Dieses Buch beschäftigt sich mit Filesharing im Internet, speziell mit dem Austausch von Musikdateien. In sogenannten Tauschbörsen schließen sich Internetnutzer mit Gleichgesinnten zu Netzwerken zusammen, um Filesharing zu betreiben, d.h. digitale Inhalte, vornehmlich Musik und Filme, über das World Wide Web zu tauschen bzw. voneinander zu kopieren. Die Teilnehmer der Netzwerke stellen dafür jeweils Dateien zur Verfügung, die sie auf ihren Computern gespeichert haben. Wer eine bestimmte Datei sucht, kann über die Tauschbörse herausfinden, wer diese hat und dann eine Verbindung mit dem Anbieter aufbauen, um sich die Datei auf den eigenen Computer zu kopieren. Diese Art der Datenübertragung bezeichnet man als Peer-to-Peer (P2P), denn sie findet direkt zwischen den beiden Teilnehmern statt, also von Nutzer zu Nutzer.
Noch bis vor ein paar Jahren konnten die Musik-Tauscher ihr Treiben weitgehend unbehelligt ausleben. Inzwischen gehen aber die Musikindustrie und in deren Auftrag Staatsanwälte und Richter vermehrt gegen die Betreiber von Tauschbörsen und auch gegen deren Nutzer vor, weil die meisten der Inhalte dieser Tauschnetzwerke urheberrechtlich geschützt sind und als Raubkopien in Umlauf geraten.
Über Filesharing und digitale Musikpiraterie wird momentan heftig debattiert, aber über die Piraten selbst ist wenig bekannt. Welche Motive bewegen sie zur Nutzung von Tauschbörsen, außer der offensichtlichen Kostenersparnis? Warum sind so viele bereit, ihre Musik im Internet für andere anzubieten, obwohl sie keinen ökonomischen Nutzen daraus ziehen können? Wie reagieren sie auf die zunehmende Gefahr, rechtlich belangt zu werden? Welche Rolle spielen ethische Überlegungen?
Die vorliegende Studie will versuchen, einen Beitrag zur Schließung dieser Wissenslücke zu leisten und Einblicke in die Motive, Einstellungen und das konkrete Download- und Angebotsverhalten der Nutzer von Tauschbörsen 2006 in Deutschland zu geben. Außerdem wird eine Typologisierung vorgenommen, um herauszufinden, ob es einzelne Gruppen von Nutzern gibt, die sich im Hinblick auf diese Faktoren voneinander unterscheiden. Zur Datenerhebung wurde eine explorative Internetbefragung durchgeführt. Diese konzentrierte sich auf das Herunterladen von Musikdateien, denn diese machen einen sehr großen Teil der Inhalte von Tauschbörsen aus und haben in Hinsicht auf die ökonomischen Auswirkungen die größte Relevanz.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
2. Darstellung des Untersuchungsgegenstands
2.1 Technische Voraussetzungen für Tauschbörsen
2.1.1 Datenkomprimierung mit MP3
2.1.2 Verbreitung schneller Internetzugänge
2.2 Technische Grundlagen von Filesharing
2.2.1 Peer to Peer-Kommunikation
2.2.2 Allgemeine Funktionsweise von Tauschbörsen
2.2.3 Zentralisierte Netzwerke
2.2.4 Dezentralisierte Netzwerke
2.2.5 Hybrid-Netzwerke
2.2.6 Andere Filesharing-Netzwerke
2.3 Rechtslage
2.3.1 Urheberrechtlicher Schutz von Musikwerken
2.3.2 Novellierung des Urheberrechts
2.3.3 Anbieten von Musikdateien
2.3.4 Herunterladen von Musikdateien
2.3.5 Betreiben einer Tauschbörse
2.4 Reaktionen der Musikindustrie auf Filesharing
2.4.1 Gerichtliche Klagen
2.4.2 Technische Maßnahmen
2.4.3 Angebot legaler Alternativen
2.5 Zur Aktuellen Situation
3. Forschungsstand – Literaturüberblick über Studien zu Filesharing
3.1 Ethisches Verhaltensmodell für Filesharing
3.2 Sozialpsychologisches Modell zum Downloadverhalten
3.3 Auswirkungen von Strafandrohungen
3.4 Kooperationsverhalten
3.4.1 Empirische Studien zum Angebots- und Freeriding-Verhalten
3.4.2 Ökonomisches Kausalmodell zur Angebotsmotivation
3.4.3 Theoretische Erklärung für Kooperation in Tauschbörsen
3.5 Onlinebefragung deutscher Tauschbörsennutzer
3.6 Untersuchungen zu ökonomischen Auswirkungen
3.6.1 Theoretische Überlegungen aus der Ökonomie
3.6.2 Auswirkungen auf CD-Verkäufe – Empirische Untersuchungen
4. Theoretischer Hintergrund
4.1. Die Rational Choice-Theorie und die Spieltheorie
4.1.1 Annahmen der Rational Choice-Theorie
4.1.2 Grundlagen der Spieltheorie
4.1.3 Soziale Dilemmata und die Kollektivgutproblematik
4.1.4 Mögliche Lösungen von sozialen Dilemmata
4.1.5 Internettauschbörsen als Kollektivgüter
4.2 Die Theorie des Geplanten Verhaltens
4.2.1 Grundlagen der Theorie
4.2.2 Modell zur Theorie
4.2.3 Internettauschbörsen und die Theorie des geplanten Verhaltens
4.3 Der Uses and Gratifications-Ansatz
4.3.1 Ziele und Elemente des Ansatzes
4.3.2 GS/GO- und Erwartungs-Bewertungs-Modell
4.3.3 Ein integratives U&G-Modell
4.3.4 Bedürfnis- und Gratifikationstypologien
4.3.5 Anwendung des U&G-Ansatzes auf die Internetnutzung
4.3.6 Relevanz des U&G-Ansatzes für Internettauschbörsen
5. Forschungsfragen und Hypothesen
6. Empirische Untersuchung
6.1 Die Methode der Online-Befragung
6.1.1 Auswirkungen auf die Datenqualität
6.1.2 Auswirkungen auf die Repräsentativität
6.2 Messinstrument
6.3 Durchführung der Befragung
6.4 Beschreibung der Stichprobe
6.4.1 Datenbereinigung und gültige Fälle
6.4.2 Soziodemographische Merkmale der Befragten
6.4.3 Internetzugang der Befragten
7. Ergebnisse
7.1 Deskriptive Statistik des Downloadverhaltens
7.2 Operationalisierung der Persönlichkeits- und Einstellungskonstrukte
7.3 Umkodierung für Gruppenvergleiche
7.4 Test der Forschungsfragen und Hypothesen
7.4.1 Nutzungsmotive
7.4.2 Einflüsse auf das Downloadverhalten
7.4.3 Kooperation/Angebot
7.4.4 Einflüsse auf das Kooperationsverhalten
7.4.5 Veränderung des Konsumverhaltens
7.4.6 Typologie der Nutzer
8. Diskussion
8.1 Zusammenfassung der Ergebnisse
8.2 Kritik der vorliegenden Studie
8.3 Bedeutung für die Forschung
8.4 Zukunftsausblick
8.4.1 Schlussfolgerungen in der Perspektive der Tauschbörsen
8.4.2 Schlussfolgerungen in der Perspektive der Musikindustrie
8.4.3 Ein möglicher Kompromiss: Die Kultur-Flatrate
Verzeichnis der Literatur- und Internetquellen
Anhang A: Glossar
Anhang B: Verbindungsüberblick
Anhang C: Screenshots von eMule
Anhang D: Das Gefangenendilemma
Anhang E: Internetseiten, auf denen der Fragebogen verlinkt wurde
Anhang F: Fragebogen
Anhang G: Tabellen
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Zentrales Filesharing-Netzwerk
Abbildung 2: Dezentrales Filesharing-Netzwerk
Abbildung 3: Filesharing-Netzwerk mit Hybrid-Struktur
Abbildung 4: Pfadmodell zur Erklärung des Angebotsverhaltens
Abbildung 5: The theories of reasoned action and planned behavior
Abbildung 6: Integratives Modell der Massenmediennutzung
Abbildung 7: Strukturmodell für Filesharing in Musiktauschbörsen
Abbildung 8: Banner zur Befragung
Abbildung 9: Verteilung der Internetanschlüsse in der Stichprobe
Abbildung 10: Genutzte Filesharing-Netzwerke
Abbildung 11: Zeitliche Erfahrung mit Tauschbörsen
Abbildung 12: Heruntergeladene Songs pro Woche
Abbildung 13: Zustimmung zu den potentiellen Nutzungsgründen
Abbildung 14: Bewertung der potentiellen Angebotsgründe (n=205)
Abbildung 15: Bewertung der potentiellen Freeriding-Gründe (n=434)
Abbildung 16: Nutzungshäufigkeit von Musikmedien seit der Tauschbörsennutzung
Abbildung 17: Größen der Cluster der Nutzertypen
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Signifikante Unterschiede in der Bewertung der potentiellen Nutzungsgründe zwischen den Altersgruppen
Tabelle 2: Signifikante Unterschiede in der Bewertung der potentiellen Nutzungsgründe zwischen den Nutzergruppen (Downloadintensität)
Tabelle 3: Signifikante Unterschiede in der Bewertung der potentiellen Nutzungsgründe zwischen den Nutzergruppen (gespeicherte MP3s)
Tabelle 4: Bewertung der Relevanz der Nutzungsgründe
Tabelle 5: Zusammenhänge zwischen Soziodemographie, Internetzugang und Downloadverhalten
Tabelle 6: Zusammenhänge zwischen Kompetenz, Erfahrung und Downloadverhalten
Tabelle 7: Zusammenhänge zwischen Persönlichkeit, Ethik, Sanktionsangst, sozialem Umfeld und Downloadverhalten
Tabelle 8: Zusammenhang zwischen ausgewählten Einflussvariablen und der Downloadintensität – hierarchische multiple lineare Regression
Tabelle 9: Gruppenvergleich zwischen Anbietern und Freeridern für die Variablen der persönlichen Bedingungen.
Tabelle 10: Gruppenvergleich zwischen Anbietern und Freeridern für die Variablen der Erfahrung und des Downloadverhaltens
Tabelle 11: t-Test bei Freeridern und Anbietern für Einstellungsvariablen
Tabelle 12: Beta-Werte für ausgewählten Einflussvariablen und dem Angebotsverhalten – hierarchische binäre logistische lineare Regression
Tabelle 13: Cluster-Profil
1. Einleitung
Anfang Juni diesen Jahres gingen im Rahmen einer Demonstration in Göteborg und Stockholm etwa 500 „Piraten“ auf die Straße.[1] Allerdings handelte es sich dabei nicht um wilde Gestalten mit Augenklappe und Säbel, sondern um digitale Freibeuter. Sie segeln für ihre Raubzüge nicht über die sieben Weltmeeren, sondern surfen zuhause mit dem Computer weltweit durchs Internet. In sogenannten Tauschbörsen schließen sich diese Internetznutzer mit Gleichgesinnten zu ganzen Netzwerken zusammen, um Filesharing zu betreiben, d.h. digitale Inhalte, vornehmlich Musik und Filme, über das World Wide Web zu tauschen bzw. voneinander zu kopieren. Die Teilnehmer der Netzwerke stellen dafür jeweils Dateien zur Verfügung, die sie auf ihren Computern gespeichert haben. Wer eine bestimmte Datei sucht, kann über die Tauschbörse herausfinden, wer diese hat und dann eine Verbindung mit dem Anbieter aufbauen, um sich die Datei auf den eigenen Computer zu kopieren. Diese Art der Datenübertragung bezeichnet man als Peer-to-Peer (P2P), denn sie findet direkt zwischen den beiden Teilnehmern statt, also von Nutzer zu Nutzer. Als Piraterie kann Filesharing betrachtet werden, weil die meisten der Inhalte dieser Tauschnetzwerke urheberrechtlich geschützt sind und als Raubkopien in Umlauf geraten.
