Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, wie es um das Selbstbewusstsein der Figur Casanova bestellt ist. Selbstbewusstsein soll hier jedoch auf keinen Fall als ein umgangssprachlicher Ausdruck begriffen werden, der leicht mit Motiven wie Eigenliebe, Stolz oder mutigem Handeln in Verbindung gebracht wird. Ohne Frage spielen solche Aspekte bei diesem Thema eine wichtige Rolle, doch soll hier der Schwerpunkt anderswo liegen. Selbstbewusstsein wird in dieser Arbeit als ein Problem der Wahrnehmung begriffen. Inwiefern ist Casanova sich seiner eigenen Person bewusst? Die Frage nach dem Bewusstsein wird zu einem Problem, das aus dem Wechselspiel von Fremdwahrnehmung und der eigenen Wahrnehmung entsteht. Wie wird Casanova wahrgenommen? Wie nimmt Casanova seine Umwelt wahr? Welche Rolle spielt der Erzähler dabei? Um diesen Fragen nachzugehen, werden zwei Frauenbilder herangezogen und im Hinblick auf das Wechselspiel von Fremdwahrnehmung und Casanovas eigener Wahrnehmung untersucht. Diese Herangehensweise bietet sich an, da Casanova sich ohne Frage stark an seiner weiblichen Umwelt orientiert, sprich: die gegenseitige Wahrnehmung spielt hier eine besondere Rolle. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse der Frage nachgegangen, ob man davon sprechen kann, dass bei Casanova eine Verschiebung der Wahrnehmung vorliegt. Inwiefern befinden sich die Welt und das Bild, das sich Casanova von ihr macht, in Einklang? Gibt es Differenzen? Bei der Bearbeitung dieser Aufgabe waren die Monographien und Textsammlungen von Hartmut Scheible und Reinhard Urbach eine große Hilfe, insbesondere um Arthur Schnitzlers Novelle in sein Gesamtwerk einzuordnen. 1 Obwohl die Sekundärliteratur zu Casanovas Heimfahrt überschaubar ist 2 , bietet sie doch eine solide Basis für weiterführende [...]
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Arthur Schnitzler und Casanova - Zur Textgenese
3. Casanova und die Frauen
3.1. Das junge Weib mit Wägelchen
3.2. Teresina
4. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, wie es um das Selbstbewusstsein der Figur Casanova bestellt ist. Selbstbewusstsein soll hier jedoch auf keinen Fall als ein umgangssprachlicher Ausdruck begriffen werden, der leicht mit Motiven wie Eigenliebe, Stolz oder mutigem Handeln in Verbindung gebracht wird. Ohne Frage spielen solche Aspekte bei diesem Thema eine wichtige Rolle, doch soll hier der Schwerpunkt anderswo liegen. Selbstbewusstsein wird in dieser Arbeit als ein Problem der Wahrnehmung begriffen. Inwiefern ist Casanova sich seiner eigenen Person bewusst? Die Frage nach dem Bewusstsein wird zu einem Problem, das aus dem Wechselspiel von Fremdwahrnehmung und der eigenen Wahrnehmung entsteht. Wie wird Casanova wahrgenommen? Wie nimmt Casanova seine Umwelt wahr? Welche Rolle spielt der Erzähler dabei?
Um diesen Fragen nachzugehen, werden zwei Frauenbilder herangezogen und im Hinblick auf das Wechselspiel von Fremdwahrnehmung und Casanovas eigener Wahrnehmung untersucht. Diese Herangehensweise bietet sich an, da Casanova sich ohne Frage stark an seiner weiblichen Umwelt orientiert, sprich: die gegenseitige Wahrnehmung spielt hier eine besondere Rolle. Im weiteren Verlauf der Arbeit wird auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse der Frage nachgegangen, ob man davon sprechen kann, dass bei Casanova eine Verschiebung der Wahrnehmung vorliegt. Inwiefern befinden sich die Welt und das Bild, das sich Casanova von ihr macht, in Einklang? Gibt es Differenzen?
Bei der Bearbeitung dieser Aufgabe waren die Monographien und Textsammlungen von Hartmut Scheible und Reinhard Urbach eine große Hilfe, insbesondere um Arthur Schnitzlers Novelle in sein Gesamtwerk einzuordnen.[1] Obwohl die Sekundärliteratur zu Casanovas Heimfahrt überschaubar ist[2], bietet sie doch eine solide Basis für weiterführende Forschungen. Zu guter Letzt sind die veröffentlichten Tagebücher und Briefe Schnitzlers anzuführen[3], die eine gute und schnelle Recherche ermöglichten und den Schriftsteller - abseits der Novelle – selbst noch einmal zu Worte kommen ließen.
