Etwas gerecht zu verteilen ist meist mit Überlegungen, oft auch mit Problemen verbunden. Gerade wenn es um die Zuteilung von Organen geht, die doch 1. ökonomisch knapp, 2. unteilbar und 3. zum Teil überlebenswichtig sind, kommt es zu Interessenkonflikten auf der Seite der nachfragenden Patienten. Daher müssen Entscheidungen getroffen werden, diese Interessen in eine (gerechte) Ordnung zu bringen. Um diese Entscheidungen nachzuvollziehen, sollen in dieser Arbeit zu Beginn medizinische Grundlagen der Organallokation dargelegt werden. Daraufhin wird der gesetzliche Rahmen aufgezeigt. Ein Blick in die Praxis der Organtransplantation schließt sich an, bevor die Verteilungsgerechtigkeit anhand von vier verschiedenen Prinzipien erfasst wird. Danach erfolgt eine Diskussion der gesetzlichen Grundlagen und einzelner Verteilungskriterien, wobei sich auf die wichtigsten in Deutschland angewandten Verteilungskriterien beschränkt wird. Ein abschließendes Resümee soll dann die Frage beantworten, ob die angewendeten Kriterien bei der Organallokation gerecht sind.
Gliederung
1. Einleitung
2. Grundlagen der Organallokation
2.1 Medizinische Grundlagen
2.2 Juristische Grundlagen
3. Praxis der Organallokation
4. Gerechtigkeitstheoretische Überlegungen
4.1 Grundlagen der Verteilungsgerechtigkeit
4.2 Bedürfnisorientierte Verteilung
4.3 Gleichheitsorientierte Verteilung
4.4 Verdienstorientierte Verteilung
4.5 Nutzenorientierte Verteilung
5. Diskussion
5.1 Diskussion der gesetzlichen Vorgaben
5.2 Diskussion der angewandten Allokationskriterien
5.2.1 Gewebeübereinstimmung und Blutgruppenkompatibilität
5.2.2 Seltene Blut- oder Gewebemerkmale
5.2.3 Dringlichkeit
5.2.4 Kalte Ischämiezeit
5.2.5 Losverfahren
5.2.6 Wartezeit
5.2.7 Compliance
6. Resümee
7. Literaturverzeichnis
8. Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Etwas gerecht zu verteilen ist meist mit Überlegungen, oft auch mit Problemen verbunden. Gerade wenn es um die Zuteilung von Organen geht, die doch 1. ökonomisch knapp, 2. unteilbar und 3. zum Teil überlebenswichtig sind, kommt es zu Interessenkonflikten auf der Seite der nachfragenden Patienten.[1] Daher müssen Entscheidungen getroffen werden, diese Interessen in eine (gerechte) Ordnung zu bringen. Um diese Entscheidungen nachzuvollziehen, sollen in dieser Arbeit zu Beginn medizinische Grundlagen der Organallokation[2] dargelegt werden. Daraufhin wird der gesetzliche Rahmen aufgezeigt.
Ein Blick in die Praxis der Organtransplantation schließt sich an, bevor die Verteilungsgerechtigkeit anhand von vier verschiedenen Prinzipien erfasst wird. Danach erfolgt eine Diskussion der gesetzlichen Grundlagen und einzelner Verteilungskriterien. Dabei werde ich mich auf die wichtigsten in Deutschland angewandten Verteilungskriterien beschränken. Ein abschließendes Resümee soll dann die Frage beantworten, ob die angewendeten Kriterien bei der Organallokation gerecht sind.