Noch bis vor ein paar Jahren konnten die Musik- und Filmpiraten ihr Treiben weitgehend unbehelligt ausleben. Inzwischen gehen aber die Musikindustrie und in deren Auftrag Staatsanwälte und Richter vermehrt gegen die Betreiber von Tauschbörsen und auch gegen deren Nutzer vor. Eines der momentan beliebtesten Netzwerke ist BitTorrent, mit dem vor allem große Dateien wie Filme oder ganze CD-Alben schnell heruntergeladen werden können. Damit die nachfragenden Nutzer herausfinden können, wo sich eine Datei im Netzwerk befindet, gibt es im Internet privat betriebene Indexseiten, die die entsprechenden Informationen und Links bereithalten, sogenannte Trackerseiten. Eine der größten dieser Seiten für das weltweite BitTorrent-Netzwerk wird von Stockholm aus betrieben. Passend zum Selbstverständnis der Betreiber heißt sie „The Pirate Bay“, die Piratenbucht. Bei einer Razzia Ende Mai 2006 wurden die Räume von „The Pirate Bay“ von Polizisten durchsucht, drei Männer wurden vorübergehend festgenommen und 200 Server beschlagnahmt. Die Internetseite musste zeitweilig vom Netz gehen, der Betrieb wurde aber bereits nach einer Woche eingeschränkt wieder aufgenommen. Aus Empörung gegen die Polizeiaktion gingen die bisher anonym von zuhause agierenden Piraten zu Hunderten auf die Straße und schwenkten Totenkopfflaggen. In Schweden sind die Filesharer seit Januar 2006 in einer eigenen Piratenpartei („Piratpartiet“) organisiert, die mehr Mitglieder hat als die Grünen. Die Partei trat im September 2006 bei der schwedischen Reichstagswahl an, verpasste aber mit weniger als einem Prozent der Stimmen den Einzug ins Parlament.[2]
Nicht nur die Bildung spezieller Parteien (die es auch in vielen anderen europäischen Staaten und den USA gibt, in Deutschland wurde am 10. September 2006 die „Piratenpartei“ gegründet[3] ), sondern auch die immer heftigeren Reaktionen der Gegenseite, der Musikindustrie, zeigen, wie aktuell und brisant das Thema der Tauschbörsen ist. Auf der einen Seite stehen die Nutzer der Netzwerke, die kostenlos aus einer riesigen Auswahl von digitalen Inhalten schöpfen will. Auf der anderen Seite befindet sich die Musikindustrie, die die Rechte an den meist urheberrechtlich geschützten Werken besitzt und die mit sinkenden Verkaufszahlen zu kämpfen hat. Sie geht zunehmend mit rechtlichen Klagen gegen Betreiber und Nutzer der Netzwerke gleichermaßen vor, weil sie in ihnen die Ursache für den Absatzrückgang erkannt haben will.
Auch wenn heftig über Filesharing und digitale Musikpiraterie debattiert wird, ist über die Piraten selbst wenig bekannt. Welche Motive bewegen sie zur Nutzung von Tauschbörsen, außer der offensichtlichen Kostenersparnis? Warum sind so viele bereit, ihre Musik im Internet für andere anzubieten, obwohl sie keinen ökonomischen Nutzen daraus ziehen können? Wie reagieren sie auf die zunehmende Gefahr, rechtlich belangt zu werden? Welche Rolle spielen ethische Überlegungen? Einige Studien, die meisten aus dem US-amerikanischen Raum, haben seit Einführung der ersten Tauschbörse Napster im Jahr 1999 versucht, solche Fragen zu beantworten. Die einzigen deutschen Untersuchungen zu diesem Thema wurden 2001[4] und 2003[5] durchgeführt, seitdem hat sich aber im Bereich des Filesharing einiges verändert. Es sind neue Programme hinzugekommen (wie etwa BitTorrent), das rechtliche Vorgehen gegen Nutzer ist verschärft worden, die Musikindustrie kontert inzwischen mit eigenen kommerziellen Downloadangeboten.
Die vorliegende Studie will versuchen, einen Beitrag zur Schließung dieser Wissenslücke zu leisten und Einblicke in die Motive, Einstellungen und das konkrete Download- und Angebotsverhalten der Nutzer von Tauschbörsen 2006 in Deutschland zu geben. Außerdem wird eine Typologisierung vorgenommen, um herauszufinden, ob es einzelne Gruppen von Nutzern gibt, die sich im Hinblick auf diese Faktoren voneinander unterscheiden. Zur Datenerhebung wurde eine explorative Internetbefragung durchgeführt. Diese konzentrierte sich auf das Herunterladen von Musikdateien, denn diese machen einen sehr großen Teil der Inhalte von Tauschbörsen aus und haben in Hinsicht auf die ökonomischen Auswirkungen die größte Relevanz.
Der Aufbau der Arbeit ist wie folgt: Im zweiten Kapitel wird zunächst eine Übersicht über den Untersuchungsgegenstand und die Ausgangssituation gegeben. Darin werden sowohl die technischen Voraussetzungen und allgemeinen Funktionsweisen von Internettauschbörsen als auch die verschiedenen Arten von Netzwerken und die verbreitetsten Programme erläutert. Ferner wird gezeigt, wie Filesharing rechtlich einzuordnen ist und mit welchen Strategien die Musikindustrie darauf reagiert. Das dritte Kapitel fasst die bisherige Forschung zum Thema zusammen und geht dabei auf einschlägige Untersuchungen aus Sozialpsychologie, Recht und Ökonomie ein. Anschließend folgt im vierten Kapitel die Erörterung einiger theoretische Konzepte, die die Grundlage für die empirische Untersuchung bilden. So werden für die Erklärung, warum nicht alle Tauschbörsennutzer als sogenannte „Freerider“ agieren und nur herunterladen, statt selbst auch Dateien anzubieten, die Rational Choice-Theorie und die Spieltheorie herangezogen, die das Verhalten von Menschen in interaktiven Entscheidungssituationen behandeln. Der Zusammenhang zwischen Einstellungen, rechtlichen Einschränkungen und Downloadverhalten wird mithilfe der Theorie des geplanten Verhaltens aus der Sozialpsychologie untersucht. Für die Analyse der Gründe für die Nutzung der Tauschbörsen schließlich bietet sich der Uses & Gratifications-Ansatz aus der Kommunikationswissenschaft an. Die sich ausgehend von der Literatur und von den theoretischen Überlegungen ergebenden Forschungsfragen und Hypothesen werden im fünften Kapitel dargelegt. Das sechste Kapitel stellt die Methode der Untersuchung vor, gibt einen Einblick in die Besonderheiten von Online-Befragungen, erläutert das Messinstrument und die Vorgehensweise der Studie. Im siebten Kapitel werden dann die Forschungsergebnisse anhand der einzelnen Forschungsfragen dargestellt und interpretiert. Das achte und letzte Kapitel enthält eine Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse und einen Ausblick auf die Zukunft der Tauschbörsen.
Zum besseren Verständnis sind in Anhang A in einem Glossar die wichtigsten im Text verwendeten technischen Begriffe erklärt. Im Folgenden verzichtet die Arbeit der Lesbarkeit halber auf weibliche Wortformen. Ist beispielsweise von Nutzern die Rede, sind damit immer männliche und weibliche Nutzer gemeint.
2. Darstellung des Untersuchungsgegenstands
Um die kommunikationswissenschaftlich relevanten Aspekte von Tauschbörsen verstehen zu können, ist es zunächst notwendig, einen relativ ausführlichen Einblick in deren Technik und Funktionsweise zu geben. Im Folgenden werden deshalb zunächst die technischen Voraussetzungen für Filesharing erläutert, bevor die Funktionsweise und die verschiedenen Architekturen der Netzwerke beschrieben werden. Danach folgt eine rechtliche Einordnung des Themas und eine Zusammenfassung der Reaktionen der Musikindustrie auf die Herausforderung durch Filesharing.
2.1 Technische Voraussetzungen für Tauschbörsen
Für die Entstehung und den Erfolg von Tauschbörsen lieferten zwei grundlegende technische Neuerungen entscheidende Voraussetzungen: Die Datenkomprimierung nach dem MP3-Verfahren und die Entwicklung und Verbreitung sogenannter Breitband-Internetanschlüsse.
2.1.1 Datenkomprimierung mit MP3
Die Voraussetzung dafür, dass Musik als digitaler Inhalt überhaupt effektiv übers Internet verbreitet werden kann, war die Entwicklung des Komprimierungsverfahrens „MP3“. 1987 entwickelte das Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen diese Methode zur Reduzierung der Datenmenge einer Musikdatei und etablierte es 1992 als Standard.[6] MP3 steht als Abkürzung für „MPEG 1 - Audio Layer 3“[7] und ist ein Algorithmus, der digitale Audiodaten umcodiert und dabei auf einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Größe komprimiert. Das Verfahren beeinträchtigt die Klangqualität allerdings kaum, da sie sich das begrenzte menschliche Hörvermögen zunutze macht. Menschen können ohnehin nur etwa ein Zehntel der Töne hören, die auf einer CD aufgezeichnet sind. Die Informationen, die Menschen nicht wahrnehmen und die daher für den Höreindruck der Musik nicht relevant sind, etwa bestimmte Frequenzen oder von lauten Klängen übertönte Anteile der Musik, werden aus dem Audiosignal herausgefiltert, wodurch die Datenmenge erheblich verringert werden kann. Die Komprimierungsrate liegt bei 10:1 bis 20:1, je nachdem wie hoch die Qualität des Musikstückes noch sein soll.[8]
Ein durchschnittlicher Popsong hat daher drei bis vier Megabyte (MB) gegenüber den 30 bis 40 MB, die eine Audio-CD enthält. Das Herunterladen einer Datei dieser Größe dauert mit Analogmodem (56 Kbit/s) etwa zehn Minuten. Bei DSL-Anschluss (512 Kbit/s) verringert sich diese Zeit auf etwa eine Minute, mit einer schnellen DSL-Verbindung (2000 Kbit/s) oder Kabel auf weniger als 20 Sekunden.[9] Auf eine CD-Rom mit 650 MB und 74 Minuten Spielzeit bei unkomprimierter Musik können etwa zehn komprimierte Musikalben gebrannt werden.[10]
Um eine MP3 aus einem CD-Titel herzustellen, müssen die Audiodaten zunächst vom Tonträger ausgelesen und auf die Festplatte des Computers kopiert werden. Dazu gibt es zahlreiche Programme, sogenannte Ripper oder Grabber, die die CD-Daten in WAV-Dateien umwandeln. In einem zweiten Schritt werden diese dann mithilfe des MP3-Algorithmus[11] in das MP3-Format komprimiert. Dabei kann man, je nach gewünschter Klangqualität, zwischen verschiedenen Komprimierungsraten wählen. Gängig und auch in Tauschbörsen häufig verwendet ist eine Datenrate von 128 Kbit/s, die einen akzeptablen Kompromiss zwischen Datenreduktion und Klangqualität darstellt. MP3s können direkt auf dem Computer mit übers Internet kostenfrei verfügbaren Abspielprogrammen (beispielsweise WinAmp oder Windows Media Player) wiedergegeben werden. Aber sie sind auch mobil nutzbar, wenn man sie auf CDs brennt oder auf MP3-Player wie den iPod überspielt.[12]
2.1.2 Verbreitung schneller Internetzugänge
Da MP3s mit DSL- und Kabel-Verbindungen erheblich schneller als mit Analogmodem oder ISDN übertragen werden können, erwies sich das zunehmende Angebot dieser schnellen Internetzugänge (sogenannter Breitbandanschlüsse) in Deutschland als eine weitere Voraussetzung für die zunehmende Beliebtheit von Tauschbörsen.[13] 2006 liegt der Anteil der Breitbandanschlüsse bei 46 Prozent; ein knappes Viertel der Internetnutzer hat ISDN und ein Fünftel surft noch mit Analogmodem.[14] 2005 verfügte die Hälfte aller Internetnutzer außerdem über eine zeitunabhängige Abrechnungsart, bei der das Internet für einen pauschalen Monatsbetrag zeitlich unbegrenzt genutzt werden kann, also eine sogenannte Flatrate.[15] Inzwischen dürfte auch dieser Anteil noch höher liegen. Neben DSL sind auch verstärkt andere Zugangstechniken mit ähnlichen Übertragungsgeschwindigkeiten verfügbar, etwa über Kabel, Satellit oder das Stromnetz. Standleitungen, also permanente Internetverbindungen, finden sich meist im gewerblichen und universitären Bereich.[16]
2.2 Technische Grundlagen von Filesharing
Bevor genauer auf die Funktionsweise von Tauschbörsen eingegangen wird, muss der Begriff „Peer-to-Peer“ geklärt werden, denn auf diesem Prinzip beruht der Daten- und teilweise auch der Informationsaustausch in den Netzwerken.
2.2.1 Peer to Peer-Kommunikation
Peer-to-Peer (P2P), also von Nutzer zu Nutzer, entspricht eigentlich dem Grundgedanken des Internets, das Millionen Computer auf der ganzen Welt miteinander verbindet. Der Vorläufer des Internet, das 1969 errichtete Arpanet, war von Militär und Wissenschaft geschaffen worden, damit unterschiedliche Netzwerke miteinander kommunizieren und gemeinsam Ressourcen bereitstellen und nutzen konnten. Computer waren damals noch selten, groß und sehr teuer, so dass sie nicht von Privatpersonen, sondern nur in großen Firmen oder staatlichen Institutionen eingesetzt wurden. Die ersten Rechner, beispielsweise der Universitäten von Kalifornien und Utah, verband man dabei als gleichwertige Bestandteile des Netzwerks In den späten 70er und frühen 80er Jahren wurden Personal Computer (PCs) entwickelt, so dass nunmehr auch jedes private Individuum einen Computer zuhause haben konnte. Diese waren zunächst noch isoliert und unvernetzt. Doch schnell verbreiteten sich Netzwerke zur Koppelung dieser PCs, das Internet entstand. Seit 1994 wuchs die Internetgemeinschaft rapide an, das Netzwerk entwickelte sich in kürzester Zeit zu einem Massenmedium.
