„Nach 1945 war jüdische Literatur in Deutschland und Österreich lange Zeit diejenige, in der jüdische Überlebende der Shoah ihre Erlebnisse während des Nationalsozialismus in zumeist dokumentarischer Form schilderten.“ Helene Schruff betitelt sie als sogenannte „Holocaust-Literatur“.
Die Themen innerhalb der jüdischen Literatur änderten sich jedoch, als erste Nachkommen der Holocaust-Überlebenden in den 1970er Jahren mit dem Schreiben begannen. Für die säkular erzogenen Autoren der „Zweiten Generation“ ist die Shoah durch die Erlebnisse der Eltern ein wichtiger Bestandteil ihrer Lebensgeschichte, auch wenn sie im Gegensatz zu den Überlebenden des Nationalsozialismus keine Holocaust-Literatur verfassen. Ihre Themen sind die Auswirkungen der nationalsozialistischen Verbrechen auf ihre Eltern und sich selbst als Nachgeborene.
Eine Sonderrolle in dieser „Zweiten Generation“ spielt Barbara Honigmann, nicht nur deshalb, weil sie im Gegensatz zu vielen anderen Autoren in der DDR aufgewachsen ist, sondern auch, weil sie sich als eine der wenigen jüdischen Autorinnen ihrem Glauben wieder zugewandt hat und ihn aktiv lebt...
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Biographische Daten Barbara Honigmanns
2.1 Rolle der Eltern
2.2 Wichtige Fakten im Leben Barbara Honigmanns
3 Analyse des Romans „Alles, alles Liebe!“
3.1 Inhalt
3.2 „Alles, alles Liebe!“ – Ein Roman in Briefform
3.3 Themenbereiche im Roman
3.3.1 Umgang der „Turnschuhbande“ mit Staat und Gesellschaft
3.3.2 Künstler und Theater im Zugriff des Kunstdogmas
3.3.3 Jüdischsein und Antisemitismus in der DDR
3.3.4 Die Schlüsselrolle des Geliebten
3.4 Parallelen zum Leben Honigmanns
4 Der Schritt zum jüdischen Glauben: Neuanfang in Deutschland?
5 Schlußbemerkung
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
„Nach 1945 war jüdische Literatur in Deutschland und Österreich lange Zeit diejenige, in der jüdische Überlebende der Shoah ihre Erlebnisse während des Nationalsozialismus in zumeist dokumentarischer Form schilderten.“[1] Helene Schruff betitelt sie als sogenannte „Holocaust-Literatur“.
Die Themen innerhalb der jüdischen Literatur änderten sich jedoch, als erste Nachkommen der Holocaust-Überlebenden in den 1970er Jahren mit dem Schreiben begannen. Für die säkular erzogenen Autoren der „Zweiten Generation“ ist die Shoah durch die Erlebnisse der Eltern ein wichtiger Bestandteil ihrer Lebensgeschichte, auch wenn sie im Gegensatz zu den Überlebenden des Nationalsozialismus keine Holocaust-Literatur verfassen. Ihre Themen sind die Auswirkungen der nationalsozialistischen Verbrechen auf ihre Eltern und sich selbst als Nachgeborene.[2]
Eine Sonderrolle in dieser „Zweiten Generation“ spielt Barbara Honigmann, nicht nur deshalb, weil sie im Gegensatz zu vielen anderen Autoren in der DDR aufgewachsen ist, sondern auch, weil sie sich als eine der wenigen jüdischen Autorinnen ihrem Glauben wieder zugewandt hat und ihn aktiv lebt. Gerade wegen dieser Sonderrolle soll in der vorliegenden Arbeit auf Barbara Honigmann als Autorin der „Zweiten Generation“ eingegangen werden, wobei exemplarisch eines ihrer Werke ausgewählt wurde. „Alles, alles Liebe!“, ein Roman in Briefform, beschäftigt sich mit den Problemen einer jüdischen Theater- und Künstlergruppe innerhalb der DDR Mitte der 1970er Jahre.
