Mit diesem Satz bezeichnete der Physiker Isaac Newton ein Kernproblem der Ökonomie. Das Verhalten des Menschen ist nicht vorhersehbar. In der traditionellen Ökonomie ist jenes Problem allerdings durch die Einführung des homo-oeconomicus - der rationale Mensch, der bei vollständiger Information immer die optimale Entscheidung mit dem größten Nutzen für sich trifft - einfach beseitigt worden. Wie sieht es aber in der Realität aus? Gibt es vollkommene Information? Eine Entscheidung kann in der Realität immer erst ex-post als „gut“ charakterisiert werden. Durch diese rein theoretische Lösungsidee eines Menschenbildes ist in der Wissenschaft ein heftiger Disput entstanden. In Teil 2 dieser Arbeit wird auf die Aspekte des Menschenbildes in der evolutorischen Theorie eingegangen.
Seit Adam Smith hat das Gleichgewicht eine bedeutende Rolle in der Ökonomie gespielt. In der traditionellen Ökonomie wird von einem statischen Gleichgewicht ausgegangen. Ist dies aber vereinbar mit Innovationen oder Wandel? Wie werden Ungleichgewichte und Instabilitäten berücksichtigt, die eine Vorraussetzung für das Überleben eines Systems darstellen? Ein möglicher methodologischer Lösungsansatz wird interdisziplinär in Anlehnung an die Physik in Teil 3 vorgestellt.
In Teil 4 wird nach einer kurzen Einführung in den Neodarwinismus dargelegt, ob eine 1:1 Übertragung der biologischen auf die ökonomische Evolution einer Sinn- und Zweckmäßigkeit entspricht. Dazu werden verschiedene Meinungen bezüglich möglicher Bedeutungen der Analogieschlüsse kurz dargestellt und diskutiert.
Abschließend werden in Teil 5 in einer Schlussbemerkung die Ergebnisse der methodologischen Grundfragen nochmals veranschaulicht und im Hinblick auf eine individualistische Sichtweise wird ein Resümee gezogen.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einführung
2. Methodologische Grundpositionen und Paradigmenwechsel
2.1 Das Verhaltensmodell der evolutorischen Ökonomik
2.1.1 Der methodologische Individualismus
2.1.2 Kulturelles Lernen
2.2 Das Menschenbild der Ökonomie
2.3 Paradigmenwechsel in der Ökonomie
3. Die evolutorische Ökonomik und das Verständnis des Gleichgewichts
3.1 Die Vereinbarkeit des ökonomischen und evolutorischen Gleichgewichtsbegriffs
3.2 Der Einfluss von Neuerungen auf den Gleichgewichtszustand und ungleichgewichtige Phasenübergänge
3.3 Das Prinzip der spontanen Ordnung im Einklang mit einer offenen Entwicklung
3.4 Offene Entwicklung und offene Systeme
4. Die biologische Evolution und ökonomische Analogieschlüsse
4.1 Die Biologische Evolution nach dem Neodarwinismus
4.2 Analogieschlussproblematik der biologischen Evolutorik mit der Ökonomie
5. Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Theorie der Kommunikation
Abbildung 2: Bifurkation
Abbildung 3: Phasenübergang am Beispiel einer Potenzialkurve
Abbildung 4: Differenzialgleichungssystem
Abbildung 5: Geno- und Phänotypus
Ich kann die Bewegung der Himmelskörper berechnen,
aber nicht das Verhalten der Menschen
Isaac Newton (1643-1727), englischer Physiker,
Mathematiker u. Astronom.
1. Einführung
Mit diesem Satz bezeichnete der Physiker Isaac Newton ein Kernproblem der Ökonomie. Das Verhalten des Menschen ist nicht vorhersehbar. In der traditionellen Ökonomie ist jenes Problem allerdings durch die Einführung des homo-oeconomicus – der rationale Mensch, der bei vollständiger Information immer die optimale Entscheidung mit dem größten Nutzen für sich trifft – einfach beseitigt worden. Wie sieht es aber in der Realität aus? Gibt es vollkommene Information? Eine Entscheidung kann in der Realität immer erst ex-post als „gut“ charakterisiert werden. Durch diese rein theoretische Lösungsidee eines Menschenbildes ist in der Wissenschaft ein heftiger Disput entstanden. In Teil 2 dieser Arbeit wird auf die Aspekte des Menschenbildes in der evolutorischen Theorie eingegangen.
