Die Geschichte der SPD ist ein gutes Stück Gesellschaftsgeschichte. Sie entstand als Reaktion auf die Abhängigkeitsverhältnisse, Unsicherheiten und Krisen des industriellen Kapitalismus. Gerade Thüringen gilt als Geburtsort der deutschen Sozialdemokratie. Hier formierte sich schneller und früher als anderswo ein gut durchorganisiertes Netz der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Am Beispiel der ostthüringischen Kreisstadt Saalfeld soll die frühe Entwicklung der Sozialdemokratie betrachtet werden. Beschrieben wird hierbei nicht nur das Geschehen vor Ort, sondern auch auf den Einfluss der unmittelbaren Nachbarregionen wird Bezug genommen.
Die frühen Anfänge: Vom Arbeiterverein zur Sozialdemokratie
Die sozialdemokratische Arbeiterbewegung in Deutschland hat keine spezifische Geburtsstunde. Zu Beginn war sie weder Partei noch Organisation, sondern eine soziale Bewegung die sich als Reaktion der neuen Industriearbeiter auf die Abhängigkeitsverhältnisse, Unsicherheiten und die Krisen des industriellen Kapitalismus herausbildete. Dieser Prozess vollzog sich in Deutschland zwischen den 1830er und 1870er Jahren. Die Diskrepanz zwischen schnellem Bevölkerungswachstum auf der einen Seite und einem unzureichenden Angebot an neuen Arbeitsplätzen auf der anderen, verursachte eine stetige Senkung der Reallöhne. Die Folge dessen war eine bis dahin ungeahnte Verelendung der Massen des Volkes. Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnisse änderten sich grundlegend. Die einsetzende Industrielle Revolution verschärfte den massenhaften Pauperismus (pauper = arm) weiter Bevölkerungsteile. Soziale Not war der Preis schneller industrieller Entwicklung. Während die Verarmung der Arbeiter weiter zunahm, wuchs der Reichtum einer kleinen Schar von Fabrikbesitzern und Kapitalisten weiter an. Zum neuen Proletariat zählten sich nicht nur besitzlose Fabrikarbeiter, sondern auch Handwerker und Meister der traditionellen Gewerbe die unter den neuen Bedingungen wirtschaftlich nicht mehr Existenz fähig waren. Fehlende politische Mitbestimmungsmöglichkeiten verstärkten die Unzufriedenheit. Am demokratischen Aufbegehren in der Revolution von 1848 artikulierte sich auch die frühe Arbeiterbewegung. Hier wurden nicht nur demokratische Rechte eingeklagt, sondern auch eine Lösung der sozialen Frage gefordert. Die Arbeiter der damaligen Zeit lernten ihre Lage als gewordene, gemachte und damit auch veränderbare zu begreifen. Im Spätsommer 1848 gründet sich in Berlin die Arbeiterverbrüderung1 in der bald über 230 lokale Arbeitervereine Mitglied wurden. Die konkreten Ziele der Arbeiter waren soziale und demokratische Rechte, ihre Hoffungen richteten sich auf das Frankfurter Paulskirchenparlament.2
Wenn im Folgenden der Beginn der Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie in Saalfeld beschrieben wird, soll sich der Focus nicht nur auf den unmittelbaren Saalfelder Raum beschränken. Zum Verständnis um die damaligen Ereignisse ist es wichtig die Einflüsse aus Ostthüringen, sowie die aus dem zweiten Meininger Reichstagswahlkreis (Sonneberg-Saalfeld) zu nennen. Denn die Saalfelder Entwicklung ist nicht ohne diese Einflüsse zu erklären.
In der Revolution von 1848 dominierte vor allem im Reußischen Land und in Schwarzburg-Rudolstadt die Strömung der äußersten Linken3. Als namhafte Radikaldemokraten wirkten zum Beispiel in der Frankfurter Nationalversammlung für Rudolstadt, Friedrich Karl Hönninger4 oder Julius Fröbel5 für Schleiz. Frühe sozialdemokratische Tendenzen gab es in den Flugschriften des Altenburgers Adolph Douai6. In Gera und im Altenburger Ostkreis bildeten sich im Zuge der Revolution erste Arbeitervereine die engen Kontakt zur Arbeiterverbrüderung in Leipzig hatten.
