Seit mehr als drei Jahrzehnten bemüht sich der längst industrialisierte Westen, die sogenannte Erste Welt, unterentwickelten Staaten auf dem Weg aus ihren Krisen zu unterstützen. Es handelt sich hierbei um Länder aus den Bereichen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Ihre Unterentwicklung ergibt sich aus dem Vergleich dieser als Dritte Welt titulierten Länder mit denen der o.g. Ersten Welt. Hierzu herangezogene Aspekte ist u.a. der industrielle Entwicklungsstand, die durchschnittliche Lebenserwartung sowie der Bildungsstand. Bis zum heutigen Tage hat die Entwicklungshilfe westlicher Geberländer kaum eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den betreffenden Krisengebieten erreicht. Meist ist das Gegenteil der Fall. So hat sich v.a. in Afrika die Lage seit dem Beginn der Entwicklungsbemühungen verschlimmert. Kriege, Seuchen, Hunger und AIDS sind Schlagwörter, die im Zusammenhang mit dem "schwarzen" Kontinent assoziiert werden. Projekte, die den Afrikanern eine Entwicklung zum Besseren ebnen sollten, schlugen regelmäßig fehl. Importierte Bewältigungsmechanismen, vorwiegend wirtschaftlicher Art, die sich in ihren westlichen Ursprungsländern bewährt haben, greifen nicht, und das Elend wächst weiter. Ein noch nicht abgeschlossener Umdenkungsprozess hat unlängst eingesetzt. Dieser schließt die Beachtung und Respektierung sozio-kultureller Charakteristika dieser Länder ein. Ein Aspekt, der lange Jahre missachtet wurde. Viele Entwicklungshilfeprojekte lehnen sich heute an Prinzipien der Gemeinwesenarbeit bzw. Community Development, damit der Sozialpädagogik an. Hieraus ergeben sich mehrere Fragestellungen: Inwieweit ist eine westlich geprägte Sozialpädagogik auf eine entwicklungspädagogische Situation eines Dritte Welt-Landes übertragbar? Welche Rolle nimmt ein Sozialpädagoge/eine Sozialpädagogin im Rahmen der Entwicklungshilfe ein und welchen Beitrag kann er bzw. sie leisten? Dies wird in der vorliegenden Arbeit diskutiert und beantwortet. Dabei beziehe ich mich auf das schwarzafrikanische Arbeitsfeld, das exemplarisch an dem ostafrikanischen Staat Kenia dargestellt werden soll. Es mag gewagt klingen, wenn man ein Land zum Kriterium eines Bereiches der Größenordnung Schwarzafrikas erhebt, denn sicherlich gibt es mindestens so viele Unterschiede, wie es Staaten gibt, die auch im Einzelnen zu beachten sind. [...]
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
1. Geschichtlicher Abriss Schwarzafrikas
2. Kenia
2.1 Land und Leute
2.2 Ökologie und Lebensraum
2.3 Bevölkerung
2.3.1 Der Viel-Völker-Staat Kenia
2.3.2 Die Frauen Kenias
2.3.3 Land-Stadt-Mensch
2.4 Politik und Staat
2.5 Ökonomie
2.6 Gesundheitswesen
2.7 Bildungswesen
2.7.1 Traditionelle afrikanische Erziehung
2.8 Religion
2.9 Fazit
3. Gesellschaftsstrukturen und Welt- anschauung - Tradition und Gegenwart
3.1 Afrikanisches Zeitverständnis
3.2 Traditionelle Weltanschauung
3.3 Verwandtschaftliche Beziehungsgeflechte und ihre immanente Solidarität
3.4 Heutige Situation
3.5 Fazit
4. Entwicklungshilfe als Lösungsbeitrag der sogenannten Ersten Welt
4.1 Definition: Entwicklungsland und Entwicklungshilfe
4.2 Die Bedeutung westlicher Werte und Normen
4.2.1 Modernisierung- und Dependenztheorien der Entwicklungsforschung
4.3 Formen der Entwicklungshilfe
4.4 Entwicklungshilfe und Sozialpädagogik
4.4.1 Verwandtschaft von Zielen und Methoden
4.4.2 Bedarf an Experten sozialpädagogischer Arbeit am Beispiel des Deutschen Ent- wicklungsdienstes (DED)
4.5 Fazit
5. Entwicklungshandeln am Beispiel der Community Development in Kenia
5.1 Bedeutung der Partizipation für entwicklungs- fördernde Projekte
5.2 Community Development in Kenia
5.2.1 Definition: Community (Gemeinwesen)
5.2.2 Die Rolle des CD-Arbeiters
5.2.3 Wirkungsfaktoren der CD-Arbeit
5.2.4 Die Strategie Community Development
5.2.5 Soziale Aktions- bzw. Phasenmodelle der Community Development
5.3 Fazit
6. Westlich geprägte Sozialpädagogik
6.1 Berufsbild- und Verständnis
6.2 Gesellschaftliche Funktion
6.3 Sozialpädagogisches Handeln
6.4 Verständnis der Gemeinwesenarbeit
6.4.1 Die Gemeinwesenarbeit als Arbeitsprinzip
6.4.2 Ordnungskriterien der Gemeinwesenarbeit
6.5 Fazit
7. Transfer sozialpädagogischen Handelns
7.1 Vergleich der Theorie und Arbeitsmittel kenianischer CD und westlicher GWA
7.2 GWA bzw. CD im Kontext gesellschaftlicher und politischer Strukturen
7.3 Sozialpädagogisches Handeln im Rahmen der Entwicklungshilfe
7.4 Der mögliche Beitrag sozialpädagogischen Handelns
Schlussbetrachtung
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Vorwort
Annette Kowa, die das Afrikanische, wie auch das Übersee-Institut in Hamburg bis in die letzten Winkel nach brauchbarer Literatur durchstöberte
Mein Vater Johann Riegl, dessen fachenglischen Kenntnisse lange nicht mehr so gefragt waren
Andreas Stief, der mir mit weit mehr als der bloßen Bereitstellung seines Computers zur Seite stand und Hilfe war
Manfred Laimer, dessen interessierte und zugleich beratende Haltung mich stützte und wohltat
Doris König und Bernd Ohnemüller, ohne die das Äußere dieser Diplomarbeit ein vermutlich schrecklich anderes wäre
Vielen, vielen Dank!
Köln, den 29.11
Einleitung
Seit mehr als drei Jahrzehnten bemüht sich der längst industrialisierte Westen, die sogenannte Erste Welt, unterentwickelten Staaten auf dem Weg aus ihren Krisen zu unterstützen. Es handelt sich hierbei um Länder aus den Bereichen Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Ihre Unterentwicklung ergibt sich aus dem Vergleich dieser als Dritte Welt titulierten Länder mit denen der o.g. Ersten Welt. Hierzu herangezogene Aspekte ist u.a. der industrielle Entwicklungsstand, die durchschnittliche Lebenserwartung sowie der Bildungsstand.
Bis zum heutigen Tage hat die Entwicklungshilfe westlicher Geberländer kaum eine Verbesserung der Lebensbedingungen in den betreffenden Krisengebieten erreicht. Meist ist das Gegenteil der Fall. So hat sich v.a. in Afrika die Lage seit dem Beginn der Entwicklungsbemühungen verschlimmert. Kriege, Seuchen, Hunger und AIDS sind Schlagwörter, die im Zusammenhang mit dem "schwarzen" Kontinent assoziiert werden. Projekte, die den Afrikanern eine Entwicklung zum Besseren ebnen sollten, schlugen regelmäßig fehl. Importierte Bewältigungsmechanismen, vorwiegend wirtschaftlicher Art, die sich in ihren westlichen Ursprungsländern bewährt haben, greifen nicht, und das Elend wächst weiter.
Ein noch nicht abgeschlossener Umdenkungsprozess hat unlängst eingesetzt. Dieser schließt die Beachtung und Respektierung sozio-kultureller Charakteristika dieser Länder ein. Ein Aspekt, der lange Jahre missachtet wurde.
Viele Entwicklungshilfeprojekte lehnen sich heute an Prinzipien der Gemeinwesenarbeit bzw. Community Development, damit der Sozialpädagogik an. Hieraus ergeben sich mehrere Fragestellungen: Inwieweit ist eine westlich geprägte Sozialpädagogik auf eine entwicklungspädagogische Situation eines Dritte Welt-Landes übertragbar? Welche Rolle nimmt ein Sozialpädagoge/eine Sozialpädagogin im Rahmen der Entwicklungshilfe ein und welchen Beitrag kann er bzw. sie leisten?