2. Grundlagen der Organallokation
2.1 Medizinische Grundlagen
Aus medizinischer Sicht stellen sich einige Bedingungen an eine erfolgreiche Organtransplantation, die als Auswahlkriterien gelten. Neben der Übereinstimmung der Blutgruppe kommt es dabei vor allem auf die möglichst hohe Übereinstimmung des Gewebsstatus (HLA-Status) an. Diese „Humanen Leukozyten Antigene“[3] sind für die Abstoßungsreaktion des Transplantats im Empfänger verantwortlich und damit ausschlaggebend für den Langzeiterfolg. Andere medizinisch relevante Faktoren sind u.a. Immunstatus des Empfängers, möglichst kurze „kalte Ischämiezeit“ (Zeit des Organs außerhalb des Körpers in der es nicht durchblutet wird), Begleiterkrankungen des Empfängers, Medikamentenbedarf des Empfängers, Drogen- oder Alkoholabhängigkeiten und Psychosen oder schwere geistige Behinderungen.[4] Das Alter spielt zunehmend keine Rolle mehr als medizinisch begrenzender Faktor.[5]
Allerdings ist z. B. eine vollständige Übereinstimmung des HLA-Status (alle 6 wichtigen Merkmale stimmen überein) zwar im Sinne einer langen Funktionstüchtigkeit des Spenderorgans wünschenswert, jedoch nicht zwingend Voraussetzung. Durch die moderne Medizin eröffnet sich hier ein Spielraum, da auch bei nur zwei übereinstimmenden HLA-Merkmalen die Abstoßungsreaktionen immunsuppressiv behandelt werden können.[6]
2.2 Juristische Grundlagen
Die Grundrechte eines jeden deutschen Bürgers sind im Grundgesetz verankert. So ergibt sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ in Verbindung mit Art. 3 Abs.1 „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ für jeden Menschen das gleiche Recht auf medizinische Behandlung.
Da der Gesetzgeber gespendete Organe als öffentliches Gut betrachtet und eine private Organverteilung ausschließen wollte, musste er genauere Bestimmungen zur Organverteilung erlassen, um jedem Menschen sein Recht auf medizinische Behandlung zu sichern.[7]
Dies wurde durch die Verabschiedung des Gesetzes über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen (Transplantationsgesetz, TPG) versucht zu regeln.
Eingrenzend auf die zugrunde liegende Fragestellung ist hier besonders §12 TPG speziell Absatz 3 relevant. Darin heißt es:
„Die vermittlungspflichtigen Organe sind von der Vermittlungsstelle nach Regeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, insbesondere nach Erfolgsaussicht und Dringlichkeit für geeignete Patienten zu vermitteln. Die Wartelisten der Transplantationszentren sind dabei als eine einheitliche Warteliste zu behandeln. […]“
Die genauen „Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft“ sollen dabei nach §16 TPG durch die Bundesärztekammer festgelegt werden, die dies in ihren Richtlinien zur Organtransplantation gemäß §16 TPG[8] getan hat. Darin regelt sie detailliert die medizinischen Kriterien der Organtransplantation.
Eine Diskussion der gesetzlichen Vorgaben erfolgt erst später.
3. Praxis der Organallokation
Um den Vorgang einer Organtransplantation als Rahmen der Organallokation besser nachvollziehen zu können, sollen an dieser Stelle die Prozesse und Phasen einer Organtransplantation skizziert werden.[9]
Allen Organtransplantationen liegt ein gewisses Schema zugrunde, dass nach Lachmann / Meuter[10] in folgende 6 Phasen eingeteilt werden kann. Als erstes erfolgt die Feststellung der Indikation einer Organtransplantation durch den behandelnden Arzt und das betreuende Transplantationszentrum. In der zweiten Phase befindet sich der Patient auf der Warteliste. Diese ergibt sich als Differenz des Zeitpunktes der Indikationsstellung und dem Zeitpunkt der Gewinnung eines Spenderorgans, was als dritte Phase angesehen wird. Die vierte Phase ist der Moment in dem das Spenderorgan einem Patienten auf der Warteliste zugeteilt werden muss, also der Moment der eigentlichen Allokationsentscheidung. Ist diese Entscheidung gefallen, so folgen als fünfte Phase die Operation und abschließend sechstens die postoperative Phase.
Das Augenmerk dieser Arbeit liegt jedoch auf der eigentlichen Allokationsentscheidung, weshalb diese hier näher betrachtet werden soll.