Die Entwicklung und Verbreitung des World Wide Web (WWW) und des Web-Browsers, um darin zu navigieren, veränderte auch das Prinzip der Informationsverbreitung. Denn die Web-Browser funktionierten nach dem Client-Server-Modell, d.h. es gibt einen zentralen Server, mit dem sich die einzelnen PCs (Clients) verbinden können und der die Kommunikation mit anderen Clients vermittelt. Durch die Kommerzialisierung des Internets wurde der ursprüngliche P2P-Gedanke der Vernetzung umgekehrt.[17] Heute beruhen die Strukturen größtenteils auf dem Client-Server-Modell. Das Internet bzw. das WWW sind sehr zentralistisch aufgebaut und werden von großen Anbietern wie Suchmaschinen und Portalen dominiert. Der Nachteil dieser Struktur ist, dass die Manipulation des zentralen Servers Auswirkungen auf große Teile des Netzwerkes hat. Server sind sehr viel leichter zu überwachen als ein P2P-Netzwerk. Da die gesamte Kommunikation über den Server läuft, ist es einfach, dort ein Überwachungsprogramm zu installieren, das die Kommunikation kontrolliert. Wird der Server ausgeschaltet, kommt die gesamte Kommunikation zum Erliegen.[18]
2.2.2 Allgemeine Funktionsweise von Tauschbörsen
Tauschbörsen funktionieren nun entgegen der sonstigen WWW-Struktur nach dem P2P-Prinzip, denn die verfügbaren Inhalte werden nicht auf einem zentralen Server angeboten, sondern liegen dezentral unmittelbar auf den Festplatten der Nutzer der Filesharing-Netzwerke. Der Austausch der Dateien findet somit P2P statt, je nach Architektur des Netzwerkes auch die Suche nach den Inhalten.[19]
Alle Filesharing-Netzwerke beruhen auf einem Protokoll, über das die Teilnehmer weltweit in direkten Kontakt miteinander treten und Daten miteinander austauschen können. Die Bezeichnung Tauschbörse ist dabei allerdings irreführend, denn die Inhalte werden nicht hin- und hergetauscht, sondern immer wieder kopiert.[20] Durch die Verwendung eines gemeinsamen Protokolls sind die Teilnehmer zu einem eigenen gegenüber dem Internet virtuell abgegrenzten Netzwerk verbunden. Der Zugang zu einem Netzwerk ist über die entsprechenden Programme kostenlos möglich, die beispielsweise als Software-Download im Internet erhältlich sind. Die einzelnen Tauschbörsenprogramme (auch „Clients“ genannt) greifen dabei teilweise auf dieselben Netzwerke zu. Nachdem der Nutzer die Software installiert und sich im Netzwerk angemeldet hat, kann er gezielt nach bestimmten Dateien suchen, die sich im Datenbestand der anderen, im Netzwerk angemeldeten Nutzer befinden. Die Suche erfolgt dabei über eine Suchmaske, die Suchergebnisse werden als Liste präsentiert[21], in der neben dem Dateinamen auch Informationen wie Dateigröße, Komprimierungsrate oder die zu erwartende Dauer des Downloads genannt werden. Während man bei der ersten Tauschbörse, Napster, nur MP3-Dateien suchen konnte, beschränken sich die meisten Filesharing-Netze inzwischen auf kein bestimmtes Dateiformat, es können Musik, Filme, Bilder oder Texte getauscht werden.[22]
Der Nutzer kann eine Datei aus der Liste für den Download auswählen und in einem separaten Fenster den Fortschritt des Downloads[23] verfolgen. Hier werden auch die Uploads zu anderen Nutzern angezeigt. Denn die Nutzer fragen nicht nur Dateien nach und laden sie herunter, sondern sie können – und sollten natürlich auch – selbst Dateien für andere zum Download zur Verfügung stellen. Inhalte, die für andere zur Verfügung gestellt werden, befinden sich in einem bestimmen Speicherbereich des Computers, der für den Zugriff von außen freigegeben wird, etwa in einem Ordner namens „Shared Files“. Wenn andere Nutzer eine Suchanfrage starten, werden dann diese Speicherbereiche auf Übereinstimmungen überprüft. Meist erfolgt der Download von Dateien in diesen Ordner, so dass heruntergeladene Inhalte automatisch wieder zum Upload zur Verfügung gestellt werden, wenn sie nicht in andere Ordner verschoben werden. Damit versuchen die Tauschbörsen, die Nutzer wenigstens teilweise zur Bereitstellung ihrer Inhalte zu bewegen. Denn die Anzahl und Auswahl der Inhalte eines Netzwerkes und damit seine Funktionsfähigkeit hängt davon ab, dass die Nutzer bereit sind, selbst Dateien für andere anzubieten. Ein großes Problem sind sogenannte „Freerider“, die nur herunterladen, aber nicht anbieten, und so nicht zum Bestand des Netzwerkes beitragen. Um einen Download nicht zu zerstören, wenn der Anbieter während des Herunterladens das Netzwerk verlässt, verfügen die meisten Tauschbörsen über das sogenannte „Download Resume“, d.h. es erfolgt ein Wechsel zu einem anderen Teilnehmer, der die Datei ebenfalls anbietet. Eine andere Funktion, „Multi Source Downloading“, erlaubt es, eine Datei von mehreren Anbietern gleichzeitig in kleinen Stücken herunterzuladen, was die Downloadzeit erheblich verkürzt.[24]
Viele Tauschbörsen bieten neben der Suchfunktion und der Vermittlung von Down- und Uploads auch noch weitere Zusatzdienste an. Dies sind etwa Community-Funktionen wie Nachrichtenübermittlung (Instant Messaging) zwischen den Nutzern oder Abspielprogramme für die heruntergeladenen Musik- oder Filmdateien.[25] Wie die Suche nach Dateien und deren Austausch zwischen den Nutzern genau abläuft, hängt vom technischen Aufbau, also der Architektur der einzelnen Netzwerke, ab. Man unterscheidet zwischen zentralen, dezentralen und Hybridnetzen, je nachdem wie die Indexierung der Inhalte erfolgt.
2.2.3 Zentralisierte Netzwerke
Das erste Filesharing-Netzwerk überhaupt war Napster, das 1999 gestartet war und aufgrund von gerichtlichen Klagen der amerikanischen Musikindustrie und mehreren einstweiligen Verfügungen[26] 2001 eingestellt wurde. Napster ist nach dem Client-Server-Modell aufgebaut und realisiert damit keine reine P2P-Architektur. Das Napster-Netzwerk basiert auf einem zentralen Server, dem sogenannten Index-Server, der die angeschlossenen Computer der Nutzer und die von ihnen angebotenen Inhalte verwaltet. Die Nutzer melden sich bei diesem Server an, der daraufhin Informationen wie die IP-Adresse, die freigegebenen Dateien und den Speicherort abfragt, zentral speichert und regelmäßig aktualisiert. Auf dem Zentralserver werden allerdings nur diese Informationen gespeichert, die Inhalte verbleiben auf den Festplatten der Nutzer. Sucht nun ein Nutzer nach einer bestimmten Datei, vergleicht der Server die Suchanfrage mit dem von ihm gespeicherten Datenbestand und präsentiert dem Nutzer eine Liste mit den Suchtreffern. Dieser kann dann die Quelle heraussuchen, von der er die gewünschte Datei herunterladen möchte und der Server stellt eine direkte Verbindung zwischen dem Anbieter und dem Suchenden her. Bei zentra lisierten Netzwerken fungiert also ein Server als Vermittler zwischen den Nutzern, indem er die Indexierung der angebotenen Inhalte übernimmt.[27] Heute funktionieren nur noch wenige Tauschbörsen nach diesem System, Beispiele sind iMesh, WinMX und Audiognome. WinMX und Audiognome verwenden auch nach der Einstellung von Napster dessen Protokoll und greifen auf meist privat betriebene sogenannte OpenNap-Server zu.[28]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Zentrales Filesharing-Netzwerk
2.2.4 Dezentralisierte Netzwerke
Nachdem Napster wegen seiner zentralen Index-Server rechtliche Schwierigkeiten bekommen hatte, setzten die Entwickler neuer Netzwerke wie Gnutella auf eine dezentralisierte Architektur. Dezentrale Tauschbörsen verzichten auf einen zentralen Server. Das Netz besteht aus gleichberechtigten miteinander verbundenen Computern, die Informationen untereinander austauschen und sowohl als Client als auch als Server (sogenannte „Servents“) fungieren. Beim Eintritt ins Netzwerk verbindet sich ein Nutzer mit einer Anzahl anderer Nutzer, an die er seine Suchanfragen richtet. Per Schneeballsystem wird die Anfrage weitergeleitet, da diese Nutzer ebenfalls mit weiteren Nutzern verbunden sind. Die Suche breitet sich also langsam im Netz aus. Damit Anfragen nicht endlos durch das Netz wandern, sind sie mit einer sogenannten TTL (Time to live) versehen, einer Angabe, wie oft sie maximal weitergeleitet werden sollen. Jeder Computer, der eine Suchanfrage empfängt, prüft, ob die gesuchte Datei lokal vorhanden ist und meldet gegebenenfalls Treffer über den gleichen Weg zurück, den die Anfrage gegangen ist. Der Suchende kann anhand dieser Antwort eine direkte Verbindung mit dem Anbieter herstellen und die Datei herunterladen.[29] Auf das Gnutella-Netzwerk greifen auch die Clients bzw. Programme BearShare, FrostWire, LimeWire, Morpheus und Shareaza zu.[30]
2.2.5 Hybrid-Netzwerke
Abbildung 2: Filesharing-Netzwerk mit Hybrid-Struktur
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Neben diesen beiden Architekturen gibt es auch solche Netzwerke, die Eigenschaften von zentralen und dezentralen Systemen vereinen und damit sowohl Schnelligkeit als auch Stabilität bieten. Im FastTrack-Netz, auf das seit der Schließung von Grokster nur noch die Clients Kazaa und KazaaLite (Kazaa ohne Spyware) zugreifen, übernehmen einzelne Nutzer, die besonders leistungsfähig sind und hohe Bandbreiten und Rechenkapazitäten haben, eine Index-Server-Funktion. Diese sogenannten „Supernodes“ oder „Superpeers“ werden vom Tauschbörsenprogramm automatisch ernannt und verwalten in dieser hybriden Struktur die Suchanfragen der mit ihnen verbundenen einzelnen Nutzer. Das eigentliche nach wie vor dezentrale Netzwerk wird durch die miteinander kommunizierenden Superpeers gebildet, der Dateidownload erfolgt nach der Vermittlung der Suchanfragen und -ergebnisse wieder direkt zwischen den Nutzern.[31] Abbildung 3: Dezentrales Filesharing-Netzwerk
Die Struktur des eDonkey2000-Netzwerks (eD2K) ähnelt der des FastTrack-Netzwerkes, allerdings werden hier keine Nutzer zu Superpeers ernannt, sondern es gibt eine spezielle Server-Software, der von jedem Freiwilligen betrieben werden kann. Die einzelnen Nutzer können aus ständig aktualisierten Server-Listen aussuchen, mit welchem sie sich verbinden möchten. Die Server sind normalerweise nicht untereinander verbunden, Suchanfragen können aber auf mehrere Server ausgeweitet werden. Auf das eD2K-Netzwerk greifen neben dem beliebtesten Client eMule auch MLDonkey und das Programm aMule zu, das nicht nur auf Windows, sondern auch auf anderen Plattformen wie Linux und Mac OS X läuft.[32]
2.2.6 Andere Filesharing-Netzwerke
Außer den bekanntesten Netzwerken, Gnutella, FastTrack und eD2K gibt es auch Programme, die auf mehrere Netzwerke zugreifen (beispielsweise Xfactor auf Gnutella und FastTrack) und weitere kleine Tauschbörsen, die ihre eigenen Netzwerke betreiben. Beispiele dafür sind Ares Galaxy, Audiogalaxy, Piolet (Nachfolger von Blubster) oder SoulSeek. Inzwischen sehr beliebt ist auch DirectConnect oder dessen Alternativprogramm DC++, das ebenfalls ein eigenes Netzwerk unterhält. Das erste in Deutschland entwickelte Filesharing-Netzwerk ist appleJuice, das erst in einer Testversion läuft und derzeit noch relativ wenige Nutzer hat.[33]
Die Vorläufer der nächsten Generation von P2P-Applikationen sind verschlüsselte Systeme wie Filetopia, Freenet und Mute. Diese ermöglichen einen weitgehend anonymen Datenaustausch, da die IP-Adressen nicht offen gelegt werden. Allerdings sind diese Systeme bisher noch recht langsam und haben eine wenig komfortable Bedienung.[34]
Die Struktur des Netzwerkes BitTorrent, das zu Spitzenzeiten für zwei Drittel des weltweiten Datenaufkommens im Internet verantwortlich sein soll,[35] unterscheidet sich grundsätzlich von der Arbeitsweise der anderen Netze, bei denen jeder Nutzer parallel eigene Dateien anbietet. Es ist vielmehr mit dem File Transfer Protocol (FTP) zur Dateiübertragung vergleichbar. Die verfügbaren Dateien (meist große Dateien wie Filme oder ganze Musikalben) werden in kleine Stücke zerteilt. BitTorrent erzeugt für jede Datei ein eigenes temporäres P2P-Netz, an dem alle teilhaben, die diese Datei entweder teilweise oder ganz auf ihrem Computer gespeichert haben. Jeder Nutzer, der bereits Teile einer Datei erhalten hat, wird seinerseits wieder zum Anbieter für andere Nutzer. Um eine Datei herunterladen zu können, benötigt der Nutzer eine sogenannte .torrent-Datei, die Informationen über die Adresse des Anbieters, Dateiname und Größe enthält. Statt Servern oder Superpeers gibt es bei BitTorrent die Trackerseiten im Internet, auf denen die Torrents verwaltet werden.[36] Eine der größten dieser Such- und Schaltstellen ist jene in der Einleitung bereits erwähnte schwedische Seite „The Pirate Bay“, die Ende Mai 2006 Ziel einer Polizei-Razzia wurde[37]. BitTorrent-Clients sind neben dem offiziellen BitTorrent-Programm beispielsweise Azureus, BitComet, eXeem und mTorrent.