Betrachtet man das Gesamtwerk der Autorin ist auffällig, daß „Alles, alles Liebe!“ rein inhaltlich gesehen eine Lücke füllt, die ihre früheren Werke „Roman von einem Kinde“ (1986) und „Eine Liebe aus nichts“ (1991)[3] gelassen haben. Der Roman ist im Jahre 2000 entstanden und aktuellstes Werk der Autorin. Diese Arbeit soll versuchen zu klären, ob Honigmann möglicherweise für die Aufarbeitung der „Jugenderfahrungen in der DDR und ihrer Wiederentdeckung des Thora-Judentums“[4], beides Themen, die die Romanhandlung bestimmen, einen längeren Zeitraum benötigte, als für die ihrer Kindheit und der Zeit, als sie sich bereits auf dem Wege zum jüdischen Glauben hin befand. Obwohl in „Alles, alles Liebe!“ die Protagonisten sehr subjektiv berichten, wie in Kapitel 3.2. herausgestellt wird, behält sich Honigmann einen eher kritischen Blick vor, mit dem die Briefschreiber betrachtet werden. Zu einem früheren Zeitpunkt wäre der Autorin diese Distanziertheit möglicherweise noch nicht gelungen.
Die vorliegende Arbeit befaßt sich im Hauptteil mit dem Roman Honigmanns, jedoch wird zunächst auf Fakten im Leben der Autorin eingegangen, um später eventuelle Parallelen aufzeigen zu können. Dabei soll herausgestellt werden, inwieweit eigene Erlebnisse verarbeitet wurden und inwieweit sich Honigmann selbst mit der Protagonistin des Romans identifiziert.
2 Biographische Daten Barbara Honigmanns
Betrachtet man das Werk Barbara Honigmanns ist auffällig, daß in ihren Romanen immer wieder Schauplätze, Personen und Ereignisse auftauchen, die mit denen ihres eigenen Weges übereinstimmen. Aus dem Grund soll in diesem Kapitel auf den Lebenslauf der Autorin eingegangen werden, um mögliche Parallelen im Roman „Alles, alles Liebe!“ aufzeigen zu können.
2.1 Rolle der Eltern
Barbara Honigmann wurde am 12. Februar 1949 in Ostberlin als Tochter zweier Juden geboren, die den Nationalsozialismus im englischen Exil überlebten. Während der Vater Georg Honigmann beim Unternehmen Reuters Chef vom European Service war, arbeitete die Mutter als Werkzeugmeisterin in einem Rüstungsbetrieb. Das war ihr Beitrag zum Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland.[5] Honigmanns Eltern kamen 1947 hochmotiviert in die DDR, „um dort eine antifaschistische, ,bessere’ Gesellschaft aufzubauen.“[6] Unter dem Druck der Verhältnisse verleugneten sie ihr Jüdischsein vollkommen.[7] Die Verleugnung der jüdischen Religion war typisch für die wenigen Juden, die in der DDR lebten. Ihr Ziel war es, die Vergangenheit zu verdrängen und ein neues Deutschland aufzubauen. Dabei wurde gleichermaßen der jüdische Glauben aus dem Leben verbannt. Georg Honigmann bildet ein Beispiel dieser Lebensweise. Er war Chefredakteur der Berliner Zeitung, Defa-Autor und überzeugter Kommunist. Nach Angaben von Barbara-Ann Rieck beugte er sich dem Druck der Partei und trat aus der jüdischen Gemeinde aus. Jüdische Glaubensrituale gab es dementsprechend im Hause Honigmann nicht, statt dessen wurde erfolgreich verdrängt.[8] Karsunke spricht sogar von einem militanten Atheismus, der die Rückkehr zu den religiösen Wurzeln unmöglich erscheinen läßt.[9]
