„Der Orientalismus ist ein westlicher Stil der Herrschaft, Umstrukturierung und des Autoritätsbesitzes über den Orient.“ (Said 1981, 10)
Der Postkolonialist Edward W. Said bringt hier auf den Punkt, was der Kern seines Werks Orientalismus ist. Er definiert „Orientalismus“ als Methode der Unterwerfung, Degradierung und Manipulierung des Orients durch Europa und Nordamerika. Diese Vorgehensweise wird auf akademischer bzw. universitärer Ebene mit der Absicht eines wissenschaftlichen Diskurses über den Orient betrieben. (Daß der „Orient“ ein heterogener, geographisch wie kulturell nicht genau festgelegter Begriff ist, dessen Geltungsbereich sich von Nordafrika bis in den Fernen Osten erstreckt, setze ich hier voraus.) Doch auch politische Unternehmungen und fiktive Literatur bedienen sich Said zufolge dieser Methode. Zwar behandelt Said in Orientalismus hauptsächlich britische, französische und nordamerikanische Werke und Autoren, doch wird an mehreren Stellen deutlich, daß sich seine Thesen ebenso auf deutsche Literatur und Schriftsteller übertragen lassen (vgl. ebd., 26); mehrfach wird auch Goethes West-östlicher Divan erwähnt (vgl. ebd., 62).
Diese Arbeit soll ausschließlich den literarisch-fiktiven Bereich des Orientalismus berücksichtigen. Dabei wird vor dem Hintergrund verschiedener Thesen Saids untersucht, ob sich auch in Goethes West-östlichem Divan Anzeichen der Autorität und Kontrolle über den Orient finden lassen und ob Goethe sich dadurch als ein „Orientalist“ im Sinne Saids offenbart.
Said kritisiert die grundsätzliche Trennung von Osten und Westen in der Orient-Literatur westlicher Schriftsteller. Problematisch ist dabei, daß keine Gleichberechtigung der beiden Teile unterstellt wird, sondern eine Darstellung entsprechend des angenommenen Machtverhältnisses gewählt wird. Im ersten Teil der Arbeit wird geprüft, ob auch Goethe im West-östlichen Divan eine solche Trennung vorgenommen hat und wie er sein Verhältnis zum Orient gesehen hat. Gegenstand des zweiten Teils wird das in der Forschungsliteratur zum Divan vielbesprochene Motiv der Flucht sein, wobei der Schwerpunkt des Kapitels auf der Untersuchung des Gedichts Hegire liegen wird. Said stellt fest, daß für jeden Orient-Schriftsteller die Reise in den Orient die Erfüllung eines persönlichen Projektes ist. Welches Projekt wollte Goethe im Divan verwirklichen? [...]
Inhalt
Einleitung
1 Spaltung von Orient und Okzident
1.1 Zwillingsbruder Hafis
1.2 Reise in den Orient
2 Das Motiv der Flucht
2.1 Hegire
3 Typische Motive
3.1 Liebestod
4 Der Orient als poetologisches Konzept
4.1 „Orientalismus“ und „Orientalität“
4.2 Symbol und Allegorie
Fazit
Literatur
Einleitung
„Der Orientalismus ist ein westlicher Stil der Herrschaft, Umstrukturierung und des Autoritätsbesitzes über den Orient.“ (Said 1981, 10)
Der Postkolonialist Edward W. Said bringt hier auf den Punkt, was der Kern seines Werks Orientalismus ist. Er definiert „Orientalismus“ als Methode der Unterwerfung, Degradierung und Manipulierung des Orients durch Europa und Nordamerika. Diese Vorgehensweise wird auf akademischer bzw. universitärer Ebene mit der Absicht eines wissenschaftlichen Diskurses über den Orient betrieben. (Daß der „Orient“ ein heterogener, geographisch wie kulturell nicht genau festgelegter Begriff ist, dessen Geltungsbereich sich von Nordafrika bis in den Fernen Osten erstreckt, setze ich hier voraus.) Doch auch politische Unternehmungen und fiktive Literatur bedienen sich Said zufolge dieser Methode. Zwar behandelt Said in Orientalismus hauptsächlich britische, französische und nordamerikanische Werke und Autoren, doch wird an mehreren Stellen deutlich, daß sich seine Thesen ebenso auf deutsche Literatur und Schriftsteller übertragen lassen (vgl. ebd., 26); mehrfach wird auch Goethes West-östlicher Divan erwähnt (vgl. ebd., 62).
Diese Arbeit soll ausschließlich den literarisch-fiktiven Bereich des Orientalismus berücksichtigen. Dabei wird vor dem Hintergrund verschiedener Thesen Saids untersucht, ob sich auch in Goethes West-östlichem Divan Anzeichen der Autorität und Kontrolle über den Orient finden lassen und ob Goethe sich dadurch als ein „Orientalist“ im Sinne Saids offenbart.