2.3 Rechtslage
Nutzer von Filesharing-Netzwerken haben unter Umständen rechtliche Konsequenzen zu befürchten[38]. Denn der größte Teil der Musik, die dort angeboten und heruntergeladen wird, steht unter urheberrechtlichem Schutz und wird meist nicht mit Zustimmung des Urhebers verbreitet.
2.3.1 Urheberrechtlicher Schutz von Musikwerken
Zu den vom Urheberrecht geschützten Werken zählen auch Werke der Musik. Der größte Teil aller Musikstücke, die auf Tonträgern im Handel erworben werden können, steht unter urheberrechtlichem Schutz; dies gilt vor allem für aktuelle Werke, da deren 50-jährige Schutzfrist[39] im Gegensatz zu vielen Werken der klassischen Musik noch nicht abgelaufen ist. „Nur Berechtigte [der Komponist, der ausübende Künstler und der Hersteller des Tonträgers] dürfen mit Musik bespielte Tonträger vervielfältigen und verbreiten bzw. deren Vervielfältigung oder Verbreitung zustimmen.“[40] Mit dem Begriff Tonträger sind auch MP3s und andere digitale Musikdateien gemeint. Nur dem Urheber eines Werks steht außerdem das Recht zur öffentlichen Wiedergabe eines Musikwerks zu; Wiedergaben ohne seine Zustimmung kann er verbieten.
Im Prinzip verstößt also jeder, der MP3-Dateien ohne Erlaubnis der Berechtigten vervielfältigt oder öffentlich wiedergibt, gegen das Urheberrecht und macht sich strafbar. Allerdings gibt es sogenannte Schranken dieses Rechts, die den Tatbestand der Urheberrechtsverletzung entfallen lassen. Die wichtigste Schranke erlaubt Vervielfältigungen (bis zu sieben Stück[41] ) zum privaten Gebrauch, sogenannte Privatkopien. Diese Kopien dürfen auch durch einen anderen hergestellt werden (man darf sich also von einem Freund eine CD brennen lassen), dafür darf aber kein Entgelt verlangt werden. Privatkopien dürfen grundsätzlich nicht verbreitet oder öffentlich wiedergegeben werden.[42]
Für einen typischen Tauschvorgang über ein Filesharing-Netzwerk sind drei verschiedene Seiten zu betrachten: die des Anbietens einer Musikdatei, die des Herunterladens und die des Betreibens einer Tauschbörse.[43] Der Darlegung liegt das deutsche Urheberrecht zugrunde, so wie es sich nach seiner Novellierung am 13. September 2003 darstellt.
2.3.2 Novellierung des Urheberrechts
Mit dieser Erneuerung wurden die zwingenden Vorgaben aus der EU-Richtlinie zum Urheberrecht in der Informationsgesellschaft aus dem Jahr 2001 umgesetzt und damit der Schutz des geistigen Eigentums den Anforderungen durch die gewachsene Bedeutung des Internets angepasst. Die Neuregelungen dieses sogenannten „Ersten Korbs“ der Novellierung des Urheberrechts umfassten unter anderem die Vorschriften zum Schutz technischer Maßnahmen wie dem Kopierschutz einer CD, der nun nicht mehr umgangen werden darf. Privatkopien sind nur noch zulässig, wenn die CD, die als Vorlage dient, nicht mit einem Kopierschutz belegt ist.[44]
Einige strittige Punkte der Novellierung, die die Richtlinie nicht zwingend vorschrieb, sondern den EU-Mitgliedstaaten zur eigenen Regelung überließ, wurden in den „Zweiten Korb“ gelegt. Dafür legte das Bundesministerium der Justiz im September 2004 einen Referentenentwurf vor, der nach weiteren Überarbeitungen im Januar 2006 in einer Anhörung diskutiert wurde und nun vom Bundeskabinett beschlossen und ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht werden soll. Für Tauschbörsen sind zwei der wesentlichen Punkte des Entwurfs von Bedeutung: Zum einen ist die Privatkopie eines urheberrechtlich geschützten Werks auch weiterhin in digitaler Form zulässig, es ist allerdings – wie schon im Ersten Korb festlegt – verboten, den Kopierschutz zu umgehen. Um die Nutzung illegaler Tauschbörsen zu erfassen, gilt: „ Wenn für den Nutzer der Tauschbörse offensichtlich ist, dass es sich um ein rechtswidriges Angebot im Internet handelt, darf er keine Privatkopie davon herstellen“.[45] Zwar wird seitens des Bundesministeriums betont, dass es nicht zu billigen ist, dass private Endnutzer Urheberrechtsverletzungen begehen, wie es beim Herunterladen einzelner Musikdateien aus Tauschbörsen der Fall ist, diese Verstöße sollen aber nicht kriminalisiert werden, sondern straffrei bleiben, solange sie sich im Bagatellbereich bewegen und dem privaten Gebrauch diesen. Wer allerdings Hunderte von Musikdateien herunterlädt, kann nicht mit Straffreiheit rechnen, da er sich damit außerhalb des Bagatellbereichs begibt.
Die zweite relevante Neuerung betrifft den Kopierschutz. Das Verbot, Kopierschutz zu umgehen, wird insofern verschärft, dass die Privatkopie nicht gegen den Kopierschutz durchgesetzt werden kann, es gibt also kein „Recht auf Privatkopie“ gegenüber dem Urheberrechtsinhaber. Dieser darf sich durch technische Maßnahmen schützen.[46]
2.3.3 Anbieten von Musikdateien
Um Musik überhaupt in Tauschbörsen anbieten zu können, muss sie zunächst in ein digitales komprimiertes Dateiformat überführt werden. Dieser Vorgang stellt zunächst noch eine erlaubte Vervielfältigung nach dem Urheberrechtsgesetz dar. Wenn diese Datei allerdings dann in einer Tauschbörse angeboten und zum Herunterladen bereitgestellt wird, erfolgt nach dem neuen Urheberrecht ein Verstoß gegen das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung, das dem Urheberrechtsinhaber vorbehalten ist. Das Anbieten von Musikdateien in Tauschbörsen ist somit rechtswidrig.[47] Manche Tauschbörsenprogramme machen, wie bereits oben angedeutet, auch Nutzer, die eigentlich nur Dateien herunterladen wollen, unfreiwillig zu Anbietern, indem diese automatisch von deren Computer für andere Nutzer zur Verfügung gestellt werden. Eine technische Besonderheit mancher Tauschbörsen könnte aber bewirken, dass das Dateiangebot doch nicht gegen das Urheberrecht verstößt: In p2p-Systemen, die sogenanntes Multi-Source-Downloading unterstützen, werden keine kompletten Dateien bereitgestellt sondern nur Fragmente davon. Zwar fallen auch kleinere Teile eines Werkes unter den urheberrechtlichen Schutz, allerdings muss der Teil für sich schutzfähig sein, d.h. er muss Werkqualität besitzen und nutzbar sein. Dies ist bei rein abstrakten Datenpaketen, wie sie etwa über die Tauschbörse eMule verbreitet werden, nicht der Fall. Damit wäre auch die Verbreitung solcher Dateifragmente urheberrechtlich nicht relevant.[48]
2.3.4 Herunterladen von Musikdateien
Wenn ein Teilnehmer einer Tauschbörse eine Musikdatei herunterlädt, stellt das eine erneute Vervielfältigung in digitaler Form dar, da auf dem Computer dieses Teilnehmers eine dauerhafte Kopie des Werkes entsteht, die die Nutzung des entsprechenden Inhalts ermöglicht.[49] Dabei ist der, der herunterlädt, und nicht der Anbieter als Vervielfältiger anzusehen. Unter zwei Bedingungen gilt eine solche Vervielfältigung als Privatkopie und ist damit zulässig: Wenn die heruntergeladene Datei nicht wieder in einer Tauschbörse angeboten wird, sondern nur dem Gebrauch des Herunterladenden dient, und wenn die Vorlage der Kopie nicht „offensichtlich rechtswidrig“ ist.[50] Dass eine offensichtliche Rechtswidrigkeit aber auch beim Herunterladen aus Tauschbörsen nicht unbedingt gegeben ist, zeigen zwei Aspekte: Die Inhaber der Urheberrechte, Künstler und Plattenfirmen, setzen MP3s inzwischen systematisch selbst zu Marketingzwecken ein. Unbekannte Bands nutzen das Internet, um mit kostenlos angebotenen MP3s auf sich aufmerksam zu machen. Aber auch bekannte Künstler wie die amerikanische Band Metallica bieten ihre Songs unentgeltlich als MP3-Downloads auf ihren Homepages im Internet an, ohne dass Auflagen für die Nutzung oder Weitergabe gemacht werden. Für die Nutzer von Tauschbörsen ist es also in vielen Fällen kaum möglich, richtig einzuschätzen, ob der Anbieter einer Musikdatei rechtmäßig in deren Besitz gekommen ist. Problematisch für die Beurteilung einer offensichtlichen Rechtswidrigkeit ist außerdem, dass Filesharing-Netzwerke nicht auf ein Land beschränkt sind, sondern sich global über Grenzen hinweg spannen. Angebot und Download können an jedem beliebigen Ort stattfinden. Da umstritten ist, ob das Urheberrecht des Landes gilt, in dem die Datei angeboten wird oder des Landes, von dem aus sie abgerufen wird und da der Standort einer Datei ohnehin oft nicht bekannt ist, kann der Nutzer einer Tauschbörse kaum feststellen, ob das Angebot als rechtswidrig angesehen werden muss.[51]
Als „offensichtlich rechtswidrig“ im Sinne des Urheberrechts können angebotene Musikdateien also nur in wenigen Fällen gelten, nämlich dann, wenn der Herunterladende erkennen kann, dass es sich um ein deutsches Angebot handelt, bei dem man rational nicht davon ausgehen kann, dass der Urheber der Zugänglichmachung zugestimmt hat. Ein Beispiel dafür wäre, wenn die CD einer deutschen Band schon vor der offiziellen Veröffentlichung in Tauschbörsen verbreitet wird.[52]
2.3.5 Betreiben einer Tauschbörse
Bei den Betreibern einer Tauschbörse, die also die entsprechenden Programme im Internet zur Verfügung stellen, muss erneut zwischen dezentralen und zentralen Tauschbörsen unterschieden werden. Weil bei dezentralen Tauschbörsen die Suche nach Dateien und deren Austausch direkt zwischen den Nutzern des Netzwerks stattfindet, ist eine „Beteiligung am Tauschvorgang bzw. ein unmittelbares Fördern des öffentlichen Angebots des Werks“[53] nicht gegeben. Daher sind die Betreiber von dezentral aufgebauten Tauschbörsen nicht als „Veranstalter“ anzusehen und können deshalb nicht für Urheberrechtsverletzungen haftbar gemacht werden.
Bei zentralen Tauschbörsen tritt der Betreiber allerdings als unverzichtbarer Mittler zwischen den Nutzern des Netzwerks auf und ist am Tauschvorgang beteiligt. Denn die Informationen über verfügbare Dateien werden auf dem Server des Betreibers gespeichert und bei Anfragen weitergegeben. Betreiber von zentralen Tauschbörsen sind also als „Mit-(Veranstalter)“ einzuordnen und haften damit für Urheberrechtsverletzungen.[54]
2.4 Reaktionen der Musikindustrie auf Filesharing
Für die Musikindustrie stellen Tauschbörsen einen Angriff auf ihr Kerngeschäft dar. Sie sehen im Filesharing die Ursache für den starken Rückgang der Verkaufszahlen von Audio-CDs[55] seit dem Jahr 2001. Die Absätze von Tonträgern (also CDs, CD-Singles, LPs und MCs) fielen inzwischen stetig. Lagen sie 2000 in Deutschland noch bei 266 Mio. Stück, so sind sie seitdem stark gesunken. Der größte Rückgang ereignete sich 2003 mit knapp 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. 2005 wurden noch 147 Mio. Tonträger verkauft. Auch bei den Umsätzen verzeichnete der deutsche Musikmarkt seit 2001 starke Einbußen. Von 2,5 Mill. Euro gingen sie kontinuierlich zurück, und zwar insgesamt um 40 Prozent auf 1,5 Mill. Euro im Jahr 2005. Allerdings fielen die Rückgänge in den letzten Jahren weniger dramatisch aus, so dass auf eine Konsolidierung des Marktes in der nahen Zukunft gehofft wird.[56]
Die Musikindustrie begegnet der Bedrohung durch die Tauschbörsen mit drei unterschiedlichen Strategien: Klagen gegen Tauschbörsenbetreiber und -nutzer, technische Maßnahmen wie CD-Kopierschutz und dem Anbieten von legalen Alternativen.
