Ziel der vorliegenden Arbeit ist es zu zeigen, inwieweit vorchristliche Mythen, in diesem Fall ostslawische, bei der Christianisierung der Alten Rus integriert wurden, um die Bevölkerung missionieren zu können. Daraus ergeben sich Veränderungen des christlichen Glaubens in der Art einer Symbiose zwischen "heidnischen" und christlichen Vorstellungen und Ritualen, die das alltägliche Leben der Menschen bestimmen.
Da allerdings ein "Überblick über die Integration von Mythen in den christlichen Glauben", so undifferenziert wie dieser Ausdruck impliziert, den Rahmen einer Semesterarbeit weit überschreiten würde, konzentriere ich mich hier auf jährlich wiederkehrende Festtage und damit verbundene Vorstellungen. Hintergrund sind folgende Überlegungen: Russland (die Alte Rus′) war bereits vor Beginn der Christianisierung ein Agrarland und blieb es bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. In einer agrarischen Kultur ist davon auszugehen, dass der jährliche, vegetationsabhängige Zyklus nicht nur wesentlich das tägliche Leben beeinflusst, sondern auch umfassendere, weltanschauliche, gesellschaftsstrukturierende Normen und Werte, einschließlich der Vorstellungen von Geschlechterverhältnissen.
In meiner einjährigen Feldforschung konnte ich selbst feststellen, welch großen Raum der Gartenbau nach wie vor im Leben der Menschen einnimmt, egal ob sie nun selbst einen Garten bewirtschaften oder nicht. Hier wurde ich von einer Interviewpartnerin mit der Ansicht konfrontiert, der Garten sei schon immer in der Hand der Frauen gewesen. Die Verallgemeinerung "schon immer" impliziert auch vorchristliche Wurzeln dieser geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung. Damit scheint es gerechtfertigt, eine Verbindung zwischen der Tradierung vorchristlicher Normen und existierenden Geschlechterbeziehungen anzunehmen, wobei letztere entweder durch die Christianisierung verändert oder ursprüngliche christliche Vorstellungen relativierten.
[...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das Altrussische Reich bis zum Beginn der Christianisierung
- Russische Festtage und Mythen
- Christianisierung in Russland – ein langwieriger Prozess
- Christliche und russische Feiertage und Kulte
- Zusammenfassung
- Bibliographie
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Ziel dieser Arbeit ist es, die Integration vorchristlicher Mythen in das russisch-orthodoxe Christentum während der Christianisierung der Alten Rus zu untersuchen. Der Fokus liegt dabei auf den Veränderungen des christlichen Glaubens, die durch eine Symbiose zwischen „heidnischen“ und christlichen Vorstellungen und Ritualen entstanden sind und das Alltagsleben der Menschen beeinflusst haben.
- Die Rolle von Festtagen und Mythen in der Integration vorchristlicher Traditionen
- Der Einfluss der Agrarwirtschaft auf weltanschauliche Normen und Geschlechterbilder
- Der Prozess der Christianisierung in Russland und die Besonderheiten seiner Umsetzung
- Die Verflechtung ostslawischer und christlicher Feiertage und Kulte
- Die Auswirkungen der Symbiose auf die Gestaltung von Geschlechterrollen
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Diese Einleitung legt den Fokus auf die Forschungsfrage und die Methodik der Arbeit. Sie stellt die Relevanz der Integration vorchristlicher Mythen im Kontext der Christianisierung der Alten Rus heraus und fokussiert sich auf die Bedeutung von Festtagen für die Analyse.
- Das Altrussische Reich bis zum Beginn der Christianisierung: Dieses Kapitel präsentiert eine ethnographische Beschreibung der Ostslawen vor der Christianisierung, mit Schwerpunkt auf ihren Glauben und ihren Festtagen. Es dient als Basis für den Vergleich mit dem christlichen Glauben.
- Russische Festtage und Mythen: Dieses Kapitel beleuchtet die wichtigsten russischen Festtage und Mythen vor der Christianisierung. Der Fokus liegt auf den Verbindungen zwischen den Festtagen und dem jährlichen Vegetationszyklus sowie den zugrundeliegenden Normen und Werten.
- Christianisierung in Russland – ein langwieriger Prozess: Dieses Kapitel analysiert den Prozess der Christianisierung in Russland, wobei die Besonderheiten der Missionierung und deren Erfolg im Kontext der bestehenden gesellschaftlichen Strukturen und kulturellen Normen betrachtet werden.
- Christliche und russische Feiertage und Kulte: Dieses Kapitel untersucht die Verflechtung christlicher und russischer Feiertage und Kulte und analysiert die gegenseitige Beeinflussung dieser Traditionen. Der Fokus liegt auf der Analyse der Art und Weise, wie christliche Feiertage mit ostslawischen Traditionen verbunden sind.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit dem Themenfeld der Integration von vorchristlichen Mythen in das russisch-orthodoxe Christentum. Wichtige Schlüsselwörter sind: Ostslawen, Altrussen, russisch-orthodoxer Glaube, Festtage, Mythen, Christianisierung, Symbiose, „heidnisch“, Geschlechterbilder, Agrarwirtschaft, Vegetationszyklus, Normen, Werte, Feiertage, Kulte.
- Quote paper
- Ilka Borchardt (Author), 2001, Heidnische Elemente im russisch-orthodoxen Christentum, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6668