Dies wird in der vorliegenden Arbeit diskutiert und beantwortet. Dabei beziehe ich mich auf das schwarzafrikanische Arbeitsfeld, das exemplarisch an dem ostafrikanischen Staat Kenia dargestellt werden soll. Es mag gewagt klingen, wenn man ein Land zum Kriterium eines Bereiches der Größenordnung Schwarzafrikas erhebt, denn sicherlich gibt es mindestens so viele Unterschiede, wie es Staaten gibt, die auch im Einzelnen zu beachten sind. Doch meine persönlichen Erfahrungen durch mehrere längere Afrikaaufenthalte finden sich durch den ehemaligen Staatssekretär Burkina Fasos und Autoren der "Geschichte Schwarz-Afrikas" (1979), Joseph Ki-Zerbo bestätigt:
"Vergleicht man die Serer oder die Lobi mit den Luba und dem Zulu, so bilden sie kontrastierende Gruppen. Aber vergleichen wir die Gesamtheit dieser Gruppe mit den Schweden oder den Griechen, so enthüllt sich automatisch ihre Verwandtschaft" (S. 673).
Die Möglichkeiten eines Transfers westlich geprägten sozialpädagogischen Handelns soll naheliegenderweise anhand der Gemeinwesenarbeit bzw. dem entwicklungspädagogischen Arbeitsbereich der Community Development in Kenia untersucht werden.
Es liegt in der Natur eines un- oder zumindest wenig bekannten Arbeitsbereiches, dass es einer eingehenderen Analyse bedarf, als bereits vertrautere Arbeitsfelder, was sich entsprechend in den einschlägigen Kapiteln niederschlägt.
Zunächst wird, nach einer allgemein gehaltenen Heranführung an die gemeinsame Geschichte der westlichen Mächte und afrikanischen Ländern, die gesellschaftspolitische Situation Kenias geklärt, um darauffolgend, die in der Geschichte der Entwicklungspolitik längste Zeit übergangenen sozio-kulturellen Faktoren im afrikanischen Gesellschaftsgefüge zu erörtern. Diese sind nicht vom westlichen Einfluss unberührt geblieben. Ein Einfluss, der - noch heute - v.a. durch die Entwicklungshilfe ausgeübt wird. Letzteres bedarf der Analyse, zumal ein Transfer sozialpädagogischen Handelns in der Regel im Rahmen der Entwicklungshilfe eingebettet ist, bevor das entwicklungspädagogische Feld der Community Development in Kenia hinsichtlich Theorie und Praxis Gegenstand der Diskussion ist. Letzteres stellt einen wichtigen Faktor dieser Untersuchung dar. Die abschließende Darstellung westlicher Sozialpädagogik bzw. Gemeinwesenarbeit vervollständigt die Analyse, welche die Grundlage der nachstehenden Auswertung bildet.
Da sich meines - aus einer Vielzahl von Recherchen ergebenden - Wissens keine dieser Untersuchung konkret entsprechende Literatur verfügbar oder existent ist und der Minderung meiner persönlichen potentiell westlich orientierten Haltung willens, beziehe ich mich, im Zusammenhang afrikanischer bzw. kenianischer Sachverhalte, so weit wie möglich auf afrikanische Literatur.
Im folgenden Verlauf dieser Arbeit beschränke ich mich einfachheitshalber auf die maskuline Schreibform. Es sei an dieser Stelle betont, dass grundsätzlich beide Geschlechter damit ausgedrückt werden.
Des weiteren sei darauf hingewiesen, dass in dieser Arbeit generell von Sozialpädagogik gesprochen wird. Dennoch verstehe ich Sozialpädagogik und Sozialarbeit weitestgehend synonym, da es sich, wie Pfaffenberger betont, um eine "sachlich zunehmend überholte Zweiteilung des Gesamtfeldes" (in: BfA, 1986, S. 7) handelt. Taucht der Begriff dem ungeachtet auf, dann aus dem Grunde, dass ich die Bezeichnung aus der, dem Kontext basierenden Literatur übernommen oder zitiert habe und es aus o.g. Gründen keiner Umformulierung bedarf.
Aufgrund der Komplexität, der für diese Untersuchung notwendig einzubeziehenden Themenbereiche, schließt jedes Kapitel, um die Übersicht bezüglich Verlauf und Inhalt zu erleichtern, mit einem Fazit ab. Einmalige Ausnahme bildet dabei die weniger komplexe geschichtliche Annäherung des folgenden Kapitels.
1. Geschichtlicher Abriss Schwarzafrikas
Aufgrund eigener Erfahrungen durch mehrmalige längere Reisen in mehrere transaharische Länder neben Kenia, halte ich es für notwendig, die Geschichte Schwarzafrika kurz vorzustellen. Sie ist bei weitem nicht einheitlich verlaufen. Doch die einschneidenden Erfahrungen des Kolonialismus eint sie. Unabhängig von der jeweiligen Kolonialmacht, wie z.B. England im heutigen Kenia oder Deutschland in Tansania, resultiert ein Bild von dem Wasungu (Weißer), welches das ganze Spektrum von allzu kritikloser Bewunderung bishin blanken Hass umfasst. Alleine schon die Tatsache, das noch viele der Menschen, welche die Zeit vor der jeweiligen Unabhängigkeit ihres von westlichen Mächten geschaffenen Staaten erlitten, noch leben, macht m.E. eine zumindest allgemeine Kenntnis dieser gemeinsamen, afrikanisch-europäischen Geschichte notwendig.
Der vorliegende Abriss, einer in wenigen Seiten nicht einzugrenzenden Geschichte (in Afrika leben je nach Klassifikation 1000 - 1500 Völker in 46 Staaten), konzentriert sich nach einer kurzen Beschreibung des präkolonialen Afrika bzw. Schwarzafrika auf die Zeit, in der die schwarzafrikanische Geschichte vornehmlich vom Tun und Lassen europäischer Staaten geprägt und beeinflusst wurde. Dies erscheint mir wichtig, da ein Gros der Eindrücke und Einstellungen, auf die man in europäischen Breitengraden trifft, in dieser Zeit ihre Wurzeln haben.
Von Charles Darwin vermutet, von der Wissenschaft Archäologie nachgewiesen: "Der Mensch wurde in Afrika geboren" (Michler 1991, S. 77). Afrika kann jedoch nicht alleine auf den ältesten Fund unserer Vorfahren in der Olduwei-Schlucht des heutigen Tansania (datiert auf 2,5 Millionen Jahre) verweisen. Es blickt auf eine Geschichte und Kulturentwicklung von mehr als 3000 Jahren zurück (vgl. Büttner, 1985; Michler, 1991, S. 81). Vor der zu erleidenden Versklavung ganzer Generationen und der folgenden Aufteilung dieses Kontinents in europäische Kolonien, gab es nachweißlich mindestens 100 afrikanische Reiche, die, politisch organisiert, als Staatswesen zu betrachten sind. Charakteristisch für die meisten dieser Reiche war, dass diese es zu Wohlstand, militärischer Stärke und der Hervorbringung von Kunstwerken gebracht hatten.
Dieser Wohlstand vieler afrikanischer Reiche begründete sich auf Handel und Handwerk, was durch eine relativ stabile Landwirtschaft getragen und ermöglicht wurde, die Anbaupflanzen kultiviert und weiter entwickelt, wie auch andere Anbaupflanzen (z.B. den Bananenanbau aus Indonesien) übernommen hatte. Die Bauern waren in der Lage eine Vorratswirtschaft zu betreiben, die sie gegen normale Dürreperioden absicherte (vgl. ebd. S.81).
Diese afrikanische Vergangenheit wurde jedoch lange Jahre nicht gesehen oder ignoriert, was eine Stellungnahme des bedeutenden Philosophen Georg Friedrich Hegel vor 150 Jahren verdeutlicht:
"Denn es (Afrika) ist kein geschichtlicher Weltteil, es hat keine Bewegung und Entwicklung aufzuweisen, und was ... in seinem Norden geschehen ist, gehört der asiatischen und europäischen Welt zu ... Was wir eigentlich unter Afrika verstehen, das ist das Geschichtslose und Unaufgeschlossene, das noch ganz im natürlichen Geiste befangen ist" (zit. nach: Ki-Zerbo, 1979, S. 24).