2.4.1 Gerichtliche Klagen
Nachdem Kampagnen wie „Copy kills Music“[57] gegen illegales Kopieren von Musik wenig Wirkung gezeigt hatten, verlegte sich die Musikindustrie zunehmend darauf, rechtlich gegen die Tauschbörsen vorzugehen. Die erste Tauschbörse Napster wurde bereits 1999, neun Monate nachdem sie gestartet war, von der US-amerikanischen Musikindustrie, vertreten durch die Recording Industry Association of America (RIAA), wegen Verletzung des Urheberrechts verklagt. Durch richterlichen Beschluss wurde Napster zunächst verpflichtet, sein Angebot aus dem Internet zu entfernen; nach einer zweiten einstweiligen Verfügung durfte die Tauschbörse zwar am Netz bleiben, musste aber ein Filtersystem integrieren, das den Tausch von Musikstücken, die auf einer schwarzen Liste der RIAA standen, verhinderte.[58] Napsters Grundproblem, das es rechtlich angreifbar machte, war die zentralisierte Architektur: Auf den Servern der Tauschbörsenbetreiber wurden temporäre Indizes aller angebotenen MP3s angelegt, um eine schnelle und unkomplizierte Suche zu ermöglichen. Napster beteuerte zwar, keinen Einfluss auf getauschte Inhalte zu haben, aber rechtlich gesehen waren die Server direkt in den Tauschablauf eingebunden und Napster damit für Urheberrechtsverletzungen haftbar zu machen.[59]
Auf diesen Prozess folgten 2001 weitere Klagen der RIAA gegen die auf dem FastTrack-Protokoll basierenden Tauschbörsen Kazaa, Morpheus und Grokster. Und auch in anderen Ländern wurde zunehmend gegen Tauschbörsen-Betreiber geklagt. Allerdings macht die dezentralisierte Architektur dieser Tauschbörsen der zweiten Generation es sehr viel schwieriger, konkrete juristische Angriffspunkte zu finden. Denn bei diesen Systemen wird, wie bereits erwähnt, keine Informationen mehr auf zentralen Servern gespeichert, vielmehr werden die Suche und der Tausch von Dateien direkt zwischen den Peers oder über Supernodes abgewickelt. Bei Gerichtsverfahren gegen Kazaa sowie gegen Grokster handelte sich die Musikindustrie Niederlagen ein. Die Richter entschieden, dass die Betreiber nicht rechtlich belangt werden können.[60]
Die Musikindustrie ging daher nun zunehmend dazu über, die Nutzer von Tauschbörsen zu verklagen, die Musik für andere zum Herunterladen anboten[61]. Die International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) spricht von weltweit 20.000 Klagen bis Ende 2005. Die Nutzer müssen zwar bei der Anmeldung in Tauschbörsen keine persönlichen Daten angeben, sie können aber über ihre IP-Adresse identifiziert werden. Die IP-Adresse wird von den Internet-Providern gespeichert und ist auch über spezielle Scan-Software feststellbar. Um raubkopierte Musik in den Tauschbörsen aufzuspüren und die IP-Adressen der Anbieter herauszufinden, beauftragte die deutsche Musikwirtschaft die Firma proMedia. Deren Ermittlungen führten seit Frühjahr 2004 zu rund 4000 Verfahren gegen illegale Musikanbieter in Deutschland. Je nachdem, wie viele Musiktitel sie angeboten hatten, müssen die Beschuldigten mit der Einstellung des Verfahrens (bis zu 100 Titel), einer Befragung (101 bis 500 Titel) oder einem Ermittlungsverfahren (ab 500 Titeln) rechnen. Auch wenn das Strafverfahren eingestellt wird, kommen zivilrechtliche Schadensersatzforderungen der Musikindustrie auf die Tauschbörsennutzer zu. Bisher wurden mehr als 1000 Verfahren abgeschlossen, die Zahlungen lagen dabei nach Angaben der IFPI zwischen 2000 und 15.000 Euro, der Durchschnitt betrug 3000 Euro. Häufig werden auch Abmahnungen an Nutzer verschickt, von denen dann zudem oft die Abgabe einer Unterlassungserklärung gefordert wird.[62]
Bei der bislang größten Aktion in Deutschland gegen illegale Musikangebote in Tauschbörsen wurden im Mai 2006 im gesamten Bundesgebiet 130 Hausdurchsuchungen durchgeführt, PCs beschlagnahmt und Strafverfahren gegen 3500 Nutzer des Filesharing-Netzwerkes eDonkey eingeleitet. eDonkey ist neben BitTorrent das in Deutschland am meisten genutzte Netzwerk, auf das unter anderem von der Tauschbörsensoftware eMule zugegriffen wird. In vorausgegangenen monatelangen Ermittlungen hatte proMedia mit einer eigens entwickelten Software das Netzwerk überwacht und mehr als 14 GB Log-Dateien aufgezeichnet.[63]
2.4.2 Technische Maßnahmen
Die Musikindustrie setzt bei ihrem Kampf gegen Raubkopien nicht nur auf nachträgliche rechtliche Maßnahmen, sondern auch auf Prävention. Um das Kopieren und Brennen von Audio-CDs und die Umwandlung von Musikstücken in digitale MP3-Dateien von vornherein zu verhindern, statten einige Plattenfirmen ihre CDs seit Juli 2001 mit Kopierschutz aus. Verschiedene Verfahren, beispielsweise Key2Audio oder Cactus Data Shield, verändern die CDs derart, dass sie sich nur auf CD-Playern abspielen lassen, aber nicht in CD-Laufwerken von Computern. Allerdings konnten Hacker bisher für die meisten der auf dem Markt befindlichen Systeme einen Weg finden, den Kopierschutz zu umgehen. Entsprechende Anleitungen werden in Internetforen und Computerzeitschriften verbreitet; auch spezielle Software – wie CloneCD, mit der geschützte CDs kopiert werden können – ist im Internet zu finden. Kopierschutzmaßnahmen werden kritisiert, da sie auch die legale Verwendung gekaufter CDs behindern können. Ältere CD-Player oder CD-Autoradios können teilweise die geschützten CDs nicht lesen, so dass ihr Gebrauch für die Käufer erheblich eingeschränkt ist und es vermehrt zu Reklamationen im Einzelhandel kommt. Auch wer seine CDs nur in MP3s umwandeln will, um sie auf der Festplatte zu archivieren oder auf einen mobilen MP3-Player zu übertragen, wird durch den Kopierschutz an dieser Nutzung seiner legal erworbenen CD gehindert.[64]
Eine weitere technische Möglichkeit, um die Verwendungsmöglichkeiten von digitaler Musik einzuschränken, geht über den Kopierschutz noch weit hinaus. Als Digital Rights Management- (DRM) Systeme werden Verfahren bezeichnet, die beispielsweise die Nutzung von Musik personalisieren oder nur für bestimmte Hardware zulassen (so dass Songs z.B. nur auf einem autorisierten MP3-Player abspielbar sind) oder die Möglichkeiten der Vervielfältigung und die Lebensdauer von digitalen Inhalten einschränken (so dass ein Song beispielsweise nur fünfmal abgespielt und dann nicht mehr verwendet werden kann). Auch diese Systeme, die etwa bei Musik-Online-Abonnements zum Einsatz kommen, sind bislang wenig akzeptiert und bei den Verbrauchern sehr unpopulär. Denn sie zwingen die Kunden zur Personalisierung und beschneiden die Nutzungsmöglichkeiten erheblich, indem z.B. Musikstücke nicht mehr abgespielt werden können, sobald man sich einen neuen Computer kauft, der über die entsprechenden Zugangsrechte nicht mehr verfügt.[65] Allerdings kann auch DRM umgangen werden: Im August 2006 entwickelten Hacker eine Software, die Musik aus den Abodiensten, die Microsofts Windows-Media-DRM benutzen, von den Beschränkungen befreit und so unbegrenzt abspielbar, übertragbar und kopierbar macht, auch wenn das entsprechende Abo gekündigt wird.[66]
Außer Maßnahmen, die das Kopieren und damit die Verbreitung von urheberrechtlich geschützter Musik verhindern sollen, greift die Musikindustrie auch zu anderen technischen Tricks. In ihrem Auftrag überfluten private Firmen wie Overpeer Inc. oder MediaDefender die Netzwerke mit sogenannten Fake- oder Dummy-Dateien. Dabei handelt es sich um manipulierte MP3-Dateien, die vortäuschen, ein bestimmtes Lied zu enthalten, aber nur aus verstümmelten Musikteilen oder erzieherischen Wortbotschaften bestehen. Diese Guerilla-Taktik der Musikindustrie scheint die Tauschbörsennutzer allerdings wenig zu beeindrucken, sondern provoziert eher eine Jetzt-erst-recht-Haltung. So haben die Nutzer Methoden entwickelt, diese Fake-Dateien zu markieren und andere Nutzer zu warnen.[67]
2.4.3 Angebot legaler Alternativen
Eine Strategie, mit der die eigenen Kunden nicht vor den Kopf gestoßen werden, ist dagegen das Angebot eigener legaler Alternativen, um Musik aus dem Internet herunterzuladen. In Deutschland gibt es mittlerweile einige Online-Shops, in denen man zu Preisen von circa 1,30 Euro für einen Song bzw. 11 bis 13 Euro für ein Album eine große Auswahl von Musik herunterladen kann. Im Digital Music Report 2006 der IFPI werden folgenden Anbieter genannt: AOL Music, Connect (Sony), iTunes (Apple), mp3.de, MSN Music (Microsoft), Musicload (T-Online), Napster (Bertelsmann) und Vitaminic (das derzeit allerdings überarbeitet wird und nicht erreichbar ist).[68] Apple war mit iTunes im Juni 2004 gestartet und hat nach eigenen Angaben innerhalb der ersten Woche mehr als 800.000 Musikdownloads verkauft. Sony startete seinen Service Connect einen Monat später und war ähnlich erfolgreich.[69] Am meisten genutzt wird laut der WWW-Nutzer-Analyse W3B allerdings das Angebot Musicload von T-Online, gefolgt von iTunes.[70] Die weltweiten Umsätze mit Musikdownloads lagen 2005 bei 1,1 Mill. US-Dollar und haben sich damit im Vergleich zum Vorjahr etwa verdreifacht. Es wurden rund 420 Mio. Downloads aus legalen Internetangeboten gezählt.[71] In Deutschland stieg nach Angaben der IFPI die Zahl der verkauften Musikdownloads 2005 auf 16,4 Mio. (2004: 6,4 Mio.).[72] Die Onlineportale der Musikindustrie sind also durchaus erfolgreich.
