In dieser Arbeit soll die Methode des historischen Vergleichs beschrieben werden. Laut Hartmut Kaelble dient der Vergleich in erster Linie der Ursachenanalyse. „Niemand wird bestreiten wollen, daß kaum eine andere […] Methode so präzise gute und schlechte Erklärungen voneinander trennt wie der historische Vergleich.“ Tatsächlich können aber durch einen Vergleich auch sehr schlechte Erklärungen für historische Prozesse konstruiert werden – der Historikerstreit, der 1986 die Feuilletons durchzog, ist dafür ein prominentes Beispiel. Auch die umstrittene Totalitarismusthese, die ein allgemeines Erklärungsmodell, das für möglichst viele diktatorische Gesellschaften in Geschichte und Gegenwart dienen soll, fällt unter die Sparte der vergleichenden Ursachenanalyse. Es können aber natürlich auch gleiche Ursachen zu verschiedene Ergebnissen führen, oder verschiedene Ursachen zu gleichen Ergebnissen. Die seriöse Variante des Vergleichs zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus hat vor allem in dieser Hinsicht viele gute Erklärungen gefunden.
Es ist also immer fraglich, zu welchem Erkenntniszweck und zu welchem politischen Zweck ein Vergleich historischer Ursachen dient. In den folgenden Kapiteln wird zunächst nach den Ansprüchen der Methode gefragt. Dabei werden, der Argumentation Kaelbles kritisch folgend, zwei grundlegend verschiedene Ansätze der vergleichenden Geschichtsschreibung beschrieben, der generalisierende und der individualisierende Ansatz. Ein Vergleich von NS und Stalinismus steht in Deutschland schnell in dem Verdacht einer Relativierung - oder wie im Fall der Thesen des Historikers Ernst Noltes, die zum Historikerstreit führten, sogar für die Rechtfertigung des Holocaust. Um diesem Vorwurf zu entgehen, ist jeweils eine klare Zweckbestimmung des Vergleichs, eine Eingrenzung des Gegenstandes und eine Darstellung nötig, die nicht gleich macht, sondern Gleiches und Spezifisches sorgfältig im Blick behält.
Inhalt
1. Einleitung
2. Der historische Vergleich als Methode
2.1 Marc Bloch
2.2 Hartmut Kaelble
2.2.1 Generalisierender und individualisierender Vergleich
2.2.2 Was leistet ein historischer Vergleich?
2.3 Alan Bullock
2.4 Helmut Mommsen
2.4.1 Gemeinsamkeiten
2.4.2 Unterschiede
3. Der Vergleich als Methode der Geschichtspolitik
3.1 Die Singularitätsthese nach Ian Kershaw
3.2 Die Totalitarismusthese
3.3 Ernst Nolte und der Historikerstreit
4. Zusammenfassung der Ergebnisse
5. Literatur / Quellen
1. Einleitung
In dieser Arbeit soll die Methode des historischen Vergleichs beschrieben werden. Laut Hartmut Kaelble dient der Vergleich in erster Linie der Ursachenanalyse. „Niemand wird bestreiten wollen, daß kaum eine andere […] Methode so präzise gute und schlechte Erklärungen voneinander trennt wie der historische Vergleich.“[1] Tatsächlich können aber durch einen Vergleich auch sehr schlechte Erklärungen für historische Prozesse konstruiert werden – der Historikerstreit, der 1986 die Feuilletons durchzog, ist dafür ein prominentes Beispiel. Auch die umstrittene Totalitarismusthese, die ein allgemeines Erklärungsmodell, das für möglichst viele diktatorische Gesellschaften in Geschichte und Gegenwart dienen soll, fällt unter die Sparte der vergleichenden Ursachenanalyse. Es können aber natürlich auch gleiche Ursachen zu verschiedene Ergebnissen führen, oder verschiedene Ursachen zu gleichen Ergebnissen. Die seriöse Variante des Vergleichs zwischen Nationalsozialismus und Stalinismus hat vor allem in dieser Hinsicht viele gute Erklärungen gefunden.