Schwarzafrikas Geschichte hätte also Hegel zur Folge seine Anfänge in dem Zeitpunkt des Betretens dieses Kontinents durch die Europäer, den späteren Kolonialherren. An dieser Stelle sollte die von dem angolanischen Schriftsteller Barbeitos u.a. vertretende Auffassung vermerkt werden, wonach Kolonialismus nicht erst mit den offiziell begründeten Kolonien Ende des 19. Jahrhunderts begann, sondern bereits vier Jahrhunderte vorher, als 700 -800 Jahre nach den Persern und Arabern, die europäischen Mächte Afrika und damit einen lukrativen Sklavenumschlagplatz entdeckten: "Wir sind nicht hundert, sondern fünfhundert Jahre kolonialisiert gewesen" (zit. nach: Michler, 1991, S. 85).
Es war also ein Bild der Geschichtslosigkeit, das Europa von Schwarzafrika gemalt hatte. Ein Bild das bis zum heutigen Tage Wirkungen nach sich zieht. Die Gründe zur Entstehung dieser Auffassung sind mannigfaltig. Sie finden sich beispielsweise in der geographischen Isolierung, da äquatoriale Urwälder und unwirtliche Wüsten die Motivation europäischer Nationen zunächst auf die Installierung von Handelsniederlassungen (beginnend mit den ersten, zunächst portugiesischen Entdeckungsreisen im 15. Jahrhundert) entlang der afrikanischen Küsten beschränkte. Weitere Gründe sind nicht zuletzt die europäische Politik bzw. das eigentliche europäische Interesse an diesem Kontinent, welches nicht ernstens der afrikanischen Geschichte und Kultur galt, sondern vielmehr dem zukünftigen Machtpotential, also der eigenen Geschichte der einzelnen europäischen Staaten.
Der Glaube Europas an die Geschichtslosigkeit Afrikas wurde und wird auch dadurch verstärkt, dass in der Ersten Welt Geschichte stark mit dem geschriebenen Wort verbunden wird, während in Schwarzafrika die mündliche Überlieferung vorherrschte und somit wenig im europäischen Sinne dokumentiert war und vergleichsweise immer noch ist.
Mit den ersten Entdeckungsreisen des 15. Jahrhunderts kam auch europäischer Geschäftsinn. Damit war der Grundstein zu dem "größten Geschäft des Jahrtausends" (Michler, 1991, S.85) zwei Jahrhunderte später, dem Sklavenhandel und der mit der Kongo-Konferenz (1884/85) legitimierten Kolonialisierung des afrikanischen Kontinents gelegt (ausgenommen Liberia und Äthiopien).
Nachdem bereits 1434 die ersten Afrikaner in Lissabon rechtlos feilgeboten wurden, erlebte der Sklavenhandel im 17. Jahrhundert eine Hochkonjunktur, als, Schätzungen zur Folge, 10 bis 30 Millionen Schwarzafrikaner zum größten Exportgut für amerikanische Plantagenarbeit, wie auch für arabische und indische Interessen verdingt wurden. Da es stets die jungen, gesunden und kräftigen Menschen waren, die, unter tatkräftiger Mithilfe von an dem lukrativen Geschäft als Zwischenhändler beteiligten Arabern und Afrikanern selbst, deportiert wurden, wurde "die Zerstörung der afrikanischen Kultur und der afrikanischen Wirtschaft auf breiter Front begonnen" (ebd., S. 86). Dieser transatlantische Sklavenhandel war nach der Auffassung des Geschichtswissenschaftlers Immanuel Geiss "eine entscheidende Voraussetzung für die prosperierende, von schwarzen Sklaven abhängige Kolonialwirtschaft in der Neuen Welt. Beide zusammen stellten einen erheblichen Teil der ursprünglichen Akkumulation (Anhäufung) von Kapital, das die industrielle Revolution überhaupt erst in Gang setzte." (in: Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 1971, S. 411).
Die von Bismarck einberufene und in Berlin stattgefundene Kongo-Konferenz war der Beginn einer legalisierten Einverleibung auch des Inneren Afrikas durch acht Kolonialmächte (England, Deutschland, Frankreich, Belgien, Portugal, Italien, Türkei und Spanien).
Eine Verlautbarung dieser Konferenz zur Folge waren Ziel und Zweck der Kolonialisierung Afrikas, den dort ansässigen Menschen "im Namen des allmächtigen Gottes moralisches und materielles Wohlbefinden" (Michler, 1991, S. 89) zu bringen. Die Beweggründe schienen offiziell ausschließlich humanitären Charakters zu sein.
Die Spielregeln bzw. die Modalitäten der Grenzziehungen, für den großen "Wettlauf ins Innere Afrikas" (Büttner, 1985, S. 313) wurden hier durch die o.g. Nationen, sowie Dänemark, Niederlande, Österreich-Ungarn, Russland, Schweden und die USA aufgestellt und gutgeheißen. Die Kolonialmächte sahen den afrikanischen Kontinent als ein "rießiges leeres und herrenloses Land" (ebd., S.313) an, was die, oftmals am grünen Tisch vollzogene, soziologische und geschichtliche Realitäten ignorierende Festsetzung von kolonialen Grenzen ermöglichte.
"...die Grenzziehung war ein Ergebnis der verschiedenen, miteinander konkurrierenden europäischen Machtinteressen. Drei Viertel der afrikanischen Grenzen sind künstliche Grenzen, viele folgen geometrischen oder astronomischen Linien" (ebd., S. 316).
Daher verwundern die ungewöhnlich geraden Profile dieser durch Europa gemachten Staaten, die von denselben bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt beibehalten wurden, nicht.
"Entlang jeder einzelnen Grenze, von der Elfenbeinküste bis nach Nigeria sind einheitliche Volksgruppen getrennt und sind umgekehrt vollkommen voneinander verschiedene Volksgruppen unter ein und derselben Fahne vereinigt und dies nur, weil sich diese Länder über mehrere, die Lebensweise direkt bestimmende Klimazonen erstrecken" (ebd., S. 317). Der Spiegel bemerkte dazu: "Die Europäer teilten Afrika ohne Rücksicht auf Volks- und Stammesgrenzen untereinander auf - und legten damit Zeitbomben für die Zukunft" (51/1992, S. 155).
In der sich über die zwei Weltkriege erstreckende Zeitspanne des offiziellen Kolonialismus erlebten sich die Schwarzafrikaner als Menschen zweiter Klasse. In den meisten Kolonien galten unterschiedliche Rechtssprechungen für die Weißen und die Schwarzen. Dieses Faktum beschränkte sich nicht alleine auf die Gebiete Namibias, Rhodesiens (heute: Sambia und Zimbabwe) und Südafrikas, die im Vergleich zu den übrigen Kolonien das Apartheidsystem am konsequentesten lebten.
Folgendes Kindergedicht aus dem Jahre 1910 vermag die Einstellung zu beschreiben, mit der die europäischen Konquistadoren den Schwarzafrikanern begegneten:
"Als unsre Kolonien vor Jahren
noch unendeckt und schutzlos waren,
schuf dort dem Volk an jenem Tage
die Langeweile große Plage,
denn von Natur ist nichts wohl träger
als so ein faultierhafter Neger.
Dort hat die Faulheit, das steht fest,
gewütet fast wie eine Pest.
Seit aber in den Kolonien
das Volk wir zur Kultur erziehen
und ihm gesunde Arbeit geben
herrscht dort ein muntres, reges Leben.
Seht hier im Bild den Negerhaufen
froh kommen die herbeigelaufen,
weil heute mit dem Kapitän
sie kühn auf Löwenjagden gehn..."
(zit. nach: Michler, 1991, S. 88).
