Vor einigen Jahren wurde ich einmal von einem Bekannten gefragt, was `Manierismus´ ist. Obwohl mein Interesse der Kunstgeschichte gilt, wusste ich keine Antwort darauf. Dennoch versuchte ich, eine Erklärung zu finden. So dachte ich an die Maniermalerei auf Meißner Porzellan, welches ich vier Jahre lang während meiner Ausbildung als Porzellanmalerin bemalt hatte, und erklärte dem Bekannten den Manierismus als stilisierte Kunstform. Meine Erklärung stellte mich nicht zufrieden und so begann ich, den Manierismus zu erforschen. Dabei entdeckte ich, dass der Manierismus seit seiner Entstehung als Verfallserscheinung der klassischen Renaissancekunst von vielen Kunsttheoretikern abgewertet wurde und deshalb ein Schattendasein führte. So wird er meist mit dem Wort `Manier´ verwechselt, so wie es mir selbst ging. Doch der Unterschied beider Begriffe liegt darin, dass der Manierismus ein kunstgeschichtlicher Artbegriff ist und die Manier oder Manieriertheit kunstkritische Qualitätsbegriffe sind. Während meiner Recherchen zum Manierismus stellte ich fest, dass dieser Begriff auch anderen kunstinteressierten Menschen eher ungeläufig ist im Gegensatz zu der im etwa gleichen Zeitraum datierten Renaissance.
Einige Zeit später las ich in dem Buch „Anna Viebrock Bühnen/ Räume“ über ein Interview von Bettina Masuch mit Anna Viebrock, in dem der Stil der Viebrockschen Bühnenbildkunst diskutiert wurde. Darin entdeckte ich ein Zitat von Anna Viebrock, in dem mir das Wort `Manierismus´ ins Auge fiel. Bettina Masuch fragt sie, ob ihr Spiel mit konstruierten und verdeckten Widersprüchen eine moderne Form des Trompe l´oeil ist. Die Antwort lautet:
„Irgendwie schon. Diese ganzen Effekte, die es schon im Manierismus gab, diese gemalten Perspektiven und Anamorphosen und Tricks wirken auf uns heute schon fast wieder surrealistisch. Der Manierismus als Kunstgattung wurde lange als Verfallserscheinung der klassischen Kunst verstanden, weil die Maler in ihren Bildern die Leute verzerrt, und die Realität aus dem Lot genommen haben. Pontormo z. B. ist einer meiner Lieblingsmaler, weil bei ihm die Verformung des Körpers fast schon zur Obsession geworden ist, wie sich z. B. der Körper verformt, wenn ein anderer Körper auf ihm liegt.“
Für mich war es äußerst überraschend, dass Anna Viebrock – eine Bühnenbildnerin der Gegenwart – sich in ihrer Kunst mit dem Manierismus auseinandersetzt...
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Kurzer Diskurs über den Manierismus
- Der Begriff des Manierismus
- Die Entstehungsgeschichte und seine hauptsächlichen Vertreter
- Wer war Jacopo Pontormo – eine kurze Auseinandersetzung mit dem Lieblingsmaler von Anna Viebrock
- Die Bühnenbildnerin Anna Viebrock und der manieristische Charakter in ihrer verzerrten tristen Bühnenwelt
- Beschreibung des Bühnenbildes zu „Goethes Faust Wurzel aus 1+ 2“ (Abb. im Anhang)
- Die Bühnenbildnerin Anna Viebrock
- Einige manieristische Stilmerkmale im Vergleich zu der Bühnenbeschreibung des Stückes „Goethes Faust Wurzel aus 1+ 2“
- Die Krise der Renaissance im Vergleich zur modernen Zeit und die Wirkung auf das Weltbild der Künstler
- Eine Zeit im Umbruch – die Krisen des 16. Jh.
- Die Entstehung eines neuen Weltbildes und dessen Auswirkung auf die manieristische(n) Kunst (Künstler)
- Parallelen der gesellschaftlichen Situation im 20. Jh. und eine Auseinandersetzung mit „Goethes Faust Wurzel aus 1+ 2“ in Bezug darauf
- Weitere Beispiele für den manieristischen Charakter in der Bühnenwelt von Anna Viebrock
- Anna Viebrocks Bühne zu der Oper „Alcina“ von Georg Friedrich Händel unter anderem in Betrachtung zum wichtigsten Ausdrucksmittel des Manierismus – dem Spiegel (Abb. im Anhang)
- Geträumte Realräume – ein Beitrag von Stefanie Carp über den Theaterstil von Anna Viebrock im Vergleich zu manieristischen Stilelementen
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht den Einfluss des Manierismus auf die Bühnenbildkunst der Gegenwart, insbesondere im Werk der Bühnenbildnerin Anna Viebrock.
- Der Begriff und die Entstehungsgeschichte des Manierismus
- Die Stilmerkmale des Manierismus im Vergleich zu den Bühnenbildern von Anna Viebrock
- Die Relevanz des Manierismus für die heutige Zeit und seine Anwendung im modernen Theater
- Die besondere Bedeutung des Trompe l'oeil als manieristisches Mittel in Viebrocks Bühnenbildkunst
- Die Verbindung zwischen den historischen und gesellschaftlichen Kontexten des Manierismus und der heutigen Zeit
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die den Hintergrund der Forschung erläutert und die Motivation für das Thema darlegt. Das zweite Kapitel bietet einen kurzen Diskurs über den Manierismus, einschließlich einer Definition des Begriffs und seiner Entstehung. Das dritte Kapitel stellt die Bühnenbildnerin Anna Viebrock und ihren Stil vor und beschreibt ihr Bühnenbild für „Goethes Faust Wurzel aus 1+ 2“. Im vierten Kapitel werden die manieristischen Stilmerkmale mit der Bühnenbildkunst von Anna Viebrock verglichen. Das fünfte Kapitel analysiert die Krise der Renaissance im Vergleich zur modernen Zeit und untersucht die Auswirkungen auf das Weltbild der Künstler. Das sechste Kapitel führt weitere Beispiele für den manieristischen Charakter in Viebrocks Bühnenbildern an, insbesondere die Inszenierung der Oper „Alcina“.
Schlüsselwörter
Manierismus, Anna Viebrock, Bühnenbildkunst, Trompe l'oeil, Renaissance, Moderne, Theater, Kunstgeschichte, Stilmerkmale, Verzerrung, Dekonstruktion, Surrealismus, historische Kontexte, gesellschaftliche Entwicklungen, „Goethes Faust Wurzel aus 1+ 2“, „Alcina“
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- Dipl.-Bühnen- und Kostümbildner Grit Biermann (Author), 2006, Der Manierismus und seine Wiederentdeckung im Theater der Gegenwart, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68102