Said kritisiert die grundsätzliche Trennung von Osten und Westen in der Orient-Literatur westlicher Schriftsteller. Problematisch ist dabei, daß keine Gleichberechtigung der beiden Teile unterstellt wird, sondern eine Darstellung entsprechend des angenommenen Machtverhältnisses gewählt wird. Im ersten Teil der Arbeit wird geprüft, ob auch Goethe im West-östlichen Divan eine solche Trennung vorgenommen hat und wie er sein Verhältnis zum Orient gesehen hat.
Gegenstand des zweiten Teils wird das in der Forschungsliteratur zum Divan vielbesprochene Motiv der Flucht sein, wobei der Schwerpunkt des Kapitels auf der Untersuchung des Gedichts Hegire liegen wird. Said stellt fest, daß für jeden Orient-Schriftsteller die Reise in den Orient die Erfüllung eines persönlichen Projektes ist. Welches Projekt wollte Goethe im Divan verwirklichen?
Der Orientalismus arbeitet Said zufolge mit stereotypisierenden Bildern und Motiven über den Orient. Die klischeehaften Vorstellungen kommen einem Schubladendenken zugute, das es den westlichen Autoren erlaubt, die Autorität über den Osten aufrechtzuerhalten. Anhand des altpersischen Motivs des Liebestodes wird im dritten Teil der Arbeit beleuchtet, ob und wie Goethe stereotypisierende Darstellungen verwendet.
Das vierte Kapitel der Untersuchung greift Saids Befund des Orients als der Erfüllung eines notwenigen Projekts des Schriftstellers noch einmal auf und setzt diesen in Verbindung zu Goethes Ästhetik.
1 Spaltung von Orient und Okzident
In diesem Kapitel soll auf Saids Kritik an der grundsätzlichen Trennung von Osten und Westen durch den Orientalismus eingegangen werden. Die Spaltung von Orient und Okzident läßt sich nach Meinung von Said auch im Bereich der fiktiven Orient-Literatur finden. Dabei sei die Teilung jedoch nicht wertneutral, sondern entspreche dem angenommenen Machtverhältnis. Darin spiegele sich die als empirisch bewiesen angesehene Überlegenheit des Westens über den Osten wider (vgl. ebd., 56). Ob auch Goethe diese Trennung vorgenommen hat, wird im Anschluß untersucht.
Weber (2001, 13) zufolge werde schon im Titel des West-östlichen Divans auf die Dichotomie zwischen Osten und Westen hingewiesen. Das Nebeneinander suggeriere Wertfreiheit und ein Gleichgewicht der Behandlung von westlicher und östlicher Lyrik. Die Frage ist nun, ob Goethe diesem Anspruch, Ost und West gleichberechtigt auf einer Ebene darzustellen, im Divan auch wirklich gerecht wird.
1.1 Zwillingsbruder Hafis
Goethes Beschäftigung mit dem Divan des persischen Dichters Hafis, den er 1814 in der Übersetzung von Joseph von Hammer-Purgstall zum ersten Mal im Ganzen kennenlernte, kann als Ausgangspunkt für die Entstehung des West-östlichen Divans angesehen werden. In der Forschungsliteratur wird der West-östliche Divan sogar als Antwort auf die Literatur Hafis’ bezeichnet. Goethe muß von der Sprachkunst des Persers sehr beeindruckt gewesen sein und meinte in seiner Begeisterung das Gelesene nur durch eigene Produktion verarbeiten zu können (vgl. Henckmann 1975, 125). Aber nicht nur das dichterische Können, sondern auch die Lebensumstände Hafis’ ließen Goethe sich diesem verbunden fühlen. Hafis hatte im 14. Jahrhundert zu einer Zeit politischer Unruhen gelebt und unter der Herrschaft Timurs gelitten; Goethe konnte Hafis’ Situation leicht auf seine eigene Zeit, die der Napoleonischen Kriege übertragen.
Henckmann (vgl. ebd., 126) zieht aus der Analogie der beiden Schicksale noch eine umfassendere Beurteilung: sie seien kein Einzelfall mehr, dieses Schicksal erscheine nun beispielhaft für die Dichterexistenz überhaupt.
Goethes Beziehung zu Hafis wird in der Forschungsliteratur letztlich unterschiedlich beurteilt. Von Loeper (vgl. 1872, 25) stellt Hafis vor allem als Bereicherung in der Form für Goethe dar. Die heitere Stimmung und die große Anzahl neuer Metaphern, Motive und dichterischer Bilder sei für ihn faszinierend gewesen. Des weiteren habe Goethe sich nach der Fertigstellung seiner Biographie nach etwas Neuem gesehnt. Diese Abwechslung und Erholung fand Goethe nun in Hafis’ Dichtung.