Barbara Honigmann steht einer solchen Verdrängungstechnik im Jahre 2000 kritisch gegenüber: „Ich glaube unsere Eltern sind in Wirklichkeit nie aus ihrem Exil zurückgekehrt, und alles, was sie sich eingeredet haben über ,Neuaufbau’ und ,Neubeginn’ in der alten Heimat, war ein grösserer Selbstbetrug als ein ,beginning anew’ in den Ländern des Exils,...“[10] In dem 1991 erschienenen Roman „Eine Liebe aus nichts“ setzt sie sich mit der Beziehung zu ihrem Vater und dem Verdrängungsproblem der Juden der „Ersten Generation“ im Allgemeinen auseinander. „Und schließlich waren sie nach Berlin gekommen, um ein neues Deutschland aufzubauen, es sollte ja ganz anders werden als das alte, deshalb wollte man von den Juden besser gar nicht mehr sprechen.“[11]
Bereits zu diesem Zeitpunkt stand für Honigmann fest, an Stelle ihrer Eltern die jüdische Vergangenheit aufzuarbeiten. Sie selbst sagt, daß ihr Schreiben als Versuch zu sehen ist, in bezug auf die jüdische Geschichte Fassung zu gewinnen und zu bewahren, aber auch als Versuch, mit dem Gefühl des Verletztseins und Trotzes und der Schuld, nicht zerstört worden zu sein, fertigzuwerden.[12]
2.2 Wichtige Fakten im Leben Barbara Honigmanns
Barbara Honigmann studierte Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität in Berlin und war danach als Dramaturgin und Regisseurin in Berlin und Brandenburg tätig. In den 1970er Jahren schrieb sie sich „in eben jene winzige Berliner Gemeinde ein, aus der ihre Eltern in den fünfziger Jahren ausgetreten waren, und sie begann mit anderen Gleichgesinnten, die z.T. aus ganz ähnlichen Verhältnissen kamen, hebräisch zu lernen und die heiligen Schriften zu studieren.“[13]
Seit 1976 betätigte sie sich zusätzlich als freischaffende Autorin und Malerin, bis sie 1984 mit ihrem Mann und den zwei Kindern vom Prenzlauer Berg über Frankfurt am Main nach Straßburg übersiedelte.[14] In Straßburg, in einem Viertel, das die dort ansässigen Juden als „zweites Getto“ bezeichnen, lebt Honigmann noch heute, innerhalb der drittgrößten französischen jüdischen Gemeinde. Hier kann sie nach eigenen Aussagen „ohne Krampf jüdisch zu sein“ leben. Zu einem „Weiter-Weggehen“ habe nach eigenen Aussagen ihr Mut nicht gereicht.[15]
Bereits zwei Jahre nach ihrer Ausreise nach Frankreich erscheint ihr Erstlingswerk „Roman von einem Kinde“, das von der Presse 1986 mit dem Aspekte-Literaturpreis (ZDF) geehrt wird. Weitere Werke und Auszeichnungen folgen. Im Jahre 2000 veröffentlicht der Hanser Verlag ihren Roman „Alles, alles Liebe!“, für den Honigmann noch im Veröffentlichungsjahr den Kleist-Preis erhält.[16] Dieses Werk soll im folgenden genauer untersucht werden.
3 Analyse des Romans „Alles, alles Liebe!“
In diesem Kapitel soll der Roman unter Berücksichtigung der vier Themenbereiche nach Walter Hinck[17] und unter Betrachtung einzelner Textstellen untersucht werden. Um dem Rezipienten einen besseren Zugang zu „Alles, alles Liebe!“ zu vermitteln, erfolgt zunächst eine kurze inhaltliche Beschreibung.
3.1 Inhalt
Um eine Analyse von „Alles, alles Liebe!“ vornehmen zu können, wird an dieser Stelle kurz der Inhalt des Romans wiedergegeben.
Erzählt wird die Geschichte einer Intellektuellengruppe aus Berlin, deren Mitglieder zu einem großen Teil am Theater tätig sind. Protagonistin ist Anna Herzberg, eine Theaterregisseurin, die ihre erste Anstellung an einer Bühne in Prenzlau findet. Dort stößt sie allerdings nur auf Ablehnung, ausgelöst durch ihre moderne und regimekritische Denkweise und ihr ungewöhnliches Äußeres, geschürt vom ansässigen Dramaturgen. Die anwachsende Abneigung bei den Kollegen führt schließlich zu Annas Entlassung.