Es ist also immer fraglich, zu welchem Erkenntniszweck und zu welchem politischen Zweck ein Vergleich historischer Ursachen dient. In den folgenden Kapiteln wird zunächst nach den Ansprüchen der Methode gefragt. Dabei werden, der Argumentation Kaelbles kritisch folgend, zwei grundlegend verschiedene Ansätze der vergleichenden Geschichtsschreibung beschrieben, der generalisierende und der individualisierende Ansatz. Aus diesen ergeben sich die geschichtspolitischen Implikationen, die beim Vergleich von Nationalsozialismus[2] und Stalinismus zum Tragen kommen. Anhand der Singularitätsthese, der Totalitarismusthese und des Historikerstreits werden Versuche angestellt, Aussagen darüber zu treffen, welche Vergleichsansätze zu welcher Art von Ergebnissen führen. Außerdem lässt sich an diesen Beispielen auch zeigen, dass Geschichtsschreibung immer eine politische Komponente hat, die wertende Aussagen trifft und Identitäten stiftet, denen durch Rückverlängerung in die Geschichte Bedeutung verliehen wird.
Ein Vergleich von NS und Stalinismus steht in Deutschland schnell in dem Verdacht einer Relativierung - oder wie im Fall der Thesen des Historikers Ernst Noltes, die zum Historikerstreit führten, sogar für die Rechtfertigung des Holocaust. Um diesem Vorwurf zu entgehen, ist jeweils eine klare Zweckbestimmung des Vergleichs, eine Eingrenzung des Gegenstandes und eine Darstellung nötig, die nicht gleich macht, sondern Gleiches und Spezifisches sorgfältig im Blick behält.
Die Singularitätsthese betont, dass der Mord an den europäischen Juden und etwa zehn Millionen Russen in der Geschichte als einmalig zu gelten hat, nicht weil andere Staaten nicht auch massenhaft Menschen oder ganze Völker ausgerottet hätten, sondern weil Triebfeder und Durchführung Besonderheiten aufweisen, die es bis dahin nicht gegeben hatte.
Auch unter der Herrschaft Stalins in der Sowjetunion wurden so genannte Volksfeinde und politische Gegner inhaftiert, deportiert und umgebracht, dies jedoch aus anderen Beweggründen und mit anderer Konsequenz als im NS.[3]
Jetzt wäre zu fragen, ob es denn nicht egal ist, warum Menschen umgebracht werden, sondern ob es nicht nur darauf ankomme, zu verhindern dass solches geschieht. Aus ethischer Perspektive ist dies so, nicht aber aus geschichtswissenschaftlicher Sicht. Ein Vergleich von Ursachen solcher Vorgänge hilft, diese unter den jeweiligen historischen Bedingungen zu erklären, und eine Erklärung mag helfen, sie in Zukunft zu vermeiden. Nur wenn man versteht, warum im Einzelfall bestimmte Dinge geschehen sind, folgt ein Verständnis für historische Prozesse und Zusammenhänge. Dieses Verständnis bleibt jedoch aus, wenn lediglich oberflächliche Merkmale einer Diktatur wie Führerkult, Spitzelsystem oder Zahl der Todesopfer miteinander abgeglichen werden. Um zwei Systeme überhaupt qualitativ miteinander vergleichen zu können, müssen also sehr spezifische Kriterien herangezogen werden.
Im Folgenden werden zunächst die Merkmale und Ausprägungen der vergleichenden Geschichtswissenschaft in ihren Grundzügen dargestellt. Dabei wird immer wieder erläuternd Bezug auf den Vergleich von NS und Stalinismus genommen. Im Anschluss daran werden die Singularitätsthese, die Totalitarismusthese und der Historikerstreit als Ergebnisse von historischen Vergleichen beschrieben, um abschließend ein Fazit über die Brauchbarkeit des Vergleichs zum Verständnis von NS bzw. Stalinismus zu ziehen.
