Das Abzinsungsgebot für Verbindlichkeiten und Rückstellungen wurde von dem Gesetzgeber erstmals im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 gesetzlich verankert. Die bisherige Rechtslage sah bis dato ein Abzinsungsverbot für Rückstellungen gem. § 253 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 HGB im Handelsrecht und gem. § 5 Abs.1 S.1 EStG damit übereinstimmend auch für die steuerliche Gewinnermittlung vor. Wohl hauptsächlich fiskalisch motiviert fügte der Gesetzgeber 1999 die Vorschriften hinsichtlich der Abzinsung von Verbindlichkeiten (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG) und Rückstellungen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG) in die
steuerrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften ein.
Mittels dieser Vorschriften sollte vor allem die steuerliche Bemessungsgrundlage im Rahmen der steuerrechtlichen Gewinnermittlung
erweitert werden. Letztlich handelt es sich jedoch nicht um eine Erweiterung der Bemessungsgrundlage, sondern lediglich um die Realisierung kurzfristiger Steuermehreinnahmen durch die Abzinsung von
längerfristigen ungewissen Verbindlichkeiten und Rückstellungen.
Da die Umsetzung der gesetzlichen Regelungen allerdings in der Praxis zu Problemen führte, wurde seitens des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) am 26.05.2005 ein aktuelles Schreiben zu diesem Thema veröffentlicht. Das BMF-Schreiben wurde in der Folge insbesondere aufgrund seines Umfangs und der erheblichen Verzögerung seiner Veröffentlichung (sechs Jahre nach dem Erlass des Gesetzes) in der Literatur kritisiert.
In der Praxis stößt das im Jahr 1999 eingeführte Abzinsungsgebot für unverzinsliche Verbindlichkeiten und Rückstellungen ebenfalls auf Unverständnis. Neben der sich einstellenden Abweichung von Handels- und Steuerbilanz aufgrund des handelsrechtlichen Abzinsungsverbots, wird vor allem die Abzinsung der Verbindlichkeiten kritisiert, da diese zu einer vorübergehenden Besteuerung von Scheingewinnen führt. Dies gilt letztlich auch für die Abzinsung von Rückstellungen, was ebenfalls zu kritischen Anmerkungen in der Literatur geführt hat.
In der vorliegenden Seminararbeit wird ausgehend von der Darstellung des Ansatzes von Verbindlichkeiten und Rückstellungen in der Handelsbilanz die Abzinsungsverpflichtungen und -methoden des
Steuerentlastungsgesetzs für die Steuerbilanz erläutert und anschließend eine Einordnung der Vorschrift u. a. im Hinblick auf das Leistungsfähigkeitsprinzip und ihre Verfassungsmäßigkeit vorgenommen.
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Zum Begriff der Verbindlichkeiten und Rückstellungen
- 2.1 Definition Verbindlichkeiten
- 2.2 Definition Rückstellungen
- 3. Der Ansatz der Verbindlichkeiten und Rückstellungen in der Handels- und Steuerbilanz
- 3.1 Verbindlichkeiten
- 3.1.1 Das handelsrechtliche Passivierungsgebot
- 3.1.2 Grundsätze der Passivierung
- 3.1.3 Die handelsrechtliche Bewertung von Verbindlichkeiten
- 3.2 Rückstellungen
- 3.2.1 Das handelsrechtliche Passivierungsgebot
- 3.2.2 Die handelsrechtliche Bewertung von Rückstellungen
- 3.3 Maßgeblichkeit für die Steuerbilanz
- 3.4 Steuerrechtliche Sondervorschriften
- 3.1 Verbindlichkeiten
- 4. Das Abzinsungsgebot für die Steuerbilanz im Rahmen des Steuerentlastungsgesetzs 1999/2000/2002
- 4.1 Die grundlegenden Ziele des StEntlG
- 4.2 Abzinsung von Verbindlichkeiten in der steuerlichen Gewinnermittlung
- 4.2.1 Der Anwendungsbereich der Abzinsung von Verbindlichkeiten
- 4.2.2 Bewertungsverfahren
- 4.2.3 Abzinsung von unverzinslichen Verbindlichkeiten, die in einem Betrag fällig sind (Fälligkeitsdarlehen)
- 4.2.4 Abzinsung von unverzinslichen Verbindlichkeiten, die in gleichen Jahresraten getilgt werden (Tilgungsdarlehen)
- 4.2.5 Ausnahmen von der Abzinsung
- 4.3 Abzinsung von Rückstellungen in der steuerlichen Gewinnermittlung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG
- 4.3.1 Der Anwendungsbereich der Abzinsung von Rückstellungen
- 4.3.2 Bewertungsverfahren
- 4.3.3 Abzinsung von Rückstellungen für Verpflichtungen, für deren Entstehen im wirtschaftlichen Sinne der laufende Betrieb ursächlich ist
- 4.4 Rücklagen nach § 52 Abs. 16 EStG
- 5. Kritische Betrachtung des Abzinsungsgebots
- 6. Fazit
- 7. Thesen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Seminararbeit untersucht die rechtlichen und praktischen Aspekte der Abzinsung von Verbindlichkeiten und Rückstellungen in der steuerlichen Gewinnermittlung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 und 3a EStG. Die Arbeit analysiert die gesetzlichen Regelungen des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 und deren Auswirkungen auf die Steuerbilanz.