Der Kolonialstatus war allerdings nur mittels Waffengewalt aufrecht zu erhalten. So wurden in dem seit 1990 von Südafrika unabhängigen Namibia (damals: Deutsch-Südwestafrika) mindestens 70.000 Afrikaner zu Opfern deutscher Interessen. Eine ähnlich große Zahl von Afrikaner starben in Folge aufständischer Unruhen in Deutsch-Ostafrika. Des weiteren wurden 760.000 Äthiopier vom italienischen Faschismus getötet (vgl. Brüne, 1986, S.34). Eine "Wiedergutmachung" für all diese Grausamkeiten, für die Hunderttausende, wenn nicht Millionen, die in Afrika zu Opfern der europäischen Kolonialherrschaft wurden, ist nie ernsthaft diskutiert, geschweige denn gezahlt worden. Am Beispiel der ehemalig deutschen Kolonie Namibia, das schon mehrmals von der Bundesrepublik Deutschland Wiedergutmachung für Vertreibungen und Völkermord einforderte, vermutet Peik Bruhns in "Neues Deutschland" vom 18.05.1993, das die Entscheidung, Verantwortung für diese Zeit zu übernehmen, "womöglich hinausgezögert werden soll, bis es für die Gräueltaten der deutschen Kolonialmacht keine Zeitzeugen mehr gibt, die in deutschen Schulbüchern und vor internationalen Gerichten von ihren Erlebnissen berichten könnten" (ebd., S. 7). Diese Vergangenheit ist ein Schnittpunkt aller schwarzafrikanischen Staaten, deren Bauern in dieser Zeit das angestammte Land genommen wurde. Dies hatte schwerwiegendere Folgen als den bloßen territorialen Verlust. Jomo Kenyatta, einer der treibenden Kräfte der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegung und erster Staatspräsident Kenias, verdeutlichte dies: "Wenn der Europäer in unser Land kommt und den Leuten das Land raubt, dann nimmt er ihnen nicht nur den Lebensunterhalt weg. Vielmehr raubt er ihnen auch das materielle Symbol, das die Familie und den Stamm zusammenhält. Mit diesem Schlag zertrümmert er das soziale, moralische und wirtschaftliche Fundament des gesamten Lebens der Afrikaner" (in: Imfeld, 1980, S.69 f.).
Die Kolonien wurden als Rohstoffkammer und Sicherheit (police) Europas gebraucht. Beispielsweise Tee, Tabak und Kaffee wurden zu klassischen Exportgütern in die "Mutterländer". Der Anbau dieser Kolonialwaren war notwendig, da die Afrikaner Sorge tragen mussten, die von den jeweiligen Kolonialmächten erhobenen allgemeinen Steuern zu finanzieren, was durch den Verkauf von für die Kolonialmächte interessanten Waren ermöglicht wurde. Im ersten Weltkrieg hatten die Kolonien nicht selten den Charakter von Zahlungsmittel, indem man das Anrecht auf diese an eine andere europäische Macht abgab, um den eigenen Staat vor beschneidenden Reparationsansprüchen zu bewahren (vgl. Büttner, 1985). Kolonialismus bedeutete jedoch nicht nur die Macht und Kontrolle über das Wesen der Wirtschaft und der Besitzverhältnisse oder den Verschleiß von "Menschenmaterial". Es bedeutete gleichermaßen die Europäisierung des afrikanischen Lebens. Lehrpläne und Lehrinhalt unterschieden sich in nichts von denen, mit den französische, englische, deutsche oder belgische Kinder und Jugendliche konfrontiert wurden, was afrikanische Schriftsteller und Intellektuelle als "die Versklavung des afrikanischen Denkens und Bewusstseins" (vgl. Michler, 1991, S. 91) bezeichneten. Den Afrikanern wurden in nahezu jedem Lebensbereich die angebliche Unterlegenheit, die Minderwertigkeit ihrer Kultur und ihres Daseins gegenüber den weißen Herrschern vor Augen geführt. Die Kirchen spielten hierbei keine passive Rolle. So lernten afrikanische Kinder in den Missionsschulen, dass der animistisch bezeichnete Glaube ihrer Eltern Sünde und Produkt des schwarzen Satans sei. Frantz Fanon, ein weiterer Mitinitiator des afrikanischen Unabhängigkeitskampfes, beschrieb die Rolle der Kirche folgendermaßen: "Die Kirche in den Kolonien ist eine Kirche von Weißen, eine Kirche von Ausländern. Sie ruft den kolonisierten Menschen nicht auf den Weg Gottes, sondern auf den Weg der Weißen, auf den Weg des Herrn, auf den Weg des Unterdrückers" (1966, S.35).
Mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, den damit einhergehenden weltpolitischen Veränderungen, begann die Phase der Entkolonialisierung Schwarzafrikas. Eine Phase, die erst 1990 ihren Abschluss mit der Unabhängigkeit Namibias und ihren Höhepunkt 30 Jahre vorher im sogenannten "afrikanischen Jahr", als 17 Kolonien die Unabhängigkeit ereichten, haben sollte.
Das unabhängige Schwarzafrika wird heute vor allem mit politischer Instabilität, Hungersnöten, Bürgerkriegen, Krankheit (AIDS und für eine medienwirksame Zeit der Ebula-Virus) und Rückständigkeit verbunden.
Ein Großteil der Regierungen der unabhängig gewordenen Staaten wurden von denjenigen besetzt, die schon zu Kolonialzeiten die schwarzen Eliten bildeten. Sie hatten sich mittels der Zusammenarbeit mit den Kolonialherren eine gehobene Position zu sichern gewusst. Diese schwarze Führungsschicht hatte es verstanden sich den Kolonisatoren zweckdienlich zu machen, indem sie von letzteren als die "traditionellen Stammesführer" für die Verwaltungs- und Wohngebiete eingesetzt wurden, die wiederum das Produkt der Aufteilung und Trennung der Menschen in verschiedenen Völker bzw. Sprachgruppen waren. Diese Völker wurden als überlegen oder unterlegen gegenüber anderen Völkergruppen angesehen und entsprechend behandelt (vgl. Brot für die Welt, 1993, S.4; Michler, 1991, S.63). Diese den Machterhalt und die Verwaltung einer Kolonie erleichternde Maßnahme schuf Rivalitäten, die sich in den Jahren der Unabhängigkeit in gewaltsamen Auseinandersetzungen entluden. Diese wurden von der Ersten Welt als tribalistisch bedingt interpretiert. Michler betont, dass es sich um politische und wirtschaftliche Interessengruppen handelt, deren Abgrenzungen gerade durch die Machthaber des Kolonialzeitalters verstärkt wurde (vgl. Michler, 1991, S. 63 ff.).
Kenia wurde in seiner Geschichte vom Kolonialismus englischer Art geprägt. Die gegenwärtige Situation des ostafrikanischen Landes soll folgend vorgestellt werden.
2. Kenia
Sozialpädagogisches Handeln findet stets mit Menschen im Kontext ihres Lebensraums statt. Letzteres wird beeinflusst von Faktoren, wie Naturraum, der Bevölkerung, Politik und Wirtschaft sowie Bildungs- und Gesundheitswesen. Letztere bilden das Gefüge eines Landes und bedingen den Alltag seiner Menschen. Wie sich der Alltag in Kenia zusammensetzt, soll daher folgend erläutert werden.
2.1 Land und Leute
Das etwa 6500 km von Deutschland entfernte Staatsgebiet Kenias erstreckt sich an der Ostküste Afrikas beiderseits des Äquators zwischen 4 Grad nördlicher und 4 Grad südlicher Breite, sowie zwischen 36 Grad und 41 Grad östlicher Länge und umfasst eine Fläche von 582.646 qkm, was gut eineinhalb mal so groß ist wie die der Bundesrepublik Deutschland.
Kenia gliedert sich in sieben Provinzen und das Gebiet Nairobi, die wiederum in vierzig Distrikte aufgeteilt sind.
Die Hauptstadt Nairobi, deren Einwohnerzahl tagsüber mit 3 Millionen (Mio.) und nachts mit 1 Mio. Menschen angegeben wird, ist seit Jahrzehnten das wichtigste städtische Zentrum im gesamten östlichen Afrika. Große verkehrstechnische Bedeutung für Kenia und die Nachbarländer hat die Hafenstadt Mombasa, die nach Nairobi die meisten Einwohner zählt.
Die Geographie des Landes ist nach Topographie, Klima und Vegetationsformen sehr abwechslungsreich. Die Landesfläche lässt sich grob in vier Hauptlandschaften einteilen, wovon allerdings drei für eine stetige Landwirtschaft nicht geeignet und folglich dünn besiedelt sind. 85% der Bevölkerung kulminiert im hügeligen Hochland im südwestlichen Abschnitt des Landes, das ein über 3.000 m ansteigendes Hochplateau mit dem Mt. Kenya (5195 m) und Mt. Elgon (4200 m) umfasst und im Westen zum Victoria-See abfällt. Der Norden besteht aus Wüste oder Halbwüste, deren Stränge nur vom riesigen Lake Turkana aufgelockert wird. Die Steppen und Halbwüsten werden von den Nomadenvölkern zur Viehhaltung genutzt. Im Osten fließen die beiden Hauptflüsse Tana und Athi zum Indischen Ozean. Von Norden nach Süden zieht sich der bis zu 80 km breite und bis 1.200 m tiefe Ostafrikanische Graben (Rift Valley) durch das gesamte Land.