2. Der historische Vergleich als Methode
2.1 Marc Bloch
Die Methode des historischen Vergleichs wurde maßgeblich von dem französischen Historiker Marc Bloch geprägt. Im Jahr 1886 geboren wurde er 1944 als Mitglied der französischen Résistance von der Gestapo ermordet. „1929 war er Mitbegründer der Annales-Schule: Ihre strukturgeschichtliche Methode beabsichtigt eine „umfassende Geschichte“, die „histoire totale“.“[4] Der Anspruch einer umfassenden Geschichtsschreibung hat sich als nicht erfüllbar erwiesen. Bloch versuchte dennoch, die Grenzen der nationalen Geschichtsschreibung zu sprengen, blickte auf die Geschichte anderer Länder und stellte Vergleiche an, um das Bild einer größeren Einheit zu zeichnen. Bloch „[…] sieht im Vergleich eine ausgezeichnete Möglichkeit die Wirkungsmechanismen hinter den historischen Phänomen zu untersuchen.“[5]
Zu Blochs Zeit war die vergleichende Geschichtswissenschaft noch keine eigenständige Disziplin, sondern zunächst eine Methode, die sich bemühte, „nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden bei analogen Reihen aus unterschiedlichen sozialen Bereichen zu suchen, um sie zu erklären“[6]. Von dieser Methode hing laut Bloch „vielleicht sogar die Zukunft unserer Wissenschaft“[7] ab, vor allem, da sie mehr war als ein schlichter Vergleich: Zuerst wurden beide Objekte unabhängig voneinander analysiert, anschließend wurden sie hinsichtlich vorher definierter Gesichtspunkte miteinander verglichen. Für Bloch hätte also eine Gleichsetzung verschiedener diktatorischer Staatssysteme, wie sie etwa die Totalitarismusthese vornimmt, keinerlei Aussagekraft besessen. Da es Bloch hauptsächlich darum ging, Grenzen zu überwinden, um „zu einer generellen geschichtlichen Einheit vorzudringen“[8], unterscheiden seine Überlegungen zur vergleichenden Methode sich von dem, was oft in politischer Absicht bei einem Vergleich von NS und Stalinismus angestrebt wird.
„Er ist bestrebt, die synthetische Trennung in zwei separierte Untersuchungsgegen-stände dadurch zu überwinden, indem er den Phänomenen der „wechselseitigen Einflüsse“ besondere Aufmerksamkeit zukommen lässt […]. Für ihn gilt es dabei vor allem die „Kanäle“ […] dieser gegenseitigen Beeinflussung zu erkunden. Indem er mit Hilfe des Vergleichs einen Blick auf die andere Seite einer zwangsläufig künstlichen Grenze wirft, überwindet er diese Grenze, und zeigt ihre Durchlässigkeit auf.“[9]
Auf diese Weise nimmt Bloch auch die Transferforschung vorweg, die in den letzten Jahren zunehmend wichtiger wird.[10] Die Überwindung von Grenzen bei der Beschreibung historischer Prozesse und die Untersuchung der Wechselwirkung nationaler Geschichte, Kultur, Ökonomie, Diplomatie oder Kriegsführung hat in den 80er Jahren in den Thesen Ernst Noltes eine Ausformung gefunden, die Blochs ursprüngliche Intentionen vollkommen negiert. In den folgenden Kapiteln wird noch weiter darauf eingegangen.
2.2 Hartmut Kaelble
Kaelble stellt in seiner Einführung zur vergleichenden Methode fest, dass der Vergleich in der Geschichtswissenschaft zunehmend wichtiger wird. Dies sei einerseits auf Globalisierungsprozesse - andererseits auf die Erkenntnis zurückzuführen, dass mehr oder weniger alle Ebenen von Prozessen miteinander vergleichbar sind. Man könnte also bei einem Vergleich von NS und Stalinismus nicht bloß Opferzahlen, Führerkulte oder die Funktion der Lager vergleichen, sondern zum Beispiel auch regionale Strukturen, Alltagskulturen, Widerstandsbestrebungen oder subjektive Erfahrungen.
Kaelble knüpft in seinen Überlegungen an die geistige Tradition Blochs an und entwickelt eine Typologie des historischen Vergleichs, den er als „die explizite und systematische Gegenüberstellung von zwei oder mehreren historischen Gesellschaften“[11] definiert, „um Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie Prozesse der Annäherungen und Auseinanderentwicklungen zu erforschen.“[12] Dabei sei wichtig, dass in der ernst zu nehmenden Forschung nur selten ganze Gesellschaften miteinander verglichen werden, sondern immer klar definierte Teilaspekte. Es gibt also einen prinzipiellen Unterschied zwischen Gesamtvergleich und Detailvergleich: Der Gesamtvergleich will laut Kaelble vor allem historische Vorurteile über Unterschiede abbauen.[13] In gewisser Weise ist es genau das, was Ernst Nolte versucht, wenn er aus seiner Perspektive durch den Vergleich mit dem Stalinismus negative Vorurteile über den NS abbauen will - obwohl Kaelble seine Zweckbestimmung sicher in diesem Sinne nicht gemeint hat.