- Definition und Abgrenzung von Verbindlichkeiten und Rückstellungen
- Handels- und steuerrechtliche Behandlung von Verbindlichkeiten und Rückstellungen
- Das Abzinsungsgebot nach dem Steuerentlastungsgesetz und seine methodischen Aspekte
- Kritische Auseinandersetzung mit den Regelungen und deren Auswirkungen
- Einordnung der Vorschriften im Hinblick auf das Leistungsfähigkeitsprinzip und die Verfassungsmäßigkeit
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung führt in das Thema der Abzinsung von Verbindlichkeiten und Rückstellungen in der steuerlichen Gewinnermittlung ein und skizziert den historischen Kontext der gesetzlichen Regelung im Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002. Sie hebt die fiskalischen Motive des Gesetzgebers hervor und erwähnt die in der Praxis aufgetretenen Probleme sowie die daraufhin veröffentlichte Stellungnahme des Bundesministeriums der Finanzen (BMF). Kritische Stimmen aus der Literatur zum BMF-Schreiben und zur generellen Abzinsungspraxis werden ebenfalls angeführt, welche die Abweichung von Handels- und Steuerbilanz und die Besteuerung von Scheingewinnen thematisieren. Die Arbeit kündigt die systematische Darstellung des Themas an.
2. Zum Begriff der Verbindlichkeiten und Rückstellungen: Dieses Kapitel definiert präzise die Begriffe "Verbindlichkeiten" und "Rückstellungen". Verbindlichkeiten werden als rechtlich erzwingbare oder faktische, wirtschaftlich belastende Verpflichtungen gegenüber Dritten beschrieben, deren Passivierung am Bilanzstichtag voraussetzt, dass sie dem Grunde nach entstanden und der Höhe nach quantifizierbar sind. Die Rechtsgrundlagen im Zivil- und öffentlichen Recht werden kurz erwähnt. Der Abschnitt zu Rückstellungen erläutert diese als Passivposten für Aufwendungen oder Verpflichtungen, die in einem abgelaufenen Geschäftsjahr verursacht werden, aber erst später zu Ausgaben führen. Die Unterscheidung zu anderen Passivposten wie Rücklagen und Verbindlichkeiten wird hervorgehoben.
3. Der Ansatz der Verbindlichkeiten und Rückstellungen in der Handels- und Steuerbilanz: Dieses Kapitel vergleicht die handels- und steuerrechtliche Behandlung von Verbindlichkeiten und Rückstellungen. Es beschreibt das handelsrechtliche Passivierungsgebot für Verbindlichkeiten (§§ 240 Abs. 1, 247 Abs. 1 HGB) unter Berücksichtigung der Kriterien betrieblicher Verursachung, Gewissheit und Quantifizierbarkeit am Bilanzstichtag. Die handelsrechtliche Bewertung wird ebenfalls erwähnt. Die Behandlung von Rückstellungen im Handelsrecht wird analog erläutert, wobei ebenfalls das Passivierungsgebot und die Bewertung im Fokus stehen. Schließlich wird die Bedeutung dieser Vorschriften für die Steuerbilanz und steuerrechtliche Sondervorschriften besprochen.