Schulz (vgl. 1998, 79) beurteilt Goethes Inspirationssuche etwas negativer. Er stellt fest, daß Goethe sich nach neuen Anstößen umgesehen hat, wenn er einer literarischen Vorgehensweise nichts mehr abgewinnen konnte oder ihre Möglichkeit an Ausdruck und Form als erschöpft empfunden hat. Das habe ihm bei Klopstock den Ruf eines „gewaltigen Nehmers“ eingebracht.
Man bekommt den Eindruck, daß Goethe sich für andere Kulturen interessierte, solange er meinte, diesen etwas abgewinnen zu können. Wie er es lange Zeit mit der Antike gehalten hatte, setzte er es nun mit orientalischen Dichtern fort.
Fuchs-Sumiyoshi (vgl. 1984, 60) betont Goethes Bemühen, eine direkte Beziehung zu Hafis aufzubauen. Sie bezeichnet Goethes Vorgehensweise als „Dialogkonzept“, das Hafis die Gelegenheit gibt, sich dem westlichen Leser vorzustellen. Dabei erscheine Hafis jedoch nicht als geschichtliche Figur aus längst vergangener Zeit. Die Begegnung werde aus dem zeitlichen Rahmen herausgelöst und vollziehe sich auf einer neutralen Stufe.
Diesen Aspekt des ‚Dialogs’ greift Weber auf, beurteilt ihn aber kritisch. Hafis könne in diesem Gespräch natürlich nur eine passive Rolle zukommen, denn was ihm in den Mund gelegt wird, stammt von Goethe und gibt eigentlich nur dessen Auslegung wieder (vgl. 2001, 19). Allerdings bestätigt auch Weber die Verehrung, die Goethe für Hafis empfand. Diese zeige sich darin, daß Goethe ihm als einzigem orientalischen Dichter ein ganzes Buch des Divans widmete, nämlich das Hafis nameh. Besonders deutlich werde Goethes Empfinden in dem Gedicht Unbegrenzt, in dem dieser seine Beziehung zu Hafis beschreibt:
Und mag die ganze Welt versinken,
Hafis mit dir, mit dir allein
Will ich wetteifern! Lust und Pein
Sei uns den Zwillingen gemein!
Wie du zu lieben und zu trinken
Das soll mein Stolz, mein Leben sein.
(GW 1998, I/VI 321)
Mit der Zwillingsmetapher habe Goethe eine besonders enge Verwandtschaftsbeziehung gewählt, die ebenfalls eine Gleichheit der Teile unterstelle, was im Zusammenhang mit dem Titel des Divans weiter oben schon erwähnt wurde (vgl. Weber 2001, 18). „Die Identifizierung mit Hafis“ bleibe „jedoch problematisch“(ebd., 19). Denn die Dichtung der beiden gleicht sich nur, weil Goethe in das Werk des persischen Dichter eingegriffen und sie dem seinigen angeglichen hat. Offenbar ist bis heute unklar geblieben, ob Hafis’ Gedichte „mystisch-allegorisch“ oder „profan-weltlich“(ebd., 91; Kap. 4) zu interpretieren sind. Goethe vereinfachte die Lesart der Lyrik Hafis’ auf die weltliche Ebene, da ihm die mystisch-allegorische Interpretation nicht zusagte.
Weber zufolge zeigt sich in Goethes Umgang mit dem Werk seines Dichterkollegen daher doch eine Form von Autorität und Dominanz. Die angebliche Gleichheit und Gleichberechtigung werde nicht umgesetzt. Goethe greife doch erheblich in Hafis’ Dichtung ein und benutze sie so, wie es in sein Vorhaben hineinpaßt. Weber geht soweit, den orientalischen Dichter als „passiven ‚Materialspender’“(ebd., 21) zu bezeichnen, was ja mit der Vorstellung Klopstocks von Goethe als dem „gewaltigen Nehmer“ korrespondieren würde.
Fuchs-Sumiyoshi geht ebenfalls auf die Zwillingsmetapher ein, beurteilt die Rolle Hafis’ jedoch als eine aktive. Dies zeige sich ihrer Annahme nach darin, daß dieser die Möglichkeit habe, sich selbst und die arabische Welt vorzustellen. In diesem Zusammenhang geht Fuchs-Sumiyoshi auch auf Said und dessen „Vorwurf der Typisierung des Orientalen als Orientalen“ (Fuchs-Sumiyoshi 1984, 78) ein. Goethe bzw. sein Entwurf des Hafis-Bildes sei davon freizusprechen, dies belegt sie mit der oben zitierten Strophe aus „Unbegrenzt“.
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- Arbeit zitieren
- Heike Pollmann (Autor:in), 2005, Die Reise in den Orient - Eine Untersuchung des West-östlichen Divans Goethes vor dem Hintergrund von Edward W. Saids Orientalismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67104
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