Eher individualisierende Spezialvergleiche sind laut Kaelble ungleich häufiger. Am Vergleich zwischen NS und Stalinismus fällt auf, dass er entgegen Kaelbles Aussage von einer prinzipiellen Vergleichbarkeit der beiden Gesamtsysteme ausgeht.
2.2.1 Generalisierender und individualisierender Vergleich
Um zu verstehen, warum es für die Geschichtsschreibung und das Selbstverständnis der Deutschen wichtig ist, NS und Stalinismus als Systeme zu vergleichen, sollen zunächst die Vergleichsansätze beschrieben werden, die Kaelble beschreibt:
„Zu den Zielen eines vollständigen Vergleichs gehört entweder die Erklärung der vorgefundenen Unterschiede und Gemeinsamkeiten oder ihre Typisierung. Erklärung und Typisierung haben zwei verschiedenen Ziele: Die Erklärung sucht im Untersuchungsthema normalerweise nach Ursachen für Unterschiede und Gemeinsamkeiten aus einem größeren gemeinsamen Zusammenhang heraus.“[14]
Haupt und Kocka definieren dasselbe Gegensatzpaar, bezeichnen es aber mit den Begriffen „Verallgemeinerung“ und „Kontrast“.[15] Der generalisierende Vergleich versucht also, Gemeinsamkeiten zwischen den Systemen festzustellen und allgemeine Regelen für historische Prozesse herzustellen.[16] Nolte versucht eben dies, wenn er behauptet, Stalins Gulag sei nur ein zeitlicher und ursächlicher Vorläufer der NS-Konzentrationslager gewesen, und auch die Totalitarismusthese fällt in diesen Bereich. Haupt und Kocka merken an, dass Vergleichen immer Abstrahieren bedeutet:
„Man kann Phänomene nicht in ihrer vielschichtigen Totalität – als volle Individualitäten – miteinander vergleichen, sondern immer nur in gewissen Hinsichten. Der Vergleich setzt mithin Selektion, Abstraktion und Lösung aus dem Kontext voraus. Diese Notwendigkeit wird vor allem beim Vergleich vieler Fälle sichtbar. Wer 20 Industrialisierungsprozesse oder die Sklaverei in 60 Ländern miteinander vergleicht, muß seine Vergleichsgegenstände unter weitgehender Abstraktion von ihren synchronen und diachronen Kontexten untersuchen. Dieses Verfahren stößt bei Historikern auf gewisse Vorbehalte.“[17]
[...]
[1] Kaelble, Hartmut: Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert. Frankfurt am Main 1999, S. 41.
[2] Im Folgenden auch kurz NS.
[3] Zum Umgang mit den politischen Gegnern im Nationalsozialismus sei besonders verwiesen auf: Hans-Ulrich Thamer: Verführung und Gewalt. Deutschland 1933-1945. Berlin 1986, S. 172ff..
[4] http://www.perlentaucher.de/autoren/1322.html, 22.04.2006.
[5] http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/1-02/1-02review-barth-d.htm#g3, 20.04.2006.
[6] Bloch, zit. nach: http://www.perlentaucher.de/autoren/1322.html, 22.04.2006.
[7] Bloch, zit. nach: http://www.perlentaucher.de/autoren/1322.html, 22.04.2006.
[8] http://www.qualitative-research.net/fqs-texte/1-02/1-02review-barth-d.htm#g3, 20.04.2006.
[9] http://www.perlentaucher.de/autoren/1322.html, 22.04.2006.
[10] Paulmann, Johannes: Internationaler Vergleich und interkultureller Transfer. Zwei Forschungsansätze zur europäischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts. In: Historische Zeitschrift 1998, S.649-685.
[11] Kaelble, Hartmut: Der historische Vergleich. S.12.
[12] Ebd.
[13] Kaelble, Hartmut: Der historische Vergleich. S.37.
[14] Ebd. S. 12.
[15] Haupt, Heinz-Gerhard (Hrsg.): Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung. Frankfurt am Main 1999. S. 11.
[16] Kaelble, Hartmut: Der historische Vergleich. S. 27.
[17] Haupt, Heinz-Gerhard: Geschichte und Vergleich. S. 23.
- Arbeit zitieren
- Imke Duis (Autor:in), 2005, Der historische Vergleich - Beschreibung und Einordnung der Methode am Beispiel des Vergleichs von Stalinismus und deutschem Faschismus/ Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67369
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