Seit Adam Smith hat das Gleichgewicht eine bedeutende Rolle in der Ökonomie gespielt. In der traditionellen Ökonomie wird von einem statischen Gleichgewicht ausgegangen. Ist dies aber vereinbar mit Innovationen oder Wandel? Wie werden Ungleichgewichte und Instabilitäten berücksichtigt, die eine Vorraussetzung für das Überleben eines Systems darstellen? Ein möglicher methodologischer Lösungsansatz wird interdisziplinär in Anlehnung an die Physik in Teil 3 vorgestellt.
In Teil 4 wird nach einer kurzen Einführung in den Neodarwinismus dargelegt, ob eine 1:1 Übertragung der biologischen auf die ökonomische Evolution einer Sinn- und Zweckmäßigkeit entspricht. Dazu werden verschiedene Meinungen bezüglich möglicher Bedeutungen der Analogieschlüsse kurz dargestellt und diskutiert.
Abschließend werden in Teil 5 in einer Schlussbemerkung die Ergebnisse der methodologischen Grundfragen nochmals veranschaulicht und im Hinblick auf eine individualistische Sichtweise wird ein Resümee gezogen.
2. Methodologische Grundpositionen und Paradigmenwechsel
2.1 Das Verhaltensmodell der evolutorischen Ökonomik
2.1.1 Der Methodologische Individualismus
Der methodologische Individualismus ist in seinen erkenntnis- und gesellschaftstheoretischen Problemstellungen sehr vielfältig interpretierbar.[1] Aus der Sicht der Neoklassik kann dennoch verdeutlicht werden, was allgemein unter methodologischem Individualismus verstanden wird. Im Mittelpunkt der Neoklassik stehen einzelne ökonomische Akteure. Marktprozesse und gesellschaftliche Zustände wie z.B. Tauschgleichgewichte, Marktformen und Einkommensverteilung werden als Ergebnisse individueller rationaler Entscheidungen und deren Koordination gedeutet. Man spricht dann vom methodologischen Individualismus. Diese Theorie setzt also letztendlich am Individuum an. Beim methodologischen Individualismus wird davon ausgegangen, dass Individuen agieren, um ihre Umwelt zu verändern (unter Entfaltung von Kreativität), statt nur zu reagieren.[2] Analog zur Neoklassik bildet der methodologische Individualismus die Grundlage für die evolutorische Ökonomik, da Neuerungen – die mit der evolutorischen Ökonomik einhergehen – letztendlich immer durch Individuen gefunden, angewendet und verbreitet werden. Mit anderen Worten: Im methodologischen Individualismus geht es um die Erklärung sozioökonomischer Phänomene, die aus den Entscheidungen oder dem Verhalten der beteiligten Individuen resultieren.[3]
2.1.2 Kulturelles Lernen
Die Individuen bilden also die handelnden Einheiten. Ihr Verhalten ist aber auch kulturell gebunden. Im methodologischen Individualismus werden alle kollektiven Phänomene auf die Erklärungsebene des Individuums zurückgeführt und eigenständige Begründungen für kulturelle Phänomene als überflüssig erachtet. In der ökonomischen Theorie ist dabei jene individualistische Grundposition dominant, die mit dem homo-oeconomicus-Konzept noch eine speziellere Interpretation erfährt.[4] Weil das Verhalten eines Individuums aber nicht nur von eigenen Entscheidungen abhängig, sondern mit verschiedenen Entscheidungen verschiedener Individuen gekoppelt sei, soll im Folgenden näher auf diese Problematik eingegangen werden. Individuen mit demselben kulturellen Hintergrund werden dieselben „mental models“[5], Ideologien[6] und Institutionen haben. Dieser Einklang hat zur Folge, dass diese Individuen sich schneller bei einer ausstehenden Entscheidung einigen als Individuen mit unterschiedlichen Ideologien und Erfahrungen. Ideologien sind dabei die Rahmenbedingungen der „mental models“. Die Institution als gesellschaftliche Verhaltensregel ist grundlegend das Medium der Koordination in der Gesellschaft und beeinflusst somit individuelles Verhalten in eine bestimmte Richtung. Es lassen sich formelle und informelle Institutionen[7] unterscheiden.[8] Sie werden individuell und sozial gelernt und bestimmen wesentlich die große Mehrzahl individueller Handlungen.[9] Diese Institutionen werden von den Menschen so gestaltet, dass sich ein Ordnungszustand ergibt. Sie müssen dementsprechend permanent angepasst werden und sind damit Elemente geplanter Ordnung. In diesem Sinne bringen Institutionen Ordnung in die alltägliche Tätigkeit und reduzieren damit Unsicherheit. Die Umwelt wird durch die individuellen „mental models“ (intern) interpretiert. Die Individuen sind in der Lage zu kommunizieren (z.B. durch Sprache) und sind somit fähig, ihre verschiedenen Erfahrungen und Lernprozesse anderen mitzuteilen. Ideologien und Institutionen können somit auch als „shared mental models“ bezeichnet werden. Durch die Spracheigenschaft ist es den Individuen möglich, bereits ab der Geburt Informationen zu sammeln und nicht in einem Zustand der tabula rasa beginnen zu müssen.[10]