In den USA hat sich außerdem eine legale p2p-Tauschbörse durchgesetzt, die sowohl kostenlose Songs als auch kostenpflichtige Inhalte anbietet. iMesh hat eine Abmachung mit den größten US-Plattenfirmen und kann daher auch urheberrechtlich geschützte Musik zum Download anbieten. Die Nutzer zahlen einen Pauschalbetrag und können die Dateien auch untereinander tauschen. Allerdings sind diese nur solange auf dem Computer abspielbar, wie die Nutzer ihren Mitgliedsbeitrag zahlen und sie können auch nicht auf CD gebrannt werden.[73] Auch das p2p-Netzwerk Kazaa, eines der beliebtesten und meistverbreitetsten der Welt, wird wohl in eine legale Tauschbörse umgewandelt werden. Nachdem die Betreiber Sharman Networks in Australien wegen Urheberrechtsverletzungen verurteilt und auch in den USA Verfahren gegen sie angestrengt worden sind, einigten sie sich Ende Juli 2006 mit der IFPI und der RIAA auf einen globalen außergerichtlichen Vergleich. Sharman hatte sich bereit erklärt, 100 Mio. US-Dollar an die vier größten Plattenfirmen Universal, Sony, EMI und Warner als Entschädigung zu zahlen und zukünftig seine Nutzer mit Filtertechnologien an der Verbreitung urheberrechtlich geschützter Inhalte zu hindern. Allerdings ist fraglich, ob Kazaa Chancen hat, sich gegen die inzwischen etablierten neuen Netzwerke eDonkey oder BitTorrent durchzusetzen.[74]
Ein ähnliches Geschäftsmodell verfolgt Bertelsmann. Das Unternehmen hat nach einigen Anlaufschwierigkeiten die Tauschbörse Napster in ein legales Musikportal auf Abonnement-Basis umgewandelt. Seit Ende 2005 können Napster-Nutzer auch in Deutschland für knapp zehn Euro im Monat unbegrenzt Musik herunterladen. Brennen oder auf mobile MP3-Spieler übertragen lassen sich die Dateien aber nur, wenn man zusätzlich 1 Euro pro Song bzw. ab 10 Euro pro Album zahlt[75]. Die Musik ist auch zwischen den Nutzern nach dem p2p-Prinzip tauschbar. Ende Juni 2006 hatte Napster mehr als 500.000 registrierte Abonnementen, machte aber noch Verluste.[76]
Die Musikindustrie kann Tauschbörsen außerdem für ihre eigenen Zwecke nutzen, indem sie p2p-Konzepte in ihren Marketing-Mix integriert. Die Netzwerke bieten direkten Kontakt zum Endkunden, wodurch dieser frühzeitig in die Produktentwicklung eingebunden und auf die Marke aufmerksam gemacht und so zugleich die Kundenbindung erhöht werden kann. Eine derartige Möglichkeit ist die Bereitstellung speziell entwickelter Inhalte in den Tauschbörsen, die dann ohne Distributionskosten für das Unternehmen durch die Nutzer selbst verbreitet werden. Die Inhalte sind mit dem Markennamen gekennzeichnet, wodurch die Marke verbreitet wird und eine gewisse Wertigkeit erhält, die sich auch auf offline erhältliche Produkte übertragen kann, so dass entsprechend mehr Medienprodukte dieser Marke gekauft werden.[77]
2.5 Zur Aktuellen Situation
All diese Strategien der Musikindustrie scheinen bislang keine großen Auswirkungen auf die Nutzer der p2p-Tauschbörsen zu zeigen. Im Gegenteil: Das private Online-Marktforschungsunternehmen Big Champagne registrierte im Mai 2006 durchschnittlich 9,7 Mio. Nutzer von Filesharing-Netzwerken weltweit. Diese Zahl liegt um 12 Prozent höher als im Vorjahr und ist damit das zweithöchste Nutzeraufkommen, das überhaupt je verzeichnet wurde. Die Big Champagne-Analysen berücksichtigen außerdem nur die Netzwerke FastTrack, Gnutella und eDonkey. BitTorrent, das zu Spitzenzeiten für zwei Drittel des gesamten weltweiten Datenverkehrs im Internet verantwortlich ist, war nicht Teil der Analysen, so dass die tatsächliche Anzahl von Tauschbörsennutzern wohl noch erheblich über dem gemessenen Wert liegt.[78]
Die Brennerstudie 2006, durchgeführt von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im Auftrag des Bundesverbandes der phonographischen Wirtschaft, bestätigt den anhaltenden Boom der Tauschbörsen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass 2005 13 Prozent aller Deutschen ab zehn Jahren Musik aus dem Internet (aus legalen und illegalen Quellen) heruntergeladen haben. Davon haben wiederum knapp zwei Drittel und damit 5,1 Mio. nur kostenlose Angebote, also größtenteils p2p-Tauschbörsen, genutzt. Von den insgesamt 512 Mio. Downloads, die 2005 getätigt wurden, stammten 412 Mio. (81 Prozent) aus illegalen Angeboten. Die beliebteste Tauschbörse ist eMule, die auf das eDonkey-Netzwerk zugreift.[79]
Das private Unternehmen Bay TSP verfolgt seit Juli 2003 den Datenverkehr der Filesharing-Protokolle in den USA und hat ebenfalls das eDonkey-Protokoll als das erfolgreichste in 2005 ausgemacht. Es liegt in der Anzahl der Nutzer vor BitTorrent, Gnutella und DirectConnect. Das FastTrack-Netzwerk, auf das Kazaa und KazaaLite zugreifen, hat seit 2003 stetig an Nutzern verloren. Diese sind wegen der Gerichtsverfahren gegen Kazaa und dessen Nutzer anscheinend vor allem zu eDonkey und BitTorrent gewechselt.[80]
3. Forschungsstand – Literaturüberblick über Studien zu Filesharing
Zum Thema Tauschbörsen, P2P und Filesharing sind diverse Studien durchgeführt worden. Sie stammen allerdings größtenteils aus den USA; aus Deutschland liegen nur zwei Untersuchungen vor. Die Forschung findet in den verschiedensten Disziplinen statt. Die Informatik untersucht den Netzwerk-Aufbau und die Mechanismen der Tauschbörsen. Auf diese eher technischen Analysen wird hier nicht weiter eingegangen.[81] Ökonomen beschäftigen sich vor allem mit den Auswirkungen von Tauschbörsen auf die Musikindustrie, Juristen mit den rechtlichen Grundlagen und den Auswirkungen von Strafandrohungen. Unterschiedliche Modelle versuchen, das Verhalten von Tauschbörsennutzern zu erklären. Im Folgenden wird ein ethisches und ein sozialpsychologisches Modell von Filesharing sowie auf eine Studie zur Auswirkung von Strafandrohungen eingegangen. Außerdem werden einige Ergebnisse der Untersuchungen zum Kooperationsverhalten und zur Angebotsmotivation in Tauschbörsen vorgestellt, speziell eine deutsche Arbeit aus der Betriebswirtschaft von Becker (2004). Ausführlicher wird auf eine Onlinebefragung deutscher Tauschbörsennutzer von Haug/Weber (2002) eingegangen. Abschließend werden theoretische Überlegungen zu den ökonomischen Auswirkungen und die entsprechenden Analysen zusammengefasst.
3.1 Ethisches Verhaltensmodell für Filesharing
Eine Studie von Gopal et al. (2002) schlägt ein Modell für digitale Musikpiraterie vor, in dem verschiedene Einflussvariablen die Neigung und die Gründe einer Person für illegales Filesharing erklären sollen. Mit einer Befragung unter 133 Business-Studenten wurde der Zusammenhang zwischen den Konstrukten „Club Size“, „Ethical Index“, „Justice“ sowie dem durch MP3-Downloads gespartem Geld und demographischen Merkmalen untersucht. Club Size diente dabei als Operationalisierung für die Intention, illegal Musik herunterzuladen, der Ethikindex wurde aus fünf Items gebildet, bei denen hypothetische moralisch kritische Situationen als akzeptabel oder inakzeptabel eingeschätzt werden mussten. Justice wurde als Dimension einer ethischen Prädisposition operationalisiert, fünf Items untersuchten die Einstellung zu Gesetz und Gerechtigkeit.[82]
Eine Pfadanalyse ergab, dass ein höherer Ethik-Index die Wahrscheinlichkeit für digitale Musikpiraterie verringert. Höhere Werte für Justice ergaben ebenfalls höhere Werte für den Ethikindex. Ältere Menschen sind weniger anfällig für Musikpiraterie, das Geschlecht hat kaum Einfluss, das Einkommen gar keinen. Die Menge an gespartem Geld ist ein relativ starker Prädiktor für die Bereitschaft zur Musikpiraterie.[83]
In einer Folgestudie wurden 120 weitere Studenten befragt, allerdings wurde diesen vorher eine abschreckende Zeitungsmeldung vorgelegt, in der über die rechtlichen Folgen von Musikpiraterie berichtet wurde. Diese Gruppe zeigte aber keine verringerte Disposition zur Piraterie als die zuvor befragten Studenten, die diese Meldung nicht erhalten hatten. Die Forscher schließen daraus, dass derartige Abschreckungsstrategien der Musikindustrie höchstens eingeschränkte Wirkungen erzielen können.[84]
3.2 Sozialpsychologisches Modell zum Downloadverhalten
Um die Faktoren herauszufinden, die das Downloadverhalten in Tauschbörsen bedingen, ziehen auch La Rose et al. (2005) sozialpsychologische Theorien heran. Sie bemängeln, dass sich der „Uses and Gratifications“-Ansatz der Kommunikationswissenschaft bei Untersuchungen der Internetnutzung bisher zu sehr auf Gratifikationslisten der alten Medien konzentriert und neue Motive wie neuartige Sinneseindrücke oder ökonomische Anreize nicht berücksichtigt hat. Auf Grundlage der Sozialkognitiven Theorie (SKT) von Bandura (1986) und der Theorie des geplanten Verhaltens von Ajzen (1985) entwickelten sie ein Modell, um das Verhalten in Tauschbörsen erklären zu können. Die SKT besagt, dass menschliches soziales Verhalten von seinen erwarteten positiven und negativen Folgen sowie von vorausgegangenen Erfahrungen beeinflusst wird. Bezogen auf Medien heißt dies, dass die Erfahrung mit den Medien die Erwartungen an den zukünftigen Medienkonsum formt und damit die Absicht, bestimmt Medien zu nutzen.[85]
Die SKT enthält außerdem einen Mechanismus der Selbstregulation (self-regulation), also der Kontrolle des eigenen Verhaltens. Gewohnheiten und sich wiederholende Verhaltensmuster können Ausdruck einer mangelnden Selbstregulation sein, dies kann als Erklärung für problematische Internetnutzung, beispielsweise habituelles Downloaden als Selbstzweck, herangezogen werden. Eine Subfunktion der Selbstregulation ist der beurteilende Prozess (judgmental process), also rechtliche, moralische und ethische Überzeugungen.[86] Normative Ansichten spielen auch in der Theorie des geplanten Verhaltens eine Rolle, die besagt, dass Annahmen über die Wünsche von anderen Menschen, also moralische Normen, das Verhalten beeinflussen.
Von diesen theoretischen Überlegungen ausgehend nimmt das hypothesierte Modell von La Rose et al. an, dass das momentane Downloadverhalten sowie die Absichten für zukünftiges Downloaden unter anderem von folgenden Faktoren beeinflusst werden:
- erwartete positive (z.B. Kostenersparnis, Möglichkeit, Leute kennen zu lernen) und negative (z.B. Sanktionsangst, schlechte Qualität der heruntergeladenen Dateien) Folgen des Downloadens
- mangelnde Selbstregulation beim Downloaden
- Annahmen über moralische (Nicht-)Akzeptanz von Filesharing.[87]
Im Dezember 2003 füllten in einer explorativen Untersuchung 265 Studenten einer US-Universität einen Onlinefragebogen aus, um das Modell zu testen. Eine Regression der unabhängigen Variablen zum Downloadverhalten ergab 25 Prozent erklärte Varianz. Positiv auf das Downloadverhalten wirkten sich die erwarteten sozialen Folgen und mangelnde Selbstregulierung aus, ein negativer Zusammenhang zeigte sich mit der Erwartung einer schlechten Download-Qualität und der angenommenen moralischen Nichtakzeptierung von Filesharing. Das geplante zukünftige Downloadverhalten wurde von erwarteten Sanktionen negativ, von mangelnder Selbstregulierung positiv beeinflusst.[88] Die Autoren schließen daraus, dass ihr aus der SKT abgeleitetes Modell bestätigt werden kann. Außerdem betonten sie in Hinblick auf den Uses and Gratifications-Ansatz, dass „the nature of the file sharing experience, however, brings a fresh theoretical perspective to social motivations for media usage.“[89]
3.3 Auswirkungen von Strafandrohungen
Eine US-amerikanische Studie von Bhattacharjee aus dem Jahr 2003 versuchte herauszufinden, ob die Androhung rechtlicher Konsequenzen Auswirkungen auf die Download-Tätigkeiten von Tauschbörsennutzern hat. Dazu wurde über 12 Monate hinweg heimlich das Filesharing-Verhalten von über 2000 Nutzern der damals beliebtesten Tauschbörse Kazaa verfolgt und registriert, wie oft sie mit dem Netzwerk verbunden waren und wie viele Musikdateien sie anderen zur Verfügung stellten. Im Untersuchungszeitraum ereigneten sich vier Vorfälle, die für die Nutzer rechtlich relevant waren: Ankündigungen der RIAA, gerichtlich gegen Tauschbörsennutzer vorzugehen, die ersten Klagen gegen 261 Nutzer durch die RIAA, ein Rückschlag der RIAA vor Gericht und erneute Klagen der RIAA gegen 532 Filesharer.[90] Anhand der Veränderungen des Filesharing-Verhaltens der Nutzer nach den jeweiligen Ereignissen kamen die Forscher zu folgenden Ergebnissen:
- Sowohl die Gruppe der „substantial sharers“ (die mehr als 800 Dateien zur Verfügung stellen und damit im Fokus der Ermittler stehen) als auch die „nonsubstantial sharers“ reagierten auf die Drohungen und reduzierten die Anzahl der geteilten Musikdateien.
- Substantial sharers verringerten über den Verlauf der vier Ereignisse ihre angebotenen Dateien um mehr als 90 Prozent der ursprünglichen Dateimenge.
- Nonsubstantial sharers blieben beständig unter der 800-Datei-Grenze und reduzierten die durchschnittliche Dateimenge um mehr als ein Drittel.
- Beide Gruppen nutzten das Netzwerk aber vor und nach den Ereignissen gleich häufig.[91]
Die Forscher schlossen aus diesen Ergebnissen, dass „the RIAA may have succeeded more in reducing the average availability of files than in reducing piracy“[92]. Die Nutzer luden also weiterhin genauso viele Musikdateien herunter, stellten aber nicht mehr so viele für andere zur Verfügung.
3.4 Kooperationsverhalten
Wie bereits erwähnt, haben Nutzer eines Filesharing-Netzwerks zwei Möglichkeiten: Sie können Musik herunterladen und gleichzeitig selbst Musik für andere bereitstellen, was dem Prinzip der Tauschbörse entspricht und den weiteren Bestand garantiert. Sie werden aber meist nicht zum Anbieten gezwungen, können also als sogenannte Freerider auch nur herunterladen und selbst nichts anbieten. Mehrere Studien untersuchten das Angebots- bzw. Freeriding-Verhalten und damit die Kooperationsbereitschaft von Tauschbörsennutzern.
