Der moderne Mensch ist willensstark, autonom handelnd, sich selbst reflektierend. Die Frage des Individuums kreist
um die eigene Identität, die Suche nach dem wahren Ich. Glück ist das Ziel jedes Menschen – und damit geht die Selbstfindung einher. Es entstehen Künstler, Philosophen, Einzelgänger - und die große Masse derer, die Identitäten
und Selbstexperimente zurückstellen müssen, um überleben zu können: überall dort wird das Leben von fremden
Faktoren bestimmt und der Mensch kann sein Leben nicht mehr frei gestalten. Doch ist der Mensch zu einem freien
Leben überhaupt in der Lage - in welchem Maße werden wir determiniert oder von unserem Umfeld erzeugt? Für Louis Althusser ist ein solches Leben nicht möglich. Nach dem Marx`schen Staats- und Ideologiemodell beschreibt er den Menschen in seinem Aufsatz „Ideologie und ideologische Staatsapparate“ als dem Staat und dessen Produktionsweise völlig unterworfen. Doch der Aufsatz beinhaltet nicht nur eine Staats-, Subjekt-, und Ideologietheorie, sondern leistet auch einen sprachphilosophischen Beitrag: Alhusser spricht von der Anrufung, ein Phänomen, das durch die Sprache den Menschen einer Ideologie unterwirft. Dieser Ansatz stellt die Frage nach dem, was Sprache leisten kann und inwiefern das Subjekt von ihr abhängig ist: Kann Sprache die Menschen bestimmen?
Die vorliegende Arbeit soll eine angemessene Auseinandersetzung mit dem Althusser`schen Text darstellen. Deshalb werden alle Facetten des Aufsatzes behandelt: Der erste Teil der Arbeit soll die Staats- und Ideologietheorie beinhalten. Es wird der Zusammenhang von Staat, Ökonomie, Mensch und Ideologie erörtert und die Ideologie näher bestimmt – Was ist der Mensch? Was ist nach Louis Althusser die Ideologie? Im zweiten Teil wird der sprachphilosophische Bezug hergestellt. Anhand zweier Sprachphilosophen – John L. Austin und Judith Butler – soll die sprachphilosophische Beschäftigung mit dem Begriff der Anrufung näher gebracht werden und Althussers Theorie in einen größeren Bezug stellen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Louis Althussers Auffassung von Ideologie in seinem Aufsatz „Ideologie und ideologische Staatsapparate“
2.1 Das unterworfene Subjekt in Althussers Ideologie- und Staatstheorie
2.2 Die Merkmale der Ideologie nach Althusser
2.2.1 „Die Ideologie im Allgemeinen hat keine Geschichte“
2.2.2 Alhussers Definition von Ideologie
2.2.3 Die Anrufung der Individuen als Subjekte
3. Die Anrufung der Subjekte als Phänomen der Sprachphilosophie.
3.1 Handeln durch Worte: die Anrufung nach Austins Theorie der Performativität
3.2 Judith Butlers Bezugnahmen auf Begriff und Funktionsweise der Anrufung
4. Fazit
1. Einleitung
Der moderne Mensch ist willensstark, autonom handelnd, sich selbst reflektierend. Die Frage des Individuums kreist um die eigene Identität, die Suche nach dem wahren Ich. Glück ist das Ziel jedes Menschen – und damit geht die Selbstfindung einher. Es entstehen Künstler, Philosophen, Einzelgänger - und die große Masse derer, die Identitäten und Selbstexperimente zurückstellen müssen, um überleben zu können: überall dort wird das Leben von fremden Faktoren bestimmt und der Mensch kann sein Leben nicht mehr frei gestalten. Doch ist der Mensch zu einem freien Leben überhaupt in der Lage - in welchem Maße werden wir determiniert oder von unserem Umfeld erzeugt? Inwiefern lässt sich von einem freien, autonomen Leben sprechen?
Für Louis Althusser ist ein solches Leben nicht möglich. Nach dem Marx`schen Staats- und Ideologiemodell beschreibt er den Menschen in seinem Aufsatz „Ideologie und ideologische Staatsapparate“ als dem Staat und dessen Produktionsweise völlig unterworfen. Doch der Aufsatz beinhaltet nicht nur eine Staats-, Subjekt-, und Ideologietheorie, sondern leistet auch einen sprachphilosophischen Beitrag: Alhusser spricht von der Anrufung, ein Phänomen, das durch die Sprache den Menschen einer Ideologie unterwirft. Dieser Ansatz stellt die Frage nach dem, was Sprache leisten kann und inwiefern das Subjekt von ihr abhängig ist: Kann Sprache die Menschen bestimmen?