Schlüsselwörter
Abzinsung, Verbindlichkeiten, Rückstellungen, Steuerbilanz, Handelsbilanz, Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, § 6 Abs. 1 Nr. 3 und 3a EStG, Gewinnermittlung, Leistungsfähigkeitsprinzip, Verfassungsmäßigkeit, Bewertungsverfahren.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zur Seminararbeit: Abzinsung von Verbindlichkeiten und Rückstellungen
Was ist der Gegenstand dieser Seminararbeit?
Die Seminararbeit befasst sich mit der Abzinsung von Verbindlichkeiten und Rückstellungen in der steuerlichen Gewinnermittlung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 und 3a EStG. Sie analysiert die gesetzlichen Regelungen des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 und deren Auswirkungen auf die Steuerbilanz. Die Arbeit untersucht sowohl die rechtlichen als auch die praktischen Aspekte.
Welche Themen werden in der Seminararbeit behandelt?
Die Arbeit behandelt folgende Themenschwerpunkte: Definition und Abgrenzung von Verbindlichkeiten und Rückstellungen; handels- und steuerrechtliche Behandlung dieser Posten; das Abzinsungsgebot nach dem Steuerentlastungsgesetz und dessen methodische Aspekte; eine kritische Auseinandersetzung mit den Regelungen und deren Auswirkungen; die Einordnung der Vorschriften im Hinblick auf das Leistungsfähigkeitsprinzip und die Verfassungsmäßigkeit.
Wie sind Verbindlichkeiten und Rückstellungen definiert?
Verbindlichkeiten werden als rechtlich erzwingbare oder faktische, wirtschaftlich belastende Verpflichtungen gegenüber Dritten definiert. Ihre Passivierung setzt voraus, dass sie dem Grunde nach entstanden und der Höhe nach quantifizierbar sind am Bilanzstichtag. Rückstellungen sind Passivposten für Aufwendungen oder Verpflichtungen, die in einem abgelaufenen Geschäftsjahr verursacht werden, aber erst später zu Ausgaben führen. Die Unterscheidung zu anderen Passivposten wie Rücklagen und Verbindlichkeiten wird klar herausgearbeitet.
Wie werden Verbindlichkeiten und Rückstellungen in der Handels- und Steuerbilanz behandelt?
Das Kapitel 3 vergleicht die handels- und steuerrechtliche Behandlung. Im Handelsrecht gilt für Verbindlichkeiten ein Passivierungsgebot (§§ 240 Abs. 1, 247 Abs. 1 HGB) unter Berücksichtigung von betrieblicher Verursachung, Gewissheit und Quantifizierbarkeit am Bilanzstichtag. Die handelsrechtliche Bewertung wird ebenfalls diskutiert. Die Behandlung von Rückstellungen im Handelsrecht folgt einem analogen Vorgehen. Schließlich wird die Bedeutung dieser Vorschriften für die Steuerbilanz und steuerrechtliche Sondervorschriften erörtert.
Was besagt das Abzinsungsgebot nach dem Steuerentlastungsgesetz?
Die Arbeit analysiert detailliert das Abzinsungsgebot nach dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, insbesondere dessen methodische Aspekte für Verbindlichkeiten und Rückstellungen in der steuerlichen Gewinnermittlung. Es werden verschiedene Bewertungsverfahren und Anwendungsbereiche erläutert, inklusive Ausnahmen von der Abzinsung.
Welche kritischen Aspekte werden in der Arbeit behandelt?
Die Arbeit enthält eine kritische Betrachtung des Abzinsungsgebots, einschließlich der Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanz und der Problematik der Besteuerung von Scheingewinnen. Sie diskutiert auch die Einordnung der Vorschriften im Hinblick auf das Leistungsfähigkeitsprinzip und deren Verfassungsmäßigkeit.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren den Inhalt der Seminararbeit?
Schlüsselwörter sind: Abzinsung, Verbindlichkeiten, Rückstellungen, Steuerbilanz, Handelsbilanz, Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002, § 6 Abs. 1 Nr. 3 und 3a EStG, Gewinnermittlung, Leistungsfähigkeitsprinzip, Verfassungsmäßigkeit, Bewertungsverfahren.
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- Alexandra Scheld (Author), 2005, Abzinsung von Verbindlichkeiten und Rückstellungen in der steuerlichen Gewinnermittlung nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 und 3a EStG, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68076