2. Arthur Schnitzler und Casanova – Zur Textgenese
Den wesentlichen Teil der Novelle Casanovas Heimfahrt fertigte Arthur Schnitzler wohl in der Mitte des Jahres 1915 an. Er schreibt am 22. Juli 1915 in einem Kartenbrief an seine Frau Olga: „Die Casanova-Novelle in einer ersten, natürlich unmöglichen Fassung wird heut oder morgen fertig.“[4] Später, in den Jahren bis zur Erstveröffentlichung in der Neuen Rundschau 1918[5], arbeitete er den Text noch stellenweise um und unternahm kleinere Korrekturen. Die erste Buchausgabe erschien kurz nach der Erstveröffentlichung ebenfalls 1918 im S.Fischer Verlag.[6]
In dieser Zeit befand sich Europa im Ersten Weltkrieg, den Schnitzler mit großem Argwohn betrachtete. Insbesondere den Machthabern und ihrem Hang zur Verallgemeinerung und zur Abstraktion stand er äußerst skeptisch gegenüber.[7] Das Wiener fin de siècle , eine Zeit der Dekadenz und „bürgerlich liberaler Humanität“[8], das gemeinhin mit Schnitzlers Ruhm als Schriftsteller verbunden wird, gehörte der Vergangenheit an. Schnitzler, der den Kriegsoptimismus anderer Schriftsteller jener Tage nicht teilen konnte[9], spricht in einem Brief an George Brandes (20. Oktober 1914) von einer „überwältigend grauenhaften Epoche“[10].
Während des Ersten Weltkrieges arbeitete Schnitzler zeitgleich an zwei Texten, die sich mit der Figur Casanova beschäftigten. Neben der Novelle Casanovas Heimfahrt verfasste er außerdem das Lustspiel Die Schwester oder Casanova in Spa . Er hatte sich zuvor eingehend mit der realen Person Casanova beschäftigt und dessen Memoiren Histoire de ma vie gelesen. In seinem Tagebuch notiert Schnitzler am 23. Februar 1915: „Neulich Casanova zu Ende gelesen, mit oft entzückter Antheilnahme. Nun den traurigen Nachtrag: seine Spionberichte, seine kläglichen Briefe an den Duxer Haushofmeister.“[11]
[...]
[1] z.B.: Scheible, Hartmut, Arthur Schnitzler. In Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1976.
Urbach, Reinhard, Schnitzler-Kommentar. Zu den erzählenden Schriften und dramatischen Werken, München 1974.
[2] Scheible, Hartmut, Hofmannsthal, Schnitzler und der Mythos Casanova, in: Fliedl, Konstanze (Hg.), Arthur Schnitzler im zwanzigsten Jahrhundert, Wien 2003 (S.305-329). Scheible, Hartmut (Hg.), Mythos Casanova, Leipzig 2003. Gleisenstein, Angelika, Die Casanova-Werke Arthur Schnitzlers, in: Scheible, Hartmut (Hg.), Arthur Schnitzler in neuer Sicht, München 1981 (S.117-141). Dane, Gesa, »Im Spiegel der Luft«. Trugbilder und Verjüngungsstrategien in Arthur Schnitzlers Erzählung »Casanovas Heimfahrt«, in: Arnold, Heinz Ludwig (Hg.), Text+Kritik, Ausgabe 138/139, München 1998 (S.61-75).
[3] Schnitzler, Arthur, Briefe. 1913-1931, Frankfurta.M.1984. Schnitzler, Arthur, Tagebuch. 1913-1916, Wien1983.
[4] s. Schnitzler, Arthur, Briefe. 1913-1931, Frankfurta.M.1984 (S.90-91).
[5] Neue Rundschau 29, Heft 7-9, Juli-September 1918 (S.884-912, 1022-1046, 1147-1176).
[6] vgl. Urbach, Reinhard, Schnitzler-Kommentar. Zu den erzählenden Schriften und dramatischen Werken, München 1974 (S.128-129).
[7] „Man sagt, er ist den schönen Heldentod gestorben. Warum sagt man nie, er hat eine herrliche Heldenverstümmelung erlitten? Man sagt, er ist für das Vaterland gefallen. Warum sagt man nie, er hat sich für das Vaterland beide Beine amputieren lassen?“, s. Schnitzler, Arthur, Aphorismen und Betrachtungen. Hrsg. Von RobertO. Weiss, Frankfurta.M. 1967 (S.220).
[8] s. Scheible, Hartmut, Arthur Schnitzler. In Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1976 (S.106).
[9] vgl. Scheible, Hartmut, Arthur Schnitzler. In Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Reinbek 1976 (S.107).
[10] „Und doch, wieviel Unheil, nicht nur für Schuldige, sondern auch für Unschuldige flehen wir, nicht einmal ganz gedankenlos, durch unsere Wünsche herab. Ja, nach den Einrichtungen dieser Welt ist sogar zu befürchten, daß mancher von den Allerschuldigsten ganz ohne Strafe ausgehen wird. Aber ziemt es sich denn in dieser überwältigend grauenhaften Epoche derartige Worte wie Schuld, Strafe, Verantwortung zu gebrauchen. Alles Philosophische und Ethische verlischt im Sturmhauch der Geschichte.“, s. Schnitzler, Arthur, Briefe. 1913-1931, Frankfurta.M.1984 (S.51).
[11] S. Schnitzler, Arthur, Tagebuch. 1913-1916, Wien1983 (S.175).
- Arbeit zitieren
- Christopher Bünte (Autor:in), 2005, 'In ihren Augen glimmte es sonderbar...' - Selbst- und Fremdwahrnehmung in Arthur Schnitzlers Novelle 'Casanovas Heimfahrt', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65100
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