Die vorliegende Arbeit soll eine angemessene Auseinandersetzung mit dem Althusser`schen Text darstellen. Deshalb werden alle Facetten des Aufsatzes behandelt: Der erste Teil der Arbeit soll die Staats- und Ideologietheorie beinhalten. Es wird der Zusammenhang von Staat, Ökonomie, Mensch und Ideologie erörtert und die Ideologie näher bestimmt – Was ist der Mensch? Was ist nach Louis Althusser die Ideologie? Im zweiten Teil wird der sprachphilosophische Bezug hergestellt. Anhand zweier Sprachphilosophen – John L. Austin und Judith Butler – soll die sprachphilosophische Beschäftigung mit dem Begriff der Anrufung näher gebracht werden und Althussers Theorie in einen größeren Bezug stellen.
Bleibt die Frage nach der Kritik, da das Fragment „Ideologie und ideologische Staatsapparate“ vielmals kritisiert wurde und ihm von Etienne Balibar sogar das Recht abgesprochen wird, als Theorie bezeichnet zu werden. „Die Theorie der ideologischen Staatsapparate existiert nicht; es existiert lediglich ein Artikel von Althusser, der ausdrücklich unvollständig ist [...]“.[1] Diese Arbeit lässt in ihrem Umfang allerdings keinen Raum für eine Ausführung der Kritik an Louis Althussers Aufsatz. Deshalb soll auch weiterhin von einer Theorie gesprochen werden und die Kritiker außen vorgelassen werden, um dem Text nicht unsachgemäß gegenüberzutreten[2].
2. Louis Althussers Auffassung von Ideologie in seinem Aufsatz „Ideologie und ideologische Staatsapparate“
Louis Althussers Aufsatz „Ideologie und ideologische Staatsapparate“, der 1970 zum ersten Mal in der französischen Zeitung „La Pensèe“ erschien[1], hatte eine immense Wirkung und veränderte die Auffassung von Ideologie. Das Fragment stellt nicht nur eine Ideologie-, sondern auch eine Staatstheorie dar, denn Louis Althusser berichtet in dem ersten Teil seines Aufsatzes über seine Staatsauffassung und gelangt erst anschließend zu seinen Ausführungen zur Ideologie. Diese verschiedenen Aspekte des Althusser`schen Schriftstückes sollen in diesem ersten Teil der Arbeit deutlich werden. Wenn auch das Hauptaugenmerk auf die Merkmale der Ideologie gerichtet ist, so können diese nicht vollständig erläutert werden, ohne die Grundaspekte der vorausgehenden Ausführungen zur Staatstheorie, da diese die Notwendigkeit und die Funktionsweise der Ideologie erst verständlich machen – wie Benjamin Scharmacher in seinem Buch über die Anrufung Althussers sagt: „Ideologie und Subjektivierung sind innerhalb der Begriffe der Reproduktion der Produktionsverhältnisse zu erklären.“[2]. Wichtig ist das Menschenbild, das Althusser in diesem ersten Abschnitt konstruiert. Dieses soll in seinem Kontext erörtert werden, um anschließend einen vollständigen Blick auf die Ideologie zu ermöglichen.
2.1 Das unterworfene Subjekt in Althussers Ideologie- und Staatstheorie
Das Subjekt spielt in Louis Althussers Ideologietheorie eine große Rolle: Es wird durch die Ideologie erschaffen und seine Existenz und Konstruierbarkeit ist Voraussetzung jeder Ideologie. Deshalb ist es wichtig, den Begriff des Subjekts deuten zu können. Doch was ist ein Subjekt? In der Diskussion um seine Definition gibt es viele Auffassungen. Eines lässt sich jedoch sicher sagen: Es stammt von dem lateinischen Verb „subicere ab, das „darunter werfen“, „zugrunde legen“ bedeutet. Auf Louis Althusser bezogen können beide Wortbedeutungen ihren Sinn erfüllen: Das Subjekt ist ein unterworfenes, das sich auch selbst unterwirft und es liegt der Konstitution durch die Ideologie zugrunde, d.h. es ist die Voraussetzung der Ideologie. In dem ersten Teil des Aufsatzes - der Althusser`schen Staatstheorie – wird ein unterworfene Subjekt erkennbar. Doch erst in den anschließenden Überlegungen zur Ideologie wird dieses Subjekt direkt benannt und so manifestiert.