3.4.1 Empirische Studien zum Angebots- und Freeriding-Verhalten
Adar und Huberman (2000) untersuchten im August 2000 das Freeriding-Verhalten der Gnutella-Nutzer. Mit einem modifizierten Gnutella-Client zeichneten sie 24 Stunden lang die durchs Netzwerk fließenden Dateianfragen und die Antworten darauf auf. Dabei registrierten sie über 30.000 Nutzer, die zusammen mehr als drei Mio. Dateien teilten. Sie fanden heraus, dass zwei Drittel der Nutzer Freerider waren. Die Autoren stellen außerdem eine weitere Art des Freeriding fest: Fast zwei Drittel der Nutzer, die Dateien anbieten, haben im Untersuchungszeitraum keine Anfrage beantwortet, d.h. sie stellen zwar Dateien bereit, aber keine, die bei anderen Nutzern populär sind. Freeriding ist laut dieser Studie also bei Gnutella die Norm und keine Ausnahme.[93]
Fünf Jahre später führten Hughes et al. (2005) eine Nachfolgestudie durch und stellten fest, dass das Freeriding signifikant zugenommen hatte. Eine Woche lang und über drei zusätzliche Wochenenden zeichneten sie die Anfragen und Anfrage-Treffer bei Gnutella auf. 85 Prozent der Nutzer waren Freerider, also noch fast ein Fünftel mehr als in der Studie von Adar und Huberman aus dem Jahr 2000. Die Ergebnisse für die Beantwortung der Anfragen waren sehr ähnlich, die Hälfte aller Dateien wurden von 1 Prozent der Nutzer bereitgestellt, 89 Prozent der Anfragen von einem Viertel der Nutzer beantwortet. Außerdem wurde festgestellt, dass Nutzer mit geringerer Bandbreite weniger Anfragen beantworten, Freeriding ist also nicht gleich über alle Verbindungsgeschwindigkeiten verbreitet. Allerdings wird betont, dass bis zu einem Drittel der Nutzer ihre Bandbreite falsch angibt, um weniger Anfragen beantworten zu müssen. Die Autoren schlagen Modifizierungen des Gnutella-Clients vor, um Freeriding weniger attraktiv zu machen, und einem Kollaps des Netzwerkes entgegenzuwirken.[94]
Andrade et al. (2005) untersuchten im gleichen Jahr mit einem Crawler fünf BitTorrent-Netzwerke und fanden heraus, dass Freeriding bei dieser Tauschbörse sehr viel weniger verbreitet ist. Dies ist mit systemimmanenten Anreizen zur Kooperation zu erklären, beispielsweise lässt sich die Uploadrate bei BitTorrent nicht auf Null stellen und wer keine Dateien bereitstellt, hat längere Downloadzeiten.[95]
3.4.2 Ökonomisches Kausalmodell zur Angebotsmotivation
Eine der wenigen Studien aus dem deutschen Raum stammt von Becker (2004). Er führte eine Onlinebefragung mit 370 Teilnehmern durch und testete ein Kausalmodell für das Download- und Angebotsverhalten in Musik- und Filmtauschbörsen.
Als Gründe für das Herunterladen von Musik spielten dabei der Kostenfaktor (Downloads sind billiger als CDs) und die Möglichkeit, CDs selbst zusammenzustellen, die größte Rolle. Heruntergeladen wurde nicht in erster Linie Mainstream-Musik, sondern zu fast zwei Dritteln Raritäten. Das Interesse an Musik steigerte sich zwar durch Downloads, die Ausgaben für CDs sanken allerdings leicht. Die Nutzer waren überwiegend Männer zwischen 18 und 29 Jahren, sie hatten durchschnittlich über 1000 Musikdateien gespeichert, die sie zu 44 Prozent aus Tauschbörsen heruntergeladen hatten, nur sehr wenige digitalisierten ihre CDs selbst. 39 Prozent der Befragten waren Freerider und boten keine Dateien an, jeweils knapp ein Drittel boten entweder einen Teil oder alle ihre Dateien an.[96]
Die Wirkungshypothesen von Beckers Kausalmodell sind in folgendem Pfadmodell dargestellt.
Abbildung 4: Pfadmodell zur Erklärung des Angebotsverhaltens[97]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im Kausalmodell wurde der Einfluss verschiedener Faktoren auf die Angebotsmotivation operational überprüft. Darin wurden die Bereitschaft des Nutzers, Dateien anzubieten, durch Angebotsanteil („Wie viele von deinen Songs/Filmen bietest du an?“) und Angebotsmenge (berechnet aus Angebotsanteil und gespeicherten Dateien) als unabhängige Variablen abgebildet. Die latenten Variablen Kosten, Altruismus, Reziprozität, Restriktionen und Netzwerkexternalitäten wurden durch Indikatoren konstruiert. In die Kostenvariable flossen direkt abfragbare objektive Faktoren wie die Verbindungsgeschwindigkeit und das Vorhandensein einer Flatrate ein. Außerdem wurden mehrere Items zu subjektiven Assoziationen mit den Kosten von Downloads formuliert, die sich z.B. auf die zu lange Dauer von Uploads oder die mögliche Strafbarkeit des Anbietens bezogen. Altruismus wurde über eine Likert-Skala zu altruistischem Verhalten (bezogen auf Filesharing und allgemein) abgefragt. Ebenso sollten mehrere Items herausfinden, inwieweit die Befragten Reziprozität als verpflichtendes und faires Verhalten in Tauschbörsen wahrnahmen und inwieweit sie sich nach der Meinung ihrer Peers richteten. Außerdem wurde bestimmt, ob sie Sanktionsmechanismen, also Restriktionen, um Freeriding zu verhindern, befürworteten und ob sie Netzwerk- und Gemeinschaftseffekten Relevanz beimaßen.[98]
Mittels Partial Least Squares führte Becker eine segmentspezifische Überprüfung des Modells durch. Bis auf das Kostenkonstrukt, bei dem einige Items nicht signifikant waren, trugen alle Indikatoren zur Erklärung ihres Konstruktes bei. Der Anteil der erklärten Varianz für den Angebotsanteil lag bei 36 Prozent. Die Vorzeichen aller signifikanter Pfadkoeffizienten mit der erwarteten Wirkungsrichtung überein, nur der Wunsch nach Restriktionen war nicht signifikant. Als wichtigsten Einflussfaktor auf den Angebotsanteil ergab sich die Reziprozität, der zweitgrößte, aber sehr viel kleinere Faktor sind die Kosten, die noch vor Netzwerkeffekten und Altruismus lagen.
Becker schließt aus seinen Befunden, dass „die Motivation, einen Teil der eigenen Dateien anzubieten, in erster Linie durch die strategischen Erwägungen reziproken Verhaltens bestimmt werden“[99] und dass „die strategischen Erwägungen nicht langfristiger Natur sind, sondern lediglich in Erwartung an mittelbare Gegenleistungen erfolgen.“[100] Daher ist die Wirkung der altruistischen Motive nur sekundär. Außerdem bestätigte sich ein Zusammenhang zwischen dem Datenbestand und der Angebotsmenge, d.h. dass Nutzer, die viele Dateien gespeichert haben, auch vergleichsweise mehr anbieten und umgekehrt.
3.4.3 Theoretische Erklärung für Kooperation in Tauschbörsen
Strahilevitz (2002) hat ebenfalls versucht, das Anbieten von Dateien in Filesharing-Netzwerken zu erklären und greift dabei auf sozialpsychologische Erkenntnisse zu Kooperation und Altruismus in anonymen Situationen zurück. Die Sozialpsychologie erläutert, wie soziale Normen in eng verbundenen Gruppen entsteht. Dass aber auch in sehr lose verbundenen Gruppen wie unter den Nutzern von Filesharing-Netzwerken Kooperation und eine Norm des Reziprozität entsteht, erklärt Strahilevitz mit dem „Charismatic Code“. Damit meint er die Technologie dieser Netzwerke, mit der den Mitgliedern der Gemeinschaft ein verzerrtes Bild der Einstellungen anderer Mitglieder präsentiert wird, indem kooperatives Verhalten in den Vordergrund gestellt und unkooperatives Verhalten verborgen wird. Dieses verzerrte Bild entsteht, weil in p2p-Netzwerken zwar sehr sichtbar ist, wer seine Dateien mit anderen teilt; wer aber nicht teilt, bleibt unsichtbar. Die Betreiber der Netzwerke verstärken den Anschein, Teilen sei die Norm, etwa durch Slogans, Statistiken, aktuelle Anzeigen der verbundenen Mitglieder und der geteilten Dateien sowie über Besonderheiten der Programme (z.B. werden Down- und Uploads im selben Fenster gezeigt, so dass ein Ungleichgewicht auch visuell sofort sichtbar wird).[101] Mit dieser Taktik knüpfen die Netzwerke an bereits internalisierte und an universelle Normen der Reziprozität an, die die meisten Nutzer in ihrer Sozialisation erlernt haben. Diese Norm der Wechselseitigkeit kommt darin zum Ausdruck, dass bei Menschen, die einen Vorteil durch kooperatives Verhalten anderer erhalten, ein Gefühl ausgelöst wird, in der Schuld zu stehen. Reziprozität dient als Methode, um die dadurch entstandene Spannung wieder aufzulösen. Wenn man sich nicht bei demjenigen revanchieren kann, der einem den Vorteil verschafft hat (wie beim Filesharing meist der Fall), hilft man als Ausgleich einem dritten. Nutzer eines Filesharing-Netzwerks, die ihre Dateien teilen, erhalten sich so ein positives Bild ihrer selbst, sie sehen sich als Teamspieler und Gemeinschaftsmitglieder.
Von der Norm der Reziprozität wird nur abgewichen, wenn die Kosten und Risiken des Uploading zu hoch sind oder die Nutzer der Meinung sind, dass genug Inhalte zur Verfügung stehen und sie selbst nicht mehr anbieten brauchen.[102]
Strahilevitz sieht den entscheidenden Grund für freiwillige Kooperation in Filesharing-Netzwerken also darin, dass deren Betreiber „have successfully designed a world in which their members see each other trough rose-colored glasses“. Mit Charismatic Code haben sie ein Instrument an der Hand, mit der ein kooperatives Gefüge erschaffen und Normen gefestigt werden können, so dass auch die Mitglieder dieser lose verbundenen Gemeinschaften kooperative Einstellungen entwickeln, wie man sie eigentlich nur in eng verbunden Gruppen vermutet.[103]
3.5 Onlinebefragung deutscher Tauschbörsennutzer
Im Sommer 2001 führten Haug und Weber (2002) eine in ihrer Größenordnung bisher einzigartige Studie zu Verhalten und Einstellungen deutscher Tauschbörsennutzer durch. Mit ihrer explorativen Onlinebefragung erreichten sie 4340 Teilnehmer.