Der Prozess des Lernens kann entweder direkt oder indirekt stattfinden. Die Welt ist allerdings zu komplex, als dass ein einzelnes Individuum von Geburt an direkt lernen könnte, wie alles funktioniert. Zwei Individuen, die in ihrem Leben unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben, geben mit hoher Wahrscheinlichkeit ein und denselben Sachverhalt unterschiedlich wieder. Ein Grund dafür ist, dass alle Menschen sich bei der Geburt durch indirektes Lernen nahe einer tabula rasa -Situation befinden und erst im Lauf der Zeit direkt dazulernen. Das kulturelle Erbe (Intergenerationen-Transfer) macht es möglich, dass die Abweichungen in den „mental models“ der Individuen einer Gesellschaft nicht zu groß sind. Jene „Kulturverkapselung“ der Erfahrungswerte macht es möglich, dass aus der Vergangenheit gelernt werden kann. Dieses Lernen kann als kulturelles Lernen bezeichnet werden.[11]
Direktes Lernen läuft zeitlich langsamer ab als indirektes Lernen. Das ist verständlich angesichts der Vorstellung, dass sich ein Individuum von Grund auf alles selbst beibringen müsste. Das Problem beim indirekten Lernen ist die Kommunikation (z.B. die Sprache) zwischen den Individuen. Die folgende Abb. 1 soll verdeutlichen, dass das Informationsverständnis durch die Kommunikation von der subjektiven Wahrnehmung des Empfängers abhängig ist.[12]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Theorie der Kommunikation
Quelle: DENZAU, A.T./NORTH, D.C. (1994): Shared Mental Models: Ideologies and Institutions, S. 19.
Abb. 1 verdeutlicht auch, dass die Sprache ein sehr komplexes System ist. Sie dient dazu, eine Codierung der Ergebnisse zur Komplexitätsbewältigung vorzunehmen, mit dem Resultat, dass andere davon profitieren. Problem dabei ist, dass die Nachricht aufgrund des Hintergrundwissens und der Erfahrungen des Empfängers möglicherweise anders dekodiert wird als der Sender sie verschlüsselt hat.[13] Die Komplexität des Lernens, der Erfahrungen und damit auch die Verschiedenheit der Individuen finden im Menschenbild der Neoklassiker – homo-oeconomicus – keine Berücksichtigung. Diese Problemlage soll im folgenden Abschnitt weiter vertieft werden.
2.2 Das Menschenbild der Ökonomie
Die rationale Wahl eines Individuums ist immer optimal (homo-oeconomicus). In der Realität kann diese Aussage aber nur ex-post aufgestellt werden.[14] Ex-post deshalb, weil die Individuen weder vollständig informiert noch vollständig rational sind. Genauer gesagt, handelt es sich hier um Kritik an zwei Annahmen, die im Standardmodell der Ökonomie getroffen werden. Zum einen wird vollständige Information über mögliche Alternativen und Randbedingungen gestellt und es wird zum anderen eine unendlich schnelle und kostenlose Verarbeitung dieser Informationen angenommen. In der Wirklichkeit sind diese Annahmen allerdings nicht zutreffend. Niemand weiß alles, Alternativen müssen gesucht werden, Risiko und Unsicherheit spielen eine große Rolle. Letztlich ist eine Informationsüberladung häufig für suboptimale Entscheidungen verantwortlich, weil die Vielzahl von Informationen nicht (rechtzeitig) verarbeitet werden kann.[15] Ein besseres Verständnis für ökonomische Probleme bzw. für Verhaltensweisen von Individuen könnte daher erreicht werden, wenn versucht wird ein Menschenbild innerhalb der kreativen, gewohnheitsmäßigen und kontextsensitiven Umwelt zu generieren.[16]
Die Sozioökonomie geht davon aus, dass der Nutzen eines Individuums nicht nur von der eigenen Entscheidung abhängt, sondern unmittelbar auch von den Entscheidungen anderer. Individuelles Verhalten im Umgang mit Ressourcen ist daher von einer gesellschaftlichen Verhaltensweise nicht zu trennen. Das Individuum muss seine Entscheidungen mit denen anderer koordinieren. Dies führt zu dem Problem der echten Unsicherheit. In der Sozioökonomie wird dieses Problem hauptsächlich als Informationsproblem beschrieben.[17] Neben dem Informationsproblem sollten aber auch die Komplexität und die Motivation Berücksichtigung finden. Die Modelle sind in der traditionellen Ökonomie zu vereinfacht dargestellt und sollten dahingehend „aktualisiert“ werden.[18]
Komplexitä t – Die Komplexität von Dynamik, Kommunikation (z.B. Sprache), Wandel usw. findet im traditionellen Menschenbild des homo-oeconomicus keine Berücksichtigung. Aber gerade durch den hohen Grad der Komplexität hinsichtlich der Koordination von Entscheidungen zwischen den Individuen wird eine optimale Wahl erschwert.[19]
[...]