In Sachsen-Meiningen schlugen die Wogen der Revolte nicht so hoch. Die vorherrschende politische Richtung war liberal. In der Nationalversammlung gehörten die aus dem Herzogtum entsandten Abgeordneten eher dem Linken Zentrum7 an.
Am 8. März 1848 forderte die liberale Bürgerschaft Saalfelds in einer Petition an die Regierung in Meinigen unter anderem Bürgerbewaffnung, Pressefreiheit, Reformen im Gerichtswesen, Versammlungsfreiheit, Wahlfreiheit, Errichtung eines gesamtdeutschen Parlaments und die Übertragung der herzoglichen Domänen an das Land. Die Forderungen entsprachen jedoch nicht nur den Vorstellungen des städtischen bürgerlichen Mittelstandes, hinter ihnen versammelten sich auch Handwerker und Kleingewerbe betreibende. Auch die Landbevölkerung, wenn sie doch für die bürgerlichen Rechte wie Presse.- und Vereinsfreiheit nicht so zu begeistern war, versprach sich bei der Lösung der Domänenfrage die Abschaffung von überkommenen Feudallasten. Ein Bild der demokratischen Aufbruchstimmung geben die Erinnerungen des Stadthistorikers Louis August Engelhardt wieder: „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit waren die Schlagworte, die man allenthalben hörte, Preßfreiheit schien das notwendigste auf der Welt zu sein (…) Jeder mußte an seiner Mütze die schwarz-rot-goldene Kokarde haben, und selbst unter uns Jungen wurde derjenige scheel angesehen, der nicht mit diesem Schmuckstück ausgerüstet war. "8
In der Stadt bildeten sich demokratische Vereine wie der Vaterlandsverein im Sommer oder der Märzverein im Herbst des Jahres 1848. Aus Hildburghausen erreichten republikanische Flugschriften die Einwohner der Stadt.9 Noch im März bildet sich eine Kommualgarde (Bürgerwehr) die sich vorwiegend aus Handwerkern rekrutiert.
Höhepunkte der Zeit waren die zahlreichen Sitzungen und Volksversammlungen auf denen die neuen Forderungen verkündet wurden „Die allgemeinen Menschenrechte, Pressefreiheit, Jagdfreiheit, Abtretung der Domänen wurden stürmisch verlangt“ (Engelhardt).
Herausragendes Ereignis war die festliche Weihe des schwarz-rot-goldenen Banners auf dem Saalfelder Markt. Das demokratische Aufbegehren in der städtischen Bevölkerung verlor nach der Proklamation des Herzogs vom 20. März an Intensität. Diese gestattete kurzerhand die Pressefreiheit sowie Vereinigungsfreiheit, die Errichtung von Bürgerwehren, stellte eine liberale Wahlreform in Aussicht und versprach die Selbstverwaltung der Gemeinden.
Während die Stadtbevölkerung ihre Forderungen weitestgehend erfüllt sah, beruhigte sich die Stimmung auf dem Land nicht. Im Spätsommer 1848 erheben sich in den umliegenden Dörfern die Bauern gegen die drohende Einschränkung der Jagdfreiheit. Hierbei verhält sich die Saalfelder Bürgerwehr passiv und nicht einsatzwillig. Dies provozierte die Entsendung von 600 meiningischen Soldaten nach Saalfeld. Am 8. Oktober kommt es im Raum Saalfeld zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Militär und demokratisch gesinnter Bürgerwehr.