Ausgangspunkt aller Überlegungen Althussers ist Marx Ideologieverständnis, denn der Marxist Althusser wollte, so Henning Böke, mit seinem Aufsatz versuchen, „eine Leerstelle bei Marx zu füllen“[3]. Marx hatte zwar den Begriff der Ideologie stark geprägt, doch eine wirkliche Theorie hat er nie geschrieben. Althusser selbst schreibt, er wolle die beschreibende Staatstheorie von Marx vertiefen und eine eigentliche Theorie mit Evidenzen erschaffen[4]. Mit der „beschreibenden Staatstheorie“ von Marx meint er dessen Metaphorik des Basis-Überbau-Schemas. Dieses System ist die Grundlage der Marx`schen Gesellschaftstheorie und teilt die Gesellschaft in zwei Ebenen ein – die ökonomische Basis und den juristisch-politischen und ideologischen Überbau. Wie bei einem Gebäude ist der Überbau von der Basis bestimmt und somit in letzter Instanz determiniert[5] Dieses Schema greift Althusser auf und möchte das „denken, was für die Existenz und den Charakter des Überbaus wesentlich ist“[6], ausgehend von der Reproduktion der Produktionsverhältnisse.
Da nach Marx jede Gesellschaft ihre eigene Ökonomie, ihre eigene Produktionsweise hat, müssen durch den Überbau immer wieder die Produktionsverhältnisse – das sind Arbeitskraft und Produktionsmittel - erneuert werden. Athusser bezieht Menschen als „Produktivkräfte“ und als „Arbeitskraft“[7] in seine Überlegungen mit ein, die durch Lohn und Erziehung erneuert werden muss. Er verfolgt nicht das Ziel, das Individuum zu studieren, dieses kann in seiner Beschreibung kein eigenes Gesicht wahren, keine Identität erlangen, weil es nur als vorübergehende Kraft in einem nicht endenden Produktionsprozess gesehen wird. Auch die Ideologie wird zum ersten Mal angesprochen und die Position des Individuums verdeutlicht:
„Mit anderen Worten: die Schule (aber auch andere Institutionen des Staates wie die Kirche oder andere Apparate wie die Armee) lehren >>Fähigkeiten<<, aber in Formen, die die Unterwerfung unter die herrschende Ideologie oder die Beherrschung ihrer >>Praxis<< sichern. Alle Träger der Produktion, der Ausbeutung und der Unterdrückung [...] müssen auf die eine oder andere Weise von dieser Ideologie >>durchdrungen<< sein (!) , um bewusst ihre Aufgabe wahrzunehmen – entweder als Ausgebeutete [...] oder als Ausbeuter [...]“[8]
Ideologie, das Recht und der Staat bilden mit ihren Institutionen den Überbau des Systems. Althusser benutzt hier noch nicht das Wort „Subjekt“, macht aber die Position des Volkes als die Unterworfenen deutlich. Auch schlägt er schon in diesem ersten Teil den Bogen zur Ideologie, indem er deutlich macht, dass die Ideologie hilft, Arbeitskräfte zu reproduzieren und er führt den Begriff der ideologischen Staatsapparate ein. Diese dienen der herrschenden Klasse dazu, die Menschen ihrer Ideologie zu unterwerfen, in erster Linie ohne Gewaltanwendung auf subtilem Wege wie zum Beispiel durch Kirche und Schule. So dienen sie alle der Reproduktion der Produktionsverhältnisse – „der kapitalistischen Ausbeutung“[9]
So bereitet Althusser also einen Subjektbegriff vor, der nichts mit einem aktiven, erkennenden Individuum gemein hat, sondern der im Gegenteil unterworfene Menschen konstituiert, die scheinbar machtlos gegen ihre Rolle im System ein gesichtsloses Leben führen. Die herrschende Klasse nutzt den unsichtbaren Weg über die – vermeintlich – persönlichen Einstellungen und das Wissen, um die Menschen „von innen“ zu beeinflussen und zu konstituieren. Die anschließenden Ausführungen zur Ideologie bekräftigen und vertiefen dieses Menschenbild und erklären sein Zustandekommen.
[...]
[1] Scharmacher, Benjamin: Wie Menschen Subjekte werden, S 7
[2] ebd. S. 33
[3] Böke, Henning: Wie funktioniert Althusser? S. 7
[4] vgl.: IISA, S. 117
[5] vgl.: IISA, S. 113ff
[6] vgl.: IISA, S. 114
[7] vgl.: IISA, S. 110ff
[8] IISA, S. 112
[9] IISA, S. 127
[...]
[1] Balibar, Etienne: Für Althusser. Mainz 1994. zit. n.: Berthold, Althusserlektüren, S. 49
[2] in Anlehnung an: Scharmacher, Benjamin: Wie Menschen Subjekte werden, S. 24
- Arbeit zitieren
- Daniela Steinert (Autor:in), 2006, Louis Althussers Verständnis von Ideologie in seinem Aufsatz 'Ideologie und ideologische Staatsapparate'. Die Anrufung der Ideologie als Verbindung zur Sprachphilosophie (Judith Butler), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66175
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