[1] Vgl. hierzu HEINE, W. (1983): Methodologischer Individualismus: Zur geschichtsphilosophischen Begründung eines sozialwissenschaftlichen Konzeptes, S. 15.
[2] Vgl. BUDZINSKI, O. (2000): Wirtschaftspolitische Implikationen evolutorischer Ordnungsökonomik: Das Beispiel ordnungskonformer ökologischer Wirtschaftspolitik, S. 45.
[3] Vgl. WITT, U. (1987): Individualistische Grundlagen der evolutorischen Ökonomik, S. 14.
[4] Vgl. KUBON-GILKE, G. (2002): Verhaltenswissenschaftliche Ansätze in der Ökonomik, S. 88ff.
[5] Der Begriff „mental models“ kann hier meiner Meinung nach als „Gedankengut“ verstanden werden.
[6] Definition: „D ie Gesamtheit der Anschauungen und des Denkens…“, FREMDWÖRTERLEXIKON (2004a): http://www.wissen.de → suchen: Ideologien.
[7] Formelle (kodifizierte) Institutionen sind z.B. Verfassungen, Gesetze, Satzungen und Regeln des positiven Rechts. Informelle (nicht kodifizierte) Institutionen sind bspw. Traditionen, Gebräuche, Sitten, Tabus, Manieren oder auch kaufmännische Sorgfalt. Vgl. hierzu BUDZINSKI, O. (2000): Wirtschaftspolitische Implikationen evolutorischer Ordnungsökonomik: Das Beispiel ordnungskonformer ökologischer Wirtschaftspolitik, S. 143f.
[8] Vgl. DENZAU, A.T./NORTH, D.C. (1994): Shared Mental Models: Ideologies and Institutions, S. 3f.
[9] Vgl. ELSNER, W. (2001): Individuum und gesellschaftliches Handeln. Eine Grundfrage (nicht nur) der heterodoxen Ökonomik – neu betrachtet, S. 74.
[10] Vgl. DENZAU, A.T./NORTH, D.C. (1994): Shared Mental Models: Ideologies and Institutions, S. 4f.
[11] Vgl. DENZAU, A.T./NORTH, D.C. (1994): Shared Mental Models: Ideologies and Institutions, S. 14f.
[12] Vgl. DENZAU, A.T./NORTH, D.C. (1994): Shared Mental Models: Ideologies and Institutions, S. 16ff.
[13] Vgl. DENZAU, A.T./NORTH, D.C. (1994): Shared Mental Models: Ideologies and Institutions, S. 18ff.
[14] Vgl. DENZAU, A.T./NORTH, D.C. (1994): Shared Mental Models: Ideologies and Institutions, S. 1.
[15] Vgl. HOMANN, K./SUCHANEK, A. (2000): Ökonomik: Eine Einführung, S. 415f.; auch: WITT, U. (1992): Moralität vs. Rationalität – Über die Rolle von Innovationen und Imitation in einem alten Dilemma, S.13f.
[16] Vgl. KHALIL, E.L. (1999): Social Theory and Naturalism – An introduction, S. 28.
[17] Vgl. ELSNER, W. (2001): Individuum und gesellschaftliches Handeln. Eine Grundfrage (nicht nur) der heterodoxen Ökonomik – neu betrachtet, S. 73f.
[18] Vgl. DENZAU, A.T./NORTH, D.C. (1994): Shared Mental Models: Ideologies and Institutions, S. 7.
[19] Vgl. DENZAU, A.T./NORTH, D.C. (1994): Shared Mental Models: Ideologies and Institutions, S. 7.
- Arbeit zitieren
- Diplom-Ökonom Carsten Fölsch (Autor:in), 2004, Methodologische Grundfragen der evolutorischen Ökonomik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66065
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