine Beziehung zwischen einer Bezeichnung (Lautgestalt) und etwas Bezeichnetem herstellt. Dies gilt ebenso für das System aller dieser sprachlichen Zeichen, die Sprache (langue). Sie ist eine Institution, die aufgrund der Konvention einer Sprachgemeinschaft existiert.
Während die Sprache für de Saussures sozial bestimmt ist, ist das Sprechen [oder Rede Anmerkung H.S.] (parole) ein individueller Akt des einzelnen Sprechers, in dem er die Sprache anwendet, und ist somit nur die jeweilige Realisierung der langue; es fällt also keineswegs mit ihr zusammen.[15]
Da die langue als feststehend begriffen werden muss, käme eine Änderung einer Störung der Funktion gleich. Da jedoch gesprochen wird beziehungsweise eine „Rede“ vorliegt, kann diese in einem funktionierenden System nur als „Aktualisierung“ der Sprache aufgefasst werden, die keine neuen Konventionen oder Sprachelemente schafft. Die Homogenitäts- sowie die Statikannahme gingen in die schon oben erwähnte strukturalistische Sprachwissenschaft ein.[16]
Wie Saussure versuchte auch Chomsky einen Weg zu finden, um die vielschichtigen und fest mit dem außersprachlichen Zusammenhang verbundenen und gelegentlich unsystematischen Erscheinungen des Sprechens nun systematisch zu beschreiben. Der Amerikaner Noam Chomsky entwickelte 1965, die in seinem Aufsatz „Aspects of the Theory of Syntax“ nieder geschriebene, Theorie der „generativen Grammatik“. Darin stellte er dem aktuellen Sprachverhalten, der Performanz, eines Sprechers seine Sprachbeherrschung, die Kompetenz, gegenüber.[17] Dabei verstand „Chomsky [...] die Sprachkompetenz als Fähigkeit eines Sprechers einer Sprache, die grammatisch wohlgeformten Sätze dieser Sprache bilden und verstehen zu können.“[18] In de Saussures langue-Begriff wurde noch eine heimliche Übereinkunft der Sprecher einer Sprachgemeinschaft bezüglich ihres Verständigungsmittels unterstellt. Nun jedoch ging Chomsky in diesem Punkt einen anderen Weg, indem er gerade durch den Kompetenz-Begriff die individuelle Kenntnis der Sprecher über die Verständigungsmittel betonte. Dabei ging er von einem weiterentwickelten Sprachsystem aus das er, wie schon de Saussure, noch homogener definierte.[19] Daraus ließe sich ableiten, dass die Performanz, also die aktuelle Sprachverwendung, bei der Erfassung der Kompetenz störe. An diesem „Homogenitätspostulat“ stießen sich jedoch mehrere Sprachwissenschaftler, darunter auch Dell Hymes.[20]
[...]
[1] Vgl. Steinig, 19862: 4
[2] Vgl. Schlieben-Lange, 19913: 57
[3] Vgl. Huneke; Steinig, 2002: 17ff.
[4] Vgl. Schlieben-Lange, 19913: 17
[5] Vgl. ebd.: 18
[6] Vgl. Hartig, 1985: 36
[7] Vgl. Schlieben-Lange, 19913: 30
[8] Schlieben-Lange, 19913: 20f.
[9] Vgl. Halwachs, http://www-gewi.uni-graz.at/ling/sozio/sozio.html: 4 Abruf: 23.08.06
[10] Linke; Nussbaumer; Portmann, 20014: 170
[11] Vgl. Schlieben-Lange, 19913: 28
[12] Vgl. Hartig, 1985: 36
[13] Vgl. Schlieben-Lange, 19913: 28f.
[14] Vgl. Schlieben-Lange, 19913: 29
[15] Haberland; Hager; Paris, 19753: 100
[16] Vgl. Schlieben-Lange, 19913: 29
[17] Vgl. Haberland; Hager; Paris, 19753: 101f.
[18] Hartig, 1980: 81
[19] Vgl. Haberland; Hager; Paris, 19753: 101
[20] Vgl. Hartig, 1980: 83f.
- Arbeit zitieren
- Holger Schröder (Autor:in), 2006, Was ist eigentlich ein Soziolekt? Der Einfluss sozialer Faktoren auf die Sprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68925
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