Vorher sei aber noch ein Exkurs in die erste Phase des Modells, der Indikationsstellung gewährt. Überblickt man alle Entscheidungen die zu einer Transplantation führen, so bemerkt man, dass gleich am Anfang entschieden werden muss, ob sich ein Patient für eine Transplantation eignet. Diese Entscheidung wird zum einen durch den behandelnden niedergelassenen Arzt, zum anderen durch eine Expertenkommission im Transplantationszentrum getroffen[11]. Dabei spielen neben medizinische Faktoren (z.B. keine Kontraindikationen), auch die Compliance eine Rolle, welche die Bereitschaft des Patienten zur prä- und postoperativen Mitarbeit und ggf. Änderung seines Lebensstils beschreibt.[12]
Dadurch wird auch die psychische Variable berücksichtigt. Es wird also deutlich, dass bereits an dieser Stelle eine Entscheidung getroffen werden muss, die die Nicht-Aufnahme eines Patienten in die Warteliste und damit den Ausschluss aus dem „Transplantationssystem“ bewirken kann. Von daher sollte schon diese Entscheidung auf formelle und inhaltliche Gerechtigkeit hin überprüft werden. (Da das Augenmerk dieser Arbeit aber auf der eigentlichen Allokationsentscheidung liegt, soll die Aufnahme in die Warteliste hier nicht näher erörtert werden.)
Mit der Aufnahme in die Warteliste wird der Patient dann zugleich (bei einzelnen Organen unterschiedlich) einer Dringlichkeitsstufe zugeordnet. Dies erfüllt insbesondere den Sinn, Patienten die ohne Herz- oder Lebertransplantation innerhalb kürzester Zeit versterben würden, eine vorrangige Position auf der Warteliste zu verschaffen.
Steht ein Spenderorgan zur Verfügung werden sofort seine immunologischen Eigenschaften festgestellt und an die Zentrale Vermittlungsstelle Eurotransplant in Leiden / Niederlande gesendet. Mittels eines Computerprogramms erfolgt ein Abgleich mit den Daten der Warteliste.[13] Das Transplantationszentrum, dessen Patient die besten Übereinstimmungen besitzt, wird dann sofort informiert und das Organ nach der Bestätigung des Transplantationszentrums an dieses gesendet. Kann das Zentrum die Bereitschaft zur Organtransplantation nicht binnen 30 Minuten bestätigen (Empfänger nicht erreichbar bzw. momentan nicht operationsfähig, etc.) wird das Organ dem nächsten Patienten auf der Warteliste angeboten.
Gleiches passiert ebenfalls, wenn die Kreuzprobe[14] im Transplantationszentrum eine Abstoßungsreaktion zeigt. Bestehen keine (weiteren) Einwände, kann transplantiert werden. Es schließt sich die postoperative Phase an.
Für einige Organe (z.B. Leber, Herz) gelten auch Vorgriffsrechte der entnehmenden Transplantationszentren. D.h. sollten bei Eurotransplant keine akut dringenden Patienten gelistet sein, kann das entnehmende Transplantationszentrum das Spenderorgan nach eigenem Verteilungsschlüssel vergeben.
[...]
[1] Vgl. Schott, 2001, S. 161
[2] Allokation = Verteilung von Ressourcen
[3] Lachmann / Meuter, 1997, S. 20
[4] Vgl. Ebd., S. 18, 20 + 26, ergänzend Albert, 1994, S. 40
[5] Vgl. Albert, 1994, S. 39
[6] Vgl. Lachmann / Meuter, 1997, S. 24 + 61
[7] Vgl. Gutmann / Fateh-Moghadam, 2003, S. 39 - 41, S. 63
[8] Laut Auskunft der Bundesärztekammer ständig aktualisiert: www.bundesaerztekammer.de, 2006 sonst in der Literatur nur in Auszügen oder nicht aktuell, z.B. in Höfling W. (Hrsg.), 2003, Anhang
[9] Vgl. Lachmann / Meuter, 1997, S. 17 - 40 Die Autoren beziehen sich dabei auf Abläufe im Transplantationszentrum Essen, ohne dies als repräsentativ anzusehen. Zur Veranschaulichung sei dies aber auch nicht erforderlich. (vgl. a.a.O., S.13)
[10] Vgl. Lachmann / Meuter, 1997, S.17
[11] Vgl. Ebd., S. 19
[12] Vgl. Ebd., S. 19
[13] Genauer Lachmann / Meuter, 1997, S. 26 die berechneten Faktoren sind u.a. HLA-Kompatibilität, Distanz
zwischen Entnahme- und Transplantationszentrum und Wartezeit des Patienten
[14] Dabei wird Empfängerblut mit Spendergewebe zusammen gebracht.
- Quote paper
- Christoph Wolf (Author), 2006, Gerechtigkeit in der Transplantationsmedizin - Sind die Kriterien der Transplantationsmedizin gerecht?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65182
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.