Während Annas Zeit in Prenzlau wird ein reger Briefwechsel zwischen Anna, ihrer Freundin Eva, die an einer anderen preußischen Provinzbühne als Schauspielerin engagiert ist, dem gemeinsamen Freund Alex Lothar, Annas besorgter Mutter, einigen in der Sowjetunion lebenden jüdischen Freunden und Annas Geliebtem Leon geführt. Neben persönlichen Erlebnissen ist eine in Berlin geplante, eigeninitiierte Theateraufführung von Garcia Lorcas’ „Bernarda Albas Haus“ Thema des Briefwechsels.
[...]
[1] Schruff, Helene: Wechselwirkungen. Deutsch-jüdische Identität in erzählender Prosa der „Zweiten
Generation“, Hildesheim 2000, S. 24
[2] Vgl. ebd., S. 25
[3] „Eine Liebe aus nichts“ handelt von einer jungen Theaterregisseurin, die aus der DDR nach Paris ausgewandert ist und die Beziehung zu ihrem Vater aufarbeitet. Die Handlung spielt mit ziemlicher Sicherheit Ende der 1970er Jahre, da die Protagonistin die DDR mit der Ausreisewelle, die die Ausbürgerung Wolf Biermanns zum Anlaß hatte, verlassen hat. Dementsprechend könnte „Eine Liebe aus nichts“ als Fortsetzung von „Alles, alles Liebe!“ gesehen werden (d. Verf.).
[4] Lützeler, Paul Michael: Album der Freunde aus der „Scheiß-DDR“. Ein Briefroman Barbara
Honigmanns. In: Die Zeit vom 16.11.2000, o.S.
[5] Vgl. Honigmann, Barbara: Nicht voneinander loskommen können. Selbstporträt einer
(ost)deutschen Jüdin. In: Wochenpost (1992), Nr. 20, S. 31
[6] Baureithel, Ulrike: Barbara Honigmanns Flucht aus dem Totenhaus. In: Die Welt vom 17.10.2000,
o.S.
[7] Vgl. Baureithel, o.S.
[8] Rieck, Barbara-Ann: In der Nachbarschaft zu Deutschland. Porträt der deutsch-jüdischen
Schriftstellerin und Malerin Barbara Honigmann. In: Frankfurter Rundschau (1996), Nr. 131, S.
ZB2
[9] Vgl. Karsunke, Yaak: Mittelmäßige Libertinage. Barbara Homigmanns Roman „Alles, alles Liebe!“
über die beschädigte DDR-Boheme. In: Frankfurter Rundschau (Beilage) vom 06.12.2000, o.S.
[10] Honigmann zit. in: Bondy, Luc: „Hier ist es zu schön, da können wir nicht bleiben“. Laudatio für
den Kleist-Preis an Barbara Honigmann. In: Neue Züricher Zeitung (2000), Nr. 247, S. 23
[11] Honigmann, Barbara: Eine Liebe aus nichts, zit. in: Nolden, Thomas: Junge jüdische Literatur.
Konzentriertes Schreiben in der Gegenwart. Würzburg 1995, S. 35
[12] Probst, Hans Ulrich: Zwischen Erstarrung und Sehnsucht nach „draußen“. Zeitreise. Barbara
Honigmanns Roman „Alles, alles Liebe“. In: Aargauer Zeitung vom 11.10.2000, o.S.
[13] Hamm, Peter: Vom verlorenen und wiedergefundenen Mut. Laudatio auf Barbara Honigmann – N.
Born-Preisträgerin 1994, S. 14
[14] Vgl. Hanser Pressedienst (2002)
[15] Vgl. Baureithel, o.S.
[16] Vgl. Hanser Pressedienst (2002)
[17] Die Themenbereiche nach Walter Hinck werden im Kapitel 3.3 erklärt.
- Arbeit zitieren
- Sabine Zaeske (Autor:in), 2005, Erfahrungen der "Zweiten Generation": "Alles, alles Liebe", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66440
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