In der ersten Hälfte des Jahres 1849 flammten nochmals an einigen Stellen Deutschlands Aufstände für die Einführung Reichsverfassung auf. So gab es Anfang Mai 1849 in Dresden erbitterte Barrikadenkämpfe, weitere Aufstandzentren bestanden in Baden und in der Pfalz. Die thüringischen Demokraten wollten das Volk und die Bürgerwehren auf die Verfassung vereidigen um so den Kampf um die Reichsverfassung vorzubereiten. Im Mai 1849 wurden rund 3000 Teilnehmer auf einer Volksversammlung in Saalfeld auf die Reichsverfassung vereidigt. Die Versuche mittels Vereidigungen, Unterstützung für die Aufständigen zu mobilisieren scheiterten. Als sich beispielsweise in Sonneberg im Juni 1849 ein Wehrausschuss zu Unterstützung des badischen Aufstandes mit einer Freischar von 200 Mann bildete, entsandte daraufhin die Regierung in Meiningen Militär das eine Woche später eintraf und die Anführer verhaftete.
Spätestens mit dem Niederschlagen der Maiunruhen des Jahres 1849 siegte die Reaktion in Deutschland. In den Jahren nach der Revolution wurde wieder Schritt für Schritt zur alten Ordnung übergegangen. Die Grundrechte der Frankfurter Verfassung werden 1851 außer Kraft gesetzt. In Sachsen-Meiningen 1853 tritt ein neues Wahlgesetz in Kraft welches das liberalere von 1848 ablöst.10
Doch die Erinnerung an die demokratische Erhebung der Jahre 1848/49 blieb gerade im linksliberalem Bürgertum und vor allem in weiten Kreisen der unteren städtischen Bevölkerung wach. In den Arbeiterbildungsvereinen die unter der Vormundschaft von Demokraten und Liberalen in den 1860er Jahren gegründet wurden, existierte das Gedenken an die Märzereignisse fort. Hier lebte die Idee vom freien demokratischen Volksstaat weiter.
Die frühen Wurzeln der Arbeiterbewegung lassen sich nicht nur in der Revolutionszeit von 1848 finden. Geheime Gesellenbruderschaften, die um die 1830er Jahre entstanden und oftmals grenzüberschreitend auf den traditionellen Wanderrouten Orte miteinander vernetzen gelten als die ersten vereinsförmigen Organisationen der Arbeiterbewegung.
[...]
1 Allgemeine (Deutsche) Arbeiterverbrüderung, auf Initiative des Schriftsetzers Stephan Born und anderen am 23. August 1848 in Berlin gegründete erste zentrale öffentliche Organisation der deutschen Arbeitervereine.
2 Vgl. Potthoff/Miller: Geschichte der SPD, S. 20ff, 26-30.
3 Äußere Linke, radikalste demokratische Strömung in der Frankfurter Nationalversammlung, Fraktion: Donnersberg, mit der Zielsetzung eines demokratischen Großdeutschen Nationalstaats.
4 Karl Friedrich Hönniger (1812-1874), Jurist, Mitglied Paulskirchenparlament, Fraktion Donnersberg.
5 Julius Fröbel (1805-1893), Verleger, 1833-1847 Exil Schweiz, Mitglied Paulskirchenparlament, Fraktion Donnersberg, 1848 zum Tode verurteilt jedoch begnadigt, 1849-1857 Exil USA, später bis 1890 Generalkonsul in Algier.
6 Adolph Douai (1819-1888), Theologe, 1852 Exil USA, dort Publizist, hielt anlässlich des Todes von Karl Marx 1883 viel beachtete Gedenkrede.
7 Linkes Zentrum, liberale Strömung in der Frankfurter Nationalversammlung, Fraktionen: Würtemberger und Augsburger Hof sowie Landsberg mit der Zielsetzung einer parlamentarischen Monarchie.
8 Zitiert nach Engelhardt, Erinnerungen.
9 Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um das von Eugen Huhn herausgegebene Freie deutsche Volksblatt und die Reformadresse Joseph Meyers vom 12. März 1848 als eine der bedeutendsten Märzpetitionen in Thüringen.
10 Vgl. Burkhardt, Chronik, Bd. 6, S. 97-109. Vgl. Werner, Geschichte Saalfeld, Bd. 2, S. 124-127.
- Arbeit zitieren
- Thomas Schnabelrauch (Autor:in), 2005, Arbeiterbewegung und Sozialdemokratie in Saalfeld - Die frühen Anfänge: Vom Arbeiterverein zur Sozialdemokratie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67617
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