Das Klima ist im höherliegenden Inneren des Landes kühl, während an der Küste meist schwülwarme Temperaturen um 27 Grad Celsius herrschen. Zwei Regenzeiten, von April bis Juni und von Oktober bis Dezember lassen im Hochland 1.250 mm und an der Küste rund 1.000 mm jährlichen Niederschlags erwarten (vgl. Munzinger-Archiv, 1993; Mtula, 1990, S. 7; Statistisches Bundesamt, 1989, S. 18).
Aufgrund der schnell wachsenden und konzentriert siedelnden Bevölkerung ändert sich das geographische und ökologische Profil des Landes in alarmierender Weise, da wertvoller Ackerboden durch Versteppung, Auszehrung, Wüstenbildung, Erosion etc. zunehmend zerstört wird.
2.2 Ökologie und Lebensraum
Ökologie ist eine globale Dimension beinhaltende, die regionale und nationale Entwicklung betreffende Angelegenheit. Der Konnex zwischen Armut, Ungleichheit, Umweltzerstörung und Umwelt und Entwicklung ist offenkundig. Die nachkommenden Generationen der Industrieländer werden genauso mit den immer größere Ausmaße annehmenden Umweltzerstörungen konfrontiert, wie die sogenannten Entwicklungsländer.
In der ganzen Dritten Welt hat die Zerstörung der Umwelt inzwischen besorgniserregende Ausmaße erreicht. Eine hohe Zahl von Hunger- bzw. Naturkatastrophen sind die Folge menschlicher Eingriffe in das Ökosystem. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) hatte bereits im Mai 1982 auf "die Zerstörung der tropischen Regenwälder, die Vergiftung von Luft und Wasser, die Verschlechterung der Bodenqualität durch agrikulturellen Raubbau, die Bodenerosion und die Ausbreitung der Wüsten die Lebensbedingungen von immer mehr Menschen gefährden" (zit. nach: Nuscheler, 1991, S. 192) hingewiesen. Die Landwirtschaft, die Industrieproduktion und die städtischen Ballungsgebiete sind erhebliche Faktoren, die sich mit der Durchleuchtung der Umweltzerstörung ergeben.
Die vielfältige Tier- und Pflanzenwelt und Gegenden unberührter Natur sind immer noch ein Charakteristikum Kenias. Jedoch ist ein Ende der Entwicklung der - hinsichtlich der Ursachen wie Verstädterung, Bevölkerungswachstum als auch die bis vor knapp zwanzig Jahren noch legale Großwildjagd - unweigerlichen Dezimierung nicht abzusehen. Es existieren gegenwärtig mehr als 15 National Parks, Tierreservate, Schonwälder und Meerschutzgebiete, die weiterhin von gut organisierten Wildererbanden heimgesucht werden. Vor den Wilderern kommt eine rege internationale Nachfrage nach Leder, Fellen und nicht zuletzt an Elfenbein, welches die Zahl des Elefantenbestands mit 167.000 im Jahre 1973 bis 1988 um 107.000 verminderte. Der Elfenbeinhandel ist in Kenia im übrigen illegalisiert, was der gegenwärtig amtierende Präsident Daniel Arap Moi einst durch eine spektakuläre öffentliche Verbrennung beschlagnahmten Elfenbeins unterstrich.
Der Energiebedarf Kenias wird zu vier Fünftel durch Holz bestritten, da Gas oder Öl zu teuer ist und damit am Devisenhaushalt zehren würde. Die Konsequenz hieraus ist, dass man in Kenia schon 1985 gegenüber der ökologisch vertretbaren Menge mit dem Mehrverbrauch von 5,4 Mio. Tonnen Holz über die eigenen Verhältnisse gelebt hat und das von 76 erfassten Wäldern heute tatsächlich nur noch 25 existieren. Vor 50 Jahren waren noch gut ein Drittel des Landes bewaldet, während es heute noch 3% sind. Daraus entstanden aride Flächen, Halbwüsten, die ein Viertel des Staatsgebiets einnehmen und allenfalls von Nomaden genutzt werden. Unterstützt durch Wiederaufforstungsprogramme und Agroforest-Projekte des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED) versucht Kenia mittels einer nationalen Wiederaufforstungskampagne, der Green Belt Movement (GBM), dem ökologischen Gau entgegenzuwirken. Meist sind es die marginalisierten und vom schnellen Bevölkerungswachstum gekennzeichneten Einheimischen, die von der resultierenden Lebenssituation gezwungenermaßen ökologische Ressourcen schnell und unwiederbringlich aufbrauchen.
2.3 Bevölkerung
In Kenia leben etwa 27 Mio. Menschen, wobei die Hälfte das 15. Lebensjahr noch nicht erreicht hat. Während der Bevölkerungszuwachs in der Metropole Nairobi auf jährlich 10% festgemacht wird, vernimmt man landesweit variierende Angaben zwischen 3,1 und 4,1%. Diese Bevölkerungszunahme ist eine der stärksten der Erde. Die kenianische Bevölkerung wird sich demnach alle 20 Jahre verdoppeln und im Jahre 2000 auf 38 Mio. angewachsen sein. Zum Vergleich: 1980 betrug die Einwohnerzahl noch 17 Mio. Menschen.
1990 betrug die durchschnittliche Lebenserwartung der kenianischen Männer und Frauen 59 bzw. 63 Jahre. Die Säuglingssterblichkeit sank auf 68 (1989) pro 1.000 Geburten.
Drei Viertel der Bevölkerung leben auf 10% der Landesfläche. Insgesamt kommen 42 Menschen auf einen qkm, in Nairobi 1880/qkm. Diese verteilen sich überwiegend auf die seereichen Gebiete im Westen, die Küstengebiete und auf das mittlere und westliche Hochland. 1988 lebten 22% der Kenianer in den Städten, während weitere 19,7% des Landes urbanisiert sind.
Bei 98,5% afrikanischer Einwohner Kenias kommt der zahlenmäßigen Minderheit der Asiaten vom indischen Subkontinent eine ökonomische Bedeutung zu. Diesen wird seitens der einheimischen Bevölkerung wenig Sympathie gezollt, da diesen, welche die meisten mittelständischen Unternehmen inne haben, Geldgier und Ausbeutertum vorgehalten wird. Die zweite bedeutende Minderheit ist die der Europäer, denen mehr Wohlwollen entgegenschlägt. Hierbei handelt es sich vornehmlich um europäische Geschäftsleute und Entwicklungshilfe-Experten. Sie werden auf 50.000 geschätzt. Inder sollen um die 100.000 im Land sein, während sich die etwa 39.000 Araber in den Küstenprovinzen konzentrieren. Beachtenswert ist die kenianische Vielfalt afrikanischer Völker, was nicht zuletzt den europäischen Kolonialmächten zu verdanken ist.
2.3.1 Der Viel-Völker-Staat Kenia
Je nach angelegtem Kriterium zählt man in Kenia rund 40 verschiedene Völker und entsprechend vielen Sprachen. Diese gehören zu drei völlig unterschiedlichen Gruppen: die Bantu, die 60% der Bevölkerung stellen (z.B. Kikuyu (21%), Luyia, Gusii, Embu, Meru), die Niloten (z.B. Luo, Kalenjin, Maasai) und die Kuschiten (z.B. Somali, die eine kleinere Minderheit darstellen, jedoch im Nordosten ein sehr großes Gebiet besiedeln).
Die Bantu und die nilotischen Luo finden sich als Ackerbauern im Westen Kenias, die fruchtbaren und regenreicheren Gebiete bewohnend, wogegen die Minderheit der Niloten und Kuschiten, die eher als Hirtenvölker, Nomaden und Halbnomaden zu begreifen sind, die trockeneren Gebiete nutzen. Eine städtische, nahezu internationale Kultur ist die des islamisch geprägten Swahili. Dessen Sprache, das Kisuaheli, setzt sich zu einem Drittel aus arabischen Wörtern und zu zwei Drittel aus Wörtern und grammatischen Elementen der Bantusprachen zusammen. Sie stellt eine - in Ostafrika - von etwa 40 Mio. Menschen beherrschte Verkehrssprache dar.
Das Zusammenleben zahlreicher unterschiedlicher Völker in einer durch Fremdbestimmung geborenen modernen Nation, ohne die Zeit zu dieser wachsen zu können, bringt auch 25 Jahre nach der Unabhängigkeit Schwierigkeiten mit sich. Größere ethnische Auseinandersetzungen gab es unlängst im Zuge der ersten demokratischen Wahl 1992, als 250.000 Kikuyu in Folge eines terrorisierenden Wahlkampfes v.a. durch den Stamm des Staatspräsidenten Moi, den Kalenjin und weiterer verschiedener Volksgruppen, aus dem Rift-Valley vertrieben wurden.