Durchschnittlich wurden 78 Songs in einem Zeitraum von drei Monaten heruntergeladen, dabei blieben 90 Prozent der Befragten unter 200 Dateien. Aufgrund dieses Downloadverhaltens wurden die Befragten in typische (bis 200 Dateien) und extreme Nutzer (mehr als 200 Dateien) eingeteilt. Typische Nutzer luden durchschnittlich 40 MP3s in drei Monaten herunter; die Nutzer dieser Gruppe waren fast ausschließlich männlich, durchschnittlich 26 Jahre alt, mehr als die Hälfte hatte Abitur und mehr als ein Fünftel einen Hochschulabschluss.[104]
Für weniger als 2 Prozent aller Befragten war es von Bedeutung, ob Tauschbörsen legal sind.[105] Nur 5 Prozent waren der Meinung, dass die Verbreitung digitaler Kopien die Rechter der Urheber verletzt. Immerhin 9 Prozent (10 Prozent bei den extremen Nutzern) hatten Angst, sich beim Downloading strafbar zu machen, 14 (bzw. 12) Prozent befürchteten dies beim Uploading von Dateien.[106]
Als Gründe für die Nutzung von Tauschbörsen wurde am häufigsten genannt, dass Alternativen fehlten, preisgünstig einzelne Musikstücke zu und dass Tauschbörsen einen guten Überblick über Musikrichtungen geben; auch der Gemeinschaftsaspekt des Tauschens spielte eine große Rolle. Diesen Motiven stimmten jeweils zwischen 68 und 87 Prozent der Befragten zu. Mehr als die Hälfte der typischen und über zwei Drittel der extremen Nutzer befürworteten Tauschbörsen außerdem als ein Mittel, dem Profitstreben der Musikkonzerne entgegenzutreten. Über 80 Prozent beider Gruppen fanden Tauschbörsen praktisch, um preisgünstig, schnell und einfach Musik zu hören.[107]
Eine zusätzliche Auswertung von Email-Feedback zur Umfrage ergab außerdem folgende Motive: Musik wird in Tauschbörsen probegehört, bereits erworbene CDs werden als Doppel heruntergeladen und in Tauschbörsen ist auch ausgefallene Musik jenseits des Mainstream verfügbar.[108] Es zeigte sich außerdem, dass Filesharing offensichtlich mit der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen in Zusammenhang steht. Denn die Hälfte der typischen und mehr als zwei Drittel der extremen Nutzer gaben an, dass sechs oder mehr Personen aus ihrem Freundeskreis ebenfalls Tauschbörsen in Anspruch nahmen.[109]
Dennoch kauften fast zwei Drittel aller Tauschbörsennutzer weiterhin CDs, es lässt sich daher kein genereller negativer Zusammenhang zwischen gekauften CDs und der Downloadaktivität feststellen. Allerdings bestätigten die typischen Nutzer die Befürchtungen der Musikindustrie: Wer viele MP-Dateien herunterlädt, kaufte wenig CDs und umgekehrt. Die extremen Nutzer dagegen kauften gleichzeitig auch viele CDs, es scheint also Unterschiede in der Intensität des Musikkonsums zu geben, die sich auf beide Aktivitäten auswirken.[110]
Nach den Befunden dieser Studie hatte eine Reihe von Variablen Einfluss auf das Downloadverhalten: Wer keine Angst vor strafrechtlicher Verfolgung hatte oder der Musikindustrie schaden wollte, lud mehr Dateien herunter. Wer Tauschbörsen für illegal hielt oder meinte, dass Urheberrechte verletzt werden, lud weniger herunter. Bei den extremen Nutzern schien vor allem das Verhalten der Freunde einen starken Einfluss auf deren Neigung zu haben, Dateien herunterzuladen. Einstellungen hingegen hatten keinen signifikanten Einfluss, nur die Angst vor rechtlichen Konsequenzen senkte die Download-Häufigkeit.[111]
Die Ergebnisse zum Freeriding unterschieden sich stark von den Forschungsergebnissen[112] der zuvor erwähnten Studien, da 83 Prozent der Nutzer ihre Dateien als Anbieter auch anderen zum Download zur Verfügung stellten. 71 Prozent der typischen und 80 Prozent der extremen Nutzer waren der Meinung, dass Tauschbörsen auf Gegenseitigkeit beruhen, sie vertraten also eine starke Reziprozitätsorientierung. Um herauszufinden, welche Faktoren das Freeriding („Trittbrettfahrertum“) bedingen, wurde eine Regression durchgeführt. Als wichtigste Determinanten für das Freeriding erwiesen sich die wahrgenommenen Ressourcen der Tauschpartner und der damit zusammenhängende Bedarf, auch Risikoeinschätzungen und Sanktionsängste spielten eine Rolle. Den größten Einfluss hatten jedoch Reziprozitätsnormen und das Verhalten des Freundeskreises. Haug und Weber fassen daher zusammen, dass „sich die Teilnehmer als rationale Akteure erweisen, die sich an ihren Möglichkeiten, den wahrgenommenen Handlungsfolgen sowie dem Bedarf und dem Verhalten der Interaktionspartner orientieren, wobei normative Verhaltenserwartungen keine unerhebliche Rolle spielen.“[113]
3.6 Untersuchungen zu ökonomischen Auswirkungen
3.6.1 Theoretische Überlegungen aus der Ökonomie
In der ökonomischen Theorie werden mögliche Effekte von Filesharing auf die Verkaufszahlen von CDs erläutert, die wichtigsten sind der Substitutions- und der bereits erwähnte Sampling-Effekt.[114] In Annahme eines Substitutionseffektes stellt ein Download einen Ersatz für den Kauf eines urheberrechtlich geschützten Werks dar. Daher wird allgemein erwartet, dass die Verfügbarkeit von Kopien in Tauschbörsen einen negativen Effekt auf die Verkaufszahlen hat, weil dadurch die Bereitschaft, eine CD zu kaufen, verringert wird.[115] Denn eine heruntergeladene digitale Kopie kostet sehr viel weniger als eine CD, die Kosten für die Internetverbindung und eventuelle CD-Rohlinge bleiben weit hinter dem Kaufpreis zurück. Zwar ist sie weniger wert als das Original, da sie durch das MP3-Verfahren komprimiert wurde und außerdem die bei CDs üblichen Booklets mit Bildern, Texten und weiteren Musikinfos fehlen.[116] Dennoch kann davon ausgegangen werden, dass eine digitale Musikkopie qualitativ dem Original sehr nahe kommt und letzteres wegen ihrer geringen Kosten für den Tauschbörsennutzer ersetzen kann.
Der sogenannte Sampling-Effekt (gewissermaßen „Kostprobe-Effekt“) beruht auf der Tatsa che, dass Musik ein typisches Erfahrungsgut ist. Tauschbörsen eignen sich daher dafür, um neue Musik erst einmal Probezuhören. Durch dieses Sampling können Konsumenten eine bessere Übereinstimmung mit ihrem persönlichen Musikgeschmack erreichen und Musik auswählen, die ihnen gefällt, bevor sie diese dann auf CD kaufen. Wenn der Sampling-Effekt den Substitutionseffekt dominiert, könnte Filesharing daher zu höheren Profiten der Musikindustrie führen kann, wenn die Produktauswahl groß genug ist und die Geschmäcker hinreichend heterogen.[117] Allerdings ist es nahe liegend, dass auch Nutzer, die Musik nur zum Ausprobieren herunterladen, einfach die MP3-Datei behalten, statt die CD zu kaufen, wenn sie dies moralisch für vertretbar halten. Außerdem kann das Probehören auch zu niedrigeren CD-Verkäufen führen, da Nutzer eine CD, deren Musik ihnen nicht gefällt, auch nicht kaufen werden, obwohl sie das ohne Sampling vielleicht getan hätten.[118]
[...]
[1] vgl. Schmitt/Stöcker 2006, 06. Juni.
[2] vgl. ebd.; Musikwoche.de 2006a, 06. Juni.; Wikipedia 2006.
[3] vgl. http://piratenpartei.de/; PPÖ Bundesvorstand 2006; Heinzelmann 2006, 12. September.
[4] vgl. Haug/Weber 2001.
[5] vgl. Becker 2004.
[6] vgl. Haug/Weber 2002: 12; Freiwald 2004: 15.
[7] MPEG ist die Abkürkzung für „Moving Pictures Experts Group“, die als Arbeitsgruppe der International Standards Organisation ebenfalls an der Entwicklung beteiligt war. vgl. Wong 2001: 323.
[8] vgl. Haug/Weber 2002: 12; Freiwald 2004: 14; Zentner 2006: 70.
[9] vgl. Zentner 2006: 70; Rau 2004: 216.
[10] vgl. Haug/Weber 2002: 13; Freiwald 2004: 16.
[11] Das verwendete Programm ist ein sogenannter Codec, also ein Programm, das der Komprimierung (compression) und Dekomprimierung (decompression) dient.
[12] vgl. Becker 2004: 16f.
[13] vgl. Freiwald 2004: 20f.
[14] vgl. TNS Infratest 2006: 60.
[15] vgl. van Eimeren/Frees 2005: 371.
[16] Eine Übersicht über Verbindungsarten und ihre Bandbreiten nach Becker (2004) findet sich imnAnhang B.
[17] vgl. Becker/Hörning 2002: 48f.; 51f.
[18] vgl. Haug/Weber 2002: 15f.
[19] vgl. Becker 2004: 9.
[20] vgl. Liebowitz 2006: 4.
[21] siehe dazu den Screenshot einer Trefferliste bei eMule in Anhang C.
[22] vgl. Freiwald 2004: 23.
[23] siehe dazu den Screenshot eines Transferfensters bei eMule in Anhang C.
[24] vgl. Freiwald 2004: 24f.
[25] vgl. Becker 2004: 10.
[26] Zu den rechtlichen Aspekten von Tauschbörsen vgl. Kapitel 2.4.4, zu den Gerichtsverfahren gegen Napster vgl. Kapitel 2.6.1.
[27] vgl. Becker 2004: 11f.; Haug/Weber 2002: 16f.; Freiwald 2004: 26f.
[28] vgl. Rau 2004: 229; Mp3-Heaven.net 2006.
[29] vgl. Becker 2004: 12; Haug/Weber 2002: 18f.; Freiwald 2004: 28ff.; Rau 2004: 227f.
[30] vgl. Gulli.com 2006a; Mp3-Heaven.net 2006.
[31] vgl. Becker 2004: 13; Freiwald 2004: 30f.; Rau 2004: 227.
[32] vgl. Rau 2004: 228.
[33] vgl. Rau 2004: 229f.; Betz 2003: 125f.; Gulli.com 2006a; Mp3-Heaven.net 2006.
[34] vgl. Rau 2004: 229.
[35] vgl. Musikwoche.de 2006b, 09. Juni.
[36] vgl. Gulli.com 2006a.
[37] vgl. dazu Kapitel 1.
[38] vgl. dazu Kapitel 2.6.1.
[39] vgl. Ihlenfeld 2005, 09. März.
[40] Rau 2004: 244.
[41] vgl. Haug/Weber 2004: 21.
[42] vgl. Rau 2004: 245f.
[43] vgl. Freiwald 2004: 125ff.
[44] vgl. Internetredaktion des Referats Presse und Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums der Justiz 2004.
[45] Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums für Justiz 2006: 2.
[46] vgl. ebd.: 3.
[47] vgl. Freiwald 2004: 166f.
[48] vgl. Rau 2004: 252.
[49] vgl. Evert 2005: 69f.
[50] vgl. Freiwald 2004: 142f.; 167.
[51] vgl. Freiwald 2004: 151f.; Evert 2005: 70.
[52] vgl. Freiwald 2004: 151f.
[53] ebd. : 159.
[54] vgl. ebd.: 158f.; 167.
[55] Zu den empirischen Untersuchungen dieser Vorwürfe siehe Kapitel 3.7.1.
[56] vgl. Brockdorff-Dallwitz 2006a: 13 ; 25; Spiesecke 2005, 09. März.
[57] Diese Gemeinschaftsinitiative wurde von Künstlern, Textdichtern, Komponisten und Tonträgerherstellern seit Sommer 1998 lanciert. vgl. Spiesecke 1999, 09. Dezember.
[58] vgl. Rau 2004: 262f.
[59] vgl. Röttgers 2003: 19; Becker 2004: 14.
[60] vgl. Röttgers 2003: 22; 48; 50; Becker 2004: 28.
[61] Zum Unterschied der Rechtswidrigkeit bei Herunterladen und Bereitstellen siehe Kapitel 2.4.3 und 2.4.4.
[62] vgl. Test 4/2006: 13f; Patalong/Stöcker 2006, 23. Mai.
[63] vgl. Patalong/Stöcker 2006, 23. Mai.
[64] vgl. Haug/Weber 2002: 23; Becker 2004: 28; Rau 2004: 269; 273ff.; 279.
[65] vgl. Haug/Weber 2002: 23f.; Braun 2004.
[66] Vgl. Stöcker 2006, 28. August.
[67] vgl. Rau 2004: 267; Freiwald 2004: 32.
[68] vgl. IFPI 2006: 6.
[69] vgl. Klaß 2004, 01. September.
[70] vgl. Donath 2005, 22. Juni.
[71] vgl. IFPI 2006: 4.
[72] vgl. Schäfer 2005, 03. August; Brockdorff-Dallwitz 2006a: 26.
[73] vgl. iMesh 2006a; 2006b.
[74] vgl. Brockdorf-Dallwitz 2006b; Stöcker 2006, 27. Juli.
[75] Diese Nutzungsoptionen werden durch DRM festgelegt, vgl. dazu Kapitel 2.6.2.
[76] vgl. Ihlenfeld 2006, 03.August; Napster o.J.
[77] vgl. Becker/Hörning 2002: 76ff.
[78] vgl. Musikwoche.de 2006b, 09. Juni.
[79] vgl. GfK Panel Services Deutschland 2006: 42; 47; 50.
[80] vgl. Bay TSP 2006: 6ff.
[81] Beispielhafte Studien aus der Informatik sind Ripeanu et al. 2001, Saroiu et a. 2002, Howe 2002, Leibowitz et al. 2003, Qui/Srikant 2004, Bharambe/Herley 2005.
[82] vgl. Gopal et al. 2002: 11ff.
[83] vgl. ebd.: 15.
[84] vgl. ebd.: 17.
[85] vgl. LaRose et al. 2005: 3f.
[86] vgl. ebd.: 5.
[87] vgl. ebd.: 6f.
[88] vgl. ebd.: 10; 12f.
[89] La Rose et al. 2005: 13.
[90] vgl. Bhattachacharjee 2006: 94f.
[91] vgl. ebd.: 109f.
[92] ebd.: 109.
[93] vgl. Adar/Huberman 2000: 4f.; 10.
[94] vgl. Hughes et al. 2005: 7f.; 13.
[95] vgl. Andrade et al. 2005: 3f.
[96] vgl. Becker 2004: 103ff.
[97] aus Becker 2004: 124.
[98] vgl. ebd.: 110ff.
[99] ebd.: 137.
[100] ebd.
[101] vgl. Strahilevitz 2002: 32f.
[102] vgl. ebd.: 50.
[103] vgl. ebd.: 67.
[104] vgl. Haug/Weber 2002: 79ff.
[105] Diese Umfrage fand statt, bevor in Deutschland rechtlich gegen Tauschbörsennutzer vorgegangen wurde.
[106] vgl. ebd.: 90.
[107] vgl. ebd.: 91.
[108] vgl. ebd.: 102f.
[109] vgl. ebd.: 94.
[110] vgl. ebd.: 95.
[111] vgl. ebd.: 95f.
[112] siehe dazu Unterkapitel 3.2.1.
[113] ebd.: 100.
[114] vgl. Liebowitz 2005: 441ff., Liebowitz 2006: 17ff.
[115] vgl. auch Peitz/Waelbroeck 2003: 3.
[116] vgl. ebd.: 18f.
[117] vgl. Peitz/Waelbroeck 2005: 3.
[118] vgl. Liebowitz 2005: 442.
- Quote paper
- Beatrix Deiss (Author), 2006, Musik aus dem Internet. Filesharing in p2p-Tauschbörsen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68182
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