Den größten Teil der Bevölkerung machen jedoch eine Gruppe aus, die nicht ausschließlich wegen ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit eine immens wichtige Kraft im Alltag, wie auch im Entwicklungsprozess darstellt: die Frauen.
2.3.2 Die Frauen Kenias
"Es war nicht mehr zu übersehen, dass das Überleben von Millionen von Menschen auf diesem Kontinent zum größeren Teil durch die Arbeit der Bäuerinnen Afrikas gesichert wird" (terre des hommes, 1991, S. 13).
Diese Tatsache, die weit über die Gefilde transaharischer Staaten in vielen Ländern der sogenannten Dritten Welt zu beobachten ist, gilt entsprechend auch für Kenia: Frauen sind der eigentliche Motor der Entwicklung. 75 bis 95% der Farmarbeit wird durch die Frauen bestritten. Die Erziehung und Sorge um die Kinder bleibt in der Regel Frauendomäne, wobei anzumerken ist, das zu der kenianischen Durchschnittsfamilie acht Kinder gehören. So stellt auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) in seinem Journalistenhandbuch 1994 fest, dass die Frauen in den Entwicklungsländern eine Schlüsselrolle in wirtschaftlich und sozial wichtigen Bereichen einnehmen, was jedoch nicht ausschließlich für Hauswirtschaft, Kindererziehung, Gesundheit und Familienplanung gilt, sondern insbesondere auch in der Landwirtschaft, der Energie- und Wasserversorgung, im Handwerk, Handel als auch in der modernen Industrieproduktion. Dies bestätigt auch Donner-Reichle, wenn sie auf die "zentrale Bedeutung für die Gesamtwirtschaft" hinweist (1977, S. 6), die Frauen in Kenia und den meisten Dritte Welt-Ländern einnehmen.
Die Frauen werden, wie im Weltbevölkerungsbericht 1993 verlautbart wurde, am stärksten von Kriegen und Umwälzungen in Mitleidenschaft gezogen.
Hieraus resultiert die Wichtigkeit der Förderung der Frauen im entwicklungspolitischen Kontext. Der Stärkung der Position der Frau ist der Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit und Wahrung der Menschenrechte.
Auch die anhaltende Landflucht bzw. Verstädterung trifft vor allem die Frauen.
2.3.3 Land - Stadt - Mensch
Wie in vielen anderen Ländern der Dritten Welt stellen Migrationen auch in Kenia einen dominierenden Desintegrationsfaktor dar. Ihre Wurzeln finden sich in der Kolonialzeit. Diese tragen bis zum heutigen Zeitpunkt erheblich zu sozio-ökonomischen Fehlentwicklungen bei.
Vorwiegend sind es die Männer, die dem Land "entfliehen". Sie sind auf der Suche nach Arbeit. Der Verdienst reicht im Falle der Arbeitsfindung in der Regel nicht für den Unterhalt der ganzen Familie in der Stadt aus. Weiterhin bleiben Frau und Kinder aufgrund eines ihre soziale Sicherheit darstellenden Landbesitzes zurück. Konsequenzen sind Entfremdungen innerhalb der Familie, die Auflösung bewährter traditioneller Strukturen und Überbelastungen v.a. der Frauen, die - wie bereits im vorherigen Abschnitt erwähnt - neben der Aufgabe der Kindererziehung nun alle einstmals aufgeteilten Arbeiten, die die Landwirtschaft mit sich bringt, leisten müssen. Unterversorgungen und veränderte Erwartungshaltungen sind oft das Resultat und der Grund für die Landflucht von Kindern und Jugendlichen, die ihr Überleben in der Stadt durch Diebstähle, Bettelei oder kleinere Dienstleistungen zu sichern versuchen. Im Zuge dieser familiären Auflösungserscheinungen, die mit der steigenden Vorrangigkeit der Ausbildung der Kinder und Unabhängigkeitsbestrebungen der Jugendlichen einhergehen, verlieren die einst traditionell hochgeachteten alten Menschen weiter an Einfluss und Sicherheit. So sind sie heute v.a. in den Städten und urbanisierten Gegenden einer besonders desintegrierten Randgruppe zugehörig
Eine der schwerwiegendsten Folgen dieser seit der Kolonialzeit nicht rückläufigen Landflucht ist die starke Ausweitung von der Marginalisierung förderlichen Slumgebieten. In Nairobi existieren ca. 50 Slums. In dem größten (Mathare Valley) lebten zum Beispiel 1981 bereits rund 140.000 Menschen. Kaum witterungsgeschützte Behausungen, mangelnde Ernährungsbedingungen und sanitäre Versorgung charakterisieren diese Elendsviertel (vgl. Guimbous, 1993, S. 7 ff.).
Dieses Bild krasser sozialer Ungleichheiten spiegelt sich ebenso im politischen Alltag wieder.
2.4 Politik und Staat
Kenia ist eine präsidiale Republik im Commonwealth. Es gehört der OAU (Organisation afrikanischer Einheit), der AKP (Unterzeichner des Lome-Abkommens) und der UNO (Vereinte Nationen) an.
Zweites Staatsoberhaupt nach dem verstorbenen Jomo Kenyatta, ist seit dem 14.10.1978 Daniel Arap Moi. Zugleich hat er den Vorsitz der bis vor knapp drei Jahren einzigen legalen (Regierungs)-Partei KANU (Kenya African National Union).
Von der aus 202 Abgeordneten bestehenden, das Volk vertretenden Nationalversammlung, werden 12 direkt vom Präsidenten bestimmt, die restlichen 190 gewählt.
Seit der Unabhängigkeit Kenias 1963 dominierte die KANU die Innenpolitik des Landes. Andere Oppositionsparteien, wie die KADU (Kenya African Democratic Union) lösten sich entweder auf oder wurden wie die sozialistisch orientierte KPU (Kenya People's Union) innerhalb kurzer Zeit verboten. Mit Staatsgründer und Unabhängigkeitskämpfer Jomo Kenyatta wurde die KANU zur alle gesellschaftlichen, ethnischen Gruppen einverleibende Autorität. Nach der Führungsübernahme durch Moi im Oktober 1987, kam es zu sozialen Spannungen und Machtkämpfen, die sich am 1.8.1982 in einem gescheiterten Putschversuch durch Teile der Luftwaffe entluden.
Die Ära Moi ist gekennzeichnet von der Entwicklung Kenias vom einstigen afrikanischen Musterland, zum repressiven Polizeistaat mit enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten.
Dem Druck westlicher Geberländer und der oppositionellen FORD-Bewegung (Forum for the Restauration of Democracy) gab Moi im Dezember 1991 nach, womit die ersten freien Wahlen in einem Mehrparteiensystem am 29.12.1992 stattfinden konnten.
Diese Wahlen waren von schweren Auseinandersetzungen gekennzeichnet. Gegner der autoritären Staatsführung wurden durch Brandschatzung ihrer Häuser und Mord Opfer der Anhänger und Stammesangehörigen Mois. Trotz einer Reihe vermuteter Verstöße gegen die Wahlordnung ist der Wahlsieg des gegenwärtigen Staatsoberhaupts nicht anzuzweifeln. Diesem genügten rund ein Drittel der Wählerstimmen, da sich die oppositionellen Kandidaten nicht im Stande sahen ihre ethnischen, politischen und persönlichen Differenzen zu überwinden, was eine gemeinsame Linie, einen gemeinsamen Kandidaten und damit eine Vereinigung der verschiedenen Interessensgruppen und der entsprechenden Wählerstimmen unmöglich machte (vgl. Munzinger-Archiv, 1993).
2.5 Ökonomie
Die bedeutendste volkswirtschaftliche Rolle nimmt in Kenia die Landwirtschaft ein. Sie ist die Existenzgrundlage für mehr als vier Fünftel der Bevölkerung. Ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt ist jedoch rückläufig und lag beispielsweise 1984 bei lediglich 31% (vgl. Statistisches Bundesamt, 1987, S. 37). Hieraus resultiert eine breite Unterversorgung, deren Ursache sich nicht alleine auf die begrenzte agrarisch nutzbare Fläche, die Bodenerosion und die Bevölkerungsexplosion reduzieren lässt. Mangelhafte Maßnahmen der Landverteilung und Ansiedlung Landloser sind als der Unterversorgung förderliche Faktoren ebenso beachtenswert.
Elementare ökonomische Schwierigkeiten bereiten die geringen Ressourcen an Bodenschätzen, was kostenintensive Erdölimporte zur Deckung des merkantilen Energiebedarfs erforderlich macht. Aufgrund der Exportorientiertheit der kenianischen Wirtschaft, ist diese im hohen Maße vom Weltmarkt abhängig. Die unbeständigen Einnahmen beeinflussen die Produktion und das inländische Preisniveau (vgl. Statistisches Bundesamt, 1987, S. 46). Dies führte zu einem sich verringernden Eigenanbau und in der Folge zu defizitären Ernährung und Mangelerscheinungen. Drei Fünftel der ländlichen Haushalte leben unter der Armutsgrenze. Allgemein werden die hohe Wachstumsrate der Bevölkerung und die um 40% liegende Arbeitslosenquote als wichtigste Probleme und Herausforderungen gesehen.
Das Bruttosozialprodukt (BSP) betrug 1990 387 US $ pro Einwohner (BRD: 17.659 US $), wobei die Bemessungskriterien zweifelhaft sind (vgl. Nuscheler, 1991, S. 13 ff.), zumal die westliche Maßeinheit des BSP die Schattenwirtschaft, das sogenannte "jua kali" (selbstorganisierte Kleinbetriebe), kaum berücksichtigt. Immerhin bedeutet dieser informelle Sektor für viele Menschen in Kenia eine kleine Einkommensquelle in der etwa 60% der Erwerbstätigen eingebunden sind (vgl. Spiegel, 42/94, S. 200).
2.6 Gesundheitswesen
Das Gesundheitswesen Kenias ist gegenüber anderer schwarzafrikanischer Staaten vergleichsweise weit ausgebaut. Jedoch sind auch auf der Ebene der gesundheitlichen Versorgung die großen Unterschiede zwischen Stadt, Land und den verschiedenen Regionen und Provinzen (eindeutige Bevorzugung von Central, Coast und Nairobi) nicht zu übersehen (vgl. Guimbois, 1993, S. 18 ff.). Eine ausreichende medizinische Versorgung wird erheblich durch den starken Bevölkerungswachstum, wie ungenügender verkehrstechnischer Möglichkeiten behindert, zumal eine eindeutige infrastrukturelle Bevorzugung o.g. Gebiete, teilweise aus dem Tourismus resultierend, festzustellen ist. Diese Diskrepanz trifft die restlichen fünf Provinzen, insbesondere Nyanza und Eastern empfindlich.
Mangelhafte oder zu spät eingesetzte Behandlungen von häufig auftretenden Erkrankungen wie AIDS, Tetanus, Poliomyelitis, Ruhr, Meningitis, Cholera, Bilharziose, infektiöse Hepatitis, Typhus und Malaria sind die Konsequenz.
1987 kamen 7.450 Einwohner auf einen der 3.071 praktizierenden Ärzte (1980: 10.087 Einw./Artz; 1984: 7.789). 50% der Ärzte sind in Nairobi tätig und versorgen damit nur 5,6% der Bevölkerung. Hier stehen 100.000 Menschen 480 Krankenhausbetten gegenüber. Im Landesdurchschnitt sind es nur deren 158 (vgl. Guimbous, 1993, S. 18). Dem britischen Beispiel folgend wird allen Menschen ambulante Behandlung, den Kindern zusätzlich stationäre Versorgung kostenfrei gewährt. Ferner existiert ein Flying Doctor Service, die Ärzte in die entlegenen Gebiete fliegt. Die Realität jedoch verhindert die Nutzung dieses Angebots für einen Großteil der Bevölkerung, da halbjährige Wartezeiten für staatliche Krankenhäuser Normalität sind und sich daher viele Menschen an private Ärzte, Krankenhäuser oder an einen traditionellen Heiler wenden müssen. Hinzu kommt, dass die staatlichen Krankenhäuser in den Provinz- und Distrikthauptstädten liegen, womit die Unterbringung in der Ferne meist auch die Gegenwart von Verwandtschaft und damit deren Nahrungsmittelhilfe unmöglich macht. Daher kommt dem traditionellen Arzt ("mganga") eine wichtige Rolle in der Versorgung zu (15-30 Haushalte/"mganga", vgl. Munzinger-Archiv, 1993, S. 33).
Es besteht ein hohes Krankheitsaufkommen. Wie in vielen anderen Entwicklungsländern stellt dies ein Symptom und Folge vorherrschender Armut dar. Armut ist im Kontext sozialer Ungleichheiten auf nationaler, wie auch auf internationaler Ebene zu betrachten (80% aller Krankheiten werden auf Fehl- und Unterernährung zurückgeführt oder in ihrer Entstehung dadurch begünstigt). Die negative Gesundheitssituation ist auch eine Folge des Kolonialismus. Die Europäer importierten bis dahin unbekannte Krankheiten, wie Masern und Tuberkulose, wie sie auch neuere, schlimmere Erreger bereits bekannter Krankheiten durch die Einverleibung des Inneren Afrikas verbreiteten (vgl. Harrison, 1982, S. 238; Guimbous, 1993, S. 21).
Die kenianische Regierung versucht der kritischen Lage der medizinischen Versorgung mittels Aufklärung durch Rundfunk, Erwachsenenbildung, Gesundheitserziehung in der Schule, Bildmaterialien bei Analphabeten prophylaktisch zu begegnen, ohne spürbare Veränderungen zu bewirken. Als ein Grund ist die Missachtung materieller Möglichkeiten des Gros der Bevölkerung zu nennen, welche die Orientierung an die Empfehlungen entsprechend als unerreichbaren Luxus erleben mussten (vgl. Statistisches Bundesamt, 1987, S. 26). Von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der UNICEF unterstützte Impfaktionen verfehlten ihr Ziel einer möglichst flächendeckenden Immunisierung, da in Ermangelung regionaler Abstimmung viele Menschen ausgespart blieben.
Um ein Großteil der Bevölkerung gesundheitspolitisch zu erreichen und präventive Maßnahmen erfolgreich umzusetzen, muss man auf dem Land, wo diese Mehrheit lebt, arbeiten. Ein Zusammenwirken moderner und traditioneller Medizin wäre anstrebungswürdig, da die letztere, die ohnehin die größere Last medizinischer Versorgung trägt, vertraut und bekannt ist.
Der Bedarf an Verbesserung des Gesundheitswesens ist in Entwicklungsländer ebenso gewöhnlich anzutreffen, wie die des Bildungssystems. Hier jedoch sind in Kenia große Anstrengungen gemacht worden, die im folgenden Abschnitt erläutert werden.
2.7 Bildungssystem
Das kenianische Bildungssystem hat seine Wurzel in der Zeit des britischen Kolonialismus.
Nach der Unabhängigkeit war die Ermöglichung einer für jedes Kind "wenigstens siebenjährige Grundschulausbildung" das ausgemachte Bildungsziel der Regierungspartei (Partei-Manifest der KANU, 1962). Man erwartete von einer verstärkten Bildungsorientierung einen positiven Effekt hinsichtlich des Wirtschaftswachstums. Diesem Anspruch folgte ein intensiver und großer Ausbau des Bildungswesens, dass sich mit jährlichen Investitionen von etwa 30% des Staatsbudgets niederschlug. Hinzu kam die Mobilisierung der Bevölkerung, dessen finanzieller Beitrag im Jahre 1976 annähernd die Hälfte der staatlichen Bildungsausgaben erreichten, die für die Errichtung sogenannter Harambee-Sekundarschulen verwendet wurden.
Harambee (sinngemäß übersetzt: Lass uns zusammen arbeiten, an einem Strang ziehen) wurde mit der Unabhängigkeit vom einstigen Staatspräsidenten Kenyatta ausgerufen und stellt eine Institutionalisierung der, aus der vorkolonialen Gesellschaft bekannten, sich allerdings auf Volksgruppen beschränkenden, traditionellen Selbsthilfe dar, um die knappen Ressourcen im Land, v.a. im Bereich Bildung, Handel, landwirtschaftliche Kooperativen, zu kompensieren. Sie werden jedoch meist zur Schaffung einer zusätzlichen Einkommensquelle gegründet. Harambee-Projekte werden zum Anreiz mit staatlichen Mitteln gefördert, wobei zu bemerken ist, das sich die Selbsthilfe-Leistung oft v.a. auf die Erlangung dieser Mittel konzentriert. Der Zugang zu diesen Mitteln wird über Politiker gesucht. In der Folge entstehen Konkurrenzen zwischen "Stimmenfang-motivierten" Politikern und Projekten. Auch in diesem Bereich sind regionale Bevorzugungen bezüglich der Vergabe o.g. Mittel gängig. Dennoch stellt die Harambee-Bewegung ein Beleg für das Potential gemeinschaftlichen Handelns dar (vgl. Hill, 1991; Chitere, 1994, S. 114 ff.).
Die auf dieser Art der Selbsthilfe gebauten Schulen bewirkten folgendes: Zum einen wurde eine in ihrer Gesamtheit schulische Infrastruktur geschaffen, die in ihrem Ausmaß nur durch die Mithilfe und dem Gefühl der Eigenverantwortlichkeit seitens Bevölkerung realisierbar ist, zum anderen ist zu beobachten, dass viele dieser auf Harambee-Initiative beruhenden, wenig staatlich geförderten Schulen aufgrund finanzieller und personeller Engpässe nach einigen Jahren gezwungen sind, wieder zu schließen.
Seit 1980 ist der Besuch der Primarschulen für Kinder und Jugendliche vom 7. bis 15. Lebensjahr Pflicht wie auch kostenlos. Dies trug zu einer Einschulungsquote von 90% bei. Jedoch erinnert der Anspruch an kostenfreier Bildung durch die Primarstufe an die Situation im Gesundheitswesen, da auch hier das Gros der Bevölkerung bzw. der Schüler dieses Angebot - wegen der zu geringen Zahl der ohnehin überfüllten staatlichen Schulen - nicht nützen können. Die Eltern sind daher gezwungen ihre Kinder auf zu bezahlende private Schulen zu schicken.
Die Schulbildung, auf Universitäts-Studiengänge ausgerichtet, ist von einer Pädagogik des Auswendig-Lernens bestimmt, in der kaum Raum für Abstraktion und kritische Auseinandersetzung bleibt. Die technische und handwerkliche Ausbildung ist - trotz des Versuchs sie durch "Polytechnics" und weiteren staatlich bezuschussten Schulen zu gewährleisten - qualitativ und quantitativ unzureichend. Auch im schulischen Bereich tun sich regionale Unterschiede auf, die sich auf die materiellen und personellen Ausstattungen der jeweiligen Schulen auswirken. Schulen in benachteiligten Stadtgebieten und Regionen einschließlich derer auf Harambee-Basis bringen eine Benachteiligung der Absolventen hinsichtlich ihrer sozialen, ökonomischen und beruflichen Chancen mit sich. Die Qualität der Bildung ist also von der regionalen Örtlichkeit abhängig.
Die Konsequenzen regionaler Bevorzugung und Ungleichverteilung, der starken Orientierung des Schulplans an akademische Berufe - die für die meisten wegen sozio-ökonomischer Barrieren unerreichbar bleiben - sind vielerlei: Ki Zerbo betont, "daß die heutige Schule, behaftet mit einem bürokratischen und elitären Erbe, eine Schule der Unterentwicklung ist und zwar nicht als Folge, sondern als Ursache dieser Unterentwicklung" (Ki Zerbo zit. nach: Mock, 1979, S. 197). Trotz aller kapitalintensiven Investitionen in das Bildungswesen zeigt sich ein nicht überwundener, unwesentlich verringerter Analphabetismus v.a. in den ländlichen Gebieten und bei den Frauen, da sich Mädchen in ihren Einschulungsmöglichkeiten in benachteiligter Position befinden, zudem sich auch noch die regionalen Benachteiligungen gesellen können. Außerdem erzeugt dieses Bildungssystem "ein immer größeres Heer von Arbeitlosen, gut ausgebildet und äußerst frustriert. Das Erziehungswesen, vor Jahren noch das Paradepferd des unabhängigen Kenia, ist dessen Sorgenkind geworden, die Schüler und Studenten das größte Unruhepotential im Land" (Wichtering, 1989, S. 2; vgl. Bogonko, 1992, S. 130; Nzioka in: Omari/Shaidi, 1991, S. 55 ff.).
Das kenianische Bildungssystem ist westlich geprägt und orientiert. Sie nimmt aber nicht die Bedeutung der vornehmlichen afrikanischen Sozialisation ein, dessen Bild afrikanischen (Zusammen)-Lebens erst mit der Betrachtung der traditionellen afrikanischen Erziehung (wie auch im folgenden Kapitel der traditionellen Gesellschaftsstrukturen) näher gebracht werden kann, zumal traditionelle Verhaltensmuster, Werte und Normen immer noch eine große Bedeutung im ländlichen Bereich einnehmen. Ein Bereich auf dem 75% der kenianischen Bevölkerung lebt und der weitaus größte Teil seiner Arbeit zum Lebensunterhalt nachgeht.
2.7.1 Traditionelle afrikanische Erziehung
Antonym zur westlichen Erziehung, in der die Individualität des Einzelnen als erstrebenswertestes Ideal großen Raum einnimmt, ist die afrikanische Erziehung bedeutsam auf das Leben in der Gemeinschaft und der Beziehungen unter den einzelnen Stammesmitgliedern konzentriert. Die Identität des Einzelnen wird durch die Stammesgesellschaft ausgedrückt, die den Einzelnen wiederum erst zu einem sozialen Wesen macht. Daher existiert der Mensch als selbstbestimmtes Wesen in der traditionellen afrikanischen Gesellschaft nicht (vgl. 3.).
Das neugeborene Kind ist, "wie es bei vielen Ethnien heißt "ein alter Mann". Es ist bereits ein vollständiger und intakter Mikrokosmos, ...der alle Fülle in sich birgt, deren ganzer Reichtum aber noch wie in einem geschlossenen Gefäß versteckt und eingefangen ist" (Mock, 1979, S. 54). Die gemeinschaftliche Aufgabe der jeweiligen Stammesgesellschaft ist es, die inhärente Persönlichkeit des Kindes, in dessen Zügen man das lebendige Sein der Ahnen erkennen kann, freizulegen zur Entfaltung zu verhelfen. Durch das Beobachten und Imitieren der Verhaltensweisen Erwachsener und die Erfahrungen, die das Üben und Probieren von Handlungen mit sich bringen, lernt das Kind gleichsam, wie durch die Weitergabe von moralischen, religiösen, rechtlichen und literarischen Wissen. Der Zeitpunkt dieser Einweisung ist rituell von der jeweiligen körperlichen Reife abhängig.
Die körperliche Reife ist in der afrikanischen Pädagogik dreigeteilt:
- Während der oft bis zum Ende des zweiten Lebensjahres andauernden Stillzeit, ist die Erziehung Aufgabe der Mutter.
- Die Zeit vom Abstillen bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Kind seine zweiten Zähne bekommt. In dieser Zeit gehört das Kind zu jedem Stammesmitglied, die es dementsprechend umsorgen, zurechtweisen. In dieser Phase wird das Kind zum sozialen Ich erzogen.
- Die Phase der Initiation ist die wichtigste Phase, mit deren Ende die Jugendlichen feierlich in die Gemeinschaft der Erwachsenen aufgenommen, in die soziale und politische Sicherheit wie auch Verantwortung der Stammesgesellschaft eingebunden werden. Die "zweite Geburt" ist damit abgeschlossen, da der Mensch dem von Gott der Gemeinschaft geschenkten Wesen geholfen hat es zu erschaffen (vgl. Mbiti, 1974, S. 146). Dem geht eine intensive Ausbildung voraus, die das Leben in einem Buschlager, Prüfungen der Fähigkeiten in Mut und Ausdauer, Unterweisung in Bräuchen, Pflichten und Rechten des Stammes, sexuelle Aufklärung und Beschneidung einschließt. Nach afrikanischen Glauben wird durch die sexuelle Verstümmelung die einzelne Person endgültig vom anderen Geschlecht getrennt und zwingt sie dazu, seine innere Harmonie, sein Gleichgewicht, seine Kontinuität außerhalb seiner selbst zu suchen: Beim Partner des anderen Geschlechts und vor allem in der ihn umgebenden Gesellschaft (vgl. Mock, 1979, S. 61, 71 ff.).
[...]
- Arbeit zitieren
- Maximilian Riegl (Autor:in), 1995, Transfer sozialpädagogischen Handelns auf entwicklungspädagogische Arbeitsbereiche - Am Beispiel der Gemeinwesenarbeit bzw. Community Development in Kenia, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66594
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